K
Karim-Benzema
Guest
Interessanter Artikel aber fast 2 Jahre alt.
Die riesige Statue von Stalin, in den 1970er-Jahren gegossen, wurde nach der Wende 1990/1991 in Albanien wieder in die Bildhauerwerkstätte zurückgebracht. Rechts: der albanische Künstler Vladimir Metani.
foto: der standard/wölfl
Junge Demokratie: ein neuer Held der Albaner, der ehemalige US-Präsident Woodrow Wilson in der Bildhauerwerkstätte in Tirana.
Der albanische Bildhauer Vladimir Metani fabrizierte während der stalinistischen Diktatur unter Enver Hoxha Statuen von Hoxha und Stalin aus Bronze - Nebenbei formte er Figuren aus der albanischen Mythologie
Vor der Werkstätte der albanischen Bildhauer lassen Roma-Familien ihre Pferde und Esel auf dem schmalen Grünstreifen zwischen wild fahrenden Autos grasen. Vladimir Metani arbeitet seit den 1970er-Jahren in dieser Halle. Als der kleine Mann mit silbernen Locken und braunen, dicken Oberarmen im Ruderleiberl das schwere Tor öffnet, geht auch eine Tür in die Vergangenheit auf. Weiße Tauben fliegen auf und lassen sich auf der Stalin-Skulptur nieder, die den Raum beherrscht.
Nach der Wende in Albanien 1990/1991 wurde Stalin im öffentlichen Raum nicht mehr gebraucht und in die Halle zurückgebracht, wo er gegossen worden war. Zerstört hat man ihn noch nicht. Albanien rühmte sich jahrzehntelang, als einziges echtes stalinistisches Regime die reine Lehre zu vertreten. Ab 1948 brach das Regime mit Jugoslawien und lehnte sich an die Sowjetunion an. Diktator Enver Hoxha ließ Konkurrenten exekutieren. Die Künstler in Albanien waren einer starken politischen Zensur ausgesetzt, sie wurden vom Staat entlohnt, hatten aber keine künstlerische Freiheit.
Metani, 1951 geboren, wuchs in Waisenhäusern auf und absolvierte die Fachschule für Gießerei in Tirana. Von 1967 bis 1969 arbeitete er als Gießer im "Enver-Werk", ab 1971 im Zentrum der Kunstbildhauerei, in besagter Halle in Tirana. Wenn von den Lenin-, Stalin- oder Hoxha-Statuen, die er und seine Kollegen fabrizierten, Bronze übrig blieb, verwendete Metani sie, um daraus seine eigenen Skulpturen und Reliefs zu gestalten. Es waren zunächst Gesichter, "Abbilder meiner Stimmungen", wie er sagt, die da entstanden. Mittlerweile füllen diese Bronzefiguren alle Stauräume der Familie Metani.
Metani formte Gesichter, wie sie in den nordalbanischen Bergen zu finden sind, mit vielen Furchen, wie die Berge selbst. Oder Gesichter, in deren Augen Tiere zu sehen sind, Gesichter mit gesenkten Augen, "wegen all der Traurigkeit, die das Regime für die Menschen brachte". Die kommunistischen Beamten beschwerten sich, dass er keine "realistischen" Gesichter mache. Metani sollte wegen dieser Gesichter eingesperrt werden. Ihn rettete, dass er erklärte, er sei "ein reines Produkt des Regimes", ein Sohn Hoxhas quasi, denn er sei ja in den staatlichen Waisenhäusern erzogen worden und keinem anderen Einfluss ausgesetzt gewesen.
Metani beschäftigte sich trotzdem mit Religion und Mythologie in dem erklärt atheistischen Staat. Er goss eine Nymphe, die dem geliebten Narziss dabei zusieht, wie er sich in eine Blume verwandelt, er goss eine Frau mit zwei Eulen auf dem Kopf, ein Zeichen für das Unglück, das sich auf das albanische Volk gesetzt hatte, er bildete aus Bronze einen Mann und eine Frau, zwischen ihnen ein Feuer, darunter ein Toter. "Früher wurden die Toten hier im Haus bestattet, unter der Feuerstelle", erklärt der Künstler. Weshalb? "Damit sie näher bei uns sind." In seiner Kunst geht es um die Auseinandersetzung zwischen Seelen- und Materienmensch. Metani konzipiert nicht. "Meine Hände beginnen zu arbeiten", sagt er. Seine expressionistischen Figuren verkauft er auch nicht, am liebsten sitzt er einfach davor.
Feigenbäume wachsen durch die Glasfensterwand in die Werkstätte hinein. Metani ist traurig, dass die Halle demnächst abgerissen werden soll, weil er nicht weiß, wo er dann seine Bronze-skulpturen gießen soll. Er weiß auch nicht, wo dann der große Stalin hinkommen wird. Einer Hoxha-Statue, die hier herumsteht, fehlt die Nase. Nachdem Nikita Chruschtschow 1956 Reformen initiiert hatte, brach Hoxha auch mit der "revisionistischen Sowjetunion" und wandte sich dem maoistischen China zu. Metani kann heute noch die Loblieder auf Mao singen, die die Albaner damals lernen mussten. Natürlich hat er auch Mao-Statuen gegossen. Nach Maos Tod isolierte sich Albanien allerdings völlig. Nach der Wende wurde Metani gebeten, eine Hoxha-Statue aus Marmor zu zerstören. Er meißelte aus dem Hoxha ein spitz zulaufendes Gesicht, das aussieht wie ein Alien. Metani "macht" aber noch immer Politiker. Neben dem Eingang steht etwa eine Bronzefigur von Azem Hajdari, die Metani "mit ganzem Herzen" anfertigte. Hajdari war einer jener Studentenführer, die die demokratische Wende einleiteten. Er wurde 1998 ermordet. Seit Jahren streiten Politiker, wo Hajdari aufgestellt werden soll. Die junge Demokratie weiß noch nicht so recht, auf welche Symbolfiguren sie sich berufen soll. Kürzlich wurden die Fünf Helden, ein Partisanendenkmal in Shkodra, vom Stadtzentrum neben eine Mülldeponie versetzt.
In der Gießerei in Tirana liegt eine ganz neue Bronzefigur auf dem Boden, mit glänzendem Zylinder. "Das ist Woodrow Wilson", erklärt Metani. "Das ist jetzt unser neuer Held. Aber ich glaube nicht an Politik, ich habe ja schon Stalin, Hoxha und Mao gemacht."(Adelheid Wölfl aus Tirana, DER STANDARD; Printausgabe, 23.8.2011)
Vladimir Metani in albanischer Tracht.
![1313054585785.jpg](http://images.derStandard.at/t/12/2011/08/22/1313054585785.jpg)
Die riesige Statue von Stalin, in den 1970er-Jahren gegossen, wurde nach der Wende 1990/1991 in Albanien wieder in die Bildhauerwerkstätte zurückgebracht. Rechts: der albanische Künstler Vladimir Metani.
![1313054583933.jpg](http://images.derStandard.at/t/12/2011/08/22/1313054583933.jpg)
foto: der standard/wölfl
Junge Demokratie: ein neuer Held der Albaner, der ehemalige US-Präsident Woodrow Wilson in der Bildhauerwerkstätte in Tirana.
Der albanische Bildhauer Vladimir Metani fabrizierte während der stalinistischen Diktatur unter Enver Hoxha Statuen von Hoxha und Stalin aus Bronze - Nebenbei formte er Figuren aus der albanischen Mythologie
Vor der Werkstätte der albanischen Bildhauer lassen Roma-Familien ihre Pferde und Esel auf dem schmalen Grünstreifen zwischen wild fahrenden Autos grasen. Vladimir Metani arbeitet seit den 1970er-Jahren in dieser Halle. Als der kleine Mann mit silbernen Locken und braunen, dicken Oberarmen im Ruderleiberl das schwere Tor öffnet, geht auch eine Tür in die Vergangenheit auf. Weiße Tauben fliegen auf und lassen sich auf der Stalin-Skulptur nieder, die den Raum beherrscht.
Nach der Wende in Albanien 1990/1991 wurde Stalin im öffentlichen Raum nicht mehr gebraucht und in die Halle zurückgebracht, wo er gegossen worden war. Zerstört hat man ihn noch nicht. Albanien rühmte sich jahrzehntelang, als einziges echtes stalinistisches Regime die reine Lehre zu vertreten. Ab 1948 brach das Regime mit Jugoslawien und lehnte sich an die Sowjetunion an. Diktator Enver Hoxha ließ Konkurrenten exekutieren. Die Künstler in Albanien waren einer starken politischen Zensur ausgesetzt, sie wurden vom Staat entlohnt, hatten aber keine künstlerische Freiheit.
Metani, 1951 geboren, wuchs in Waisenhäusern auf und absolvierte die Fachschule für Gießerei in Tirana. Von 1967 bis 1969 arbeitete er als Gießer im "Enver-Werk", ab 1971 im Zentrum der Kunstbildhauerei, in besagter Halle in Tirana. Wenn von den Lenin-, Stalin- oder Hoxha-Statuen, die er und seine Kollegen fabrizierten, Bronze übrig blieb, verwendete Metani sie, um daraus seine eigenen Skulpturen und Reliefs zu gestalten. Es waren zunächst Gesichter, "Abbilder meiner Stimmungen", wie er sagt, die da entstanden. Mittlerweile füllen diese Bronzefiguren alle Stauräume der Familie Metani.
Metani formte Gesichter, wie sie in den nordalbanischen Bergen zu finden sind, mit vielen Furchen, wie die Berge selbst. Oder Gesichter, in deren Augen Tiere zu sehen sind, Gesichter mit gesenkten Augen, "wegen all der Traurigkeit, die das Regime für die Menschen brachte". Die kommunistischen Beamten beschwerten sich, dass er keine "realistischen" Gesichter mache. Metani sollte wegen dieser Gesichter eingesperrt werden. Ihn rettete, dass er erklärte, er sei "ein reines Produkt des Regimes", ein Sohn Hoxhas quasi, denn er sei ja in den staatlichen Waisenhäusern erzogen worden und keinem anderen Einfluss ausgesetzt gewesen.
Metani beschäftigte sich trotzdem mit Religion und Mythologie in dem erklärt atheistischen Staat. Er goss eine Nymphe, die dem geliebten Narziss dabei zusieht, wie er sich in eine Blume verwandelt, er goss eine Frau mit zwei Eulen auf dem Kopf, ein Zeichen für das Unglück, das sich auf das albanische Volk gesetzt hatte, er bildete aus Bronze einen Mann und eine Frau, zwischen ihnen ein Feuer, darunter ein Toter. "Früher wurden die Toten hier im Haus bestattet, unter der Feuerstelle", erklärt der Künstler. Weshalb? "Damit sie näher bei uns sind." In seiner Kunst geht es um die Auseinandersetzung zwischen Seelen- und Materienmensch. Metani konzipiert nicht. "Meine Hände beginnen zu arbeiten", sagt er. Seine expressionistischen Figuren verkauft er auch nicht, am liebsten sitzt er einfach davor.
Feigenbäume wachsen durch die Glasfensterwand in die Werkstätte hinein. Metani ist traurig, dass die Halle demnächst abgerissen werden soll, weil er nicht weiß, wo er dann seine Bronze-skulpturen gießen soll. Er weiß auch nicht, wo dann der große Stalin hinkommen wird. Einer Hoxha-Statue, die hier herumsteht, fehlt die Nase. Nachdem Nikita Chruschtschow 1956 Reformen initiiert hatte, brach Hoxha auch mit der "revisionistischen Sowjetunion" und wandte sich dem maoistischen China zu. Metani kann heute noch die Loblieder auf Mao singen, die die Albaner damals lernen mussten. Natürlich hat er auch Mao-Statuen gegossen. Nach Maos Tod isolierte sich Albanien allerdings völlig. Nach der Wende wurde Metani gebeten, eine Hoxha-Statue aus Marmor zu zerstören. Er meißelte aus dem Hoxha ein spitz zulaufendes Gesicht, das aussieht wie ein Alien. Metani "macht" aber noch immer Politiker. Neben dem Eingang steht etwa eine Bronzefigur von Azem Hajdari, die Metani "mit ganzem Herzen" anfertigte. Hajdari war einer jener Studentenführer, die die demokratische Wende einleiteten. Er wurde 1998 ermordet. Seit Jahren streiten Politiker, wo Hajdari aufgestellt werden soll. Die junge Demokratie weiß noch nicht so recht, auf welche Symbolfiguren sie sich berufen soll. Kürzlich wurden die Fünf Helden, ein Partisanendenkmal in Shkodra, vom Stadtzentrum neben eine Mülldeponie versetzt.
In der Gießerei in Tirana liegt eine ganz neue Bronzefigur auf dem Boden, mit glänzendem Zylinder. "Das ist Woodrow Wilson", erklärt Metani. "Das ist jetzt unser neuer Held. Aber ich glaube nicht an Politik, ich habe ja schon Stalin, Hoxha und Mao gemacht."(Adelheid Wölfl aus Tirana, DER STANDARD; Printausgabe, 23.8.2011)
![8087818119_b345485daf_z.jpg](http://farm9.staticflickr.com/8467/8087818119_b345485daf_z.jpg)
Vladimir Metani in albanischer Tracht.