Viele Flüsse auf der Welt sind stark verschmutzt. Fast 80 Prozent der Weltbevölkerung lebt im Einzugsbereich belasteter Flüsse.
Giftstoffe, Staudämme, fremde Arten: Die Flüsse der Erde sind ökologisch weit stärker bedroht als bisher bekannt. Dies berichtet ein internationales Forscherteam im Magazin «Nature». Die Wissenschaftler untersuchten erstmals weltweit den Einfluss von 23 Umweltfaktoren auf Fliessgewässer - mit Blick sowohl auf den Menschen als auch auf die Artenvielfalt. 65 Prozent der Flusssysteme stufen die Wissenschaftler als bedroht ein. Die Gewässer versorgen nicht nur fünf Milliarden Menschen, 80 Prozent der Weltbevölkerung, mit Trinkwasser, sie sind auch Lebensraum von Tausenden Pflanzen und Tierarten.
Als Voraussetzung für Leben ist Süsswasser die wichtigste Ressource auf der Erde. Darauf angewiesen ist nicht nur der Mensch, sondern auch zahllosen andere Organismen - von Kleinstlebewesen über Fische, Amphibien und Reptilien hin zu Vögeln und Säugetieren. «Flüsse sind für Menschen die wichtigste Quelle von Wasser», erklärt Charles Vörösmarty vom City College New York (CCNY). «Wenn man die vielen Gefahrenquellen analysiert, findet man heraus, dass sich der Zustand der Flüsse weltweit verschlechtert.» Wie die Mitarbeiter von neun Forschungseinrichtungen betonen, steht der Zustand der Gewässer in direktem Zusammenhang zum Menschen: In wenig besiedelten Gegenden wie Polarregionen oder Amazonien sind die Flüsse noch weitgehend intakt. Beunruhigend dagegen ist die Situation in den dicht bevölkerten Gebieten - weite Teile Zentralasiens, Indien, Ostchina sowie Regionen Nordamerikas und nahezu ganz Europa. Dort verschmutzen viele Schadstoffe die Gewässer, darunter nicht nur klassische Umweltgifte wie etwa Pestizide, sondern zunehmend auch relativ neue Gefahren wie etwa Rückstände von Medikamenten. «Durch unsere Wasserwege strömt ein wahrer Chemikaliencocktai», mahnt Vörösmarty. Gleichzeitig wird von den Flüssen immer mehr Wasser abgezweigt - zur Versorgung der Bevölkerung oder zur Bewässerung von Feldern. Viele grosse Ströme wie der nordamerikanische Colorado River vertrocknen inzwischen, bevor sie ihre frühere Mündung erreichen können.
Einige der grössten Bedrohungen liegen in Europa und den USA
Staudämme bedrohen gewöhnlich zwar nicht die Trinkwasserversorgung von Menschen. Sie gefährden aber die Wanderung von Wasserbewohnern und lassen flussabwärts gelegene Feuchtgebiete vertrocknen. Durch die Veränderungen seien Tausende Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben bedroht, mahnen die Wissenschaftler.
«Die Flüsse weltweit befinden sich in einem ausgesprochenen Krisenzustand», erklärt der Süsswasser-Zoologe Peter McIntyre von der Universität von Wisconsin. «Aber dass einige der grössten Bedrohungen in den USA und Europa liegen, liess uns wirklich die Kinnlade runterklappen.» Der sich verschlechternde Zustand der Flüsse ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern belastet auch zunehmend die Wirtschaft, vor allem in den Entwicklungsländern. «In den Industrieländern gefährden wir unsere Oberflächengewässer und verschleudern dann Milliarden Dollar, um die Probleme zu regeln», sagt Vörösmarty. «Arme Länder können sich das nicht leisten.»
Die Wissenschaftler schlagen vor, nicht nur an den Symptome herumzudoktern, sondern die Wasserressourcen systematisch zu schützen, von den Einzugsgebieten bis zu den Mündungen der grossen Ströme - etwa durch bessere Landnutzung oder sparsamere Bewässerungstechniken. Da viele Flüsse Ländergrenzen überqueren, fordern sie einen internationalen Ansatz. «Eine Kontrolle der Süsswasserreserven würde sich enorm auszahlen», sagt Vörösmarty. «Das würde kostspielige Konflikte vermeiden, die Qualität von Lebensmitteln sichern, einzigartige Lebensformen bewahren und viele weitere wertvolle Vorteile bieten.»