Athen
,,Die Hauptstadt. Millionenmetropole in der fast jeder zweite Grieche lebt. Unüberschaubares Häusermeer, dass wie die Arme einer Krake weit ins karge Hügelland Attikas hineinwuchert. Längst sind alle Grenzen gesprengt. Scheinbar planlos wird gebaut und gebaut, werden zwei- bis siebenstöckige Wohnhäuser im Schnellverfahren hoch gezogen. Starke Umweltbelastung für die Anwohner - Hunderte Tonnen Schwefeldioxid alljährlich, funfspurige Autoschlangen quälen sich Tag und Nacht um die Akropolis, Smog ( Nefos) hängt in der Luft. Die Akropolis steht seit Jahrzehnten eingerüstet, in einer Jahrhundertrestaurierung soll gerettet werden , was noch zu retten ist. Im europäischen Vergleich ist Athen die Großstadt mit den wenigsten Grünanlagen.
Und trotzdem - Athen ist so unverwechselbar griechisch wie keine andere Stadt.
Winzige Kafenia in engen Seitengassen, fliegende Händler, die ihre Waren auf dem Gehweg ausgebreitet haben, schwitzende Souvlakiköche im beißenden Dampf ihrer Holzkohlengrille, mittendrin ein pistazienknabbernder Pope, eine beleibte Marktfrau, die Lauthals Knoblauchknollen verhökert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die einstige 50.000 Einwohner- Stadt explodiert. Ströme von Zuwanderern aus den ärmlichen ländlichen Gebieten Griechenlands hofften hier ihr Glück machen zu können. Athen wurde der begehrteste Bauplatz der Nation.
Heute ist in den grauen Häuserschluchten zwischen Omonia- und Sintagmaplatz von antiker Klassik wenig zu spüren. Inoffiziell fast 5 Millionen Menschen und über eine Million Autos drängen sich auf engstem Raum zusammen - genaue Zahlen weiß niemand. 1961 waren es nicht einmal halb so viele. Und Athen wächst weiter: 350 neue Bürger melden sich tagtäglich (!) bei den Behörden - das sind 120.000 im Jahr.
Ein großer Teil der griechischen Industrie ist in Athen angesiedelt. Zu den Haupterzeugnissen zählen Textilien, Alkoholika, Chemikalien, Papiererzeugnisse, Topfwaren und Lederprodukte. Einen bedeutenden Stellenwert nehmen auch Verlagswesen, Bankwesen und Tourismus ein.
Athen - eine Megalopolis zwischen antikem Erbe, gravierenden Umweltproblemen, übersprudelnder Lebensfreude, Lärm , Hitze und Staub.
Eine pulsierende Weltstadt, deren Kollaps ständig prophezeit wird und doch ausbleibt.
Athen fasziniert durch unglaubliche Vielfalt, Vitalität, Farbigkeit, Widersprüchlichkeit.
Rußgeschwärzte byzantinische Kapellen, hineingequetscht in Büropassagen oder mitten auf geschäftigen Geschäftsstraßen vergessen. Nebenan funkeln die Auslagen der Juweliere, glänzen Pelze aus Kastoria, blinken allnächtlich die Neonreklamen am Omoniaplatz.
Gigantisch ist der Riesenhafen Piräus, das Tor zum östlichen Mittelmeer."
Athen ein liebenswertes Chaos und schrecklich schön.
Quelle: Athen, Michael Müller Verlag 10. Auflage.