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Gelöschtes Mitglied 8317
Guest
Auf der Krim wird ukrainische Geschichte ausgelöscht
Höhere Renten, kostenlose Medizin und mehr Beamtensold – so belohnt Moskau die Bewohner der annektierten Krim. Doch die lebenswichtigen Touristen bleiben aus. Die Krim wird Russland immer ähnlicher.
Der begrünte Hof von Anastassias Hotel ist perfekt gepflegt. Die Büsche sind ordentlich gestutzt und die Blumen strahlen in den Beeten. Nichts droht die Symmetrie der Tische und Liegestühle zu zerstören, die am Pool aufgestellt sind. Nur die Gäste fehlen. In diesem Sommer ist nicht viel los in dem kleinen Familienhotel im Schwarzmeer-Kurort Jalta auf der Krim. Seit Jahren war es im Juli immer ausgebucht, aber jetzt sind nur 11 von 26 Zimmern belegt. Dieses Bild begegnet einem in dem Kurort immer wieder. Es kommen zwar Touristen, aber nicht so viele wie sonst. Die Strandpromenade, die früher an Sommertagen brechend voll war, ist jetzt fast leer gefegt. Auch Kreuzfahrtschiffe legen seit derAnnexion der zuvor ukrainischen Krim durch Russland im März nicht mehr an.
Die Bewohner der Krim hört man an jeder Ecke klagen: "Die Saison ist gescheitert." "Saison" ist ein heiliges Wort für jeden, der an der südlichen Küste der Krim lebt und von einem Tourismus-Sommer bis zum nächsten denkt. Im vergangenen Jahr besuchten knapp sechs Millionen Menschen die Halbinsel, 65 Prozent davon waren Gäste aus der Ukraine, 26 Prozent stammten aus Russland.
Nach vorläufigen Angaben des Tourismus-Ministeriums der Krim kamen in der ersten Jahreshälfte 2014 insgesamt 35 Prozent weniger Urlauber als 2013. Es sind vor allem Besucher aus der Ukraine, die jetzt wegfallen. Das ist nur eine der vielen einschneidenden Veränderungen auf der Halbinsel.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den Krim-Bewohnern vor dem "Referendum" im Frühjahr noch eine rosige Zukunft versprochen. Jetzt versucht er sie mit Geldspritzen zu beschwichtigen. Doch die Bevölkerung reagiert gespalten: Einige hoffen weiter auf Investitionen aus Moskau, andere kritisieren den Anschluss und bekommen die Härte Russlands zu spüren.
Russisch-patriotischer Rausch noch immer spürbar
Auch Hotelinhaberin Anastassia muss feststellen, dass die ukrainischen Gäste ausbleiben und fügt hinzu: "Umso besser. Auch wenn ich Verluste mache, sollen sie doch bei sich zu Hause bleiben." Sie spürt die Folgen des Anschlusses an Russland auf dem Konto, genauer gesagt, in der Kasse. Denn das Bankensystem ist zusammengebrochen und die Gäste zahlen alles bar. Ihr Hotel muss sie bis Ende 2014 nach russischem Recht registrieren lassen. Egal, sagt Anastassia, es gehe ihr jetzt um Wichtigeres: um die Heimat. Der russisch-patriotische Rausch ist auf der Krim immer noch zu spüren.
Anastassia, immer begleitet von ihrem kleinen Hund, ist 43 Jahre alt. Sie hat einmal für vier Jahre in Frankreich gelebt, doch dann ist sie nach Jalta zurückkehrt. Sie sei noch in der Sowjetunion zur Welt gekommen, und es sei ihr später schwergefallen, sich an das Ukrainische zu gewöhnen. Die Sprache habe sie nie gelernt. "Alle diese Jahre lebte ich hier wie in Russland. Ich kaufte mir eine Satellitenschüssel und schaute russisches Fernsehen", sagt sie. "Nach dem Referendum bin ich losgerast, um den russischen Pass zu bekommen."
Mit der Annexion der Krim ist ihr Traum, in Russland zu leben, wahr geworden. Und was bringt ihr das? "Es gibt vielleicht Sachen, die nicht fair laufen, aber ich will mich nicht darüber beschweren", sagt sie. "Ich bin wieder zu Hause. Wenn Sie bei Ihren Eltern leben und die zu Ihnen vielleicht nicht fair sind, sagen Sie das auch nicht öffentlich. Ich zumindest würde das nicht tun." Sie setzt große Hoffnungen in Moskau, das viel Geld auf der Krim investieren soll, und sie glaubt, dass "spätestens in zwei Jahren" das Geschäft wieder laufen wird. Solche Hoffnungen haben hier viele.
Viele hoffen auf die Brücke
Zu ihnen gehört auch Julia, die mit einem Schild in der Hand im Stadtzentrum von Jalta steht. "Wohnung zu vermieten", steht darauf – ein typisches Bild für ukrainische oder russische Kurorte. Viele Bewohner der Krim verdienen ihr Geld damit, dass sie Touristen eine günstige Bleibe anbieten. Eine Holzhütte kann man für umgerechnet zehn Euro pro Nacht mieten, eine Plattenbauwohnung kostet ab 15 Euro. Julia vermietet ihre Wohnung für 20 Euro pro Nacht. In dieser Zeit lebt die Familie bei Verwandten – "zu siebt in einer kleinen Wohnung". Aber es lohnt sich. Doch in diesem Sommer kommen kaum Gäste.
"Ich glaube, alles wird gut, wenn die Brücke gebaut wird", sagt Julia. Im Fernsehen wird viel über die geplante Brücke berichtet, die die Stadt Kertsch mit dem russischen Festland verbinden soll. Ein Mammutprojekt, dessen Kosten zwischen 3,2 und 4,3 Milliarden Euro liegen sollen und noch steigen dürften. Überhaupt ist die Krim-Annexion für Russland sehr teuer. Für dieses und die kommenden drei Jahre sind jährliche Haushaltssubventionen von über einer Milliarde Euro für die Halbinsel geplant – mehr als für jede andere Region. Außerdem fließen aus Moskau 2014 rund 2,1 Milliarden Euro für Renten, Restrukturierung von Behörden und Straßenbau auf die Krim.
Solche Zahlen beeindrucken die Bewohner. So viel Geld hätte die Ukraine nie ausgeben können. Julia freut sich über kostenlose Medikamente, andere Bewohner über höhere Renten, die Beamten über bessere Gehälter. Dass diese Ausgaben die russische Wirtschaft langfristig schwächen werden, wird im Fernsehen nicht erwähnt.
Preise deutlich gestiegen
Gleichzeitig sind aber auch die Preise auf der Krim deutlich gestiegen. Am stärksten bekommen das Mitarbeiter von Privatunternehmen zu spüren, deren Gehälter nicht per Erlass aus dem Kreml erhöht werden konnten. Insgesamt drohen dem Privatsektor unsichere Zeiten. Große Unternehmen, die international agieren, werden ausbleiben. Denn weltweit gilt die Krim als besetztes Territorium, und Firmen fürchten Sanktionen, wenn sie dort investieren. Das zeigt sich im Bankensektor. Ukrainische Banken wurden vertrieben, aber keine der großen russischen Banken ist nachgerückt. Im Zentrum von Jalta ist nur die Filiale der Bank "Rossija" geöffnet. Das Geldinstitut des Putin-Vertrauten Juri Kowaltschuk steht bereits auf der Sanktionsliste der USA. Im Moment läuft auf der Krim alles mit Bargeld.
Auch das Eigentum ist nicht mehr sicher. Was im Besitz des ukrainischen Staates war, wurde enteignet. Jetzt drohen auch Privatleute, ihren Besitz zu verlieren. Am Mittwoch verabschiedete das Parlament auf der Krim ein Gesetz, das "Zwangskauf" von Grundstücken und Unternehmen zulässt, wenn sie "strategische Bedeutung" für die Halbinsel haben. Die Unternehmen befürchten Missbrauch der Regelung und Umverteilung. Schon jetzt nutzen Kriminelle das Übergangschaos, um Firmen ihrer Konkurrenten zu übernehmen. "Viele versuchen, im trüben Wasser zu fischen", sagt ein Anwalt. Seinen Namen will er nicht nennen, was mittlerweile typisch hier ist. Die Krim ist klein und niemand will es sich mit der Regierung verscherzen.
Sogar Verstöße gegen russische Gesetze
Sergej Aksjonow, der Ministerpräsident mit krimineller Vergangenheit, arbeitet mit Beratern aus Moskau und erhält im Gegenzug viele Freiheiten. Seine Regierung hat nach dem Anschluss die "Bürgerwehr der Krim" zum offiziellen Sicherheitsdienst gemacht. Die Männer in Tarnuniform patrouillieren in Simferopol, prüfen willkürlich Dokumente und Gepäck. "Faktisch ist das eine private Sicherheitsstruktur der Krim-Regierung. Das Gesetz, das sie legalisiert, verstößt sogar gegen russische Gesetze", sagt Andrej Krisko, der in Simferopol die "Feldmission für Menschenrechte" leitet. Diese Strukturen werden genutzt, um den Gegnern der Annexion Angst einzujagen. Vor dem Referendum haben Mitglieder der Bürgerwehr ukrainische Aktivisten entführt und gefoltert.
Larissa Schajmardanowa vermutet, dass es ebenfalls die Bürgerwehr war, die im Mai ihren Sohn Timur entführt hat. In dem Monat sind drei Aktivisten des "Ukrainischen Volkshauses", eine Organisation, die ukrainische Sprache und Kultur fördert, verschwunden. Nach der Annexion entschieden sich Timur und seine Familie, auf der Krim zu bleiben. "Wir dachten, alles wird ruhiger", sagt seine Ehefrau Olga. "Wir hatten Pech, dass der stärkere Staat unser Stück Land dem schwächeren Staat weggenommen hat, aber wir würden uns damit zumindest im Alltag arrangieren."
Ukrainische durch russische Geschichte ersetzt
Am 26. Mai hat sie den Glauben daran verloren. Um zehn Uhr morgens rief Timur sie an und sagte, er würde seinen Sohn mittags von der Schule abholen. Danach war er nicht mehr erreichbar. Timur war auf der Suche nach einem verschwundenen Aktivisten gewesen. Ein dritter Aktivist war kurz darauf ebenfalls plötzlich nicht mehr auffindbar. "Wir glauben, dass die Fälle zusammenhängen", sagt Timurs Mutter Larissa. "Aber offiziell gesucht wird er nicht." Im Rahmen der Ermittlungen wurde Timurs Schwester befragt. Das dreistündige Verhör machte ihr Angst. Es drehte sich vor allem um Politik. "Wer ist an den Ereignissen in der Ostukraine schuld?" – "Dritte." – "Meinen Sie damit Putin?" So sei das Gespräch verlaufen. Danach beschlossen die Verwandten von Timur auf das ukrainische Festland zu ziehen.
Solche Fälle flößen Andersdenkenden Furcht ein. Politisch wird die Krim Russland immer ähnlicher. Willkür ist hier noch stärker ausgeprägt. "Wir sind so etwas in derUkraine nicht gewohnt", sagt der 25-jährige Lehrer Leonid Kusmin aus Simferopol. Aber Kusmin, der in der Maidan-Bewegung aktiv war, plant keine Aktionen mehr. Er hat jetzt sogar einen russischen Pass. Nur unter der Voraussetzung darf er weiter als Lehrer arbeiten.
Sein Unterrichtsfach, ukrainische Geschichte, soll es allerdings nicht mehr geben. Er muss nun russische Geschichte lehren. Er hat schon methodische Vorgaben bekommen und ist überhaupt nicht begeistert. "Die Schule soll zur Propagandawaffe von allem Russischen werden", sagt er. "Im Geschichtsunterricht wird jetzt stark auf Patriotismus gesetzt." Doch die meisten seiner Kollegen seien zufrieden – ihre Gehälter wurden verdoppelt und die Freude über den Anschluss ist bei ihnen noch groß.
Höhere Renten, kostenlose Medizin und mehr Beamtensold – so belohnt Moskau die Bewohner der annektierten Krim. Doch die lebenswichtigen Touristen bleiben aus. Die Krim wird Russland immer ähnlicher.
Der begrünte Hof von Anastassias Hotel ist perfekt gepflegt. Die Büsche sind ordentlich gestutzt und die Blumen strahlen in den Beeten. Nichts droht die Symmetrie der Tische und Liegestühle zu zerstören, die am Pool aufgestellt sind. Nur die Gäste fehlen. In diesem Sommer ist nicht viel los in dem kleinen Familienhotel im Schwarzmeer-Kurort Jalta auf der Krim. Seit Jahren war es im Juli immer ausgebucht, aber jetzt sind nur 11 von 26 Zimmern belegt. Dieses Bild begegnet einem in dem Kurort immer wieder. Es kommen zwar Touristen, aber nicht so viele wie sonst. Die Strandpromenade, die früher an Sommertagen brechend voll war, ist jetzt fast leer gefegt. Auch Kreuzfahrtschiffe legen seit derAnnexion der zuvor ukrainischen Krim durch Russland im März nicht mehr an.
Die Bewohner der Krim hört man an jeder Ecke klagen: "Die Saison ist gescheitert." "Saison" ist ein heiliges Wort für jeden, der an der südlichen Küste der Krim lebt und von einem Tourismus-Sommer bis zum nächsten denkt. Im vergangenen Jahr besuchten knapp sechs Millionen Menschen die Halbinsel, 65 Prozent davon waren Gäste aus der Ukraine, 26 Prozent stammten aus Russland.
Nach vorläufigen Angaben des Tourismus-Ministeriums der Krim kamen in der ersten Jahreshälfte 2014 insgesamt 35 Prozent weniger Urlauber als 2013. Es sind vor allem Besucher aus der Ukraine, die jetzt wegfallen. Das ist nur eine der vielen einschneidenden Veränderungen auf der Halbinsel.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den Krim-Bewohnern vor dem "Referendum" im Frühjahr noch eine rosige Zukunft versprochen. Jetzt versucht er sie mit Geldspritzen zu beschwichtigen. Doch die Bevölkerung reagiert gespalten: Einige hoffen weiter auf Investitionen aus Moskau, andere kritisieren den Anschluss und bekommen die Härte Russlands zu spüren.
Russisch-patriotischer Rausch noch immer spürbar
Auch Hotelinhaberin Anastassia muss feststellen, dass die ukrainischen Gäste ausbleiben und fügt hinzu: "Umso besser. Auch wenn ich Verluste mache, sollen sie doch bei sich zu Hause bleiben." Sie spürt die Folgen des Anschlusses an Russland auf dem Konto, genauer gesagt, in der Kasse. Denn das Bankensystem ist zusammengebrochen und die Gäste zahlen alles bar. Ihr Hotel muss sie bis Ende 2014 nach russischem Recht registrieren lassen. Egal, sagt Anastassia, es gehe ihr jetzt um Wichtigeres: um die Heimat. Der russisch-patriotische Rausch ist auf der Krim immer noch zu spüren.
Anastassia, immer begleitet von ihrem kleinen Hund, ist 43 Jahre alt. Sie hat einmal für vier Jahre in Frankreich gelebt, doch dann ist sie nach Jalta zurückkehrt. Sie sei noch in der Sowjetunion zur Welt gekommen, und es sei ihr später schwergefallen, sich an das Ukrainische zu gewöhnen. Die Sprache habe sie nie gelernt. "Alle diese Jahre lebte ich hier wie in Russland. Ich kaufte mir eine Satellitenschüssel und schaute russisches Fernsehen", sagt sie. "Nach dem Referendum bin ich losgerast, um den russischen Pass zu bekommen."
Mit der Annexion der Krim ist ihr Traum, in Russland zu leben, wahr geworden. Und was bringt ihr das? "Es gibt vielleicht Sachen, die nicht fair laufen, aber ich will mich nicht darüber beschweren", sagt sie. "Ich bin wieder zu Hause. Wenn Sie bei Ihren Eltern leben und die zu Ihnen vielleicht nicht fair sind, sagen Sie das auch nicht öffentlich. Ich zumindest würde das nicht tun." Sie setzt große Hoffnungen in Moskau, das viel Geld auf der Krim investieren soll, und sie glaubt, dass "spätestens in zwei Jahren" das Geschäft wieder laufen wird. Solche Hoffnungen haben hier viele.
Viele hoffen auf die Brücke
Zu ihnen gehört auch Julia, die mit einem Schild in der Hand im Stadtzentrum von Jalta steht. "Wohnung zu vermieten", steht darauf – ein typisches Bild für ukrainische oder russische Kurorte. Viele Bewohner der Krim verdienen ihr Geld damit, dass sie Touristen eine günstige Bleibe anbieten. Eine Holzhütte kann man für umgerechnet zehn Euro pro Nacht mieten, eine Plattenbauwohnung kostet ab 15 Euro. Julia vermietet ihre Wohnung für 20 Euro pro Nacht. In dieser Zeit lebt die Familie bei Verwandten – "zu siebt in einer kleinen Wohnung". Aber es lohnt sich. Doch in diesem Sommer kommen kaum Gäste.
"Ich glaube, alles wird gut, wenn die Brücke gebaut wird", sagt Julia. Im Fernsehen wird viel über die geplante Brücke berichtet, die die Stadt Kertsch mit dem russischen Festland verbinden soll. Ein Mammutprojekt, dessen Kosten zwischen 3,2 und 4,3 Milliarden Euro liegen sollen und noch steigen dürften. Überhaupt ist die Krim-Annexion für Russland sehr teuer. Für dieses und die kommenden drei Jahre sind jährliche Haushaltssubventionen von über einer Milliarde Euro für die Halbinsel geplant – mehr als für jede andere Region. Außerdem fließen aus Moskau 2014 rund 2,1 Milliarden Euro für Renten, Restrukturierung von Behörden und Straßenbau auf die Krim.
Solche Zahlen beeindrucken die Bewohner. So viel Geld hätte die Ukraine nie ausgeben können. Julia freut sich über kostenlose Medikamente, andere Bewohner über höhere Renten, die Beamten über bessere Gehälter. Dass diese Ausgaben die russische Wirtschaft langfristig schwächen werden, wird im Fernsehen nicht erwähnt.
Preise deutlich gestiegen
Gleichzeitig sind aber auch die Preise auf der Krim deutlich gestiegen. Am stärksten bekommen das Mitarbeiter von Privatunternehmen zu spüren, deren Gehälter nicht per Erlass aus dem Kreml erhöht werden konnten. Insgesamt drohen dem Privatsektor unsichere Zeiten. Große Unternehmen, die international agieren, werden ausbleiben. Denn weltweit gilt die Krim als besetztes Territorium, und Firmen fürchten Sanktionen, wenn sie dort investieren. Das zeigt sich im Bankensektor. Ukrainische Banken wurden vertrieben, aber keine der großen russischen Banken ist nachgerückt. Im Zentrum von Jalta ist nur die Filiale der Bank "Rossija" geöffnet. Das Geldinstitut des Putin-Vertrauten Juri Kowaltschuk steht bereits auf der Sanktionsliste der USA. Im Moment läuft auf der Krim alles mit Bargeld.
Auch das Eigentum ist nicht mehr sicher. Was im Besitz des ukrainischen Staates war, wurde enteignet. Jetzt drohen auch Privatleute, ihren Besitz zu verlieren. Am Mittwoch verabschiedete das Parlament auf der Krim ein Gesetz, das "Zwangskauf" von Grundstücken und Unternehmen zulässt, wenn sie "strategische Bedeutung" für die Halbinsel haben. Die Unternehmen befürchten Missbrauch der Regelung und Umverteilung. Schon jetzt nutzen Kriminelle das Übergangschaos, um Firmen ihrer Konkurrenten zu übernehmen. "Viele versuchen, im trüben Wasser zu fischen", sagt ein Anwalt. Seinen Namen will er nicht nennen, was mittlerweile typisch hier ist. Die Krim ist klein und niemand will es sich mit der Regierung verscherzen.
Sogar Verstöße gegen russische Gesetze
Sergej Aksjonow, der Ministerpräsident mit krimineller Vergangenheit, arbeitet mit Beratern aus Moskau und erhält im Gegenzug viele Freiheiten. Seine Regierung hat nach dem Anschluss die "Bürgerwehr der Krim" zum offiziellen Sicherheitsdienst gemacht. Die Männer in Tarnuniform patrouillieren in Simferopol, prüfen willkürlich Dokumente und Gepäck. "Faktisch ist das eine private Sicherheitsstruktur der Krim-Regierung. Das Gesetz, das sie legalisiert, verstößt sogar gegen russische Gesetze", sagt Andrej Krisko, der in Simferopol die "Feldmission für Menschenrechte" leitet. Diese Strukturen werden genutzt, um den Gegnern der Annexion Angst einzujagen. Vor dem Referendum haben Mitglieder der Bürgerwehr ukrainische Aktivisten entführt und gefoltert.
Larissa Schajmardanowa vermutet, dass es ebenfalls die Bürgerwehr war, die im Mai ihren Sohn Timur entführt hat. In dem Monat sind drei Aktivisten des "Ukrainischen Volkshauses", eine Organisation, die ukrainische Sprache und Kultur fördert, verschwunden. Nach der Annexion entschieden sich Timur und seine Familie, auf der Krim zu bleiben. "Wir dachten, alles wird ruhiger", sagt seine Ehefrau Olga. "Wir hatten Pech, dass der stärkere Staat unser Stück Land dem schwächeren Staat weggenommen hat, aber wir würden uns damit zumindest im Alltag arrangieren."
Ukrainische durch russische Geschichte ersetzt
Am 26. Mai hat sie den Glauben daran verloren. Um zehn Uhr morgens rief Timur sie an und sagte, er würde seinen Sohn mittags von der Schule abholen. Danach war er nicht mehr erreichbar. Timur war auf der Suche nach einem verschwundenen Aktivisten gewesen. Ein dritter Aktivist war kurz darauf ebenfalls plötzlich nicht mehr auffindbar. "Wir glauben, dass die Fälle zusammenhängen", sagt Timurs Mutter Larissa. "Aber offiziell gesucht wird er nicht." Im Rahmen der Ermittlungen wurde Timurs Schwester befragt. Das dreistündige Verhör machte ihr Angst. Es drehte sich vor allem um Politik. "Wer ist an den Ereignissen in der Ostukraine schuld?" – "Dritte." – "Meinen Sie damit Putin?" So sei das Gespräch verlaufen. Danach beschlossen die Verwandten von Timur auf das ukrainische Festland zu ziehen.
Solche Fälle flößen Andersdenkenden Furcht ein. Politisch wird die Krim Russland immer ähnlicher. Willkür ist hier noch stärker ausgeprägt. "Wir sind so etwas in derUkraine nicht gewohnt", sagt der 25-jährige Lehrer Leonid Kusmin aus Simferopol. Aber Kusmin, der in der Maidan-Bewegung aktiv war, plant keine Aktionen mehr. Er hat jetzt sogar einen russischen Pass. Nur unter der Voraussetzung darf er weiter als Lehrer arbeiten.
Sein Unterrichtsfach, ukrainische Geschichte, soll es allerdings nicht mehr geben. Er muss nun russische Geschichte lehren. Er hat schon methodische Vorgaben bekommen und ist überhaupt nicht begeistert. "Die Schule soll zur Propagandawaffe von allem Russischen werden", sagt er. "Im Geschichtsunterricht wird jetzt stark auf Patriotismus gesetzt." Doch die meisten seiner Kollegen seien zufrieden – ihre Gehälter wurden verdoppelt und die Freude über den Anschluss ist bei ihnen noch groß.