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Kampf gegen die Krise: Wut auf Deutschland - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - PolitikWut auf Deutschland
Von Veit Medick und Severin Weiland
AFPKanzlerin Merkel: "Deutschland wieder im Krieg mit Europa"?
Nein zu Euro-Bonds, nein zum massenhaften Gelddrucken: Mit ihrem kompromisslosen Kurs in der Schuldenkrise bringt Kanzlerin Merkel die europäischen Nachbarn gegen sich auf. Schon ist von einer neuen Deutschenfeindlichkeit die Rede.
Berlin - Es ist noch gar nicht so lange her, da fragten sich sogar die Briten, ob man für diese Deutschen vielleicht doch jubeln müsse. Das war im Sommer 2010, als die Nationalmannschaft die Engländer bei der WM in Südafrika mit modernem Angriffsfußball aus dem Wettbewerb kickte.
Weggefegt schien das auf der Insel gern gepflegte Bild vom hässlichen Deutschen. Jetzt waren sie elegant, modern. Einfach hip. Dann kam mit voller Wucht die Euro-Krise- und mit ihr kommen die alten Bilder zurück. "Wenn Clausewitz Recht hat und Krieg die Weiterführung von Politik mit anderen Mitteln ist, so ist Deutschland wieder im Krieg mit Europa", schreibt ein Kommentator der konservativen "Times" .
Die Sätze sind bezeichnend. Selbst führende Politiker in Berlin spüren zunehmend das Misstrauen gegenüber Berlin. Bei Begegnungen mit ausländischen Gästen wird schon mal gefrotzelt: Jetzt würden die Deutschen in der Euro-Krise erreichen, was ihnen im Zweiten Weltkrieg versagt geblieben sei - die Herrschaft über Europa.
Im Zentrum des Unmuts: Angela Merkel, immer wieder Angela Merkel. Weil sich die Kanzlerin darauf festgelegt hat, dem Wunsch der Partner nach dem Einsatz der Notenpresse über die Europäische Zentralbank (EZB) oder nach Euro-Bonds nicht nachzugeben, droht die Rückkehr der alten Klischees. Nun gilt bei manchen wieder die alte Kriegssprache. "Berlin geht zum Gegenangriff über" überschreibt die linksliberale und wichtigste Tageszeitung Spaniens, "El Pais", ihren aktuellen Leitartikel. Bislang galt das Blatt als eher deutschenfreundlich.
"Diktat über die Haushalte"
Es ist viel Pathos mit im Schwange. Ganz tief in die Geschichte steigt ein früherer Berater des französischen Präsidenten François Mitterand ein. Jacques Attali, der während der deutschen Wiedervereinigung 1990 die deutsch-französischen Beratungen aufs Engste mitverfolgte, erinnert an die Kriege zwischen beiden Ländern, an den Vertrag von Versailles, die Rheinlandbesetzung 1936. Beide Länder hätten durch "beschämende Entscheidungen" Europa in ein Ruinenfeld verwandelt. Um dann die Lanze seiner Kritik indirekt auf Merkel zu richten: "Heute ist es wieder an Deutschland, in seiner Hand die Waffe zum kollektiven Selbstmord des fortschrittlichsten Kontinents der Welt zu halten."
Wenn sich Berlin weigere, den Weg zwischen Stützungskäufen der EZB, der Ausgabe von Euro-Bonds und einer Vertragsänderung zu gehen, so befürchtet Attali, "kommt die Katastrophe".
Auch in Brüssel wächst das Unverständnis über den deutschen Kurs. Die Vizechefin der EU-Kommission, Viviane Reding, bringt ihren Ärger offen zum Ausdruck. "Ich sehe immer wieder, dass Deutschland als Reaktion immer ein Nein hat, und dann fängt man erst mit der Diskussion an", sagte sie im "Saarländischen Rundfunk". Gemeint ist der Widerstand gegen die Euro-Bonds-Modelle, die die EU-Kommission entwickelt hat. Auch Währungskommissar Olli Rehn mahnt: "Deutschland ist ganz sicher ein sehr wichtiger Mitgliedstaat, hat eine fundamentale Rolle, entscheidet aber nicht allein."
Es ist eine Mischung aus Bewunderung und Grollen über das dominante Auftreten der Kanzlerin. Die kritischen Stimmen über Berlins harten Kurs mehren sich derart schnell, dass sich die renommierte Tageszeitung "Le Monde" in Paris auf ihrer Titelseite vom Freitag neben einem Bild Merkels besorgt fragt: "Eine neue Welle von Deutschenfeindlichkeit in Europa?"
"Nach der Obsession einer restriktiven Geldpolitik wollen sie uns nun ein Diktat über die Haushalte vorschlagen, das ist ihr Trick. Das ist das Ende der nationalen Demokratien", sagt der Abgeordnete Jacques Myard von der regierenden UMP. Ein Minister der französischen Regierung wird mit dem Satz zitiert: "Heute glaubt Deutschland, sein Interesse müsse darin bestehen, hart auf seiner Doktrin zu bestehen und sich als einziger Leader in Europa durchzusetzen."
"Deutschlands Mythos in Frage gestellt"
Wie groß die Spannungen sind, zeigt sich auch daran, dass eine Welle der Schadenfreude durch Europa ging, als diese Woche Deutschland seine Staatsanleihen nicht vollständig versteigern konnte. Statt der anvisierten sechs Milliarden, kamen nicht einmal vier Milliarden Euro zusammen. "Langsam aber sicher wird der Mythos der wirtschaftlichen Unbesiegbarkeit Deutschlands in Frage gestellt", sagt Sony Kapoor, Chef der britischen Wirtschafts-Denkfabrik "Re-Define".
"El País" in Madrid frohlockte nach dem jüngsten Dreiergipfel von Merkel mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Italiens neuem Premier Mario Monti: Die Kanzlerin habe sich zwar gegenüber ihren Partnern durchgesetzt, "aber sie kann nicht verhindern, dass die Märkte die deutschen Anleihen weiter unter Druck setzen."
Plötzlich widmen die Blätter Europas Angela Merkel teilweise seitenlange Porträts, begeben sich auf Spurensuche in ihre Heimat. Alle fragen: Was treibt diese Frau an? Warum ist sie so unnachgiebig, wenn es um die Stellung der EZB oder die möglichst rasche Einführung von gemeinsamen Staatsanleihen geht?
Mitunter geht es rau zu, sehr rau. So schreibt die "Daily Mail" mit Verweis auf Merkels Mitgliedschaft in der FDJ der DDR: "Die kleine Kommunistin, die zur mächtigsten Frau Europas wurde." Schon differenzierter geht der linksliberale "Guardian" an sein Porträt heran: "Angela Merkel: Europas Rettung - oder größtes Problem?" Die Kanzlerin sei derzeit "so ziemlich die wichtigste Person der Welt", heißt es. Als Regierungschefin des wirtschaftlichen Kraftzentrums in Europa halte sie die finanzielle Zukunft eines ganzen Kontinents in ihren Händen: "Doch die Sorge ist, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen ist", argwöhnt der Autor. In London hält man der Kanzlerin vor allem vor, dass die Bundesrepublik in der Krise üppige Geschäfte mache, gleichzeitig aber mit dem Finger auf vermeintliche Schuldensünder in Südeuropa zeige. Berlin sei "der wahre Gewinner" in diesen Tagen, kommentiert die "Financial Times". "Die Wahrheit ist, dass Deutschland durch die Währungsunion unzählige Vorzüge genießt". So seien die rasant gestiegenen Exportzahlen ohne den Euro kaum denkbar, das Platzieren von Staatsanleihen sicherten zudem regelmäßig dicke Kapitalspritzen für den heimischen Markt.
"Es ist an der Zeit", schreibt das renommierte Wirtschaftsblatt, "dass Deutschland sich ein für allemal entscheidet: Wie viel will es für die Rettung Europas zahlen?"
Na endlich.