Naja die Opfer lügen nicht mein Freund
- - - Aktualisiert - - -
Übrigens hier ein Vorgeschmack:
Dunkel ist die Nacht
Wie groß kann das Herz einer Mutter sein, um den Ozean voller Schmerz zu schlucken? Wieviel Traurigkeit braucht es, um das Schicksal von Živana Delić darin zu versenken? Wieviel Tränen muss ein Mensch vergießen, um die vier tödlichen Wunden zu überwinden? Welche Nacht kann all die Dunkelheit schlucken, die diese Frau erfüllt?
„Seit ich meine Söhne verloren habe, habe ich kein Recht aufs Leben. Niemand ist besorgt, ob ich lebe oder tot bin, ob krank oder nicht, ob ich genug zu leben habe oder nicht. Mir haben sie meine Söhne gestohlen. Ich habe keine Perspektive mehr. Ich warte nur darauf bis sie gefunden werden, um sie zu begraben, so dass ich mich auch endlich ins Grab legen kann.“
So sitzt die Živana Delić in einem dunklen Raum. Den Strom haben sie ihr abgeschaltet, weil sie kein Geld dafür hat. Das Leben haben sie ihr zerstört, weil sie zu viel hatte. Sie hatte eben ihren Mann und ihre drei hübschen Söhne. Einer attraktiver als der Andere. Jeder in der Stadt hat ihnen nachgeschaut und sie bewundert. Den Redžo lernte sie vor einer langen Zeit kennen, wo noch alles besser war als jetzt. Sie hatten von Allem wenig, nur von der Liebe eine Menge. Redžo Delić (geb. 1940) ging seinen schweren Weg durch das Leben, aber in seinem kleinen alten Haus, in der 27. März Straße in Bijeljina, gab es immer alles, was man zum Leben brauchte, am meisten Freude. Fünf Kinder hat sie zur Welt gebracht. Die Kinder, drei Söhne und zwei Töchter, wuchsen schnell auf. Die ganze Welt stand ihnen noch offen. Die Söhne Sulejman (1958), Berzad (1961) und Beriz (1964) begannen früh für das Leben zu kämpfen. Groß und schön, rassig und weichherzig, liebten ihre Mutter und sorgten für ihre Schwestern. Der Vater arbeitete hart und hatte vor dem Krieg alles, was ihm einst gefehlt hat. Er hatte genug um seine Kinder unterstützen zu können, aber auch um den Anderen zu helfen.
Dann begann das Schießen in Bijeljina. Die Živana war besorgt, dass sie nicht verletzt werden. Ihre Söhne waren in der Stadt bekannt. Vor allem Berzad wegen seinem wilden Temperament. Also bat sie sie, Bijeljina sofort zu verlassen und nicht zu warten.
„Sie beruhigten mich, „bitte kümmere dich nicht Mama, alles wird in Ordnung sein.“ Der Redžo sagte mir, dass es keinen Grund gäbe zu gehen. Niemand von uns hat einen Fehler gemacht und seine Frau ist ja auch eine Serbin. Er mochte oft zu scherzen, aber in diesen Moment sah ich in seinen Augen etwas, dass ich vorher noch nie gesehen habe; eine Vorahnung, Angst, etwas Unbekanntes. Wir waren da, als sie den Nachbar Derviš Zulčić getötet haben. Sie erschossen ihn grundlos vor unseren Augen. Danach wurden wir alle wie taub. Dann überredete ich sie in unser neues Haus zu gehen, in der Nähe von BN-TV Gebäude, welches Redžo von Laza Kostić gekauft hat. Ich dachte: Dort gibt es viele Serben und wir sind mit Allen gut befreundet. Dort wird es sicherer sein, als in den Siedlungen. Wir sind alle mit dem Auto gefahren, außer Berzad. Er passte nicht mehr hinein. Er blieb und versprach mir, dass er baldigst zu uns kommt. Er kam nicht mehr. Es wurde Nacht und noch immer keine Spur von ihm. Mir wurde schlecht. Dann sagten sie mir, dass er verwundet wurde. Ich wurde dann Bewusstlos. Er ist mit unseren Nachbarn Ćosa, den berühmten Boxer Salko Nargalić, auf die Straße gegangen. Eine Kugel vom Scharfschützen hatte meinen Berzad gestreift. Als er zu mir kam, überzeugte er mich nur schwer, dass es nichts Gefährliches war. Ich hatte solche Angst. Ja, Ćosa nahmen Arkans Männer mit und töteten ihn. Nein, sie schlachteten ihn. Aber das habe ich derzeit nicht gewusst.
Am nächsten Morgen, am Freitag den 3. April um halb acht, kam der Polizist Nebojša Narandžić in unser Hof. Wir kannten ihn. Er fragte: „Wo sind deine Söhne?“ Mit ihm, noch ein anderer Polizist. „Hier“, sagte ich. „Sag ihnen, sie sollen rauskommen“, sagte Nebojša, „Ich brauche sie.“ Die Meinen kamen hinaus, um zu sehen was die Polizisten von ihnen wollen, aber die Polizisten mit ihren automatischen Waffen machten keine Scherze. Nebojša sagte, sie haben mit ihm zu gehen. Redžo ging mit ihnen. Ich sagte, dass ich mitgehen will, dass wir zusammengehören. „Bleib hier“, sagte Nebojša ruhig, „Diese Aussage dauert nicht lange, du bekommst sie in einer halben Stunde wieder.“ So gingen sie. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.
Nach ca. einer Stunde kam der Drago zu mir, ein Nachbar aus dem Dorf. Ich erzählte ihm was passiert war. „Lass uns zu Gemeinde gehen und zum Krisenstab. Lass dir eine Bestätigung geben, dass dein Mann und deine Kinder weggenommen wurden und dann werden wir sie suchen“, sagte er zu mir. Wir gingen zum Đorđo in die Gemeinde. Er war damals der Präsident des Krisenstabs für unseren Stadtteil, aber Đorđo gab mir keine Bestätigung. Er sagte mir. „Für dich gibt es hier keine Bestätigung. Deine Männer sind für den Alija Staat. Geh zum Alija und frage dort nach.“
Einen Monat habe ich sie wie verrückt gesucht. Jeden habe ich gefragt. Ich ging zur Polizei und sah dort den Boban. Er ist jetzt in Ruhestand. Er hatte gerade Dienst und ich habe ihm alles erzählt. Er fragte wer sie mitgenommen hat. Ich sagte, Nebojša Narandžić. Er befahl sofort, den Nebojša zu holen. Es dauerte nicht lange, da kam der Nebojša, ohne mich anzusehen und rot im Gesicht. Boban sagte ihm: „Warum sagst du dieser Frau nicht, wo du ihren Mann und ihre Kinder hingebracht hast?“ Nebojša sagte nichts, nahm mich nur bei der Hand und führte mich in ein Bürozimmer. Er setzte sich zum Tisch und sagte mir, mich auch zu setzen, aber ich wollte nicht sitzen. „Sag mir was mit ihnen passiert ist?“ Nebojša hielt den Mund, sagte aber dann: „Ich war gekommen, um Berzad zum Arzt zu bringen, um das Verband neu zu wickeln. Ich bin auf dem Weg von den Uniformierten gestoppt worden. Sie haben sie mitgenommen. Ich weiß nicht wer sie sind, auch nicht wo sie jetzt sind.“ Ich sah ihn an. „Warum wolltest DU Berzad zum Arzt bringen? Es gibt schon Jemanden, der das machen kann. Wieso hast du dann alle vier mitgenommen und nicht nur ihn? Du sagtest, ich bekomme sie nach der Aussage in einer halben Stunde wieder...“ Er sprang von seinem Stuhl auf, ohne mir in die Augen zu schauen und schrie mich an: „Halt den Mund, ich hätte selber draufgehen können“, und ging raus.
Was ich noch alles in dieser Zeit erlebt habe, darf ich dir nicht sagen. Ich wollte mich umbringen! Wo auch immer ich anklopfte, nichts. Es kam irgendwann ein Mann aus Dazdarevo zu mir und erzählte mir, dass er sie tot in der Drina bei Popovo gesehen hat. Später als man davon herumsprach, wollte ihn sein eigener Cousin töten, weil er die Serben verrät ... jeder hat geschwiegen. Dann haben sie aufgehört meine Invaliditätsrente auszuzahlen. Ich erhielt sie als ziviler Opfer des Krieges. Wenn ich nachfragte warum sie es mir nicht mehr zahlen, sagten sie mir: „Geh zum Alija Staat. Lass es dir dort geben.“ Ich habe eine große Beschwerde geschrieben. Am Ende wurde ich in die Gemeinde zu einer Kommission eingeladen. Diese Leute waren nicht von hier und sie fragten mich: „Wissen Sie, warum Ihr Mann und ihre Söhne getötet wurden?“ Ich sagte ihnen: „Ich weiß! Weil Sie Redžo, Sulejman, Berzad und Beriz heißen. Würden sie Milan oder Dragan heißen, wären sie noch am Leben.“ Sie sagten nichts mehr. Ich bekam wenigstens wieder dieses bisschen Geld und so überlebe ich jetzt. Ich habe kein Geld für den Strom. Der ist eh schon abgeschaltet. Es ist wie es ist.“
Živana Delić schweigt und guckt auf die Wand. Auch ihre Töchter (die ältere Ika, in Bijeljina verheiratet und die jüngere Sanja, die noch mit ihrer Mutter lebt) schweigen.
Sanja war zwar noch ein Kind, als das alles passierte, aber Ika kann sich noch an alles sehr gut erinnern.
„Ich war vor dem Haus als Nebojša und der andere Polizist kamen. Nach kurzer Zeit gingen sie mit meinem Papa und den Brüdern, die Polizisten hinter ihnen mit gehobenen Maschinenpistolen. Vor dem Haus stand der übliche weiße VW-Golf mit Blaulicht. Ich weiß nicht wie sie alle ins Auto reinpassten, weil die Meinen alle groß und gut gebaut waren. Ich stand da wie begraben. Sulejman drehte sich noch zu mir und sah mich irgendwie mit einem traurigen Blick an. Das war alles.
Mit meiner Mama ging ich später die ganze Stadt absuchen. Nichts. Mich haben sie von der Arbeit gekündigt, als ob es ihnen nicht genug war, dass sie mir meinen Vater und meine drei Brüder genommen haben. Dann nahmen sie mich doch wieder auf, auch nur wegen Zdravko Ljubinković. Er war Papas Freund und hat sich für mich eingesetzt. Ich erinnere mich, dass Zdravko den Papa gewarnt hatte. Er bat ihn, Bijeljina mit seinen Kindern zu verlassen, aber er wollte nicht. Er dachte - keiner wird ihn was tun wollen. Er ist niemanden etwas schuldig. Eines Tages, als sie den Derviš getötet haben, hat mir mein Papa ein Bündel Geld in die Tasche geschoben. Er sagte: „Ika, bitte nimm die Kinder mit und flieh! Wer weiß, was mit uns geschehen wird!“ Jetzt weiß ich, dass er das Schlimmste ahnte.
Am Samstag erzählte mir der Chef des Stadtkaufhauses, dass er meinen Papa und den Beriz vor dem Krisenstab gesehen hat. Sie waren gefoltert worden und er hat sich nicht getraut, ihnen zu nähern. Dann hörten wir, dass der Berzad im Hof von Šicos Café getötet wurde. Arkans Männer töteten ihn dort! Šico ist hundertmal bei uns gewesen. Mein Papa gab ihm Geld, wann immer er eines brauchte, aber an diesen Tag war er nicht da. Er wusste immer was in seinem Café los ist und was in seinem Hof passiert, aber an diesen Tag war er nicht da. Ja sicher.
Wir haben gehört, dass mein Papa den Männern das ganze Geld gegeben hat, nur um seine Söhne frei zu lassen. Geld haben sie genommen, natürlich. Aber meinen Vater und meine Brüder haben sie nicht frei gelassen.“
***
Redžo Delić und seine Söhne nahm der Polizist Nebojša Narandžić am 3.April 1992 in Trainingsanzügen und Pantoffeln aus ihrem Haus mit. Seitdem werden sie vermisst. Redžos ältester Sohn Sulejman wurde auf einem Friedhof in Sremska Mitrovica gefunden und identifiziert. Die Familie ist auf der Suche nach den Rest, nach wie vor. Aber wie damals, ist auch jetzt nichts bekannt. Genauer gesagt - diejenigen, die die Pflicht haben es herauszufinden, tun nichts. Die Polizei schweigt, die Gerichte schweigen, es schweigen die Politiker und so schweigen auch die Menschen. Niemand weiß etwas und Niemand will etwas wissen. Die Stille überdeckt die Tränen und den Schmerz der Familie. Die Stille brüllt ohrenbetäubend in den Herzen derer, die auf die Wahrheit warten... nur auf die Wahrheit... denn für die Gerechtigkeit ist hier bei uns offensichtlich niemand interessiert.
- - - Aktualisiert - - -
Übrigens hier ein Vorgeschmack:
Dunkel ist die Nacht
Wie groß kann das Herz einer Mutter sein, um den Ozean voller Schmerz zu schlucken? Wieviel Traurigkeit braucht es, um das Schicksal von Živana Delić darin zu versenken? Wieviel Tränen muss ein Mensch vergießen, um die vier tödlichen Wunden zu überwinden? Welche Nacht kann all die Dunkelheit schlucken, die diese Frau erfüllt?
„Seit ich meine Söhne verloren habe, habe ich kein Recht aufs Leben. Niemand ist besorgt, ob ich lebe oder tot bin, ob krank oder nicht, ob ich genug zu leben habe oder nicht. Mir haben sie meine Söhne gestohlen. Ich habe keine Perspektive mehr. Ich warte nur darauf bis sie gefunden werden, um sie zu begraben, so dass ich mich auch endlich ins Grab legen kann.“
So sitzt die Živana Delić in einem dunklen Raum. Den Strom haben sie ihr abgeschaltet, weil sie kein Geld dafür hat. Das Leben haben sie ihr zerstört, weil sie zu viel hatte. Sie hatte eben ihren Mann und ihre drei hübschen Söhne. Einer attraktiver als der Andere. Jeder in der Stadt hat ihnen nachgeschaut und sie bewundert. Den Redžo lernte sie vor einer langen Zeit kennen, wo noch alles besser war als jetzt. Sie hatten von Allem wenig, nur von der Liebe eine Menge. Redžo Delić (geb. 1940) ging seinen schweren Weg durch das Leben, aber in seinem kleinen alten Haus, in der 27. März Straße in Bijeljina, gab es immer alles, was man zum Leben brauchte, am meisten Freude. Fünf Kinder hat sie zur Welt gebracht. Die Kinder, drei Söhne und zwei Töchter, wuchsen schnell auf. Die ganze Welt stand ihnen noch offen. Die Söhne Sulejman (1958), Berzad (1961) und Beriz (1964) begannen früh für das Leben zu kämpfen. Groß und schön, rassig und weichherzig, liebten ihre Mutter und sorgten für ihre Schwestern. Der Vater arbeitete hart und hatte vor dem Krieg alles, was ihm einst gefehlt hat. Er hatte genug um seine Kinder unterstützen zu können, aber auch um den Anderen zu helfen.
Dann begann das Schießen in Bijeljina. Die Živana war besorgt, dass sie nicht verletzt werden. Ihre Söhne waren in der Stadt bekannt. Vor allem Berzad wegen seinem wilden Temperament. Also bat sie sie, Bijeljina sofort zu verlassen und nicht zu warten.
„Sie beruhigten mich, „bitte kümmere dich nicht Mama, alles wird in Ordnung sein.“ Der Redžo sagte mir, dass es keinen Grund gäbe zu gehen. Niemand von uns hat einen Fehler gemacht und seine Frau ist ja auch eine Serbin. Er mochte oft zu scherzen, aber in diesen Moment sah ich in seinen Augen etwas, dass ich vorher noch nie gesehen habe; eine Vorahnung, Angst, etwas Unbekanntes. Wir waren da, als sie den Nachbar Derviš Zulčić getötet haben. Sie erschossen ihn grundlos vor unseren Augen. Danach wurden wir alle wie taub. Dann überredete ich sie in unser neues Haus zu gehen, in der Nähe von BN-TV Gebäude, welches Redžo von Laza Kostić gekauft hat. Ich dachte: Dort gibt es viele Serben und wir sind mit Allen gut befreundet. Dort wird es sicherer sein, als in den Siedlungen. Wir sind alle mit dem Auto gefahren, außer Berzad. Er passte nicht mehr hinein. Er blieb und versprach mir, dass er baldigst zu uns kommt. Er kam nicht mehr. Es wurde Nacht und noch immer keine Spur von ihm. Mir wurde schlecht. Dann sagten sie mir, dass er verwundet wurde. Ich wurde dann Bewusstlos. Er ist mit unseren Nachbarn Ćosa, den berühmten Boxer Salko Nargalić, auf die Straße gegangen. Eine Kugel vom Scharfschützen hatte meinen Berzad gestreift. Als er zu mir kam, überzeugte er mich nur schwer, dass es nichts Gefährliches war. Ich hatte solche Angst. Ja, Ćosa nahmen Arkans Männer mit und töteten ihn. Nein, sie schlachteten ihn. Aber das habe ich derzeit nicht gewusst.
Am nächsten Morgen, am Freitag den 3. April um halb acht, kam der Polizist Nebojša Narandžić in unser Hof. Wir kannten ihn. Er fragte: „Wo sind deine Söhne?“ Mit ihm, noch ein anderer Polizist. „Hier“, sagte ich. „Sag ihnen, sie sollen rauskommen“, sagte Nebojša, „Ich brauche sie.“ Die Meinen kamen hinaus, um zu sehen was die Polizisten von ihnen wollen, aber die Polizisten mit ihren automatischen Waffen machten keine Scherze. Nebojša sagte, sie haben mit ihm zu gehen. Redžo ging mit ihnen. Ich sagte, dass ich mitgehen will, dass wir zusammengehören. „Bleib hier“, sagte Nebojša ruhig, „Diese Aussage dauert nicht lange, du bekommst sie in einer halben Stunde wieder.“ So gingen sie. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.
Nach ca. einer Stunde kam der Drago zu mir, ein Nachbar aus dem Dorf. Ich erzählte ihm was passiert war. „Lass uns zu Gemeinde gehen und zum Krisenstab. Lass dir eine Bestätigung geben, dass dein Mann und deine Kinder weggenommen wurden und dann werden wir sie suchen“, sagte er zu mir. Wir gingen zum Đorđo in die Gemeinde. Er war damals der Präsident des Krisenstabs für unseren Stadtteil, aber Đorđo gab mir keine Bestätigung. Er sagte mir. „Für dich gibt es hier keine Bestätigung. Deine Männer sind für den Alija Staat. Geh zum Alija und frage dort nach.“
Einen Monat habe ich sie wie verrückt gesucht. Jeden habe ich gefragt. Ich ging zur Polizei und sah dort den Boban. Er ist jetzt in Ruhestand. Er hatte gerade Dienst und ich habe ihm alles erzählt. Er fragte wer sie mitgenommen hat. Ich sagte, Nebojša Narandžić. Er befahl sofort, den Nebojša zu holen. Es dauerte nicht lange, da kam der Nebojša, ohne mich anzusehen und rot im Gesicht. Boban sagte ihm: „Warum sagst du dieser Frau nicht, wo du ihren Mann und ihre Kinder hingebracht hast?“ Nebojša sagte nichts, nahm mich nur bei der Hand und führte mich in ein Bürozimmer. Er setzte sich zum Tisch und sagte mir, mich auch zu setzen, aber ich wollte nicht sitzen. „Sag mir was mit ihnen passiert ist?“ Nebojša hielt den Mund, sagte aber dann: „Ich war gekommen, um Berzad zum Arzt zu bringen, um das Verband neu zu wickeln. Ich bin auf dem Weg von den Uniformierten gestoppt worden. Sie haben sie mitgenommen. Ich weiß nicht wer sie sind, auch nicht wo sie jetzt sind.“ Ich sah ihn an. „Warum wolltest DU Berzad zum Arzt bringen? Es gibt schon Jemanden, der das machen kann. Wieso hast du dann alle vier mitgenommen und nicht nur ihn? Du sagtest, ich bekomme sie nach der Aussage in einer halben Stunde wieder...“ Er sprang von seinem Stuhl auf, ohne mir in die Augen zu schauen und schrie mich an: „Halt den Mund, ich hätte selber draufgehen können“, und ging raus.
Was ich noch alles in dieser Zeit erlebt habe, darf ich dir nicht sagen. Ich wollte mich umbringen! Wo auch immer ich anklopfte, nichts. Es kam irgendwann ein Mann aus Dazdarevo zu mir und erzählte mir, dass er sie tot in der Drina bei Popovo gesehen hat. Später als man davon herumsprach, wollte ihn sein eigener Cousin töten, weil er die Serben verrät ... jeder hat geschwiegen. Dann haben sie aufgehört meine Invaliditätsrente auszuzahlen. Ich erhielt sie als ziviler Opfer des Krieges. Wenn ich nachfragte warum sie es mir nicht mehr zahlen, sagten sie mir: „Geh zum Alija Staat. Lass es dir dort geben.“ Ich habe eine große Beschwerde geschrieben. Am Ende wurde ich in die Gemeinde zu einer Kommission eingeladen. Diese Leute waren nicht von hier und sie fragten mich: „Wissen Sie, warum Ihr Mann und ihre Söhne getötet wurden?“ Ich sagte ihnen: „Ich weiß! Weil Sie Redžo, Sulejman, Berzad und Beriz heißen. Würden sie Milan oder Dragan heißen, wären sie noch am Leben.“ Sie sagten nichts mehr. Ich bekam wenigstens wieder dieses bisschen Geld und so überlebe ich jetzt. Ich habe kein Geld für den Strom. Der ist eh schon abgeschaltet. Es ist wie es ist.“
Živana Delić schweigt und guckt auf die Wand. Auch ihre Töchter (die ältere Ika, in Bijeljina verheiratet und die jüngere Sanja, die noch mit ihrer Mutter lebt) schweigen.
Sanja war zwar noch ein Kind, als das alles passierte, aber Ika kann sich noch an alles sehr gut erinnern.
„Ich war vor dem Haus als Nebojša und der andere Polizist kamen. Nach kurzer Zeit gingen sie mit meinem Papa und den Brüdern, die Polizisten hinter ihnen mit gehobenen Maschinenpistolen. Vor dem Haus stand der übliche weiße VW-Golf mit Blaulicht. Ich weiß nicht wie sie alle ins Auto reinpassten, weil die Meinen alle groß und gut gebaut waren. Ich stand da wie begraben. Sulejman drehte sich noch zu mir und sah mich irgendwie mit einem traurigen Blick an. Das war alles.
Mit meiner Mama ging ich später die ganze Stadt absuchen. Nichts. Mich haben sie von der Arbeit gekündigt, als ob es ihnen nicht genug war, dass sie mir meinen Vater und meine drei Brüder genommen haben. Dann nahmen sie mich doch wieder auf, auch nur wegen Zdravko Ljubinković. Er war Papas Freund und hat sich für mich eingesetzt. Ich erinnere mich, dass Zdravko den Papa gewarnt hatte. Er bat ihn, Bijeljina mit seinen Kindern zu verlassen, aber er wollte nicht. Er dachte - keiner wird ihn was tun wollen. Er ist niemanden etwas schuldig. Eines Tages, als sie den Derviš getötet haben, hat mir mein Papa ein Bündel Geld in die Tasche geschoben. Er sagte: „Ika, bitte nimm die Kinder mit und flieh! Wer weiß, was mit uns geschehen wird!“ Jetzt weiß ich, dass er das Schlimmste ahnte.
Am Samstag erzählte mir der Chef des Stadtkaufhauses, dass er meinen Papa und den Beriz vor dem Krisenstab gesehen hat. Sie waren gefoltert worden und er hat sich nicht getraut, ihnen zu nähern. Dann hörten wir, dass der Berzad im Hof von Šicos Café getötet wurde. Arkans Männer töteten ihn dort! Šico ist hundertmal bei uns gewesen. Mein Papa gab ihm Geld, wann immer er eines brauchte, aber an diesen Tag war er nicht da. Er wusste immer was in seinem Café los ist und was in seinem Hof passiert, aber an diesen Tag war er nicht da. Ja sicher.
Wir haben gehört, dass mein Papa den Männern das ganze Geld gegeben hat, nur um seine Söhne frei zu lassen. Geld haben sie genommen, natürlich. Aber meinen Vater und meine Brüder haben sie nicht frei gelassen.“
***
Redžo Delić und seine Söhne nahm der Polizist Nebojša Narandžić am 3.April 1992 in Trainingsanzügen und Pantoffeln aus ihrem Haus mit. Seitdem werden sie vermisst. Redžos ältester Sohn Sulejman wurde auf einem Friedhof in Sremska Mitrovica gefunden und identifiziert. Die Familie ist auf der Suche nach den Rest, nach wie vor. Aber wie damals, ist auch jetzt nichts bekannt. Genauer gesagt - diejenigen, die die Pflicht haben es herauszufinden, tun nichts. Die Polizei schweigt, die Gerichte schweigen, es schweigen die Politiker und so schweigen auch die Menschen. Niemand weiß etwas und Niemand will etwas wissen. Die Stille überdeckt die Tränen und den Schmerz der Familie. Die Stille brüllt ohrenbetäubend in den Herzen derer, die auf die Wahrheit warten... nur auf die Wahrheit... denn für die Gerechtigkeit ist hier bei uns offensichtlich niemand interessiert.