Turiner Grabtuch echt?
Es ist nicht nur eine der bekanntesten, sondern auch eine der umstrittensten Reliquien der katholischen Kirche: Das angebliche Leichentuch Christi. Eine Radiokarbonanalyse im Jahre 1988 hatte ergeben, dass der Stoff, aus dem das Tuch gewoben wurde, nicht viel älter als 700 Jahre sein kann.
Seitdem wurde das Tuch als Fälschung angesehen. Dem widerspricht nun eine neue Studie. Sie behauptet, dass die Forscher seinerzeit Material von einer ausgebesserten Stelle analysierten und keinen Teil des Originals.
Ein unglaublicher Zufall
So unglaublich es klingt, doch anscheinend wurde die zur Datierung herangezogene Materialprobe ausgerechnet aus einem der Teile des Tuches entnommen, die im 16. Jahrhundert repariert wurden. Dass solche Reparaturen stattfanden, ist ausreichend belegt und tatsächlich hatte das Tuch seit seiner erstmaligen Erwähnung 1357 einige Stürme zu bestehen. So wurde es unter anderem bei einem Kirchenfeuer im Jahre 1532 schwer beschädigt.
So weit wir es heute wissen, übernahmen damals Nonnen die Aufgabe, die beschädigten Teile zu reparieren. Sie flickten die Löcher und nähten die wertvolle Reliquie zur Stabilisierung auf ein Futter. Dieses Futter ist unter Grabtuch-Experten allgemein als Holland-Gewebe bekannt. Das Material war, wie die offenbar fälschlich an diesem Gewebe und von immerhin drei unabhängigen Instituten bestätigte Radiokarbondatierung aus dem Jahre 1988 ergab, schon damals rund 200 Jahre alt. Wenn nichts anderes, so ist doch immerhin eines durch den Vorfall eindeutig belegt: Als Restauratorinnen verstanden die Nonnen ihr Handwerk. Bis hin zur Garndrehung entspricht der Flicken vollständig dem Original. Um die Täuschung perfekt zu machen, wurden sogar die Verschmutzungen und Flecken imitiert; die Replika unterscheidet sich nur in einem Punkt vom Original: dem Alter.
Hinweise auf ein hohes Alter
Der pensionierte Chemiker Raymond Rogers kam der Verwechslung nun auf die Schliche. Er war schon 1978, als US-Wissenschaftler die Reliquie untersuchten, Mitglied des Projektes zur Erforschung des Grabtuches (STURP -
Shroud of Turin Research Project).
Bei der aktuellen Untersuchung verglich er die chemischen Eigenschaften der zur Datierung verwendeten Probe mit denen vom Rest des Tuches. Das Ergebnis war nicht nur überraschend, sondern auch eindeutig: Sie stimmen nicht überein.
Ganz offensichtlich sei das Material der Probe zum Beispiel gefärbt worden, vermutlich um den Sepia-Ton des Tuches zu imitieren. Die dabei verwendete Technik war in Italien seit Ende des 13. Jahrhunderts bekannt. Der eindeutige Beweis jedoch war das Vorhandensein der Chemikalie Vanillin.
Vanillin entsteht beim Zerfall von Lignin, dass in die Zellwand eingelagert die Verholzung einer Zelle bewirkt. Typischer Weise findet sich diese Zerfallsprodukt in Leinen. Vanillin, bekannt vor allem als Aromastoff der Vanille, ist seinerseits nun aber auch unbeständig und zerfällt nach einer gewissen Zeit.
Allein anhand der Konzentration von Vanillin könnte ein Experte das Alter von Leinen bestimmen. Während Rogers in dem Flicken nun also diese Substanz fand, fehlte es in den vermutlich originalen Teilen Grabtuches vollständig. Allein das schon ist ein Beweis für ein hohes Alter. Aufgrund des fehlenden Vanillins schätzt Rogers das Alter des Tuches auf mindestens 1300 Jahre, vermutlich aber mehr. Im Prinzip ist damit wieder alles offen, für Tom D'Muhala, Präsident der
Shroud of Turin Association for Research, ist schlüssig erwiesen, dass die Radiokarbondatierung zumindest in Bezug auf das Turiner Grabtuch falsch war.
Die Spur führt nach Jerusalem
Mit diesem Statement rennt er bei einer großen Fangemeinde offene Türen ein. Seit der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse im Jahre 1988 gab es immer wieder heftige Diskussionen und die Vermutung, dass die Probe verunreinigt war.
Besonders interessieren dürfte die neueste Analyse Avinoam Danin von der Hebrew University in Jerusalem. Schon vor einigen Jahren hatte er das Tuch auf Spuren von Pollen untersucht, wobei er Hinweisen von Dr. Alan Whanger, einem emeritierten Professor von der Duke University in Durham, North Carolina, nachging.
Whanger seinerseits war durch den Deutschen Oswald Scheuermann darauf gestoßen worden, dass sich auf dem Tuch Spuren von Pollen finden. Schon in den Jahren 1973 und 1978 hatte ein Schweizer Kriminologe mithilfe von Klebeband eine Art Fingerabdruck vom Tuch genommen. Genau diese Probe benutzte nun Danin für seine Untersuchungen.
Der Theorie nach stammen die Pollen übrigens von Kränzen oder Gebinden, die auf dem Tuch abgelegt waren. Zusammen mit Dr. Uri Baruch von der israelischen Antiquitäten Behörde bestimmte Dani, welchen Blumen diese Pollen zugeordnet werden könnten. Die beiden Experten kamen zu einem interessanten Schluss: In dieser Kombination können die Blumen eigentlich nur aus der Gegend um Jerusalem stammen.
Anhand der Mischung tippte sie zudem auf ein hohes Alter, genauer gesagt um die Zeit Jesu. Immerhin entsprach ziemlich genau der Pollenmischung auf einer anderen Reliquie, die mit dem Gottessohn in Verbindung gebracht wird. Besagtes Stück Stoff wird in der Kirche von Orvieto in Italien verehrt – und zwar schon seit dem 1. Jahrhundert . Die ganz Geschichte mag sich wie eine Räuberpistole anhören. Angesichts der neuesten Ergebnisse aus dem Chemielabor könnten sie tatsächlich aber Recht haben. Sogar die Jahreszeit, in der die Blumen gepflückt wurden, verraten uns die Experten: Frühling. Um einen Aprilscherz soll es sich dabei aber nicht handeln.