Ein Beitrag von einem echten Geheimdienst Experten.
Interview mit E. Schmidt-Eenboom
"Altes Spiel mit neuen Karten"
Im Interview erläutert der Geheimdienstexperte, Buchautor und Leiter des Forschungsinstitutes für Friedenspolitik, Erich Schmidt-Eenboom, wie sich die Nachrichtendienste von der Zeit des Kalten Krieges bis heute an neue Aufgabenfelder angepasst haben und wie dabei das ehemals klar definierte Freund-Feind-Schema verschwunden ist.
Der Kalte Krieg war ein Kampf um die geheimen Informationen des Gegners. Was wollten die westlichen Nachrichtendienste über die Staaten des Ostblocks erfahren?
Die westlichen Geheimdienste haben versucht, alles über die militärischen Potentiale und Absichten der Staaten des Warschauer Vertrages herauszufinden. Zweitens mussten die Nachrichtendienste über die aktuelle politische Lage der Ostblock-Staaten Bescheid wissen. Und als Drittes wurde nach sensiblen Informationen aus Wirtschaft und Technik gesucht - und auch hier mit militärischen Vorzeichen. Dabei ging es auch darum, Bedrohungen zu überspitzen, um mehr Geld für eigene Rüstungsprogramme zu fordern. So hat man die sowjetische Rüstungsproduktion zu den Löhnen und Rohstoffkosten der USA in Dollar berechnet und damit das Bild über die tatsächlichen Rüstungsausgaben massiv verfälscht. Kurz: Informationen der Geheimdienste wurden instrumentalisiert - genau wie im Vorfeld des Irak-Krieges.
Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges wächst Europa zusammen, vor allem Deutschland und Frankreich suchen nach einer gemeinsamen politischen Linie. Wie hat sich das auf Struktur und Arbeit der Geheimdienste ausgewirkt?
Mit dem Ende des Kalten Krieges mussten alle Regierungen ihre Nachrichtendienste neu ausrichten. Frankreich und Deutschland sind dabei ähnliche Wege gegangen. Das betrifft nicht nur die Struktur, sondern auch die Ziele. Dabei bildete sich die Bekämpfung des Terrorismus als eine neue Hauptaufgabe heraus. Deutsche und Franzosen kooperieren bei der Satellitenaufklärung und tauschen Informationen über neue Bedrohungsfelder wie etwa den islamischen Extremismus aus. Außerdem gibt es Absprachen darüber, wer in welcher Region den nachrichtendienstlichen Schwerpunkt setzt. Ich gehe davon aus, dass die enge politische Kooperation zwischen Paris und Berlin auf nachrichtendienstlichem Weg de facto bereits vorweggenommen wurde.
Das klingt sehr harmonisch. Gibt es denn auch Reibungspunkte zwischen deutschen und französischen Nachrichtendiensten?
Ein Beispiel ist der nachrichtendienstliche Kampf bei den Zerfallsprozessen in Jugoslawien. Während der Bundesnachrichtendienst versuchte, den neuen kroatischen Nachrichtendienst zu kontrollieren, standen die Franzosen lange Zeit auf der Seite der Serben. Dabei ist der Spionagefall, bei dem ein französischer Major, eine geheime Information den Serben zugespielt hat, nur die Spitze des Eisberges. Ein weiterer Reibungspunkt war über Jahrzehnte hinweg Algerien, ein Land, das als ehemalige Kolonie zum Einflussgebiet der Franzosen gehört. Der BND aber hatte bis in die 90er Jahre versucht, die algerische Opposition zu beeinflussen und damit die Franzosen verärgert. Auch die deutsche Rolle in Afghanistan ist ein Beispiel klassischer Machtpolitik, wie wir sie noch aus dem 19. und 20. Jahrhundert kennen: Der Außenminister der Übergangsregierung in Kabul Abdullah Abdullah und Verteidigungsminister Mohammad Fahim gelten zwar nicht als Agenten doch zumindest als enge Partner des Bundesnachrichtendienstes.
Wie sehen Sie die Rolle der Geheimdienste der Staaten des ehemaligen Ostblocks heute?
Viele Staaten des Warschauer Vertrages sind heute Mitglied der Nato und mit Russland wird eng kooperiert. Die militärische Aufklärung gegen die Nato ist damit weggefallen, stattdessen wird ein offener Austausch von Informationen praktiziert. Für Russland jedoch ist die politische Aufklärung trotz aller Annäherung interessant geblieben, um zu erfahren, welche politischen Absichten Deutschland und Frankreich gegenüber den GUS-Staaten haben. Außerdem versucht das Land weiterhin, seine technologischen und wirtschaftlichen Defizite durch Wirtschaftsspionage auszugleichen. Zwar wurden kaum Fälle veröffentlicht, aber die Landesämter für Verfassungsschutz weisen immer wieder darauf hin, dass russische und ukrainische Nachrichtendienste Betriebsgeheimnisse deutscher Unternehmen ausspionieren.
Also sitzt der Feind auch weiterhin im Osten?
Nein, spätestens seit es zwischen dem "alten Europa" und den Vereinigten Staaten Interessensunterschiede gibt, spionieren die USA verstärkt im europäischen Raum - in erster Linie gegen Deutschland und Frankreich. Auch die Entwicklung der EU ist interessant: Die Amerikaner möchten wissen, was die Europäer wollen und wie sie zur amerikanischen Außenpolitik stehen. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Wirtschaftsspionage. Dabei geht es weniger um Technologieklau, da sind die USA auf nahezu allen Gebieten führend. Man versucht vielmehr, wirtschaftliche Strategien oder Exportabsichten ausländischer Unternehmen zu erkennen und gegebenenfalls zu Gunsten amerikanischer Firmen zu durchkreuzen. Wir erleben zudem, dass China nachrichtendienstliche Aktivitäten in Europa entfaltet und auch Japan ist aktiver geworden.
Inwieweit hat das Totalversagen der Geheimdienste im Vorfeld der Attentate des 11. September 2001 die Geheimdienste beeinflusst?
Nach dem Schock gab es einen gigantischen Schub, der den amerikanischen Nachrichtendiensten neues Geld, neues Personal und neue Gesetze verschafft hat. Der 11. September ist aber nicht nur für die Terrorismusbekämpfung eine Zäsur. Die Amerikaner haben seit den Anschlägen ihre Außenpolitik des Unilateralismus verschärft. Es sieht fast so aus, als ob die Vereinigten Staaten wieder ein dichotomes Weltbild aufbauen wollen: Der Ost-West-Gegensatz des Kalten Krieges wird nun abgelöst vom Gegensatz von amerikahörigen Ländern und den Schurkenstaaten. Nur dieses dichotome Weltbild erlaubt es der US-Regierung, vor ihrer Bevölkerung zu rechtfertigen, dass die Nachrichtendienste mehr als 35 Milliarden Dollar pro Jahr verschlingen.
Das Gespräch führte Michael Kaczmarek
http://www.arte-tv.com/de/geschicht...ieg/Agenten_20im_20Kalten_20Krieg/882418.html
E. Schmidt-Eenboom hat auch sehr gute Artikel und Infos zu den Balkan Kriegen gegeben.