"Jüdisches Leben
im südslawischen Raum
Seit etwa 1500 Jahren gibt es im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien Spuren jüdischen Lebens und Wirkens. Zwar gab zahlenmässig nicht annähemd so viele Juden wie z.B. in Polen oder Russland, doch zeichnete sich die Gemeinschaft durch ihre Vielfältigkeit aus, die so groß war wie der einstige Vielvölkerstaat selbst.
Da ein ausführlicher Bericht eine ganze "Mir Sajnen Dol" - Ausgabe füllen könnte, kann die Geschichte und die heutige Situation des Judentums in den Nachfolgestaaten der ehemaligen jugoslawischen Föderation nur kurz zusammengefasst werden.
Die frühesten uns bekannten Spuren jüdischen Lebens auf dem Balkan finden sich im griechischen Thessaloniki noch vor unserer Zeitrechnung.
Eine erste größere Ansiedlung von Juden im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien wird zur römischer Zeit erwähnt, und zwar in der Hafenstadt Ragusa (heute Dubrovnik). Dort entwickelte sich noch vor Beginn des Miffelalters eine lebendige Gemeinde die hauptsächlich vom Handel lebte.
Im Mittelalter ließen sich Juden in der Vojvodina (Nordserbien), im Zagorje (um Zagreb) und in der dalmatinischen Küstenstadt Split nieder und gründeten Gemeinden. Juden sorgten dort, zusammen mit den deutschen "Gastarbeitern" aus Schwaben und Sachsen für den Ausbau des Handels und einen damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung. Aus dem griechischen Thessaloniki kamen zur selben Zeit Juden ins benachbarte Mazedonien. Auch Judenghettos sind uns aus dieser Periode bereits bekannt, so z.B. im zentralmazedonischen Sip.
Ende des 15. Jahrhunderts erreichten die ersten spanisch-sephardischen Juden auf ihrer Flucht vor der Inquisition den südslawischen Raum. Sie siedeiten sich vor allem in Bosnien und an der dalmatinischen Küste an. Ihre Zahl erhöhte sich während der Herrschaft der Osmanen noch erheblich. Eine besondere Blühte erfuhr dadurch die Stadt Sarajevo. Später auch als Jerusalem des Balkans bezeichnet, entwickelte sich Sarajevo zu einem Hort jüdischer Gelehrsamkeit. Unzählige Bücher wurden in Ladino gedruckt, der Sprache der Spaniolen. Jüdische Kultur konnte sich mehr oder weniger frei entfalten, da sich die türkischen Machthaber zu Beginn ihrer Herrschaft auf dem Balkan verhältnismäBig tolerant gegenüber religiösen Minderheiten zeigten. Für die damalige Zeit durch aus keine Selbstverständlichkeit!
Auch Gemeinden in Split, Zagreb, Belgrad, Novi Sad und Subotica erblühten und entwickelten sich zu Zentren jüdischen Lebens und Lehrens. Im 18. Und 19. Jahrhundert vergrößerten sich die jüdischen Gemeinden in der Vojvodina und in Kroatien durch poinische und ungarische Zuwanderer (*1). Nach der Gründung des jugoslawischen Staates 1918 verbanden sich die Gemeinden im gesamten Land zum Bund Jüdischer Gemeinden in Jugoslawien - Savez Jevrejiskih Opstina Jugoslavije SJOJ. Die Blühte des jugoslawischen Judentums hielt bis zum Angriff der Wehrmacht auf das Land an.
Im Jahr 1941 lebten in Jugoslawien 80.000 Juden, von denen etwa 48.000 Aschkenasen und 32.000 Sepharden waren. Sie waren in 120 Gemeinden organisiert. Es gab Volks- und Mittelschulen und ein Rabbinerseminar in Sarajevo. Zwischen 1933 und 1941 gewährte Jugoslawien zeitweilig 60.000 jüdischen Flüchtlingen aus den von Deutschland beherrschten Gebieten Asyl. Die Shoa überlebten 18.000 einheimische Juden. Die Zehntausenden von Flüchtlingen im Lande konnten sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen und wurden ermordet. Nur wenige hundert überlebten in Verstecken oder im Kampf bei den Partisanen. Von Anfang an beteiligten sich überdurchschnittlich viel Jüdinnen und Juden am Befreiungskampf. Mitglieder der 1941 in den Untergrund abgetauchten linkszionistischen Jugendorganisation Hashomer Hazair aus Belgrad und dem Verein Matatija aus Sarajevo waren massgeblich am Aufbau der Partisanenarmee beteiligt. Einer der Mitbegründer der Tito-Partisanen war Mose Pijade. Er organisierte die Volksbefreiungsarmee NOW (*2), und verfasste das Manifest von Foca", die Verfassung des Widerstandes, und war engster Mitkämpfer Titos. Nach dem Sieg war er Präsident der Republik Serbien und des jugoslawischen Parlaments.
Über 4500 Jüdinnen und Juden die bei den Partisanen kämpften sind namentlich bekannt, Schätzungen gehen aber von mindestens 8000 Juden im Wider-stand aus (*3) . 1300 von ihnen fielen im Kampf. 150 Juden wurden Träger des Ordens Partizanska Spo-menica. Sechs Juden und vier Jüdinnen wurde der höchste Orden des Landes verliehen: Narodni Heroj Jugoslavije (Volksheld Jugoslawiens).
Die am höchsten ausgezeichnete und geehrte Per-son des Befreiungskampfes war die Jüdin Ester Ova-dija, die im Untergrund unter dem Decknamen "Mara" bekannt war. Sie fiel 1944 im Kampf und wurde neun Jahre später zur Nationalheldin erklärt.
Gedenkstein für die Opfer der Schoah in Subotica
Etwa 300 jüdische Ärzte (50% der Partisanenärzte), 70 Pharmazeuten, 30 Zahnärzte sowie mehrere hun-dert jüdische Krankenschwestern und Pfleger dienten in der Volksbefreiungsarmee. Die Ärztin Dr. Rosa Papo wurde erste Generalin der jugoslawischen Armee.
General Voja Todorovic führte die verwegensten und erfolgreichsten Operationen des Befreiungskrieges an. Bekannt wurde ebenfalls ein jüdisches Partisanenbataillon in Dalmatien, das unter einer Partisa-nen- und einer jüdischen blau-weissen Fahne kämpfte.
Von den 18.000 Juden die nach dem Krieg noch in Jugoslawien lebten, wanderten ab 1948 10,000 nach Israel und 2.000 in den Westen aus. 1991 lebten knapp 8.000 Juden in Jugoslawien. Durch den Ausbruch des Bürgerkrieges im Juni 1991 floh fast ein Viertel von ihnen - vor allem aus Bosnien - vor den Kämpfen."