Und dann noch von Christlich Jüdischen Abendland was er zählen. Islam übernimmt
[h=1]Deutsche verlassen in Scharen die Kirchen[/h]Bei Katholiken wie Protestanten zeichnet sich ein dramatischer Zuwachs der Kirchenaustritte ab. Hauptgrund: das neue Verfahren bei Kirchensteuern auf Kapitalerträge. Da haben die Kirchen geschlafen.
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Von Matthias KamannPolitikredakteur
Schwund: Nach ersten Berechnungen haben im Jahr 2014 fast 400.000 Menschen die Kirchen verlassenFoto: dpa
Kurz zuvor hatte Heinrich Bedford-Strohm noch Optimismus verbreitet. Am Mittwochabend sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin: "Unter den Kirchenmitgliedern steigt der Anteil derer, die sich keinen Austritt vorstellen können."
Aber schon am Donnerstag kam die Ernüchterung. Was steigt, ist die Zahl der Austritte. Die evangelische Nachrichtenagentur Idea veröffentlichte die Ergebnisse einer Umfrage bei den 20 evangelischen Landeskirchen, wonach 2014 so viele Menschen die Kirche verließen wie seit den Neunzigerjahren nicht mehr.
Foto: dpaDer EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm freute sich ein wenig zu früh
Die noch unvollständigen Zahlen lassen darauf schließen, dass 2014 bis zu 200.000 Menschen ihren Austritt erklärten. Das wäre der höchste Wert seit 1997, als die EKD196.600 Mitglieder verlor. Seitdem sanken die Zahlen. 2012 waren es nur noch 138.100.
Doch schon 2013 gab es bei den Austritten einen kräftigen Zuwachs. Zwar ist auch dessen genaues Ausmaß noch nicht EKD-offiziell bestätigt, aber gerechnet wird für 2013 mit 170.000. Dieser Wert dürfte 2014 noch klar übertroffen worden sein. So verzeichnete allein die große bayerische Landeskirche 2014 unter ihrem Bischof Bedford-Strohm 62 Prozent mehr Austritte als 2013. In der Nordkirche und der rheinischen Landeskirche rechnet man damit, dass sich 2014 die Austrittszahlen von 2013 um jeweils mehr als 50 Prozent erhöht haben.
Einen Anstieg auf das Zweieinhalbfache erwartet man laut Idea in Sachsen, wo nach vorläufigen Berechnungen die Austrittszahlen von 5000 im Jahr 2013 auf 12.000 im Folgejahr stiegen. Eine Verdoppelung meldet die Mitteldeutsche Kirche, eine Verdreifachung die kleine Landeskirche in Anhalt, eine Steigerung um 44 Prozent die berlin-brandenburgische. Andere Landeskirchen, die mit dem Zählen noch nicht fertig sind, verzeichnen für die erste Jahreshälfte 2014 Austrittszuwächse um bis zu 70 Prozent.
Ähnlich trifft es die katholische Kirche. Bei ihr liegen die Austrittszahlen für 2013 vor: Mit 178.000 waren es 60.000 mehr als im Jahr zuvor. Dieser Zuwachs, der viel mit Franz-Peter Tebartz-van Elst zu tun hatte, wurde 2014 noch einmal übertroffen. Dies lassen erste Angaben aus Großstädten mit Steigerungsraten um bis zu 20 Prozent erwarten. Damit nähert sich auch die katholische Kirche der Zahl von 200.000 Austritten.
[h=2]Neue Steuer wurde offenbar einfach übersehen[/h]Hauptgrund dürfte das Geld sein. Genauer: Die Kirchensteuern auf Kapitalerträge. Auf Letztere wird seit 2009 die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent erhoben und von den Banken direkt an die Finanzämter abgeführt. Kapitalerträge sind Einkommen. Somit hat die Kapitalertragsteuer als eine Einkommensteuer zu gelten.
Auf diese aber wird bei Kirchenmitgliedern Kirchensteuer erhoben. Die beträgt neun Prozent, in Bayern und Baden-Württemberg acht Prozent der Einkommen- und mithin auch der Kapitalertragsteuer.
Diese Kirchensteuerpflicht der Kapitalerträge besteht seit 2009. Aber anfangs wurden die Kirchensteuern nicht direkt von den Banken abgeführt, sondern von den Kirchenmitgliedern im Zuge ihrer Einkommensteuererklärung. Da gab es kaum Ärger, vielleicht wurde es im Dschungel der Steuererklärung schlichtweg übersehen. Austritte jedenfalls gab es deshalb kaum.
Foto: dpaDer Weg aus der Kirche ist nicht schwer zu finden: Ein Hinweisschild im Kölner Amtsgericht zeigt, wo man klingeln muss, wenn man die katholische oder die evangelische Kirche verlassen will
Anders wurde es 2013. Ab jenem Jahr sollten die Banken auch die Kirchensteueranteile abführen. Mittlerweile, seit Januar 2015, geht das automatisch, mit einer anonymisierten Kennziffer, in der das Bundeszentralamt für Steuern die Banken über eine Religionszugehörigkeit der Kunden informiert.
Doch 2013 und 2014 mussten die Banken ihre Kunden einzeln über die Kirchensteuerabführung informieren. Plötzlich wurde den Kunden die Sache mit den Kirchensteuern klar. Sofort, im Frühjahr 2013, schossen die Austrittszahlen in die Höhe. Schuld waren auch die Kirchen. Sie hatten es versäumt, ihre Mitglieder über das neue Verfahren zu informieren.
Mithin bezogen die Leute ihr Wissen nur von den Banken, die den Schwerpunkt ihrer Kundengespräche nicht auf die Vorteile einer Kirchenmitgliedschaft gelegt haben dürften. Die Kirchen selbst begannen erst 2014, ihre Mitglieder genauer informieren. Doch da war es, wie die Zahlen nun zeigen, zu spät.
[h=2]Die Kirchen informierten schlecht[/h]Verschärfend kam hinzu, dass die Banken ihre Kunden in einer Zeit informierten, in der von schwindenden Kapitalerträgen – und von Einnahmerekorden der Kirchen zu lesen war. Das Kirchensteueraufkommen stieg wegen der guten Wirtschaftslage 2013 und 2014 rasant, in beiden Kirchen auf zuletzt jeweils mehr als fünf Milliarden Euro. Und da, so fragten sich viele, wollen die auch noch bei den kargen Zinsen kassieren?
Besonders groß scheint der Ärger bei Älteren zu sein, die glauben, dass die Kirchen ihnen etwas von der privaten Altersvorsorge wegnähmen. Weil aber bei älteren Menschen die Kirchenmitgliedschaft noch weitverbreitet ist, fallen nun die wutbedingten Austrittszahlen besonders hoch aus.
Die anderen Alten aber, die bleiben, werden nicht mehr lange leben. Weil zugleich die Kirchen demografiebedingt und wegen der Glaubensferne vieler Familien immer weniger Nachwuchs bekommen, gilt es als sicher, dass sie spätestens 2030 ein Drittel weniger Mitglieder haben als heute. Derzeit sind es 24,1 Millionen in der katholischen und 23,2 Millionen in der evangelischen Kirche.
Angesichts jenes Schwunds bekommt Bedford-Strohms Satz, wonach sich ein steigender Anteil von Mitgliedern keinen Austritt vorstellen kann, einen Hintersinn: Von denen, die sich einen Austritt vorstellen können, sind immer weniger überhaupt noch in der Kirche.