Mladic und Karadzic – Zögert SFOR die Großfahndung absichtlich hinaus?
Zürich (FSOE) - Ein altes Gerücht geht unter Serben um. Ist es möglich, dass die internationalen Stabilization Forces (SFOR) unter dem NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Fahndung nach den Kriegsverbrechenverdächtigen Radovan Karadzic und Ratko Mladic absichtlich hinauszögern?
Schon der Gedanke ist unsinnig. Angefangen mit den ersten Kriegsverbrechen-Urteilen in Nürnberg nach dem Ende des II. Weltkriegs bis zur Gefangennahme von Adolf Eichmann in Buenos Aires 1960 durch den israelischen Geheimdienst ist die Verfolgung von Kriegsverbrechern stets die Aufgabe hingebungsvoller, zielstrebiger Spürhunde gewesen. In jüngster Zeit zeigte die Auslieferung von Slobodan Milosevic an den Haag, damit er dort für die in Bosnien in den 90er Jahren verübten Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt wird, dass die Welt keine Gnade für Völkermord-Verbrecher und großen Respekt vor denjenigen hat, die sie der Gerechtigkeit überführt.
Trotzdem tauchten Beschuldigungen, dass SFOR etwas säumig bei ihren Verfolgungen von designierten Kriegsverbrecherzielen sei nicht nur in den Boulevardzeitungen auf. Ein schottisches Journal für Intellektuelle schrieb: "Karadzic, ein Kriegsverbrecher von kaum zu überbietender Grauenhaftigkeit, läuft frei herum, und zwar nicht deshalb, weil wir ihn nicht schnappen KÖNNEN, sondern, weil wir ihn nicht schnappen WOLLEN."
Noch etwas krasser drückte es Amor Masovic aus, der Vorsitzende der Moslemischen Kommission für vermisste Personen, als er erklärte, dass SFOR eine "Schau und einen Zirkus für die Öffentlichkeit abzieht. Sie werden Karadzic niemals verhaften."
Aus welchen Gründen mag sich SFOR nicht voll und ganz auf diese Jagd konzentrieren? Paradoxerweise liegt es vielleicht an der Milosevic-Verhandlung. Man muss sich nur einmal Folgendes überlegen: Erstens würde das schlimmste Urteil, das das Schiedsgericht für Kriegsverbrechen auferlegen kann, nur lebenslange Haft sein. Diese Beschränkung, die zwar eine bewundernswerte humanitäre Haltung darstellt, ist nicht die normale Einstellung des Soldaten, dessen Hauptaufgabe es ist, einen Feind zu vernichten und nicht, ihn zu reformieren.
Zweitens, ist ein Urteil auf Lebenszeit in einem holländischen, wenn auch nicht gerade luxuriösen Gefängnis viel angenehmer als im ländlichen Bosnien oder Serbien als Flüchtling zu existieren. Ein Gefangener erhält drei nahrhafte Mahlzeiten pro Tag, ein Dach überm Kopf, Schutz vor der Rache derjenigen, denen er Unrecht zugefügt hat, bei Bedarf kostenlose und moderne ärztliche Versorgung; er hat eine Bücherei und Fernsehen zu seiner Verfügung und die Gelegenheit, sich vor Gericht und einem weltweiten Publikum auf unbestimmte Zeit selbstgefällig hervorzutun. Selbst, wenn er verurteilt wird, kann der Verdächtige ungestört eine selbstsüchtige Autobiografie mit Muße sozusagen "in seiner Freizeit" schreiben.
Man vergleiche dies mit dem Lebensstil und den Aussichten eines etwa 60jährigen, ziemlich übergewichtigen Flüchtlings, der sich gerne als Held aufspielt. Sein Essenplan und seine Nachtruhe hängen von Beschützern ab, die nicht gerade als Hotelmanager ausgebildet wurden. Er ist körperlich und psychisch dauernd unter Druck, muss immer mit einem möglichen Verrat rechnen und lebt in ständiger Angst, dass er von Leuten, die er versehentlich am Leben ließ, abgemurkst wird. Ärztliche Versorgung ist bestenfalls dürftig. Seine Lebensgeschichte, die von den Medien bereits bis zum Geht-nicht-mehr breit getreten wurde, ist jetzt ein alter Hut und niemand kräht mehr nach ihm. Er ist zu einer Person ohne Ansehen geworden mit einer unsicheren Zukunft. Sicher ist nur eins: sein Stress nimmt zu und führt vermutlich zu einem nicht gerade angenehmen oder in seinen Augen noch schlimmer: anonymen Tod.
Ist es eine Blamage für SFOR, wenn die Gefangennahme dieser Männer fehlschlägt? SFOR und seine Anführer, die aus Militär- und nicht Polizeieinheiten bestehen, werden keine Karrierenachteile haben, wenn sie augenscheinlich eine Pflicht nicht erfüllen können, die nichts mit ihrer Ausbildung, Erfahrung oder Ambitionen zu tun hat. Schlimmstenfalls ist der Polizei-Job lediglich eine Ablenkung von ihrem normalen beruflichen Werdegang.
Man versetze sich also in die Lage derjeniger, die damit aufgewachsen sind, dass Völkermord nichts anderes als ein strenges Todesurteil verdient. Man kann weiter davon ausgehen, dass das bereits angesammelte, massenhafte Beweismaterial ein solches Urteil für die Verfolgten rechtfertigt. Man bedenke weiter die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kosten einer großen neuen Kriegsverbrecherverhandlung und die Wahrscheinlichkeit, dass damit ethnischer Hass aufs Neue geschürt und verschlimmert wird. Ist dann nicht die Vollstreckung eines Todesurteils durch Passivität eine ziemlich attraktive Alternative verglichen mit einer erfolgreich ausgeführten Aufgabe? (M.Bozic)
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Mit einem Bein im Gewahrsam in Den Haag
Pristina (taz.de) - Für die einen ist der 36-Jährige ein makelloser Kriegsheld, der die Albaner gegen die Serben verteidigt hat. Weit mehr Albaner im Kosovo jedoch fürchten ihn: Ex-UÇK-Komandeur Ramush Haradinaj, seit Montag gewählter Premierminister des Landes. Mladic und Karadzic – Zögert SFOR die Großfahndung absichtlich hinaus?
Zürich (FSOE) - Ein altes Gerücht geht unter Serben um. Ist es möglich, dass die internationalen Stabilization Forces (SFOR) unter dem NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Fahndung nach den Kriegsverbrechenverdächtigen Radovan Karadzic und Ratko Mladic absichtlich hinauszögern?
Schon der Gedanke ist unsinnig. Angefangen mit den ersten Kriegsverbrechen-Urteilen in Nürnberg nach dem Ende des II. Weltkriegs bis zur Gefangennahme von Adolf Eichmann in Buenos Aires 1960 durch den israelischen Geheimdienst ist die Verfolgung von Kriegsverbrechern stets die Aufgabe hingebungsvoller, zielstrebiger Spürhunde gewesen. In jüngster Zeit zeigte die Auslieferung von Slobodan Milosevic an den Haag, damit er dort für die in Bosnien in den 90er Jahren verübten Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt wird, dass die Welt keine Gnade für Völkermord-Verbrecher und großen Respekt vor denjenigen hat, die sie der Gerechtigkeit überführt.
Trotzdem tauchten Beschuldigungen, dass SFOR etwas säumig bei ihren Verfolgungen von designierten Kriegsverbrecherzielen sei nicht nur in den Boulevardzeitungen auf. Ein schottisches Journal für Intellektuelle schrieb: "Karadzic, ein Kriegsverbrecher von kaum zu überbietender Grauenhaftigkeit, läuft frei herum, und zwar nicht deshalb, weil wir ihn nicht schnappen KÖNNEN, sondern, weil wir ihn nicht schnappen WOLLEN."
Noch etwas krasser drückte es Amor Masovic aus, der Vorsitzende der Moslemischen Kommission für vermisste Personen, als er erklärte, dass SFOR eine "Schau und einen Zirkus für die Öffentlichkeit abzieht. Sie werden Karadzic niemals verhaften."
Aus welchen Gründen mag sich SFOR nicht voll und ganz auf diese Jagd konzentrieren? Paradoxerweise liegt es vielleicht an der Milosevic-Verhandlung. Man muss sich nur einmal Folgendes überlegen: Erstens würde das schlimmste Urteil, das das Schiedsgericht für Kriegsverbrechen auferlegen kann, nur lebenslange Haft sein. Diese Beschränkung, die zwar eine bewundernswerte humanitäre Haltung darstellt, ist nicht die normale Einstellung des Soldaten, dessen Hauptaufgabe es ist, einen Feind zu vernichten und nicht, ihn zu reformieren.
Zweitens, ist ein Urteil auf Lebenszeit in einem holländischen, wenn auch nicht gerade luxuriösen Gefängnis viel angenehmer als im ländlichen Bosnien oder Serbien als Flüchtling zu existieren. Ein Gefangener erhält drei nahrhafte Mahlzeiten pro Tag, ein Dach überm Kopf, Schutz vor der Rache derjenigen, denen er Unrecht zugefügt hat, bei Bedarf kostenlose und moderne ärztliche Versorgung; er hat eine Bücherei und Fernsehen zu seiner Verfügung und die Gelegenheit, sich vor Gericht und einem weltweiten Publikum auf unbestimmte Zeit selbstgefällig hervorzutun. Selbst, wenn er verurteilt wird, kann der Verdächtige ungestört eine selbstsüchtige Autobiografie mit Muße sozusagen "in seiner Freizeit" schreiben.
Man vergleiche dies mit dem Lebensstil und den Aussichten eines etwa 60jährigen, ziemlich übergewichtigen Flüchtlings, der sich gerne als Held aufspielt. Sein Essenplan und seine Nachtruhe hängen von Beschützern ab, die nicht gerade als Hotelmanager ausgebildet wurden. Er ist körperlich und psychisch dauernd unter Druck, muss immer mit einem möglichen Verrat rechnen und lebt in ständiger Angst, dass er von Leuten, die er versehentlich am Leben ließ, abgemurkst wird. Ärztliche Versorgung ist bestenfalls dürftig. Seine Lebensgeschichte, die von den Medien bereits bis zum Geht-nicht-mehr breit getreten wurde, ist jetzt ein alter Hut und niemand kräht mehr nach ihm. Er ist zu einer Person ohne Ansehen geworden mit einer unsicheren Zukunft. Sicher ist nur eins: sein Stress nimmt zu und führt vermutlich zu einem nicht gerade angenehmen oder in seinen Augen noch schlimmer: anonymen Tod.
Ist es eine Blamage für SFOR, wenn die Gefangennahme dieser Männer fehlschlägt? SFOR und seine Anführer, die aus Militär- und nicht Polizeieinheiten bestehen, werden keine Karrierenachteile haben, wenn sie augenscheinlich eine Pflicht nicht erfüllen können, die nichts mit ihrer Ausbildung, Erfahrung oder Ambitionen zu tun hat. Schlimmstenfalls ist der Polizei-Job lediglich eine Ablenkung von ihrem normalen beruflichen Werdegang.
Man versetze sich also in die Lage derjeniger, die damit aufgewachsen sind, dass Völkermord nichts anderes als ein strenges Todesurteil verdient. Man kann weiter davon ausgehen, dass das bereits angesammelte, massenhafte Beweismaterial ein solches Urteil für die Verfolgten rechtfertigt. Man bedenke weiter die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kosten einer großen neuen Kriegsverbrecherverhandlung und die Wahrscheinlichkeit, dass damit ethnischer Hass aufs Neue geschürt und verschlimmert wird. Ist dann nicht die Vollstreckung eines Todesurteils durch Passivität eine ziemlich attraktive Alternative verglichen mit einer erfolgreich ausgeführten Aufgabe? (M.Bozic)
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Mit einem Bein im Gewahrsam in Den Haag
Pristina (taz.de) - Für die einen ist der 36-Jährige ein makelloser Kriegsheld, der die Albaner gegen die Serben verteidigt hat. Weit mehr Albaner im Kosovo jedoch fürchten ihn: Ex-UÇK-Komandeur Ramush Haradinaj, seit Montag gewählter Premierminister des Landes.
http://www.balkansecurity.com/news/...q=komentari&enddate=2004-12-10&login=&passwd=