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"Ich bin einsatzbereit"
Nur die Unabhängigkeit kann aus Sicht der Albaner Heil über den Kosovo bringen. Um diese zu erreichen, formiert sich kurz vor den Statusverhandlungen eine militante Armee
von Susanne Simon in Belgrad
Sie kommen in der Nacht über die Grenze nach Südserbien. Und nennen sich die "Schwarzen Schatten". Kosovo-albanische Männer in schwarzen Uniformen mit maskierten Gesichtern. Sie verteilen Flugblätter unter den albanischen Bewohnern, auf denen sie bis zum 17. November die Unabhängigkeit der südserbischen Provinz Kosovo fordern. "Sollten die kosovo-albanischen Politiker dieser Forderung nicht nachkommen, greifen die "Schwarzen Schatten' zu den Waffen", heißt es in den Flugblättern, unterschrieben von "Kommandant Luigji". "Und dafür benötigen wir mutige albanische Brüder."
Sechs Jahre nach Ende des blutigen Kosovokrieges ist der völkerrechtliche Status der Provinz weiterhin offen. Die Kosovaren werden ungeduldig, sie drängen auf einen von Serbien unabhängigen Staat. Bereits im März 2004 machte sich Unmut breit, als ein albanischer Mob serbische Dörfer und orthodoxe Kirchen anzündete. In der vergangenen Woche gab der UN-Sicherheitsrat grünes Licht für den Beginn der Statusverhandlungen. Doch die Mehrzahl der Kosovo-Albaner lehnt einen Dialog mit Belgrad ab.
Am vergangenen Wochenende sprengten die schwarzmaskierten Männer im Ort Veliki Trnovci die Polizeistation in die Luft. Ums Leben kam keiner, die diensthabenden serbischen Polizisten saßen in der Dorfschenke. "Die Täter gehören der neuformierten Armee für die Unabhängigkeit Kosovas (UPK) an", sagt Bekim Bajraliu, ein albanischer Automechaniker, "sie rekrutieren neue Kämpfer unter den Albanern in Serbien, aber auch in Mazedonien." Bekims Brüder sind seit einem Monat im Kosovo und trainieren in einem Lager den bewaffneten Kampf. Bekim selbst kämpfte vor sieben Jahren bei der Kosovo Befreiungsarmee UCK. Seine Uniform hütet er im Schrank. Vor wenigen Tagen schickten die Brüder das neue Emblem: UPK. Seine Frau wird es auf den Kampfanzug nähen. "Ich bin einsatzbereit", sagt Bekim.
Seit mehr als einem Monat sieht man die maskierten Männer mit den schwarzen Uniformen im westlichen Kosovo - oftmals mit Maschinengewehren bewaffnet.
Die Uno-Übergangsverwaltung (Unmik) bestätigte bereits vor drei Wochen das Auftreten der UPK. "Es handelt sich aber nur um kleine Kriminelle, die den demokratischen Prozeß im Kosovo nicht aufhalten", sagte der deutsche Unmik-Polizeichef Kai Wittrup. Trotzdem wird Unmik-Mitarbeitern von sechs Uhr abends bis acht Uhr morgens von Reisen ins westliche Kosovo abgeraten. Ein Kenner der Situation aus Pristina meint, 600 Mann sei die Armee für die Unabhängigkeit Kosovas (UPK) bereits stark und täglich werden es mehr.
Veton Surroi ist Mitglied der Delegation, die im Namen Pristinas über den künftigen Status der Provinz verhandeln wird. "Sollte der derzeitige Status quo im Kosovo bleiben oder die anstehenden Verhandlungen stagnieren, wird sich die Situation radikalisieren", sagt Surroi. "Die Status-Frage muß in weniger als sechs Monaten gelöst werden."
Doch die Lösungsansätze in Pristina und Belgrad sind unvereinbar. Albanische Politiker beharren auf ihrem Standpunkt, daß nur die Unabhängigkeit des Kosovos Frieden und Stabilität sichern kann. Für die Serben steht fest: Die Unabhängigkeit der Provinz ist vollkommen inakzeptabel.
Das schürt zunehmend Unbehagen unter der albanischen Bevölkerung. Seit Juni 1999 werden sie gemäß der Uno-Sicherheitsresolution 1244 von den Vereinten Nationen verwaltet. Die Resolution verpflichtet sich zur "Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität Jugoslawiens" (jetzt Serbien-Montenegro). Dem Kosovo wurden darin "substantielle Autonomie und Selbstverwaltung" nach einer Periode internationaler Überwachung versprochen. Und schrittweise bekamen die lokalen Volksvertreter auch Kompetenzen übertragen - die wichtigsten Befugnisse wie Polizei, Finanz- oder Außenpolitik blieben aber weiterhin der Unmik vorbehalten.
"Ich bin einsatzbereit" (2)
"Im Juni 1999, nach dem Völkermord-Versuch der serbischen Truppen, feierten wir die Uno als Befreier. Sieben Jahre danach entpuppen sich ihre Vertreter als Kolonialisten", sagt Albin Kurti, ehemaliger Studentenführer, der derzeit die Bewegung "Vetevendosje" (Selbstbestimmung) leitet. Seiner Organisation sind seit Juli mehr als 9000 Mitglieder beigetreten. "Mein größtes Problem ist es, die Gewaltbereitschaft der Mitglieder zu zügeln, denn sie verstehen nicht, wofür so viel Blut vor sieben Jahren floß, wofür sie von den Serben mißhandelt und vertrieben wurden, wenn Kosova weiterhin in den Grenzen Serbiens bleibt."
Dem finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari, UN-Vermittler für die Statusgespräche, stehen schwere Zeiten bevor. Von albanischer Seite schlägt ihm Abneigung entgegen. "Als Ahtisaari als EU-Sonderbeauftragter 1999 mit Ex-Diktator Slobodan Milosevic über das Ende des Kosovokrieges verhandelte, ließ er Milosevics Territorialansprüchen freien Lauf. Die Provinz Kosova blieb durch die UN-Resolution weiter in den Grenzen Serbiens", sagt Albin Kurti, "und darauf wird Belgrad auch in Zukunft beharren".
In Belgrad erwartet man Ahtisaari in der kommenden Woche zu ersten Vorgesprächen. Doch nicht mal in serbischen Regierungskreisen ist man sich einig über das Ziel der Verhandlungen. Die Kosovo-Beauftragte des Ministerpräsidenten Kostunica, die Tochter des umstrittenen früheren Serbenführers Radovan Karadzic, plädiert dafür, die Hoheit Serbiens über den Kosovo beizubehalten. Zwar solle das autonome Kosovo legislative, juridische und exekutive Gewalt erhalten. Doch die Außenpolitik und die Grenzkontrolle sollen weiter Belgrad obliegen. Der liberale Präsident Boris Tadic plädiert für eine erweiterte Autonomie, ohne Einmischung Serbiens.
Die "Schwarzen Schatten" von der UPK versuchen Belgrad unter Druck zu setzen. Im Internet kündigten sie weitere Attentate auf serbische Polizeistationen an. In Sicherheitskreisen nimmt man die Drohungen mehr als ernst.
Artikel erschienen am 6. November 2005
http://www.wams.de/data/2005/11/06/799756.html?s=1
Nur die Unabhängigkeit kann aus Sicht der Albaner Heil über den Kosovo bringen. Um diese zu erreichen, formiert sich kurz vor den Statusverhandlungen eine militante Armee
von Susanne Simon in Belgrad
Sie kommen in der Nacht über die Grenze nach Südserbien. Und nennen sich die "Schwarzen Schatten". Kosovo-albanische Männer in schwarzen Uniformen mit maskierten Gesichtern. Sie verteilen Flugblätter unter den albanischen Bewohnern, auf denen sie bis zum 17. November die Unabhängigkeit der südserbischen Provinz Kosovo fordern. "Sollten die kosovo-albanischen Politiker dieser Forderung nicht nachkommen, greifen die "Schwarzen Schatten' zu den Waffen", heißt es in den Flugblättern, unterschrieben von "Kommandant Luigji". "Und dafür benötigen wir mutige albanische Brüder."
Sechs Jahre nach Ende des blutigen Kosovokrieges ist der völkerrechtliche Status der Provinz weiterhin offen. Die Kosovaren werden ungeduldig, sie drängen auf einen von Serbien unabhängigen Staat. Bereits im März 2004 machte sich Unmut breit, als ein albanischer Mob serbische Dörfer und orthodoxe Kirchen anzündete. In der vergangenen Woche gab der UN-Sicherheitsrat grünes Licht für den Beginn der Statusverhandlungen. Doch die Mehrzahl der Kosovo-Albaner lehnt einen Dialog mit Belgrad ab.
Am vergangenen Wochenende sprengten die schwarzmaskierten Männer im Ort Veliki Trnovci die Polizeistation in die Luft. Ums Leben kam keiner, die diensthabenden serbischen Polizisten saßen in der Dorfschenke. "Die Täter gehören der neuformierten Armee für die Unabhängigkeit Kosovas (UPK) an", sagt Bekim Bajraliu, ein albanischer Automechaniker, "sie rekrutieren neue Kämpfer unter den Albanern in Serbien, aber auch in Mazedonien." Bekims Brüder sind seit einem Monat im Kosovo und trainieren in einem Lager den bewaffneten Kampf. Bekim selbst kämpfte vor sieben Jahren bei der Kosovo Befreiungsarmee UCK. Seine Uniform hütet er im Schrank. Vor wenigen Tagen schickten die Brüder das neue Emblem: UPK. Seine Frau wird es auf den Kampfanzug nähen. "Ich bin einsatzbereit", sagt Bekim.
Seit mehr als einem Monat sieht man die maskierten Männer mit den schwarzen Uniformen im westlichen Kosovo - oftmals mit Maschinengewehren bewaffnet.
Die Uno-Übergangsverwaltung (Unmik) bestätigte bereits vor drei Wochen das Auftreten der UPK. "Es handelt sich aber nur um kleine Kriminelle, die den demokratischen Prozeß im Kosovo nicht aufhalten", sagte der deutsche Unmik-Polizeichef Kai Wittrup. Trotzdem wird Unmik-Mitarbeitern von sechs Uhr abends bis acht Uhr morgens von Reisen ins westliche Kosovo abgeraten. Ein Kenner der Situation aus Pristina meint, 600 Mann sei die Armee für die Unabhängigkeit Kosovas (UPK) bereits stark und täglich werden es mehr.
Veton Surroi ist Mitglied der Delegation, die im Namen Pristinas über den künftigen Status der Provinz verhandeln wird. "Sollte der derzeitige Status quo im Kosovo bleiben oder die anstehenden Verhandlungen stagnieren, wird sich die Situation radikalisieren", sagt Surroi. "Die Status-Frage muß in weniger als sechs Monaten gelöst werden."
Doch die Lösungsansätze in Pristina und Belgrad sind unvereinbar. Albanische Politiker beharren auf ihrem Standpunkt, daß nur die Unabhängigkeit des Kosovos Frieden und Stabilität sichern kann. Für die Serben steht fest: Die Unabhängigkeit der Provinz ist vollkommen inakzeptabel.
Das schürt zunehmend Unbehagen unter der albanischen Bevölkerung. Seit Juni 1999 werden sie gemäß der Uno-Sicherheitsresolution 1244 von den Vereinten Nationen verwaltet. Die Resolution verpflichtet sich zur "Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität Jugoslawiens" (jetzt Serbien-Montenegro). Dem Kosovo wurden darin "substantielle Autonomie und Selbstverwaltung" nach einer Periode internationaler Überwachung versprochen. Und schrittweise bekamen die lokalen Volksvertreter auch Kompetenzen übertragen - die wichtigsten Befugnisse wie Polizei, Finanz- oder Außenpolitik blieben aber weiterhin der Unmik vorbehalten.
"Ich bin einsatzbereit" (2)
"Im Juni 1999, nach dem Völkermord-Versuch der serbischen Truppen, feierten wir die Uno als Befreier. Sieben Jahre danach entpuppen sich ihre Vertreter als Kolonialisten", sagt Albin Kurti, ehemaliger Studentenführer, der derzeit die Bewegung "Vetevendosje" (Selbstbestimmung) leitet. Seiner Organisation sind seit Juli mehr als 9000 Mitglieder beigetreten. "Mein größtes Problem ist es, die Gewaltbereitschaft der Mitglieder zu zügeln, denn sie verstehen nicht, wofür so viel Blut vor sieben Jahren floß, wofür sie von den Serben mißhandelt und vertrieben wurden, wenn Kosova weiterhin in den Grenzen Serbiens bleibt."
Dem finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari, UN-Vermittler für die Statusgespräche, stehen schwere Zeiten bevor. Von albanischer Seite schlägt ihm Abneigung entgegen. "Als Ahtisaari als EU-Sonderbeauftragter 1999 mit Ex-Diktator Slobodan Milosevic über das Ende des Kosovokrieges verhandelte, ließ er Milosevics Territorialansprüchen freien Lauf. Die Provinz Kosova blieb durch die UN-Resolution weiter in den Grenzen Serbiens", sagt Albin Kurti, "und darauf wird Belgrad auch in Zukunft beharren".
In Belgrad erwartet man Ahtisaari in der kommenden Woche zu ersten Vorgesprächen. Doch nicht mal in serbischen Regierungskreisen ist man sich einig über das Ziel der Verhandlungen. Die Kosovo-Beauftragte des Ministerpräsidenten Kostunica, die Tochter des umstrittenen früheren Serbenführers Radovan Karadzic, plädiert dafür, die Hoheit Serbiens über den Kosovo beizubehalten. Zwar solle das autonome Kosovo legislative, juridische und exekutive Gewalt erhalten. Doch die Außenpolitik und die Grenzkontrolle sollen weiter Belgrad obliegen. Der liberale Präsident Boris Tadic plädiert für eine erweiterte Autonomie, ohne Einmischung Serbiens.
Die "Schwarzen Schatten" von der UPK versuchen Belgrad unter Druck zu setzen. Im Internet kündigten sie weitere Attentate auf serbische Polizeistationen an. In Sicherheitskreisen nimmt man die Drohungen mehr als ernst.
Artikel erschienen am 6. November 2005
http://www.wams.de/data/2005/11/06/799756.html?s=1