skenderbegi
Ultra-Poster
[h2]Die Wirtschaftskrise entzaubert das System Putin[/h2]
Von David Nauer, Moskau. Aktualisiert um 22:25 Uhr
In Davos ist Russlands Premier Wladimir Putin heute Mittwoch der Stargast. Derweil droht sein Land nach einem rasanten Aufschwung erneut in die Armut zurückzufallen.
Am WEF zeigte sich Russlands Premier noch Cool, derweil es mit seinem Land wirtschaftlich bachab geht. (Bild: Keystone)
Diese Nachricht trifft das Selbstvertrauen der Kreml-Bewohner: Russland rutscht im Rating der grössten Volkswirtschaften ab, vermeldeten Moskauer Zeitungen gestern Dienstag. Noch im vergangenen Mai hatte Premierminister Wladimir Putin geprahlt, man überhole bald Grossbritannien, die Nummer sechs. Und jetzt das: Ende 2009 liegt das flächenmässig grösste Land der Erde wohl nicht einmal mehr unter den ersten zehn. Selbst das kleine Südkorea könnte an Russland vorbeiziehen.
Auch sonst sehen die Zahlen schlecht aus. Im Dezember ist die russische Wirtschaft um 0,7 Prozent geschrumpft. Die Landeswährung sackt ebenfalls ab. Im Vergleich zum Dollar hat der Rubel schon 30 Prozent verloren. Das ist schmerzhaft für die Konsumenten, denn Russland ist stark von Importen abhängig. Autos, Maschinen, Kleider – selbst viele Lebensmittel stammen oft aus dem Ausland. Bereits jetzt hat sich das Leben massiv verteuert. Die durchschnittliche russische Familie verlor allein im Dezember 11 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens. Finanzminister Aleksei Kudrin sieht mittlerweile schwarz. Als einziges Schwellenland falle Russland 2009 in eine Rezession, gestand er kürzlich ein. Brasilien, Indien und China stünden viel besser da.
Das System Putin
Kritische Beobachter haben die Signale schon lange bemerkt. Vor gut einem Jahr bemängelte Politologe Nikolai Petrow in einem Interview mit dieser Zeitung, der Kreml sei «blind für die Probleme Russlands». Statt die Wirtschaft zu reformieren, stelle er die Menschen mit Ölgeld ruhig – und sei ansonsten mit dem Machterhalt beschäftigt.
Dieses System Putin funktionierte dank den sprudelnden Petrodollars gut. Die Bevölkerung dankte für die Almosen mit Loyalität und verzichtete auf Mitsprache. Doch dabei ging die dringend nötige Modernisierung vergessen. Russland hing an der «Ölnadel» wie an einer Infusion und bewegte sich kaum. Das staatliche Fernsehen orchestrierte derweil eine heile Welt.
Nun kann der Kreml seinen Teil des Gesellschaftsvertrages nicht mehr einhalten. Die Kassen sind leer, Probleme lassen sich nicht mehr mit dem Check-Buch lösen. Gerät damit das System Putin ins Wanken? Noch ist die Popularität des Premierministers ungebrochen. Unveränderte 60 Prozent der Bevölkerung vertrauen ihm, wie Umfragen ergeben. Präsident Dmitri Medwedew liegt konstant bei rund 45 Prozent.
Das Land ist bisher auch von schweren Unruhen verschont geblieben. «Die Russen sind ein geduldiges Volk», sagt der sozialkritische Schriftsteller Sachar Prilepin. Diese Ruhe aber sei trügerisch, eine Explosion jederzeit möglich. Der Autor zieht gar eine historische Parallele: «Im Jahr 1913 hat Russland das 300. Jubiläum der Romanow-Dynastie gefeiert. Die Menschen zogen mit Blumen und Porträts des Imperators durch die Strassen.» Vier Jahre später kam es zur kommunistischen Oktoberrevolution. Und der Zar wurde erschossen.
Im Hier und Jetzt haben erst die Bewohner der fernöstlichen Hafenstadt Wladiwostok rebelliert. Zehntausende leben dort vom Import japanischer Gebrauchtwagen, oder besser gesagt: lebten. Denn die Regierung Putin hat die Importsteuern für Autos hochgeschraubt, um die einheimische Industrie zu schützen. Die Fahrzeughändler in Wladiwostok verloren ihre Jobs – und organisierten Demonstrationen. Die Staatsmacht reagierte wie immer: mit Gewalt und Verschwörungstheorien. Sondereinheiten der Polizei lösten die Proteste auf, Parlamentarier beschuldigten «internationale Mächte», hinter den Unruhen zu stehen. Die leicht abwegige These: Westliche Geheimdienste wollten die Krise missbrauchen, um Russland zu zerschlagen.
Wie schlecht Russlands gelenkte Demokratie funktioniert, zeigte auch die Geschichte des Staatbudgets 2009. Im Oktober, die Börsen purzelten bereits, winkte das Parlament kommentarlos einen Voranschlag durch. Eckdaten damals: ein Ölpreis von 95 Dollar pro Barrel und ein Budgetüberschuss von umgerechnet 67 Milliarden Franken. Keine nennenswerte politische Kraft stellte kritische Fragen. Inzwischen musste das Finanzministerium das Budget mehrmals umschreiben. Der budgetierte Ölpreis liegt aktuell bei 41 Dollar. Statt eines Überschusses droht ein Defizit von 107 Milliarden Franken.
Definitiv geklärt hat sich dafür die Arbeitsteilung im sogenannten Tandem der Macht. Premier Putin macht die Politik, Präsident Medwedew garniert die Fernsehnachrichten. Auch auf internationaler Ebene bleibt Wladimir Putin die Nummer eins. Sein heutiger Auftritt am Weltwirtschaftsforum in Davos unterstreicht dies. Wie es um seine Qualitäten als Staatenlenker wirklich steht, wird sich aber erst jetzt zeigen, in der Krise. Einfach dürfte es nicht werden. Der liberale Ökonom Jegor Gajdar brachte es kürzlich auf den Punkt: «Russland bei einem Ölpreis von 140 Dollar zu regieren, ist etwas grundsätzlich anderes, als Russland bei einem Ölpreis von 40 Dollar zu regieren.»
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 27.01.2009, 22:14 Uhr
Von David Nauer, Moskau. Aktualisiert um 22:25 Uhr
In Davos ist Russlands Premier Wladimir Putin heute Mittwoch der Stargast. Derweil droht sein Land nach einem rasanten Aufschwung erneut in die Armut zurückzufallen.
Diese Nachricht trifft das Selbstvertrauen der Kreml-Bewohner: Russland rutscht im Rating der grössten Volkswirtschaften ab, vermeldeten Moskauer Zeitungen gestern Dienstag. Noch im vergangenen Mai hatte Premierminister Wladimir Putin geprahlt, man überhole bald Grossbritannien, die Nummer sechs. Und jetzt das: Ende 2009 liegt das flächenmässig grösste Land der Erde wohl nicht einmal mehr unter den ersten zehn. Selbst das kleine Südkorea könnte an Russland vorbeiziehen.
Auch sonst sehen die Zahlen schlecht aus. Im Dezember ist die russische Wirtschaft um 0,7 Prozent geschrumpft. Die Landeswährung sackt ebenfalls ab. Im Vergleich zum Dollar hat der Rubel schon 30 Prozent verloren. Das ist schmerzhaft für die Konsumenten, denn Russland ist stark von Importen abhängig. Autos, Maschinen, Kleider – selbst viele Lebensmittel stammen oft aus dem Ausland. Bereits jetzt hat sich das Leben massiv verteuert. Die durchschnittliche russische Familie verlor allein im Dezember 11 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens. Finanzminister Aleksei Kudrin sieht mittlerweile schwarz. Als einziges Schwellenland falle Russland 2009 in eine Rezession, gestand er kürzlich ein. Brasilien, Indien und China stünden viel besser da.
Das System Putin
Kritische Beobachter haben die Signale schon lange bemerkt. Vor gut einem Jahr bemängelte Politologe Nikolai Petrow in einem Interview mit dieser Zeitung, der Kreml sei «blind für die Probleme Russlands». Statt die Wirtschaft zu reformieren, stelle er die Menschen mit Ölgeld ruhig – und sei ansonsten mit dem Machterhalt beschäftigt.
Dieses System Putin funktionierte dank den sprudelnden Petrodollars gut. Die Bevölkerung dankte für die Almosen mit Loyalität und verzichtete auf Mitsprache. Doch dabei ging die dringend nötige Modernisierung vergessen. Russland hing an der «Ölnadel» wie an einer Infusion und bewegte sich kaum. Das staatliche Fernsehen orchestrierte derweil eine heile Welt.
Nun kann der Kreml seinen Teil des Gesellschaftsvertrages nicht mehr einhalten. Die Kassen sind leer, Probleme lassen sich nicht mehr mit dem Check-Buch lösen. Gerät damit das System Putin ins Wanken? Noch ist die Popularität des Premierministers ungebrochen. Unveränderte 60 Prozent der Bevölkerung vertrauen ihm, wie Umfragen ergeben. Präsident Dmitri Medwedew liegt konstant bei rund 45 Prozent.
Das Land ist bisher auch von schweren Unruhen verschont geblieben. «Die Russen sind ein geduldiges Volk», sagt der sozialkritische Schriftsteller Sachar Prilepin. Diese Ruhe aber sei trügerisch, eine Explosion jederzeit möglich. Der Autor zieht gar eine historische Parallele: «Im Jahr 1913 hat Russland das 300. Jubiläum der Romanow-Dynastie gefeiert. Die Menschen zogen mit Blumen und Porträts des Imperators durch die Strassen.» Vier Jahre später kam es zur kommunistischen Oktoberrevolution. Und der Zar wurde erschossen.
Im Hier und Jetzt haben erst die Bewohner der fernöstlichen Hafenstadt Wladiwostok rebelliert. Zehntausende leben dort vom Import japanischer Gebrauchtwagen, oder besser gesagt: lebten. Denn die Regierung Putin hat die Importsteuern für Autos hochgeschraubt, um die einheimische Industrie zu schützen. Die Fahrzeughändler in Wladiwostok verloren ihre Jobs – und organisierten Demonstrationen. Die Staatsmacht reagierte wie immer: mit Gewalt und Verschwörungstheorien. Sondereinheiten der Polizei lösten die Proteste auf, Parlamentarier beschuldigten «internationale Mächte», hinter den Unruhen zu stehen. Die leicht abwegige These: Westliche Geheimdienste wollten die Krise missbrauchen, um Russland zu zerschlagen.
Wie schlecht Russlands gelenkte Demokratie funktioniert, zeigte auch die Geschichte des Staatbudgets 2009. Im Oktober, die Börsen purzelten bereits, winkte das Parlament kommentarlos einen Voranschlag durch. Eckdaten damals: ein Ölpreis von 95 Dollar pro Barrel und ein Budgetüberschuss von umgerechnet 67 Milliarden Franken. Keine nennenswerte politische Kraft stellte kritische Fragen. Inzwischen musste das Finanzministerium das Budget mehrmals umschreiben. Der budgetierte Ölpreis liegt aktuell bei 41 Dollar. Statt eines Überschusses droht ein Defizit von 107 Milliarden Franken.
Definitiv geklärt hat sich dafür die Arbeitsteilung im sogenannten Tandem der Macht. Premier Putin macht die Politik, Präsident Medwedew garniert die Fernsehnachrichten. Auch auf internationaler Ebene bleibt Wladimir Putin die Nummer eins. Sein heutiger Auftritt am Weltwirtschaftsforum in Davos unterstreicht dies. Wie es um seine Qualitäten als Staatenlenker wirklich steht, wird sich aber erst jetzt zeigen, in der Krise. Einfach dürfte es nicht werden. Der liberale Ökonom Jegor Gajdar brachte es kürzlich auf den Punkt: «Russland bei einem Ölpreis von 140 Dollar zu regieren, ist etwas grundsätzlich anderes, als Russland bei einem Ölpreis von 40 Dollar zu regieren.»
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 27.01.2009, 22:14 Uhr