skenderbegi
Ultra-Poster
Es ist wie Warten auf Godot dieser text basiert auf eine erlebnisreise eines journalisten.....
dieser beschreibt die wahrnehmung der menschen in serbien vorallem der jenigen die mit dem politischen system unzufrieden sind....
alles andere müsst selber lesen.....!!!
«Es ist wie Warten auf Godot»
Der Traum von Grossserbien ist geplatzt. Die Kriege in Kroatien und Bosnien endeten im Desaster, Montenegro hat sich verabschiedet und nun droht der Verlust von Kosovo. Trotzdem: Die Serben schauen weder selbstkritisch zurück, noch schreiten sie voran in eine demokratische Zukunft. Auf Spurensuche in einem Land, das von Mythen und Symbolen lebt.
Serbien pflegt die Symbole der orthodoxen Kultur. / Marc Gebhard/Priscilla Imboden
Der Zug schleicht auf die serbische Hauptstadt Belgrad zu. Hochhäuser ragen am Horizont in den Himmel, dazwischen liegen breite Strassen und viel Grün. Der heruntergekommene Bahnhof von Novi Beograd (Neu Belgrad) zieht am Fenster vorbei – menschenleer. Wenige Sekunden später Armut und Verwahrlosung: Zwischen trostlosen Blechhütten erstreckt sich unter Wäscheleinen ein Bodenbelag aus Abfällen. Eine Gruppe Männer wärmt sich an einem Feuer, in dem Abfall brennt, Kinder spielen und rennen durch die Slums. Es ist eine der Siedlungen Belgrads, in denen die Roma am Rand der serbischen Gesellschaft leben. Der Zug rollt weiter, im Hintergrund tauchen das Hotel Intercontinental und zahlreiche noble internationale Firmensitze auf. Die widersprüchlichen Gesichter der serbischen Millionenmetropole zeigen sich auf engstem Raum.
Im Zentrum Belgrads – zum Beispiel in der Fussgängerzone Knez Mihajlova – dominiert vordergründig ein westlicher Lebensstil. Die Besitzer von Cafés und Restaurants haben Tische und Stühle auf die Strasse gestellt, die Schriftzüge westlicher Modekonzerne buhlen um Kundschaft, und junge Menschen verteilen bunte Werbung für Luxusprodukte oder für eine neue Disco am Stadtrand. Zara, Benetton, Oviesse: Sie alle sind schon da. Menschen flanieren, plaudern beim Kaffee, kaufen ein – Szenen, wie sie in jeder anderen europäischen Stadt zu beobachten sind. Doch kaum hat man die Fussgängerzone verlassen, trifft man auf einen Schuhputzer oder findet Läden, die an Titos Jugoslawien erinnern. Hier sind die Auslagen karg und die Kundschaft rar. Hinter den Kulissen herrscht Unruhe. Das hat wenig mit dem lärmenden und ungezähmten Verkehr in Belgrad zu tun. Vielmehr steckt Serbien einmal mehr in einer tiefen Krise: Erst vier Monate nach den Parlamentswahlen hat das Land endlich eine neue Regierung bilden können: Zuvor lieferte sich der nationalkonservative Ministerpräsident Vojislav Kostunica mit dem eher pro-westlichen Staatspräsidenten Boris Tadic ein Duell um wichtige Ministerposten und liebäugelte damit, anstatt mit Tadics Partei mit den rechtsextremen Ultranationalisten eine Koalition zu bilden. Mit jenen Kräften, die teilweise Kriegsgräuel beschönigen, verleugnen oder gar selber darin verwickelt waren. Gleichzeitig will die internationale Gemeinschaft Kosovo, in dem vor allem Albaner leben, in die Unabhängigkeit entlassen. Die künftige Regierung will dies unter keinen Umständen akzeptieren.
«Nur die Serben werden angeklagt»
Wer Volkes Stimme vernehmen will, kann sich zum Beispiel auf dem Zeleni Venac umhören – auf dem Grünen Markt im Zentrum Belgrads. Die Bäuerinnen, Metzger und Blumenhändler sind sich einig. Radmila, eine ältere Landfrau aus Belgrads Umland, erklärt mit Vehemenz: «Kosovo ist das Herz von Serbien, alle unsere Kirchen sind dort. Ich kann mir nichts Serbischeres vorstellen als Kosovo.» Wenn Kosovo wegfalle, sei die Identität Serbiens zerstört, sagt der Pensionär Pavlovic Dragistan: «Alle Politiker, die sagen, Kosovo solle unabhängig werden, sind keine Serben.»
Noch bestimmter sagt es Gordana, eine greise, schwarz gekleidete Frau mit einem Tuch um die Haare: «Kosovo war immer serbisch und nun wollen ein paar mächtige Leute es uns wegnehmen. Deshalb haben sie uns bombardiert. Weshalb schleppen sie nicht die Albaner nach Den Haag ans Kriegsverbrechertribunal? Immer werden nur die Serben angeklagt.» Die Menschen der jüngeren Generationen denken nicht anders. Der Mittdreissiger Dragan zum Beispiel, der hinter sorgfältig aufgeschichteten Kartoffeln, Randen und Karotten hervorlugt, glaubt nicht, dass Kosovo unabhängig wird. «Sonst müssten wir wieder zu den Waffen greifen. Es gäbe wieder Krieg und das wollen die Leute nicht.»
Die Wahlen vom vergangenen Januar haben gezeigt, dass die grosse Mehrheit der Serbinnen und Serben solche Haltungen teilt. Einmal mehr haben sich die nationalistischen und ultranationalistischen Kräfte mit riesigem Vorsprung durchgesetzt. Dabei ist Kosovo weit weg vom Leben und den Alltagssorgen der Menschen in der serbischen Hauptstadt. Mehr Sorgen bereiten der Bevölkerung die riesige Arbeitslosigkeit von schätzungsweise 35 Prozent und die sehr tiefen Durchschnittslöhne von rund 5000 Franken im Jahr. Ausserdem glaubt die Bevölkerung Serbiens laut Umfragen nicht daran, dass Kosovo wirklich Teil Serbiens bleiben wird. Trotzdem sind viele nicht bereit, das Beste aus der Situation herauszuholen. Stattdessen geben sie sich fatalistisch: lieber in Ehren untergehen, als einer einvernehmlichen Lösung Hand bieten. In Serbien gelten Kompromisse als Zeichen der Schwäche. Genauso kompromisslos agieren Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, wie die bekannte Natasha Kandic, die sich unermüdlich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt. Allerdings befinden sich solche Menschen allein auf weiter Flur.
All jene Kräfte, die sich nach dem Sturz des Milosevic-Regimes im Jahr 2000 einen neuen Kurs erhofft hatten, sind heute desillusioniert. Die meisten Repräsentanten und Seilschaften des alten Regimes haben ihre Pfründen und Machtstellungen in die neue Zeit herübergerettet. Die allmächtigen Geheimdienste von Armee und Polizei etwa, die Milosevic zu einem unberechenbaren Staat im Staat formiert hat, üben noch heute grossen Einfluss auf die serbische Politik aus. Sie wachen darüber, dass der international gesuchte Kriegsverbrecher und Ex-General Radko Mladic nicht verhaftet und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert wird. Präsident Kostunica nimmt den Geheimdienst in Schutz. Mit gutem Grund: Sein Vorgänger Zoran Djindjic versuchte ihn aufzulösen und bezahlte dieses Vorhaben mit seinem Leben.
Tribut für den Grössenwahnsinn
Neben den Geheimdiensten haben auch verschiedene Mafia-Clans grosse Macht in Politik und Wirtschaft. Dazu breiten sich zahlreiche Profiteure der Privatisierung von Staatsbetrieben aus, so etwa Miroslav Miskovic, der über sein Firmenkonglomerat weite Teile Serbiens kontrolliert. Selbst das kulturelle Leben im Land wird stark von ultranationalistischen Figuren dominiert. Der greise Schriftsteller Dobrica Cosic kritisiert Milosevic noch heute öffentlich für dessen Kapitulation in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Damit vertritt er implizit die Meinung, die Kriege hätten besser geführt und die ethnische Säuberung effizienter umgesetzt werden sollen. Und die beliebteste und bekannteste Pop-Diva Serbiens heisst Ceca; sie ist die Witwe von «Arkan dem Schlächter», dessen Killerbanden in Bosnien zahllose Massaker veranstaltet hatten, bevor er bei einer Mafiaabrechnung ums Leben kam.
Die serbische Politik konzentriert sich momentan vollständig auf Kosovo. Premierminister Kostunica hält an seiner Meinung fest, dass die internationale Gemeinschaft Serbien um 15 Prozent seines Bodens berauben will. Alle grossen Parteien sehen das ebenso. Sie fürchten, als Verräter abgestraft zu werden, wenn sie zugeben, dass Kosovo verloren ist.«Die serbische Regierung macht keinen eigenen realistischen Vorschlag zum künftigen Status von Kosovo», bemerkt dazu der US-Botschafter in Belgrad, Michael Polt. Die USA setzen sich stark für den Status der Unabhängigkeit ein. Dies, weil die offene Kosovo-Frage Europa destabilisiert, wie Polt erklärt. «Wir wollen aber ein starkes, geeintes Europa, mit dem wir zusammen Weltpolitik machen können. Ein erfolgreiches Serbien gehört dazu.» Niemand habe ein zusätzliches strategisches Interesse an Kosovo, meint der Botschafter: «Die Menschen in Kosovo verdienen ganz einfach eine klare Zukunftsvision, nicht eine sterile Debatte über Mythen und Symbole.»
Mythen in der Politik – das sei, neben dem Erbe des Milosevic-Regimes, der zweite Hauptgrund, weshalb sich die Demokratie in Serbien nicht zu stabilisieren vermöge, sagt auch Dusan Pavlovic, Professor für Politologie an der Universität Belgrad. «Man diskutiert nicht über die Verteilung des Geldes oder den Bau von Infrastruktur. Nein, man redet über symbolische Fragen.» Und dabei könne man sich nicht auf halbem Weg treffen, denn es gehe um die Identität. Entweder sehe man Kosovo als Wiege der serbischen Kultur und sei bereit, dafür zu sterben, oder man sei ein Verräter. Dusan Pavlovic folgert: «Deshalb ist die serbische Politik nicht fähig, Kompromisse einzugehen.»Warum ist das so? Der Politologe ist sich nicht sicher: «Vielleicht ist es wegen der historischen Unfähigkeit der Politik, sich ein Serbien vorzustellen, neben dem auch noch serbische Minoritäten in anderen Ländern existieren. Man träumte immer von Grossserbien. Jetzt zahlen wir den Preis für diesen Grössenwahnsinn.» Das Problem sei, dass diese Idee weiterlebe. Solange das nationale Ziel sich nicht ändere, würden die symbolischen Themen nicht von der politischen Agenda verschwinden. Und so lange käme auch die Demokratie nicht voran.
Die Unfähigkeit, vorwärts zu gehen, ist verbunden mit dem Unwillen zurückzuschauen. Auch zwölf Jahre nach dem Ende der Kämpfe in Kroatien und Bosnien und acht nach dem Waffenstillstand in Kosovo sind die Erinnerungen an die Kriege noch frisch. Und doch verblassen sie zunehmend hinter dem Mythos, den die serbischen Politiker mit grosser Sorgfalt hegen und pflegen: dem Mythos, Opfer und nicht Täter zu sein. Deshalb sind auch die Spuren der wenigen, von der Nato 1999 bombardierten Gebäude im Zentrum Belgrads noch sichtbar. Die Häuser werden bewusst nicht geflickt. Im ehemaligen Kriegsministerium und am Sitz des Geheimdienstes klaffen die Löcher immer noch «als Denkmal der Aggression gegen Serbien». Dies passt zur Tatsache, dass die Studierenden an der juristischen Fakultät der Universität Belgrad in ihren Lehrbüchern lesen können, dass die Bombardierung durch die Nato das schlimmste Verbrechen gegen die Menschheit seit dem Holocaust war.
Den Opfern die «Ehre zurückgeben»
Gegen solche Geschichtsverzerrungen sowie gegen das Verdrängen und Vergessen kämpft Natasha Kandic an. Die Leiterin des Serbischen Zentrums für humanitäres Recht – einer NGO – erinnert unbeirrbar an die Kriegsverbrechen der Serben, tritt im Fernsehen auf, organisiert Zeugen für die Kriegsverbrechertribunale, vertritt Opfer vor Gericht und pocht darauf, dass die Prozesse nach internationalen juristischen Gepflogenheiten ablaufen.
Derzeit dokumentiert sie die Opfer der Kriege auf serbischem und kosovarischem Gebiet. 9000 Personen hat ihr Zentrum bis jetzt identifiziert und registriert. Bald möchte Natasha Kandic die Dokumentationsarbeit zu Kosovo beenden. Ende nächsten Jahres sollen alle Namen der albanischen und serbischen Opfer in Kosovo erfasst sein und veröffentlicht werden. «Diese Arbeit ist der erste Schritt, um ein historisches Gedächtnis zu schaffen», sagt sie und richtet sich ihn ihrem Stuhl auf. «Auf diese Weise können wir aufhören, über Zahlen zu reden, und beginnen, über die Menschen zu sprechen. Weil wir ihre Namen kennen. Weil wir den Opfern so ihre Ehre zurückgeben.»
Wenn die Zahlen auf dem Tisch lägen, werde endlich auch über die Verbrechen gesprochen, hofft Natasha Kandic. Deshalb arbeitet sie mit vergleichbaren Dokumentationszentren in Sarajevo und Zagreb zusammen, tauscht Informationen aus, plant eine gemeinsame Publikation. Es ist einmalig, dass Organisationen ehemaliger Kriegsparteien die Gräueltaten des Krieges gemeinsam festhalten.
Diese unbequeme Arbeit sei wichtig für die Zukunft Serbiens, ist Kandic überzeugt. «Vielleicht gefällt den Leuten das, was wir tun, heute nicht. Aber für die zukünftigen Generationen, für die Demokratie, ist es wichtig zu wissen, was unter Milosevic passiert ist», sagt sie. Mit solchen Aussagen macht sich Natasha Kandic in Belgrad nicht gerade beliebt. Nicht selten wird sie auf der Strasse angepöbelt. Die Menschenrechtsaktivistin hat sich an Schikanen gewöhnt. Neulich wurden die Kabel der Telefone und Computeranschlüsse ihrer Organisation gekappt. Das sei alles nicht schlimm, winkt sie ab. Doch unlängst hatte auch sie ein mulmiges Gefühl. Das war an jenem Abend, als eine Bombe vor der Wohnung eines kritischen Journalisten explodierte, der nur durch Zufall überlebte. Solche Ereignisse geben Natasha Kandic zu denken. «Als ich spätabends nach einem Fernsehauftritt nach Hause kam, dachte ich an ihn – und daran, dass so etwas auch mir geschehen könnte.»
«Wo ist da die Gerechtigkeit?»
Ihre Arbeit wird auch von der Schweiz unterstützt. «Einer unserer Schwerpunkte im Bereich der Friedensförderung und der Menschenrechte ist die Vergangenheitsbewältigung» erklärt Armin Rieser, der für das EDA in Serbien tätig ist. «Wir unterstützen Dokumentationszentren für Kriegsverbrechen, die Stärkung der Justiz und Debatten zur Wahrheitsfindung.» In Kosovo habe die Schweiz Vorschläge gemacht, wie die Aufarbeitung der Vergangenheit aussehen könnte. «Sie wurden von Sondervermittler Ahtisaari in seinen Bericht an den Uno-Sicherheitsrat aufgenommen.»
Eine andere Art von Vergangenheitsbewältigung ist die Suche nach Vermissten aus dem Krieg. Noch fehlt von 18 000 Personen jede Spur. Heute besteht kaum mehr Hoffnung, sie noch lebend zu finden – in der Regel geht es darum, noch nicht identifizierte Gräber ausfindig zu machen. Das IKRK organisiert dazu runde Tische mit Behörden und Opferorganisationen, um Informationen über den Standort von Gräbern auszutauschen. Nur ungern geben die Behörden solche Angaben weiter, denn jede Grabstätte ist mit einem Ereignis verbunden, das auch ein juristisches Nachspiel haben könnte. «Der Prozess geht sehr langsam voran», sagt die IKRK-Koordinatorin Dominique L’Eplattenier. «Aber die Familien haben das Recht zu wissen, was geschehen ist.»
Um ihre Interessen wahrzunehmen, haben die Familien der Vermissten Opfer-Organisationen gegründet. Slobodanka Svetkovic ist Präsidentin der Vereinigung vermisster Serben aus Kosovo. Der Sitz ihrer Organisation befindet sich im südserbischen Nis. Die Stadt liegt unweit der Grenze nach Kosovo und ist eine Hochburg der Nationalisten. Nis ist deutlich ärmer als Belgrad. Viele Strassen sind nicht einmal asphaltiert. Und was in Belgrad doch Seltenheitswert hat, ist in Nis völlig normal: Neben Autos traben immer wieder Pferde mit klapprigen Wagen auf der staubigen Strasse vorbei.
Das Büro von Svetkovics Organisation befindet sich im gleichen Gebäude wie Milosevics Sozialistische Partei. Plakate mit seinem Konterfei prangen an den Wänden im Eingang. Slobodanka Svetkovic hofft immer noch, ihren Sohn lebend zu finden. Er war in der Armee und verschwand vor acht Jahren. Sie zeigt ein Bild mit Soldaten, die triumphierend einen abgetrennten Kopf in die Höhe halten. «Jemand sagte, das ist mein Sohn, aber ich glaube es nicht», erklärt sie. «Ich ging zum Chefredaktor der Zeitung, die diese Bilder veröffentlicht hat, und fragte ihn, wo er sie herhat. Er wollte es mir nicht sagen.»
Simo Spasic sammelt solche Bilder. Er sagt, er präsidiere einen ähnlichen Verein wie Slobodanka Svetkovic: «Wir haben 2500 Bilder dieser Tragödien. Das sind unsere Entführten, Vermissten und Gefangenen.» Er sei damit nach Den Haag gereist und habe Carla Del Ponte eine Liste mit 300 Namen von Albanern überreicht, die diese Verbrechen begangen hätten. «Sie war taub für unsere Anliegen. Keiner dieser Männer wurde festgenommen, von einem Prozess nicht zu sprechen. Wo ist da die Gerechtigkeit?» Simo Spasic redet sich in Rage wiederholt sich, regt sich immer stärker auf. «Die Serben haben 2000 Albaner freigelassen, darunter Verbrecher, die Albaner haben niemanden freigelassen.»
«Wir sind von Idioten umgeben»
Spasic gehört zu den Verlierern des Krieges. Sein Bruder wurde umgebracht, jetzt befindet er sich auf einem hoffnungslosen Feldzug gegen das internationale Recht. Die Kriegsgewinnler leben derweil gut, zum Beispiel in Belgrad im schicken Viertel Djedinje. Dort stehen ihre Villen aus weissem Marmor, mit römischen Statuetten und eisernen Toren. Das erregt die Dramaturgin und Kolumnistin Borka Pavicevic aufs Heftigste: «Ich glaube, dass die Elite unreif ist. Wir sind von Idioten umgeben, neureichen Machos und Kriegsgewinnlern. Sie leben in riesigen Kitsch-Villen, fahren fette Mercedes und BMW, und erlauben sich, alles was ihnen im Weg steht, platt zu machen. Nur weil sie die Söhne mächtiger Väter sind.»
Pavicevic hat Ausstellungen zur Opposition gegen Milosevic organisiert und den ersten Film über das Massaker in Srebrenica gezeigt. Aber wenn sie an die aktuelle Lage in ihrem Land denkt, hat sie resigniert. «Wir haben entfremdete Parteien, politische Eliten, die untereinander um Macht und Pfründen kämpfen und Institutionen, die nicht funktionieren. Die Passivität der Politik macht mich krank. Es ist wie Warten auf Godot.»
Der Bund, Marc Gebhard/Priscilla Imboden (Text und Bilder) [19.05.07]
Irgendwie eine schizo-haltung auf der eine seine will man nicht lassen obwohl man weis da ist nix zu halten.....!!!
dieser beschreibt die wahrnehmung der menschen in serbien vorallem der jenigen die mit dem politischen system unzufrieden sind....
alles andere müsst selber lesen.....!!!
«Es ist wie Warten auf Godot»
Der Traum von Grossserbien ist geplatzt. Die Kriege in Kroatien und Bosnien endeten im Desaster, Montenegro hat sich verabschiedet und nun droht der Verlust von Kosovo. Trotzdem: Die Serben schauen weder selbstkritisch zurück, noch schreiten sie voran in eine demokratische Zukunft. Auf Spurensuche in einem Land, das von Mythen und Symbolen lebt.
Serbien pflegt die Symbole der orthodoxen Kultur. / Marc Gebhard/Priscilla Imboden
Der Zug schleicht auf die serbische Hauptstadt Belgrad zu. Hochhäuser ragen am Horizont in den Himmel, dazwischen liegen breite Strassen und viel Grün. Der heruntergekommene Bahnhof von Novi Beograd (Neu Belgrad) zieht am Fenster vorbei – menschenleer. Wenige Sekunden später Armut und Verwahrlosung: Zwischen trostlosen Blechhütten erstreckt sich unter Wäscheleinen ein Bodenbelag aus Abfällen. Eine Gruppe Männer wärmt sich an einem Feuer, in dem Abfall brennt, Kinder spielen und rennen durch die Slums. Es ist eine der Siedlungen Belgrads, in denen die Roma am Rand der serbischen Gesellschaft leben. Der Zug rollt weiter, im Hintergrund tauchen das Hotel Intercontinental und zahlreiche noble internationale Firmensitze auf. Die widersprüchlichen Gesichter der serbischen Millionenmetropole zeigen sich auf engstem Raum.
Im Zentrum Belgrads – zum Beispiel in der Fussgängerzone Knez Mihajlova – dominiert vordergründig ein westlicher Lebensstil. Die Besitzer von Cafés und Restaurants haben Tische und Stühle auf die Strasse gestellt, die Schriftzüge westlicher Modekonzerne buhlen um Kundschaft, und junge Menschen verteilen bunte Werbung für Luxusprodukte oder für eine neue Disco am Stadtrand. Zara, Benetton, Oviesse: Sie alle sind schon da. Menschen flanieren, plaudern beim Kaffee, kaufen ein – Szenen, wie sie in jeder anderen europäischen Stadt zu beobachten sind. Doch kaum hat man die Fussgängerzone verlassen, trifft man auf einen Schuhputzer oder findet Läden, die an Titos Jugoslawien erinnern. Hier sind die Auslagen karg und die Kundschaft rar. Hinter den Kulissen herrscht Unruhe. Das hat wenig mit dem lärmenden und ungezähmten Verkehr in Belgrad zu tun. Vielmehr steckt Serbien einmal mehr in einer tiefen Krise: Erst vier Monate nach den Parlamentswahlen hat das Land endlich eine neue Regierung bilden können: Zuvor lieferte sich der nationalkonservative Ministerpräsident Vojislav Kostunica mit dem eher pro-westlichen Staatspräsidenten Boris Tadic ein Duell um wichtige Ministerposten und liebäugelte damit, anstatt mit Tadics Partei mit den rechtsextremen Ultranationalisten eine Koalition zu bilden. Mit jenen Kräften, die teilweise Kriegsgräuel beschönigen, verleugnen oder gar selber darin verwickelt waren. Gleichzeitig will die internationale Gemeinschaft Kosovo, in dem vor allem Albaner leben, in die Unabhängigkeit entlassen. Die künftige Regierung will dies unter keinen Umständen akzeptieren.
«Nur die Serben werden angeklagt»
Wer Volkes Stimme vernehmen will, kann sich zum Beispiel auf dem Zeleni Venac umhören – auf dem Grünen Markt im Zentrum Belgrads. Die Bäuerinnen, Metzger und Blumenhändler sind sich einig. Radmila, eine ältere Landfrau aus Belgrads Umland, erklärt mit Vehemenz: «Kosovo ist das Herz von Serbien, alle unsere Kirchen sind dort. Ich kann mir nichts Serbischeres vorstellen als Kosovo.» Wenn Kosovo wegfalle, sei die Identität Serbiens zerstört, sagt der Pensionär Pavlovic Dragistan: «Alle Politiker, die sagen, Kosovo solle unabhängig werden, sind keine Serben.»
Noch bestimmter sagt es Gordana, eine greise, schwarz gekleidete Frau mit einem Tuch um die Haare: «Kosovo war immer serbisch und nun wollen ein paar mächtige Leute es uns wegnehmen. Deshalb haben sie uns bombardiert. Weshalb schleppen sie nicht die Albaner nach Den Haag ans Kriegsverbrechertribunal? Immer werden nur die Serben angeklagt.» Die Menschen der jüngeren Generationen denken nicht anders. Der Mittdreissiger Dragan zum Beispiel, der hinter sorgfältig aufgeschichteten Kartoffeln, Randen und Karotten hervorlugt, glaubt nicht, dass Kosovo unabhängig wird. «Sonst müssten wir wieder zu den Waffen greifen. Es gäbe wieder Krieg und das wollen die Leute nicht.»
Die Wahlen vom vergangenen Januar haben gezeigt, dass die grosse Mehrheit der Serbinnen und Serben solche Haltungen teilt. Einmal mehr haben sich die nationalistischen und ultranationalistischen Kräfte mit riesigem Vorsprung durchgesetzt. Dabei ist Kosovo weit weg vom Leben und den Alltagssorgen der Menschen in der serbischen Hauptstadt. Mehr Sorgen bereiten der Bevölkerung die riesige Arbeitslosigkeit von schätzungsweise 35 Prozent und die sehr tiefen Durchschnittslöhne von rund 5000 Franken im Jahr. Ausserdem glaubt die Bevölkerung Serbiens laut Umfragen nicht daran, dass Kosovo wirklich Teil Serbiens bleiben wird. Trotzdem sind viele nicht bereit, das Beste aus der Situation herauszuholen. Stattdessen geben sie sich fatalistisch: lieber in Ehren untergehen, als einer einvernehmlichen Lösung Hand bieten. In Serbien gelten Kompromisse als Zeichen der Schwäche. Genauso kompromisslos agieren Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, wie die bekannte Natasha Kandic, die sich unermüdlich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt. Allerdings befinden sich solche Menschen allein auf weiter Flur.
All jene Kräfte, die sich nach dem Sturz des Milosevic-Regimes im Jahr 2000 einen neuen Kurs erhofft hatten, sind heute desillusioniert. Die meisten Repräsentanten und Seilschaften des alten Regimes haben ihre Pfründen und Machtstellungen in die neue Zeit herübergerettet. Die allmächtigen Geheimdienste von Armee und Polizei etwa, die Milosevic zu einem unberechenbaren Staat im Staat formiert hat, üben noch heute grossen Einfluss auf die serbische Politik aus. Sie wachen darüber, dass der international gesuchte Kriegsverbrecher und Ex-General Radko Mladic nicht verhaftet und an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert wird. Präsident Kostunica nimmt den Geheimdienst in Schutz. Mit gutem Grund: Sein Vorgänger Zoran Djindjic versuchte ihn aufzulösen und bezahlte dieses Vorhaben mit seinem Leben.
Tribut für den Grössenwahnsinn
Neben den Geheimdiensten haben auch verschiedene Mafia-Clans grosse Macht in Politik und Wirtschaft. Dazu breiten sich zahlreiche Profiteure der Privatisierung von Staatsbetrieben aus, so etwa Miroslav Miskovic, der über sein Firmenkonglomerat weite Teile Serbiens kontrolliert. Selbst das kulturelle Leben im Land wird stark von ultranationalistischen Figuren dominiert. Der greise Schriftsteller Dobrica Cosic kritisiert Milosevic noch heute öffentlich für dessen Kapitulation in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Damit vertritt er implizit die Meinung, die Kriege hätten besser geführt und die ethnische Säuberung effizienter umgesetzt werden sollen. Und die beliebteste und bekannteste Pop-Diva Serbiens heisst Ceca; sie ist die Witwe von «Arkan dem Schlächter», dessen Killerbanden in Bosnien zahllose Massaker veranstaltet hatten, bevor er bei einer Mafiaabrechnung ums Leben kam.
Die serbische Politik konzentriert sich momentan vollständig auf Kosovo. Premierminister Kostunica hält an seiner Meinung fest, dass die internationale Gemeinschaft Serbien um 15 Prozent seines Bodens berauben will. Alle grossen Parteien sehen das ebenso. Sie fürchten, als Verräter abgestraft zu werden, wenn sie zugeben, dass Kosovo verloren ist.«Die serbische Regierung macht keinen eigenen realistischen Vorschlag zum künftigen Status von Kosovo», bemerkt dazu der US-Botschafter in Belgrad, Michael Polt. Die USA setzen sich stark für den Status der Unabhängigkeit ein. Dies, weil die offene Kosovo-Frage Europa destabilisiert, wie Polt erklärt. «Wir wollen aber ein starkes, geeintes Europa, mit dem wir zusammen Weltpolitik machen können. Ein erfolgreiches Serbien gehört dazu.» Niemand habe ein zusätzliches strategisches Interesse an Kosovo, meint der Botschafter: «Die Menschen in Kosovo verdienen ganz einfach eine klare Zukunftsvision, nicht eine sterile Debatte über Mythen und Symbole.»
Mythen in der Politik – das sei, neben dem Erbe des Milosevic-Regimes, der zweite Hauptgrund, weshalb sich die Demokratie in Serbien nicht zu stabilisieren vermöge, sagt auch Dusan Pavlovic, Professor für Politologie an der Universität Belgrad. «Man diskutiert nicht über die Verteilung des Geldes oder den Bau von Infrastruktur. Nein, man redet über symbolische Fragen.» Und dabei könne man sich nicht auf halbem Weg treffen, denn es gehe um die Identität. Entweder sehe man Kosovo als Wiege der serbischen Kultur und sei bereit, dafür zu sterben, oder man sei ein Verräter. Dusan Pavlovic folgert: «Deshalb ist die serbische Politik nicht fähig, Kompromisse einzugehen.»Warum ist das so? Der Politologe ist sich nicht sicher: «Vielleicht ist es wegen der historischen Unfähigkeit der Politik, sich ein Serbien vorzustellen, neben dem auch noch serbische Minoritäten in anderen Ländern existieren. Man träumte immer von Grossserbien. Jetzt zahlen wir den Preis für diesen Grössenwahnsinn.» Das Problem sei, dass diese Idee weiterlebe. Solange das nationale Ziel sich nicht ändere, würden die symbolischen Themen nicht von der politischen Agenda verschwinden. Und so lange käme auch die Demokratie nicht voran.
Die Unfähigkeit, vorwärts zu gehen, ist verbunden mit dem Unwillen zurückzuschauen. Auch zwölf Jahre nach dem Ende der Kämpfe in Kroatien und Bosnien und acht nach dem Waffenstillstand in Kosovo sind die Erinnerungen an die Kriege noch frisch. Und doch verblassen sie zunehmend hinter dem Mythos, den die serbischen Politiker mit grosser Sorgfalt hegen und pflegen: dem Mythos, Opfer und nicht Täter zu sein. Deshalb sind auch die Spuren der wenigen, von der Nato 1999 bombardierten Gebäude im Zentrum Belgrads noch sichtbar. Die Häuser werden bewusst nicht geflickt. Im ehemaligen Kriegsministerium und am Sitz des Geheimdienstes klaffen die Löcher immer noch «als Denkmal der Aggression gegen Serbien». Dies passt zur Tatsache, dass die Studierenden an der juristischen Fakultät der Universität Belgrad in ihren Lehrbüchern lesen können, dass die Bombardierung durch die Nato das schlimmste Verbrechen gegen die Menschheit seit dem Holocaust war.
Den Opfern die «Ehre zurückgeben»
Gegen solche Geschichtsverzerrungen sowie gegen das Verdrängen und Vergessen kämpft Natasha Kandic an. Die Leiterin des Serbischen Zentrums für humanitäres Recht – einer NGO – erinnert unbeirrbar an die Kriegsverbrechen der Serben, tritt im Fernsehen auf, organisiert Zeugen für die Kriegsverbrechertribunale, vertritt Opfer vor Gericht und pocht darauf, dass die Prozesse nach internationalen juristischen Gepflogenheiten ablaufen.
Derzeit dokumentiert sie die Opfer der Kriege auf serbischem und kosovarischem Gebiet. 9000 Personen hat ihr Zentrum bis jetzt identifiziert und registriert. Bald möchte Natasha Kandic die Dokumentationsarbeit zu Kosovo beenden. Ende nächsten Jahres sollen alle Namen der albanischen und serbischen Opfer in Kosovo erfasst sein und veröffentlicht werden. «Diese Arbeit ist der erste Schritt, um ein historisches Gedächtnis zu schaffen», sagt sie und richtet sich ihn ihrem Stuhl auf. «Auf diese Weise können wir aufhören, über Zahlen zu reden, und beginnen, über die Menschen zu sprechen. Weil wir ihre Namen kennen. Weil wir den Opfern so ihre Ehre zurückgeben.»
Wenn die Zahlen auf dem Tisch lägen, werde endlich auch über die Verbrechen gesprochen, hofft Natasha Kandic. Deshalb arbeitet sie mit vergleichbaren Dokumentationszentren in Sarajevo und Zagreb zusammen, tauscht Informationen aus, plant eine gemeinsame Publikation. Es ist einmalig, dass Organisationen ehemaliger Kriegsparteien die Gräueltaten des Krieges gemeinsam festhalten.
Diese unbequeme Arbeit sei wichtig für die Zukunft Serbiens, ist Kandic überzeugt. «Vielleicht gefällt den Leuten das, was wir tun, heute nicht. Aber für die zukünftigen Generationen, für die Demokratie, ist es wichtig zu wissen, was unter Milosevic passiert ist», sagt sie. Mit solchen Aussagen macht sich Natasha Kandic in Belgrad nicht gerade beliebt. Nicht selten wird sie auf der Strasse angepöbelt. Die Menschenrechtsaktivistin hat sich an Schikanen gewöhnt. Neulich wurden die Kabel der Telefone und Computeranschlüsse ihrer Organisation gekappt. Das sei alles nicht schlimm, winkt sie ab. Doch unlängst hatte auch sie ein mulmiges Gefühl. Das war an jenem Abend, als eine Bombe vor der Wohnung eines kritischen Journalisten explodierte, der nur durch Zufall überlebte. Solche Ereignisse geben Natasha Kandic zu denken. «Als ich spätabends nach einem Fernsehauftritt nach Hause kam, dachte ich an ihn – und daran, dass so etwas auch mir geschehen könnte.»
«Wo ist da die Gerechtigkeit?»
Ihre Arbeit wird auch von der Schweiz unterstützt. «Einer unserer Schwerpunkte im Bereich der Friedensförderung und der Menschenrechte ist die Vergangenheitsbewältigung» erklärt Armin Rieser, der für das EDA in Serbien tätig ist. «Wir unterstützen Dokumentationszentren für Kriegsverbrechen, die Stärkung der Justiz und Debatten zur Wahrheitsfindung.» In Kosovo habe die Schweiz Vorschläge gemacht, wie die Aufarbeitung der Vergangenheit aussehen könnte. «Sie wurden von Sondervermittler Ahtisaari in seinen Bericht an den Uno-Sicherheitsrat aufgenommen.»
Eine andere Art von Vergangenheitsbewältigung ist die Suche nach Vermissten aus dem Krieg. Noch fehlt von 18 000 Personen jede Spur. Heute besteht kaum mehr Hoffnung, sie noch lebend zu finden – in der Regel geht es darum, noch nicht identifizierte Gräber ausfindig zu machen. Das IKRK organisiert dazu runde Tische mit Behörden und Opferorganisationen, um Informationen über den Standort von Gräbern auszutauschen. Nur ungern geben die Behörden solche Angaben weiter, denn jede Grabstätte ist mit einem Ereignis verbunden, das auch ein juristisches Nachspiel haben könnte. «Der Prozess geht sehr langsam voran», sagt die IKRK-Koordinatorin Dominique L’Eplattenier. «Aber die Familien haben das Recht zu wissen, was geschehen ist.»
Um ihre Interessen wahrzunehmen, haben die Familien der Vermissten Opfer-Organisationen gegründet. Slobodanka Svetkovic ist Präsidentin der Vereinigung vermisster Serben aus Kosovo. Der Sitz ihrer Organisation befindet sich im südserbischen Nis. Die Stadt liegt unweit der Grenze nach Kosovo und ist eine Hochburg der Nationalisten. Nis ist deutlich ärmer als Belgrad. Viele Strassen sind nicht einmal asphaltiert. Und was in Belgrad doch Seltenheitswert hat, ist in Nis völlig normal: Neben Autos traben immer wieder Pferde mit klapprigen Wagen auf der staubigen Strasse vorbei.
Das Büro von Svetkovics Organisation befindet sich im gleichen Gebäude wie Milosevics Sozialistische Partei. Plakate mit seinem Konterfei prangen an den Wänden im Eingang. Slobodanka Svetkovic hofft immer noch, ihren Sohn lebend zu finden. Er war in der Armee und verschwand vor acht Jahren. Sie zeigt ein Bild mit Soldaten, die triumphierend einen abgetrennten Kopf in die Höhe halten. «Jemand sagte, das ist mein Sohn, aber ich glaube es nicht», erklärt sie. «Ich ging zum Chefredaktor der Zeitung, die diese Bilder veröffentlicht hat, und fragte ihn, wo er sie herhat. Er wollte es mir nicht sagen.»
Simo Spasic sammelt solche Bilder. Er sagt, er präsidiere einen ähnlichen Verein wie Slobodanka Svetkovic: «Wir haben 2500 Bilder dieser Tragödien. Das sind unsere Entführten, Vermissten und Gefangenen.» Er sei damit nach Den Haag gereist und habe Carla Del Ponte eine Liste mit 300 Namen von Albanern überreicht, die diese Verbrechen begangen hätten. «Sie war taub für unsere Anliegen. Keiner dieser Männer wurde festgenommen, von einem Prozess nicht zu sprechen. Wo ist da die Gerechtigkeit?» Simo Spasic redet sich in Rage wiederholt sich, regt sich immer stärker auf. «Die Serben haben 2000 Albaner freigelassen, darunter Verbrecher, die Albaner haben niemanden freigelassen.»
«Wir sind von Idioten umgeben»
Spasic gehört zu den Verlierern des Krieges. Sein Bruder wurde umgebracht, jetzt befindet er sich auf einem hoffnungslosen Feldzug gegen das internationale Recht. Die Kriegsgewinnler leben derweil gut, zum Beispiel in Belgrad im schicken Viertel Djedinje. Dort stehen ihre Villen aus weissem Marmor, mit römischen Statuetten und eisernen Toren. Das erregt die Dramaturgin und Kolumnistin Borka Pavicevic aufs Heftigste: «Ich glaube, dass die Elite unreif ist. Wir sind von Idioten umgeben, neureichen Machos und Kriegsgewinnlern. Sie leben in riesigen Kitsch-Villen, fahren fette Mercedes und BMW, und erlauben sich, alles was ihnen im Weg steht, platt zu machen. Nur weil sie die Söhne mächtiger Väter sind.»
Pavicevic hat Ausstellungen zur Opposition gegen Milosevic organisiert und den ersten Film über das Massaker in Srebrenica gezeigt. Aber wenn sie an die aktuelle Lage in ihrem Land denkt, hat sie resigniert. «Wir haben entfremdete Parteien, politische Eliten, die untereinander um Macht und Pfründen kämpfen und Institutionen, die nicht funktionieren. Die Passivität der Politik macht mich krank. Es ist wie Warten auf Godot.»
Der Bund, Marc Gebhard/Priscilla Imboden (Text und Bilder) [19.05.07]
Irgendwie eine schizo-haltung auf der eine seine will man nicht lassen obwohl man weis da ist nix zu halten.....!!!
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