skenderbegi
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12. November 2008, Neue Zürcher Zeitung
Etikettenschwindel in Kosovo
Diplomatisches Ränkespiel um die Justiz- und Polizeimission EUlex
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[h5] Im Streit über die Einsetzung der internationalen Justiz- und Polizeimission befürchten die Kosovo-Albaner eine Teilung des Landes. Das Ränkespiel zwischen Pristina, Belgrad, Brüssel und der Uno hält an. Unbedachte Äusserungen in Belgrad erschweren eine Lösung. [/h5]
Wok. Zagreb, 11. November
Kosovos Präsident Fatmir Sejdiu hat am Montagabend gemeinsam mit dem Regierungschef Thaci an einer Medienkonferenz in Pristina einen Plan zur Aktivierung der überfälligen internationalen Justiz- und Polizeimission EUlex teilweise zurückgewiesen. Die Mission war im Februar kurz vor Kosovos Unabhängigkeitserklärung von der EU mandatiert worden und sollte ihre Arbeit längst aufgenommen haben. Sie erfolgt im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. An EUlex beteiligt sind auch die USA und andere EU-Nichtmitglieder wie die Schweiz. Die im Endstand etwa 2000 ausländische Polizisten, Richter und Ermittler umfassende Mission untersteht dem französischen Ex-General Yves de Kermabon und hat den Aufbau und die Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in Europas jüngstem Staat zur Aufgabe. De Kermabon hatte eine volle Einsatzbereitschaft von EUlex noch vor Jahresende angekündigt.
Ob diese Frist eingehalten werden kann, ist nach dem Bekanntwerden der in Pristina geäusserten teilweisen Ablehnung unklar. Am Montag hatte in Brüssel der Ratsvorsitzende, Kouchner, nach dem Treffen der EU-Aussenminister erklärt, es liege ein Text der Uno für ein Abkommen mit Serbien und Kosovo vor, der für den Moment mehr Zuspruch in Belgrad denn in Pristina erhalte. Hinter dieser unklaren Aussage verbirgt sich der Streit um die Umgestaltung der Uno-Verwaltung in Kosovo (Unmik). Diese ist im Hinblick auf die nach Kosovos Unabhängigkeitserklärung aufgebauten Strukturen (Internationale Verwaltungsbehörde [ICO] unter der Leitung des niederländischen Diplomaten Peter Feith sowie eine umfangreiche Vertretung der Europäischen Kommission in Pristina) eigentlich obsolet geworden. Da die Existenz der Unmik aber durch die Uno-Sicherheitsratsresolution 1244 verbrieft ist, besteht sie weiter; geleitet vom italienischen Diplomaten Lamberto Zannier. Die Resolution 1244 bleibt so lange in Kraft, als Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats seine Vetodrohung gegen eine Zustimmung zur Unabhängigkeit Kosovos im Rahmen der Uno aufrechterhält.
Kurz vor dem Inkrafttreten von Kosovos neuer Verfassung Mitte Juni hatte der Uno-Generalsekretär Ban dem serbischen Präsidenten Tadic ein Weiterbestehen der Oberaufsicht der Unmik in den Bereichen Polizei, Justiz, Zoll, Verkehr, Grenzen und Kulturgüterschutz zugesichert. Auf diese Weise sollte Belgrad zur Kooperation mit der EUlex-Mission bewogen werden. Diese Zusammenarbeit ist nicht zwingend, aber wünschbar, da der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Kosovo auch von den dort lebenden rund 130 000 Serben mitgetragen werden sollte. Belgrad wendet für den Unterhalt serbischer Parallelstrukturen in Kosovo jährlich eine halbe Milliarde Euro auf und sabotiert auf diese Weise seit Jahren die internationale Aufbauhilfe, ohne dass die Unmik während der letzten neun Jahre entschieden dagegen vorgegangen wäre. Die Folgen dieser sträflichen Unterlassung zeigen sich nun.
[h4]Retuschen am Ahtisaari-Plan[/h4]
In den vergangenen Wochen hatte ein Uno-Vermittler in Belgrad die serbische Regierung zu einer Kooperation mit EUlex bewegen können. Dazu notwendig waren Retuschen am Plan des einstigen Uno-Vermittlers Ahtisaari, der Grundlage von Kosovos überwachter Eigenstaatlichkeit und Basis der Verfassung. Die Änderungen garantieren laut unbestätigten Berichten den Kosovo-Serben mehr Autonomie bei der Grenzkontrolle im Norden und bei der Polizei. Je nach Interpretation dieser Änderungen hätten die Serben im Nordteil Kosovos zumindest im polizeilichen Bereich kaum mehr etwas mit den Zentralbehörden in Pristina zu tun, da die Unmik dazwischengeschaltet wäre. Inwieweit solche Konzessionen an Belgrad für die Kosovo-Albaner zu verschmerzen sind, ist umstritten. Bereits der Ahtisaari-Plan ist in manchen Belangen ein genialer Etikettenschwindel, der allen Beteiligten die Gesichtswahrung erlaubte. Ausgehend von der faktischen ethnischen Teilung Kosovos, wurden die Strukturen für einen aufzubauenden multiethnischen Staat nach europäischen Prinzipien vorgezeichnet; dessen Funktionieren ist aber vom guten Willen aller Beteiligten und von der internationalen Hilfe abhängig.
[h4]Eine unbedachte Provokation[/h4]
Die jüngste Einigung zwischen Belgrad und der Uno könnte erneut solch ein Etikettenschwindel sein. Derartige diplomatische Händel erfordern aber die Komplizenschaft aller Beteiligten. Im Falle von Serbiens unerfahrenem Aussenminister Vuk Jeremic scheint dies nicht gegeben zu sein. Im Tandem mit Präsident Tadic versuchte er im Hinblick auf sein Heimpublikum seit Tagen den Eindruck zu erwecken, Serbien diktiere erneut Kosovos Zukunft. Diese Strategie gipfelte in der Äusserung, dass die nach Belgrads Gusto angepasste und vom Uno-Sicherheitsrat bewilligte EUlex den Ahtisaari-Plan beerdigen werde. Angesichts solch unbedachter Provokation konnte die Staatsspitze in Pristina gar nicht anders, als zunächst einmal Nein zu sagen; offenbar mit Rückendeckung Washingtons. Die für Dienstag zu dem Thema vorgesehene Sitzung des Uno-Sicherheitsrats wurde kurzfristig verschoben.
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Etikettenschwindel in Kosovo
Diplomatisches Ränkespiel um die Justiz- und Polizeimission EUlex
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[h5] Im Streit über die Einsetzung der internationalen Justiz- und Polizeimission befürchten die Kosovo-Albaner eine Teilung des Landes. Das Ränkespiel zwischen Pristina, Belgrad, Brüssel und der Uno hält an. Unbedachte Äusserungen in Belgrad erschweren eine Lösung. [/h5]
Wok. Zagreb, 11. November
Kosovos Präsident Fatmir Sejdiu hat am Montagabend gemeinsam mit dem Regierungschef Thaci an einer Medienkonferenz in Pristina einen Plan zur Aktivierung der überfälligen internationalen Justiz- und Polizeimission EUlex teilweise zurückgewiesen. Die Mission war im Februar kurz vor Kosovos Unabhängigkeitserklärung von der EU mandatiert worden und sollte ihre Arbeit längst aufgenommen haben. Sie erfolgt im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. An EUlex beteiligt sind auch die USA und andere EU-Nichtmitglieder wie die Schweiz. Die im Endstand etwa 2000 ausländische Polizisten, Richter und Ermittler umfassende Mission untersteht dem französischen Ex-General Yves de Kermabon und hat den Aufbau und die Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in Europas jüngstem Staat zur Aufgabe. De Kermabon hatte eine volle Einsatzbereitschaft von EUlex noch vor Jahresende angekündigt.
Ob diese Frist eingehalten werden kann, ist nach dem Bekanntwerden der in Pristina geäusserten teilweisen Ablehnung unklar. Am Montag hatte in Brüssel der Ratsvorsitzende, Kouchner, nach dem Treffen der EU-Aussenminister erklärt, es liege ein Text der Uno für ein Abkommen mit Serbien und Kosovo vor, der für den Moment mehr Zuspruch in Belgrad denn in Pristina erhalte. Hinter dieser unklaren Aussage verbirgt sich der Streit um die Umgestaltung der Uno-Verwaltung in Kosovo (Unmik). Diese ist im Hinblick auf die nach Kosovos Unabhängigkeitserklärung aufgebauten Strukturen (Internationale Verwaltungsbehörde [ICO] unter der Leitung des niederländischen Diplomaten Peter Feith sowie eine umfangreiche Vertretung der Europäischen Kommission in Pristina) eigentlich obsolet geworden. Da die Existenz der Unmik aber durch die Uno-Sicherheitsratsresolution 1244 verbrieft ist, besteht sie weiter; geleitet vom italienischen Diplomaten Lamberto Zannier. Die Resolution 1244 bleibt so lange in Kraft, als Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats seine Vetodrohung gegen eine Zustimmung zur Unabhängigkeit Kosovos im Rahmen der Uno aufrechterhält.
Kurz vor dem Inkrafttreten von Kosovos neuer Verfassung Mitte Juni hatte der Uno-Generalsekretär Ban dem serbischen Präsidenten Tadic ein Weiterbestehen der Oberaufsicht der Unmik in den Bereichen Polizei, Justiz, Zoll, Verkehr, Grenzen und Kulturgüterschutz zugesichert. Auf diese Weise sollte Belgrad zur Kooperation mit der EUlex-Mission bewogen werden. Diese Zusammenarbeit ist nicht zwingend, aber wünschbar, da der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Kosovo auch von den dort lebenden rund 130 000 Serben mitgetragen werden sollte. Belgrad wendet für den Unterhalt serbischer Parallelstrukturen in Kosovo jährlich eine halbe Milliarde Euro auf und sabotiert auf diese Weise seit Jahren die internationale Aufbauhilfe, ohne dass die Unmik während der letzten neun Jahre entschieden dagegen vorgegangen wäre. Die Folgen dieser sträflichen Unterlassung zeigen sich nun.
[h4]Retuschen am Ahtisaari-Plan[/h4]
In den vergangenen Wochen hatte ein Uno-Vermittler in Belgrad die serbische Regierung zu einer Kooperation mit EUlex bewegen können. Dazu notwendig waren Retuschen am Plan des einstigen Uno-Vermittlers Ahtisaari, der Grundlage von Kosovos überwachter Eigenstaatlichkeit und Basis der Verfassung. Die Änderungen garantieren laut unbestätigten Berichten den Kosovo-Serben mehr Autonomie bei der Grenzkontrolle im Norden und bei der Polizei. Je nach Interpretation dieser Änderungen hätten die Serben im Nordteil Kosovos zumindest im polizeilichen Bereich kaum mehr etwas mit den Zentralbehörden in Pristina zu tun, da die Unmik dazwischengeschaltet wäre. Inwieweit solche Konzessionen an Belgrad für die Kosovo-Albaner zu verschmerzen sind, ist umstritten. Bereits der Ahtisaari-Plan ist in manchen Belangen ein genialer Etikettenschwindel, der allen Beteiligten die Gesichtswahrung erlaubte. Ausgehend von der faktischen ethnischen Teilung Kosovos, wurden die Strukturen für einen aufzubauenden multiethnischen Staat nach europäischen Prinzipien vorgezeichnet; dessen Funktionieren ist aber vom guten Willen aller Beteiligten und von der internationalen Hilfe abhängig.
[h4]Eine unbedachte Provokation[/h4]
Die jüngste Einigung zwischen Belgrad und der Uno könnte erneut solch ein Etikettenschwindel sein. Derartige diplomatische Händel erfordern aber die Komplizenschaft aller Beteiligten. Im Falle von Serbiens unerfahrenem Aussenminister Vuk Jeremic scheint dies nicht gegeben zu sein. Im Tandem mit Präsident Tadic versuchte er im Hinblick auf sein Heimpublikum seit Tagen den Eindruck zu erwecken, Serbien diktiere erneut Kosovos Zukunft. Diese Strategie gipfelte in der Äusserung, dass die nach Belgrads Gusto angepasste und vom Uno-Sicherheitsrat bewilligte EUlex den Ahtisaari-Plan beerdigen werde. Angesichts solch unbedachter Provokation konnte die Staatsspitze in Pristina gar nicht anders, als zunächst einmal Nein zu sagen; offenbar mit Rückendeckung Washingtons. Die für Dienstag zu dem Thema vorgesehene Sitzung des Uno-Sicherheitsrats wurde kurzfristig verschoben.
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