Den Haag spricht Haradinaj frei
Den Haag spricht Haradinaj frei
Von Michael Martens
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In Freiheit: Der frühere kosovo-albanische Ministerpräsident Haradinaj am Donnerstag in Den Haag
03. April 2008 Die Zeremonie, mit der Ramush Haradinaj vor einigen Jahren im Büro seiner „Allianz für die Zukunft des Kosovos“ ausländische Gäste empfing, war von einer etwas unbeholfenen Feierlichkeit. Ein Mitarbeiter, der den Protokollbeamten gab, geleitete den Besucher in das Gesprächszimmer, wo auf einem Tisch zwei kleine Fahnen aufgestellt waren: Der rote Doppeladler der Albaner und die Flagge aus dem Staat des Gastes. Meist erschien der Gastgeber, im Dreiteiler und mit eleganter Brille, genau zur vereinbarten Zeit, denn Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Freischärlerführer.
All dies war Teil einer Inszenierung, die Haradinaj über Jahre hinweg mit beachtlichem Erfolg aufgeführt hat. Thema des Stückes war die Wandlung eines ehemals besonders gefürchteten Befehlshabers der albanischen „Befreiungsarmee Kosovo“ (UÇK) zu einem quasi staatstragenden Politiker, der in seiner kurzen Zeit als kosovarischer Ministerpräsident einem multiethnischen, friedvollen (und natürlich demokratischen) Amselfeld das Wort redete.
Sein Auftreten war zudem eine vorauseilende Verteidigung, denn schon mit dem Einmarsch der Nato-Truppen in das Kosovo nach dem Sieg über das Jugoslawien von Slobodan Miloševi im Sommer 1999 waren Gerüchte aufgekommen, im UN-Tribunal zu Den Haag lagere auch eine „Akte Haradinaj“, die Material genug für eine Anklage erhalte.
Untaten sind pathologischer Grausamkeit
Die Gerüchte hielten sich hartnäckig, bis sich im März 2005 zeigte, dass sie keine waren: Haradinaj, seit Dezember 2004 Chef der kosovarischen Regierung, sowie Idriz Balaj und Lahi Brahimaj, zwei seiner ehemaligen Mitkämpfer, wurden vom UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt. Haradinaj gab daraufhin sein Amt als Ministerpräsident auf, um sich dem Tribunal der Vereinten Nationen zu stellen. Einige der in der Anklageschrift geschilderten Untaten sind von pathologischer Grausamkeit.
Erfasst wurden Verbrechen, die zwischen März und September 1998 begangen wurden, also vor dem Eingreifen der Nato in den Konflikt. Das Operationsgebiet von Haradinajs Truppen lag in der Gegend um Peja (serbisch Pe) und Dean (serbisch Deani), einem Kerngebiet der serbischen orthodoxen Kirche. Opfer wurden vor allem Serben und Roma, aber auch Albaner, die als Kollaborateure des Belgrader Regimes galten oder aus anderen Gründen den Zorn Haradinajs auf sich gezogen hatten. Laut Anklageschrift wurden Nichtalbaner aus ihren Dörfern vertrieben, einige wurden ermordet. In einem Lager seien Gefangene der UÇK den Folgen von Folterungen erlegen.
Sechs Jahre Haft für Mitkämpfer Brahimi
Am Donnerstag ist in Den Haag nun das Urteil im Fall „Haradinaj et al.“ gesprochen worden: Während Haradinaj selbst freigesprochen wurde, erhielt sein Mitkämpfer Lahi Brahimi sechs Jahre Haft.
Dass es eines der wichtigsten Urteile dieses Gerichts werden würde, hatte schon vor der Verkündung festgestanden. In Serbien wurde es auch deshalb mit besonderer Spannung erwartet, weil dort die jüngst bekannt gewordenen Auszüge aus einem Buch von Carla Del Ponte, der früheren Chefanklägerin des Haager Tribunals, für Gesprächstoff gesorgt haben. In der serbischen Presse wurden Passagen des Buches zitiert, laut der die UÇK im Kosovo Serben entführt und nach Albanien verbracht hat, wo ihnen Organe entnommen worden seien. Der Organhandel sei demnach eine Finanzierungsquelle der Freischärlerarmee gewesen. Dies bestätigt die in Serbien landläufige Ansicht, laut der die UÇK eine besonders perfide Verbrechertruppe gewesen sei.
Jene Passagen, in denen Frau Del Ponte serbische Kriegsverbrechen beschreibt, standen der Belgrader Presse hingegen offenbar nicht vorab zur Verfügung, obschon ihr Abdruck zum Verständnis der Größenverhältnisse hilfreich gewesen wäre. Im Vergleich zu den „großen“, wenn auch juristisch bis auf weiteres nur mutmaßlichen Kriegsverbrechern des Balkans, Radovan Karadži und Ratko Mladi, ist Haradinaj ein kleiner Fisch in Meer der Kriegsverbrechen, in dem Jugoslawien unterging.
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