Albanesi
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"Kreta": Ein Schlüsselbild, zwei Inhalte
Auf der Suche nach Erklärungsmodellen für Medienwirkungen und medienvermittelte gesellschaftliche Phänomene haben publizistikwissenschaftliche Forschungen der letzten zehn Jahre dem Konzept der Schlüsselbilder mehr Aufmerksamkeit gewidmet (Ludes 2001). Welche Schlüsselbilder gab es 1998 in Albanien?
Es gab im wesentlichen nur eine einzige Kampagne, die selbst die dramatische Entwicklung im Kosovo überschattete (Schmidt 2002). Diese bezog einen zentralen Teil ihres ideologischen Aufbaus aus einem Schlüsselbild, dessen Bekanntheit in Albanien wohl nur Schlüsselbildern historischer Tragweite übertroffen werden dürfte, etwa von der Schiffskatastrophe im Golf von Otranto oder dem Konterfei Enver Hoxhas. Dieses Bild dürfte in Westeuropa fast völlig unbekannt sein. Es zeigt nichts weiter als einen üblichen protokollarischen Vorgang der internationalen Diplomatie: zwei Politiker, die sich die Hände schütteln. Der eine - auch ein für Westeuropäer bekannter talking head - ist der damalige Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic. Der ihm lächelnd die Hände schüttelt, ist der langjährige Premierminister Albaniens, Fatos Nano. Das Foto entstand auf dem Gipfeltreffen in Kreta im November 1997.
Der Händedruck zweier Staatschefs in einer relativ entfernten Krisenregion gibt für ein westeuropäisches Fernsehpublikum ein harmoniestiftendes Bild ab. Ein solches zu erwecken lag wohl auch im Interesse der Teilnehmer und des Gastgebers, des griechischen Ministerpräsidenten Simitis. Man könnte glauben "Sie reden wenigstens miteinander" - und im Sinne einer Gemeinsamkeit stiftenden demokratischen Öffentlichkeit denken: wer miteinander redet, schießt nicht.
Während die Teilnehmer (in Richtung der westeuropäisch orientierten Öffentlichkeit, und besonders der westeuropäischen politischen Entscheider) den Eindruck einer Verbesserung der griechisch-türkischen und albanisch-jugoslawischen Beziehungen zu erwecken suchten, werteten westliche Beobachter den Gipfel als "folgenlos" (Kadritzke 1998). Doch in Albanien entstand der Mythos von "Kreta", dessen Name fortan als Synonym für einen unterstellten Verrat des albanischen Premiers an der albanischen Nation stand.
Die einschlägigen Verschwörungstheorien schlossen von Nanos angeblich griechischer Herkunft auf dessen Grekophilie ("greku Nano" = der Grieche Nano). Die Tatsache, dass eben jener Gipfel in Kreta stattfand und auf Vermittlung des griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis zustande gekommen war, gab dieser Theorie zusätzliche Nahrung. Der Verrat habe darin bestanden, dass Nano gegenüber Milosevic sein Einverständnis zur Vertreibung der kosovarischen Albaner gegeben und ihm untätige Billigung zugesichert habe; eine Kungelei des Sozialisten mit dem Sozialisten und des orthodoxen Griechen mit dem orthodoxen Serben auf Kosten der albanischen Nation. Die zeitliche Kohärenz dieses Vermittlungsgipfels zu den wenige Monate später einsetzenden Kämpfen und Vertreibungen ist - abgesehen von diesem Händedruck - der einzige, zu schwache Anhaltspunkt zu einer solchen Unterstellung.
Doch der "Kreta" Vorwurf zog sich wie ein roter Faden durch die albanische Presse der folgenden Jahre. Und noch 2003 erklärte mir gegenüber eine kosovoalbanische Studentin der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, "der Grieche Nano hat uns in Kreta an Milosevic verkauft". Diese Information basierte letztlich auf der langanhaltenden Wirkung des Schlüsselbilds vom Händedruck, der in Südosteuropa eben mehr ist als eine protokollarische Formsache.
Auf der Suche nach Erklärungsmodellen für Medienwirkungen und medienvermittelte gesellschaftliche Phänomene haben publizistikwissenschaftliche Forschungen der letzten zehn Jahre dem Konzept der Schlüsselbilder mehr Aufmerksamkeit gewidmet (Ludes 2001). Welche Schlüsselbilder gab es 1998 in Albanien?
Es gab im wesentlichen nur eine einzige Kampagne, die selbst die dramatische Entwicklung im Kosovo überschattete (Schmidt 2002). Diese bezog einen zentralen Teil ihres ideologischen Aufbaus aus einem Schlüsselbild, dessen Bekanntheit in Albanien wohl nur Schlüsselbildern historischer Tragweite übertroffen werden dürfte, etwa von der Schiffskatastrophe im Golf von Otranto oder dem Konterfei Enver Hoxhas. Dieses Bild dürfte in Westeuropa fast völlig unbekannt sein. Es zeigt nichts weiter als einen üblichen protokollarischen Vorgang der internationalen Diplomatie: zwei Politiker, die sich die Hände schütteln. Der eine - auch ein für Westeuropäer bekannter talking head - ist der damalige Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic. Der ihm lächelnd die Hände schüttelt, ist der langjährige Premierminister Albaniens, Fatos Nano. Das Foto entstand auf dem Gipfeltreffen in Kreta im November 1997.
Der Händedruck zweier Staatschefs in einer relativ entfernten Krisenregion gibt für ein westeuropäisches Fernsehpublikum ein harmoniestiftendes Bild ab. Ein solches zu erwecken lag wohl auch im Interesse der Teilnehmer und des Gastgebers, des griechischen Ministerpräsidenten Simitis. Man könnte glauben "Sie reden wenigstens miteinander" - und im Sinne einer Gemeinsamkeit stiftenden demokratischen Öffentlichkeit denken: wer miteinander redet, schießt nicht.
Während die Teilnehmer (in Richtung der westeuropäisch orientierten Öffentlichkeit, und besonders der westeuropäischen politischen Entscheider) den Eindruck einer Verbesserung der griechisch-türkischen und albanisch-jugoslawischen Beziehungen zu erwecken suchten, werteten westliche Beobachter den Gipfel als "folgenlos" (Kadritzke 1998). Doch in Albanien entstand der Mythos von "Kreta", dessen Name fortan als Synonym für einen unterstellten Verrat des albanischen Premiers an der albanischen Nation stand.
Die einschlägigen Verschwörungstheorien schlossen von Nanos angeblich griechischer Herkunft auf dessen Grekophilie ("greku Nano" = der Grieche Nano). Die Tatsache, dass eben jener Gipfel in Kreta stattfand und auf Vermittlung des griechischen Ministerpräsidenten Kostas Simitis zustande gekommen war, gab dieser Theorie zusätzliche Nahrung. Der Verrat habe darin bestanden, dass Nano gegenüber Milosevic sein Einverständnis zur Vertreibung der kosovarischen Albaner gegeben und ihm untätige Billigung zugesichert habe; eine Kungelei des Sozialisten mit dem Sozialisten und des orthodoxen Griechen mit dem orthodoxen Serben auf Kosten der albanischen Nation. Die zeitliche Kohärenz dieses Vermittlungsgipfels zu den wenige Monate später einsetzenden Kämpfen und Vertreibungen ist - abgesehen von diesem Händedruck - der einzige, zu schwache Anhaltspunkt zu einer solchen Unterstellung.
Doch der "Kreta" Vorwurf zog sich wie ein roter Faden durch die albanische Presse der folgenden Jahre. Und noch 2003 erklärte mir gegenüber eine kosovoalbanische Studentin der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, "der Grieche Nano hat uns in Kreta an Milosevic verkauft". Diese Information basierte letztlich auf der langanhaltenden Wirkung des Schlüsselbilds vom Händedruck, der in Südosteuropa eben mehr ist als eine protokollarische Formsache.