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Fatos Nano und Milosevic arrangierten den Krieg in Kosovo!

Tirana und die
albanische Diaspora

Vor genau 120 Jahren wurde in der alten serbischen Hauptstadt Prizren die Liga für die Verteidigung der Rechte der albanischen Nation gebildet. Stefanaq Pollo, ein Historiker aus Tirana, schrieb damals darüber: "Innerhalb der Liga gab es zwei Trends – den in Richtung auf Autonomie und den zur Unabhängigkeit." In seinem Buch aus dem Jahre 1978 hielt Pollo des weiteren fest, daß die Albaner in den (türkischen) Villayets des Kosovo und von Manastir (Bitola) schon nach kurzer Zeit "Regierungsfunktionen ausübten", daß ihre provisorische Regierung "eigene militärische Freiwilligenverbände und Gendarmerie schufen sowie die türkischen Gerichte auflösten und albanische schufen."

Das Wiederaufleben dieser Fragen und Aktivitäten im heutigen Kosovo und ihr unübersehbarer Zusammenhang mit den ursprünglichen politischen Aktivitäten und Zielen der Albaner verblüfft.

Aber ungeachtet all der Energie, des Fanatismus und der Entschlossenheit der kosovo-albanischen Aktivisten in ihrem gegenwärtigen Unabhängigkeitskampf, und trotz der Parallelen mit 1878, hat die Entwicklung andere Albaner zur Herausbildung unterschiedlicher Prioritäten und unterschiedlicher Ziele geführt. Das gilt insbesondere für den Staat Albanien selbst. Diese Unterschiede sind größtenteils ein Ergebnis der vier Jahrzehnte des Kalten Krieges, in deren Verlauf Albanien unter seinem gnadenlosen Führer Enver Hodscha zu einem Schulbuchfall selbstauferlegter Isolation und Autarkie wurde, wie er in der gesamten kommunistischen Welt ohne Beispiel war.

Fünf Jahre lang wurde das Land dann von Sali Berisha regiert, einem selbsternannten Demokraten, der sich zusehends zum Autokraten entwickelte. Vor einem Jahr schließlich implodierte Albanien, als die unter Berisha zugelassenen Investitionspyramiden kollabierten. Rund 2000 Menschen wurden getötet – annähernd die Zahl der im gesamtem Zweiten Weltkrieg getöteten Albaner. Berisha zeichnete sich außerdem während seiner Amtszeit wie auch heute dadurch aus, daß er offen für die kosovarische Unabhängigkeitsbewegung Partei nahm und sogar die Einrichtung eines quasi-diplomatischen "Büros der Republik Kosovo" auf der Botschaftsstraße von Tirana erlaubte.

Unter Albaniens neuem Premierminister Fatos Nano hat sich jedoch augenscheinlich ein Wandel vollzogen. Dieser bemüht sich nicht nur um Anschluß an das stabile und prosperierende Europa im Nordwesten; er verhält sich auch gegenüber den unmittelbaren Nachbarn auf dem Balkan sensibler: gegenüber Griechenland im Süden, Jugoslawien (Serbien und Montenegro) im Norden und Mazedonien im Osten. In allen drei Nachbarländern leben Minderheiten ethnischer Albaner.

Nano hat wiederholt und mit Nachdruck erklärt, daß die Aufnahme Albaniens in die (west-)europäischen Institutionen für Tirana absolute Priorität genießt, egal wie lang und mühsam es darum kämpfen muß. Diesem Ziel zuliebe bemüht er sich, die Beziehungen Albaniens zu seinen Nachbarn auf eine neue Basis zu stellen, wodurch er in Widerspruch zu den Radikalen unter den ethnischen Albanern gerät, in der näheren ebenso wie in der entfernteren Diaspora.

Allein beim Nachbarn Mazedonien leben 420 000 ethnische Albaner, und einige ihrer Sprecher sind selbst Flüchtlinge aus dem Kosovo. Weniger augenfällig, aber dennoch nicht zu übersehen sind die 70000 oder mehr ethnischen Albaner im benachbarten Montenegro sowie weitere 50000 im Süden Serbiens. Darüber hinaus gibt es eine Diaspora emigrierter Albanier, etwa 300000 in den Vereinigten Staaten und Kanada, 400000 in Deutschland und weitere 200000 in anderen europäischen Ländern, die Millionen Dollar in Fonds für ihre kämpfenden Landsleute im Kosovo gesammelt haben.

Daß Nano auf Europa setzt, während Berisha sich mehr für seine amerikanischen Beziehungen interessierte, versteht sich im Kontext seiner Regierungsübernahme. 6500 Soldaten aus der EU, mehr als die Hälfte allein aus Italien, wurden zu dieser Zeit im Land stationiert, um den anarchischen Zuständen ein Ende zu machen und die Ruhe wiederherzustellen. Die Europäische Union begann im letzten Jahr 600 Millionen Dollar Hilfsgelder in die Region zu pumpen – 200 Dollar pro Kopf der albanischen Bevölkerung – und hat für die nächsten drei Jahre noch einmal den gleichen Betrag zugesagt (zur gleichen Zeit schickten die Vereinigten Staaten eine Schiffsladung Weizen und medizinische Hilfe; außerdem räumten sie der albanischen Regierung Handelsvorteile ein).

Daß der Premierminister die Beziehungen zu Albaniens Nachbarstaaten auf eine neue Grundlage stellen wollte, signalisierte er im vergangenen August mit seiner politischen Erklärung über eine "neue Philosophie" der Kooperation mit allen Balkanstaaten, die mittels aktiver Diplomatie "das Klima auf der Halbinsel verändern sollte". Was jetzt als "Nano-Plan" bezeichnet wird, nahm Gestalt an bei einem außerordentlichen Treffen, zu dem die griechische Regierung im vergangenen November führende Politiker der Region auf der Insel Kreta zusammenrief. Zum Ärger der albanischen Nationalisten im Kosovo, Westmazedonien und New York, konferierte Nano dort ausführlich mit Slobodan Milosevic, dessen politische Karriere ein Jahrzehnt zuvor mit der Unterdrückung der 1,5 Millionen ethnischen Albaner des Kosovo begonnen hatte. In Belgrads Politik gegenüber den Kosovaren kam es zu keiner Milderung.

Die Spannungen nahmen erheblich zu, als die gewalttätige, aber undurchsichtige Organisation sich ausbreitete, die sich selbst Ushtria Clirimtare e Kosoves nennt – die Befreiungsarmee des Kosovo. Ihre bewaffneten Angriffe auf serbische Polizisten und Politiker ebenso wie auf albanische " Kollaborateure" haben die Kosovo-Gleichung völlig verwandelt, was sich nicht nur auf die ein Jahrzehnt währende gewaltfreie Opposition Ibrahim Rugovas, sondern auch auf Nanos Albanien verheerend auswirkt. Mit dem Geld, das ihr aus der ausländischen Diaspora zufließt, und unter der Protektion des Berisha-Clans in Tropoje hat die UCK den gebirgigen Nordstreifen Albaniens in eine Domäne ihrer Waffenschmuggler und ihrer bewaffneten Banden verwandelt.

Nano für seinen Teil hat deutlich gemacht, daß Tirana sich soweit wie möglich aus der Kosovofrage heraushalten möchte. Im vergangenen Dezember erklärte der albanische Premier, er habe "den halbgaren Nationalismus satt". Er verwendet sogar die serbische Schreibweise "Kosovo" statt der albanischen – "Kosova" – und steigert damit den Unwillen der Nationalisten. Ganz offensichtlich betrachtet er die Kosovofrage als einen mächtigen Felsblock auf Albaniens Straße nach Europa – um dessen Entfernung andere sich kümmern sollen, in erster Linie Milosevic im Dialog mit den ethnischen Führern in Pristina. "Milosevic ist ein schwieriger Gesprächspartner", bemerkte Außenminister Paskal Milo bei einem Treffen in seinem Büro Ende Januar, "aber sie haben keinen anderen."

Der Unterschied zwischen Albaniens Haltung zur Kosovofrage unter Präsident Berisha und der jetzigen unter Premierminister Nano könnte größer nicht sein. "Berisha griff nach der Flagge des Nationalismus und unterstützte die Forderung nach Selbstbestimmung des Kosovo", erinnert sich ein Diplomat der Nano-Regierung. Das Büro der "Republik Kosovo" existiert noch, aber es spielt nicht mehr die gleiche Rolle. "Wir behandeln den Kosovo nicht als gleichberechtigt", erklärte der zitierte Diplomat. Mit den Worten von Remzi Lani, einem erfahrenen Außenpolitikkommentator in Tirana, haben Nanos Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen mit Belgrad "das Verhältnis zu Pristina gefrieren lassen".


Großalbanien?
In der Klemme zwischen dem Aufschwung bewaffneter Kämpfer in ihrer Umgebung und der neuen Haltung Tiranas wirken die Verfechter des gewaltlosen Widerstands unter Ibrahim Rugova verwirrt und unsicher, welcher Richtung sie folgen sollen.
Wenn Tirana nicht mitzieht, schwinden die Aussichten auf das längerfristige Ziel der Nationalisten, ein "Großalbanien" zu schaffen. Wie man sich dieses vorzustellen hätte, zeigt die Landkarte auf Seite 3 jeder Ausgabe von "Illyria", der albanisch-amerikanischen Zeitung, die zweimal wöchentlich in New York erscheint. Dort werden die albanischen Siedlungsgebiete dargestellt, die sich über den Kosovo, einen Teil des südlichen Serbiens, des südlichen Montenegro und Nordgriechenlands ausbreiten.

Auch wenn außerhalb der Region davon kaum Notiz genommen wurde: auf der Tagesordnung der Nationalisten steht ein "Großalbanien" bereits seit dem 19. Jahrhundert, als die fraglichen Gebiete noch zum Osmanischen Reich gehörten. Anders als die anderen Völker des Balkan haben die Albaner nie einen Staat gegründet, obwohl sie bereits im 14. Jahrhundert als eigenständige Nation anerkannt waren. Zwar gab es im Sommer 1912 einige Wochen lang tatsächlich so etwas wie "Großalbanien", als die osmanischen Türken dem Großteil der von Albanern bewohnten Gebiete Autonomie gewährten. Dies wurde jedoch von den Serben, Montenegrinern, Bulgaren und Griechen nicht anerkannt, die selbst nach Gebietszuwachs dürsteten und das Projekt im ersten Balkankrieg gegen die Türken zunichte machten. Selbst das danach entstandene kleine Albanien war eine Kreation der Großmächte, vor allem Österreich-Ungarns und Italiens, die einen Puffer zwischen Serbien und dem Meer wünschten. (Als Albaniens erster Regent fungierte ab 1913 ein preußischer Prinz.) Ein "Großalbanien" entstand dann wieder während des Zweiten Weltkriegs unter dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland, die die Region okkupierten und von 1942 bis 1944 Albanien als ihren Marionettenstaat unterhielten. Heute wie früher hängt das Zustandekommen eines "Großalbanien", das die meisten der mindestens sechs Millionen Albaner des Balkan unter einem Dach vereinigt, mehr von auswärtigen Mächten ab als von den Albanern selbst.

Neben dem Wunsch, Anschluß an die EU zu finden, folgt Nanos Kosovopolitik einem weiteren, tieferliegenden Motiv, über das die meisten Albaner jedoch ungern sprechen: In Tirana haben die Politiker seit der Errichtung des albanischen Staates, vier Jahrzehnte nach dem Manifest der Liga von Prizren, die Ambitionen der Kosovo-Albaner stets mit Sorge betrachet. Novak Prebicevic, der zu Beginn des Jahrzehnts als jugoslawischer Botschafter in Tirana tätig war, formuliert es so: "Sie fürchten den Kosovo, der wohl die ärmste Region Jugoslawiens, aber immer noch viel reicher als Albanien ist."

Das Gesagte läuft nicht etwa darauf hinaus, daß die Regierung Nano dem Kosovo die kalte Schulter zeigt. Das wäre unmöglich. Tirana bevorzugt es zu betonen, daß die Hauptaufgabe im Kosovo auf dem Gebiet der Menschenrechte liegt, angefangen mit dem Recht der ethnischen Albaner, mit den Serben von gleich zu gleich zusammenzuleben. Zu diesem Zweck verlangt Tirana die volle Umsetzung eines 1996 zwischen Rugova und Milosevic getroffenen Abkommens, das die Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen im Kosovo für ethnische Albaner vorsieht, denen sie während der vergangenen sieben Jahre verschlossen waren.

So wie er sich entschloß, über die Köpfe der Kosovarer hinweg direkt mit Belgrad zu verkehren, verfährt Nano auch in seiner Politik gegenüber Mazedonien, wo die ethnischen Albaner mit ihrer hohen Geburtenrate bald 25% der Bevölkerung ausmachen werden. Statt die radikalen Führer der ethnischen Albaner zu verhätscheln, wie es Berisha tat, sieht Ministerpräsident Nano seinen Parter in Präsident Kiro Gligorov in Skopje. Unter Berisha dagegen hatte die albanische Geheimpolizei begonnen, von Tirana aus ihre Fäden in Westmazedonien zu ziehen, und der Waffenschmuggel von Albanien nach Mazedonien hatte begonnen.

Nanos Plan ist es erklärtermaßen, "die zwischenstaatlichen Beziehungen zu fördern", und zwar durch Verkehrsabkommen und Abmachungen über das "Grenzregime" an der zerklüfteten 95 Meilen langen Grenze mit Mazedonien. Der Plan sieht vor, daß Bürger beider Staaten die Grenze an zehn Übergängen mit einem Minimum an Formalitäten überschreiten könen. Diese Praxis würde der Premierminister gerne auf die 180 Meilen lange Grenze zu Serbien-Montenegro übertragen. Letzendlich strebt er Verhältnisse an, wie sie gegenwärtig unter dem sogenannten Schengener Abkommen in der Europäischen Union herrschen, so daß "wir in der Praxis keine Grenzen haben".

Zu einer Zeit, in der die serbisch-albanischen Feindseligkeiten vorzuherrschen scheinen und die Grenze zwischen Kosovo und Albanien zur Einfallspforte für die Waffenschmuggler der UCK geworden ist, mag dies utopisch klingen. Die Unterhaltung mit einem Belgrader Taxifahrer vermittelt allerdings eine andere Perspektive. "Wir Serben fahren nach Albanien um dort alles mögliche einzukaufen – Autoreifen, Fernsehgeräte, alles was es gibt." "Warum?" "Weil sie da nur ein Drittel kosten. Hier zahlen wir 300 DM für einen neuen Reifen, in Tirana kostet er 100 DM." Ein Blick auf die Straßenränder in der Nähe von Tirana bestätigt die Behauptung: aufgetürmte Reifen, gestapelte Fernsehgeräte und neben ihnen Autos mit serbischen Kennzeichen.

Ein verblüffendes Bild: aus dem vor einem Jahrzehnt noch prosperierenden Serbien reisen die Leute in das immer noch ärmste Land Europas zum Shopping. Tirana hat sich allerdings auch in den letzten sieben Jahren, seit es das kommunistische System abzuschütteln begann, dramatisch verändert. Seine Einwohnerzahl wuchs von 200000 auf 600000. Seine Straßen, auf denen es einst keine Kraftfahrzeuge und folglich auch keine Schlaglöcher gab, sind heute von früh bis spät von Personenwagen und Lastern verstopft und tief zerfurcht. Hübsche Parks mußten ebenso wie allerlei Heldendenkmäler Tausenden von schäbigen Kiosken weichen. Tirana erinnert an einen gigantischen Bazar.

Noch vor einem Jahr saß Nano, Chef der sozialistischen Partei (die Nachfolgerin der alten Arbeiterpartei), als der führende Opponent Präsident Berishas im Gefängnis. Er hatte gerade das erste Drittel seiner zwölfjährigen Haftstrafe hinter sich. Befreit wurde er während der Unruhen, die schließlich das Berisha-System lähmten. Im vergangenen Juni führten ihn dann Neuwahlen an die Spitze einer Koalitionsregierung.

Der Kampf ist nicht vorbei. Fast jede Woche starten Berisha und seine Anhänger neue Angriffe auf die Regierung, wobei es manchmal zu Todesopfern kommt. Einem amerikanischen Besucher sagte Nano kürzlich: "Wir haben es immer noch mit einigen Hitzköpfen zu tun, der gleichen Art von Leuten, wie Sie sie aus Serbien nur zu gut kennen."

"Die Lage ist gefährlich und schwierig, aber nach wie vor aussichtsreich", sagte er. "Die Leute unterstützen unsere Philosophie der Europäisierung und der Schaffung eines friedlichen, stabilen Balkan."

Wie steht es also mit den Aussichten für Nanos Albanien? Bei 450000 Arbeitslosen, einem Drittel aller Arbeitsfähigen, und bei mehr als einer halben Million Menschen, deren Überleben von Wohlfahrtszahlungen in der Höhe von 15 Dollar pro Monat abhängt, erscheint die unmittelbare Zukunft bestenfalls als düster.

Solange er konnte, profilierte Fatos Nano seine spezifische Haltung zu den ethnischen Konflikten im Kosovo und in Mazedonien, selbst als die serbisch-albanischen Spannungen eskalierten. Bei einem Empfang für den deutschen Außenminister Klaus Kinkel erklärte der Premier noch am 7. Februar: "Die Albanier sollten sich innerhalb wie außerhalb Albaniens klar machen, daß die Schaffung von Gegeninstitutionen keine Lösung bietet; im Gegenteil, sie radikalisieren lediglich die Gesellschaften, die sie geschaffen haben. Solche Bestrebungen lösen radikale Aktivitäten aus, ja sogar terroristische, wie wir heute sehen. Derartige Aktivitäten unterstützt die albanische Regierung nicht, gleichgültig, ob Albaner oder Serben dahinterstecken."

Diese Erklärung, mit der er die jahrzehntelang in der albanischen Diaspora gepflegte Rhetorik zurückwies, die eine "Republik" und seit einem Referendum im Jahre 1991 die Schaffung einer "Republik Kosova" fordert, schockierte die Nationalisten. Sie bezeichneten sie als "schändlich".

Käme es zu einem worst-case-Szenario, könnte die UCK nicht nur die "gewaltfreie" Bewegung im Kosovo zerstören – selbst nach der Eröffnung eines Dialoges zwischen Rugova und Milosevic –, sondern auch die Europa-orientierte Regierung des Fatos Nano.
 
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