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05. Mai 2009 Als aus der slowenischen Hauptstadt Laibach (Ljubljana) jüngst die Kunde nach Belgrad drang, der dortige Stadtrat plane, eine Straße nach Josip Broz Tito zu benennen, hat das an dessen ehemaliger Wirkungsstätte kaum für Erstaunen gesorgt. Man kennt seine Slowenen hier und weiß seit langem, dass der Herrscher über das zweite Jugoslawien in Slowenien bei vielen bis heute (oder zumindest heute wieder) populär ist. Man weiß es nicht nur, man verdient auch Geld damit: Seit Jahren führen Slowenen die serbischen Gästestatistiken an.
Im Jahr 2007 zählte die Fremdenverkehrsbehörde knapp 75.000 Übernachtungen von Slowenen in Belgrad; damit stellten Slowenen unter den etwa 790.000 registrierten ausländischen Belgrad-Besuchern jenes Jahres vor Reisenden aus Montenegro, Bosnien und Deutschland die größte Gruppe. Doch während Montenegriner, serbische Bosnier und Gastarbeiter aus Deutschland in aller Regel Familiäres oder Geschäftliches in die ehemalige Hauptstadt Jugoslawiens treibt, stellen bei den Slowenen gewöhnliche Touristen einen großen Anteil.
Die beste Kulisse für den Start ins neue Jahr
Die Bewunderung für "ihren" Tito geht vielen Slowenen förmlich unter die Haut
Junge Slowenen strömen vor allem zu Silvester in die Stadt, da sie ihnen im Vergleich zu dem sauber herausgeputzten, aber auch wie sanft entschlafen wirkenden Laibach die bessere Kulisse für den Start in ein neues Jahr bietet. Am 31. Dezember eines jeden Jahres wird Slowenisch gleichsam zur zweiten Amtssprache in der Innenstadt. Dass Rauchverbote in Belgrad nur formal gelten und die Cafés preiswert sind, trägt ein Übriges zur Beliebtheit der serbischen Hauptstadt bei der jüngeren Klientel bei.
„Wenn ich Slowenen frage, warum ihnen unsere Stadt so gut gefällt, sagen sie oft, Belgrad strahle eine Menge Energie ab“, sagt Jasna Dimitrijevic, die Chefin des Belgrader Fremdenverkehrsbüros. „Sie schwärmen von den Restaurants an Save und Donau, und viele kommen zu den Musik- oder Theaterfestivals. Da können sie große Musiker oder Dirigenten zu Preisen hören, die im Westen nicht üblich sind.“
Eine Art kulturelle Restenergie bewahrt
Tatsächlich hat sich Belgrad aus jugoslawischen Zeiten, als die Stadt ein gefragtes Zentrum internationaler Konferenzen war, eine Art kulturelle Restenergie bewahren können. Auch kann sich die Stadt immer wieder im regionalen Ringen um den Austragungsort von Großveranstaltungen durchsetzen. Die Rolling Stones waren da, Madonna soll kommen, und mit ihr werden wieder viele Gäste vom Balkan und auch von weither erwartet.
Ankömmlinge aus „dem Westen“ staunen dann regelmäßig über eine Stadt, die zwischen den innerstädtischen Bombenruinen aus dem Kriegsjahr 1999 moderner ist, als sie sich das vorgestellt haben. Eine Stadt, in der man schon seit Jahren Parkscheine per SMS lösen oder Supermarktbestellungen per E-Mail aufgeben und sich zur Wohnung bringen lassen kann. Doch damit ist das slowenische Interesse an Belgrad nicht vollständig erklärt. Ein maßgeblicher Teil davon ist rückwärtsgewandt: Es ist die Jugoslawien-Nostalgie, die viele Gäste aus dem ehemals jugoslawischen Norden nach Belgrad treibt.
Kosovoalbaner würden im Traum nicht hier herkommen
Im ehemaligen Jugoslawien ist diese Vorliebe für die serbische Hauptstadt - abgesehen von den Montenegrinern, die dort Verwandte besuchen - ein Alleinstellungsmerkmal der Slowenen. Albanern aus dem Kosovo würde es nicht im Traum einfallen, zum Vergnügen (oder überhaupt) nach Belgrad zu fahren, ebenso wenig wie Muslimen aus Bosnien-Hercegovina oder Kroaten. Die Wunden der Kriege, mit denen Milosevics Serbien die Nachbarländer überzog, sind noch nicht verheilt.
Offiziell hat das jugoslawische Zerfallsdrama zwar just in Slowenien begonnen, aber ob der kurze Feldzug der Jugoslawischen Volksarmee in Slowenien 1991 als „Krieg“ treffend charakterisiert werden kann, ist angesichts des Maßstabs der späteren Kämpfe in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo fraglich. Je nach Quelle sind in Slowenien 1991 zwischen 62 und 92 Personen ums Leben gekommen, was nicht einmal einem Hundertstel der Opferzahlen des Krieges in Bosnien entspricht. Hinzu kommt, dass Serben und Slowenen die Kroaten gleichsam als Puffer zwischen sich wissen, der sie vor direktem Händel bewahrt.
Reisen mit dem Tito-Express
So ist in Serbien die öffentliche Meinung im slowenisch-kroatischen Seegrenzstreit um den Golf von Piran eindeutig auf Seiten der Slowenen, auch wenn sich manche Zeitungskommentatoren bissige Bemerkungen dazu nicht verkneifen mögen. So wird daran erinnert, dass Laibach die Serben während der slowenischen EU-Präsidentschaft 2008, als das Kosovo unabhängig wurde, immer wieder ermahnt hat, es müsse lernen, „realistisch“ und „pragmatisch“ auf den Verlust des Amselfelds zu reagieren, immerhin etwa eines Fünftels des von Serbien beanspruchten Territoriums. Angesichts dieser Mahnungen stellen sich die Slowenen nun im Streit um ein paar Kilometer Seegrenze reichlich zimperlich an, heißt es in Belgrad nicht selten.
Doch letztlich ist die slowenische Nebenrolle bei der Staatswerdung des Kosovos vergessen, zumal die Slowenen nicht nur als Investoren, sondern auch als Touristen viel Geld in Serbien lassen. Mehrere Reisebüros vermarkten die slowenische Nostalgie, etwa die Firma „Vekol Tours“ von Tanja Bogdanov, die ein Paket unter dem Titel „Mit Marschall Tito“ anbietet, das oft auf Monate im Voraus ausgebucht ist. Darin enthalten ist eine Reise mit der „Blauen Bahn“, einem aus vier Schlafwagen, zwei Waggonrestaurants und drei Salonwaggons bestehenden Sonderzug, mit dem Tito einst sein Land durchquerte und in dem er auch seine letzte Reise antrat: Nach seinem Tode in einem Laibacher Krankenhaus vor genau 29 Jahren wurde Titos Leichnam in seinem zu einem Trauerzug umgewandelten Express zur Beerdigungsfeier nach Belgrad gebracht, während in ganz Jugoslawien die Sirenen heulten.
Das Herrscher-Double küsst galant die Hand
Heute reisen also slowenische Touristen mit dem Zug. „Die Gäste dürfen Titos Arbeitsraum oder die Empfangswaggons benutzen, und sie werden dabei von Menschen begleitet, die zu Titos Entourage gehörten“, erläutert Frau Bogdanov. Zu den Betreuern der Gäste gehört zum Beispiel ein ehemaliger Chauffeur Titos, der stolz zu berichten weiß, er habe schon den zimbabwischen Staatschef Robert Mugabe durch Belgrad kutschiert. Die Betreuer tragen selbstverständlich zeitgenössische Kostümierungen, so auch ein Schauspieler in weißer Marschallsuniform, der als Tito-Double auftritt und den Damen galant die Hand küsst, wie es das Original angeblich während seiner Zeit als Arbeiter in Wien gelernt hatte. Einzig Jovanka Broz, die noch lebende Witwe Titos, ist nicht mit von der Partie.
Für die ältere Generation, die Jugoslawien noch erlebt hat, wird die Reise in jener Sprache angeboten, die einst „Serbokroatisch“ hieß, für jüngere Reisegruppen, die dieser Sprache nicht mehr mächtig sind, wird das Stück auf Englisch aufgeführt. „Der Grund für unseren Erfolg ist, dass unser Programm apolitisch ist. Wir erinnern nur an unsere gemeinsame Geschichte. Wenn wir das politisieren würden, hätten wir keine Kunden“, sagt Frau Bogdanov, die einst selbst ein titoistisches Pioniermädchen mit blauem Halstuch war.
Der blutrünstige Diktator kommt ungeschoren davon
Die Frage, ob es überhaupt möglich sei, eine politische Figur wie Tito apolitisch darzustellen, oder ob nicht schon der Versuch, sich dieser Gestalt scheinbar ohne politisches Interesse zu nähern, eine sehr politische Entscheidung sei, hält Frau Bogdanov für unangebracht. „Wir benutzen nur die Ressourcen, die Tito benutzt hat. Wir sprechen neutral von dieser Zeit, ohne Anspielungen. Wir spielen Musik aus der Titozeit, wir führen die Leute an diese Epoche heran. So etwas gibt es doch überall auf der Welt.“ Wenn man in Chicago auf den Spuren Al Capones wandeln kann, warum dann nicht in Belgrad auf jenen Titos?
Und so bleibt es einstweilen dabei, dass der jugoslawische Herrscher den Wandel der Zeit seltsam ungeschoren überdauert und Tito das auch durch seinen Beitrag blutige 20. Jahrhundert irgendwie als der gute Onkel der Geschichte überstanden hat. Seine Partisanen haben nach ihrem Sieg im Zweiten Weltkrieg zwar eine grausame Blutspur der Vernichtung durch Jugoslawien gezogen, aber das ist, auch wenn in jüngster Zeit häufiger darüber berichtet wird, kaum ein Thema. Stärker ist dagegen in Erinnerung geblieben, dass Tito erst über Hitler und dann über Stalin siegte und dass es in seiner bequemen Diktatur zumindest nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1948 Reisefreiheit und eine relative innere Liberalität gab, anders etwa als bei den Nachbarn Schiwkow in Bulgarien oder Ceausescu in Rumänien. Für die Kunden von Frau Bogdanov und den anderen Belgrader Nostalgiegroßhändlern spielen vermutlich ohnehin wichtigere Dinge eine Rolle: Sie kaufen sich durch eine Reise nach Belgrad ihre Jugend zurück - die Zeit, als das Leben vor ihnen lag, der Ischias noch nicht schmerzte und sie zufällig in einem Staat lebten, der sich Jugoslawien nannte.
Von Michael Martens, Belgrad - 05. Mai 2009 - Frankfurter Allgemeine Zeitung
URL: Jugo-Nostalgie: Mit Marschall Tito zurück in die Jugend - Ausland - Politik - FAZ.NET
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Im Jahr 2007 zählte die Fremdenverkehrsbehörde knapp 75.000 Übernachtungen von Slowenen in Belgrad; damit stellten Slowenen unter den etwa 790.000 registrierten ausländischen Belgrad-Besuchern jenes Jahres vor Reisenden aus Montenegro, Bosnien und Deutschland die größte Gruppe. Doch während Montenegriner, serbische Bosnier und Gastarbeiter aus Deutschland in aller Regel Familiäres oder Geschäftliches in die ehemalige Hauptstadt Jugoslawiens treibt, stellen bei den Slowenen gewöhnliche Touristen einen großen Anteil.
Die beste Kulisse für den Start ins neue Jahr
Die Bewunderung für "ihren" Tito geht vielen Slowenen förmlich unter die Haut
Junge Slowenen strömen vor allem zu Silvester in die Stadt, da sie ihnen im Vergleich zu dem sauber herausgeputzten, aber auch wie sanft entschlafen wirkenden Laibach die bessere Kulisse für den Start in ein neues Jahr bietet. Am 31. Dezember eines jeden Jahres wird Slowenisch gleichsam zur zweiten Amtssprache in der Innenstadt. Dass Rauchverbote in Belgrad nur formal gelten und die Cafés preiswert sind, trägt ein Übriges zur Beliebtheit der serbischen Hauptstadt bei der jüngeren Klientel bei.
„Wenn ich Slowenen frage, warum ihnen unsere Stadt so gut gefällt, sagen sie oft, Belgrad strahle eine Menge Energie ab“, sagt Jasna Dimitrijevic, die Chefin des Belgrader Fremdenverkehrsbüros. „Sie schwärmen von den Restaurants an Save und Donau, und viele kommen zu den Musik- oder Theaterfestivals. Da können sie große Musiker oder Dirigenten zu Preisen hören, die im Westen nicht üblich sind.“
Eine Art kulturelle Restenergie bewahrt
Tatsächlich hat sich Belgrad aus jugoslawischen Zeiten, als die Stadt ein gefragtes Zentrum internationaler Konferenzen war, eine Art kulturelle Restenergie bewahren können. Auch kann sich die Stadt immer wieder im regionalen Ringen um den Austragungsort von Großveranstaltungen durchsetzen. Die Rolling Stones waren da, Madonna soll kommen, und mit ihr werden wieder viele Gäste vom Balkan und auch von weither erwartet.
Ankömmlinge aus „dem Westen“ staunen dann regelmäßig über eine Stadt, die zwischen den innerstädtischen Bombenruinen aus dem Kriegsjahr 1999 moderner ist, als sie sich das vorgestellt haben. Eine Stadt, in der man schon seit Jahren Parkscheine per SMS lösen oder Supermarktbestellungen per E-Mail aufgeben und sich zur Wohnung bringen lassen kann. Doch damit ist das slowenische Interesse an Belgrad nicht vollständig erklärt. Ein maßgeblicher Teil davon ist rückwärtsgewandt: Es ist die Jugoslawien-Nostalgie, die viele Gäste aus dem ehemals jugoslawischen Norden nach Belgrad treibt.
Kosovoalbaner würden im Traum nicht hier herkommen
Im ehemaligen Jugoslawien ist diese Vorliebe für die serbische Hauptstadt - abgesehen von den Montenegrinern, die dort Verwandte besuchen - ein Alleinstellungsmerkmal der Slowenen. Albanern aus dem Kosovo würde es nicht im Traum einfallen, zum Vergnügen (oder überhaupt) nach Belgrad zu fahren, ebenso wenig wie Muslimen aus Bosnien-Hercegovina oder Kroaten. Die Wunden der Kriege, mit denen Milosevics Serbien die Nachbarländer überzog, sind noch nicht verheilt.
Offiziell hat das jugoslawische Zerfallsdrama zwar just in Slowenien begonnen, aber ob der kurze Feldzug der Jugoslawischen Volksarmee in Slowenien 1991 als „Krieg“ treffend charakterisiert werden kann, ist angesichts des Maßstabs der späteren Kämpfe in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo fraglich. Je nach Quelle sind in Slowenien 1991 zwischen 62 und 92 Personen ums Leben gekommen, was nicht einmal einem Hundertstel der Opferzahlen des Krieges in Bosnien entspricht. Hinzu kommt, dass Serben und Slowenen die Kroaten gleichsam als Puffer zwischen sich wissen, der sie vor direktem Händel bewahrt.
Reisen mit dem Tito-Express
So ist in Serbien die öffentliche Meinung im slowenisch-kroatischen Seegrenzstreit um den Golf von Piran eindeutig auf Seiten der Slowenen, auch wenn sich manche Zeitungskommentatoren bissige Bemerkungen dazu nicht verkneifen mögen. So wird daran erinnert, dass Laibach die Serben während der slowenischen EU-Präsidentschaft 2008, als das Kosovo unabhängig wurde, immer wieder ermahnt hat, es müsse lernen, „realistisch“ und „pragmatisch“ auf den Verlust des Amselfelds zu reagieren, immerhin etwa eines Fünftels des von Serbien beanspruchten Territoriums. Angesichts dieser Mahnungen stellen sich die Slowenen nun im Streit um ein paar Kilometer Seegrenze reichlich zimperlich an, heißt es in Belgrad nicht selten.
Doch letztlich ist die slowenische Nebenrolle bei der Staatswerdung des Kosovos vergessen, zumal die Slowenen nicht nur als Investoren, sondern auch als Touristen viel Geld in Serbien lassen. Mehrere Reisebüros vermarkten die slowenische Nostalgie, etwa die Firma „Vekol Tours“ von Tanja Bogdanov, die ein Paket unter dem Titel „Mit Marschall Tito“ anbietet, das oft auf Monate im Voraus ausgebucht ist. Darin enthalten ist eine Reise mit der „Blauen Bahn“, einem aus vier Schlafwagen, zwei Waggonrestaurants und drei Salonwaggons bestehenden Sonderzug, mit dem Tito einst sein Land durchquerte und in dem er auch seine letzte Reise antrat: Nach seinem Tode in einem Laibacher Krankenhaus vor genau 29 Jahren wurde Titos Leichnam in seinem zu einem Trauerzug umgewandelten Express zur Beerdigungsfeier nach Belgrad gebracht, während in ganz Jugoslawien die Sirenen heulten.
Das Herrscher-Double küsst galant die Hand
Heute reisen also slowenische Touristen mit dem Zug. „Die Gäste dürfen Titos Arbeitsraum oder die Empfangswaggons benutzen, und sie werden dabei von Menschen begleitet, die zu Titos Entourage gehörten“, erläutert Frau Bogdanov. Zu den Betreuern der Gäste gehört zum Beispiel ein ehemaliger Chauffeur Titos, der stolz zu berichten weiß, er habe schon den zimbabwischen Staatschef Robert Mugabe durch Belgrad kutschiert. Die Betreuer tragen selbstverständlich zeitgenössische Kostümierungen, so auch ein Schauspieler in weißer Marschallsuniform, der als Tito-Double auftritt und den Damen galant die Hand küsst, wie es das Original angeblich während seiner Zeit als Arbeiter in Wien gelernt hatte. Einzig Jovanka Broz, die noch lebende Witwe Titos, ist nicht mit von der Partie.
Für die ältere Generation, die Jugoslawien noch erlebt hat, wird die Reise in jener Sprache angeboten, die einst „Serbokroatisch“ hieß, für jüngere Reisegruppen, die dieser Sprache nicht mehr mächtig sind, wird das Stück auf Englisch aufgeführt. „Der Grund für unseren Erfolg ist, dass unser Programm apolitisch ist. Wir erinnern nur an unsere gemeinsame Geschichte. Wenn wir das politisieren würden, hätten wir keine Kunden“, sagt Frau Bogdanov, die einst selbst ein titoistisches Pioniermädchen mit blauem Halstuch war.
Der blutrünstige Diktator kommt ungeschoren davon
Die Frage, ob es überhaupt möglich sei, eine politische Figur wie Tito apolitisch darzustellen, oder ob nicht schon der Versuch, sich dieser Gestalt scheinbar ohne politisches Interesse zu nähern, eine sehr politische Entscheidung sei, hält Frau Bogdanov für unangebracht. „Wir benutzen nur die Ressourcen, die Tito benutzt hat. Wir sprechen neutral von dieser Zeit, ohne Anspielungen. Wir spielen Musik aus der Titozeit, wir führen die Leute an diese Epoche heran. So etwas gibt es doch überall auf der Welt.“ Wenn man in Chicago auf den Spuren Al Capones wandeln kann, warum dann nicht in Belgrad auf jenen Titos?
Und so bleibt es einstweilen dabei, dass der jugoslawische Herrscher den Wandel der Zeit seltsam ungeschoren überdauert und Tito das auch durch seinen Beitrag blutige 20. Jahrhundert irgendwie als der gute Onkel der Geschichte überstanden hat. Seine Partisanen haben nach ihrem Sieg im Zweiten Weltkrieg zwar eine grausame Blutspur der Vernichtung durch Jugoslawien gezogen, aber das ist, auch wenn in jüngster Zeit häufiger darüber berichtet wird, kaum ein Thema. Stärker ist dagegen in Erinnerung geblieben, dass Tito erst über Hitler und dann über Stalin siegte und dass es in seiner bequemen Diktatur zumindest nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1948 Reisefreiheit und eine relative innere Liberalität gab, anders etwa als bei den Nachbarn Schiwkow in Bulgarien oder Ceausescu in Rumänien. Für die Kunden von Frau Bogdanov und den anderen Belgrader Nostalgiegroßhändlern spielen vermutlich ohnehin wichtigere Dinge eine Rolle: Sie kaufen sich durch eine Reise nach Belgrad ihre Jugend zurück - die Zeit, als das Leben vor ihnen lag, der Ischias noch nicht schmerzte und sie zufällig in einem Staat lebten, der sich Jugoslawien nannte.
Von Michael Martens, Belgrad - 05. Mai 2009 - Frankfurter Allgemeine Zeitung
URL: Jugo-Nostalgie: Mit Marschall Tito zurück in die Jugend - Ausland - Politik - FAZ.NET
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