Y
Yunan
Guest
22.12.2011
Streit mit Türkei
Frankreich verbietet Leugnung des Völkermords an Armeniern
Türkische Demonstranten in Paris: Protest gegen das neue Gesetz
Der türkische Völkermord an den Armeniern belastet das Verhältnis zwischen Paris und Ankara, jetzt droht eine politische Eiszeit: Die französische Nationalversammlung hat ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung des Genozids unter Strafe stellt. Die Türkei zog prompt ihren Botschafter ab.
Paris - Die Proteste aus der Türkei zeigten keine Wirkung: Die Pariser Nationalversammlung hat am Dienstag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der hohe Strafen für Personen vorschreibt, die offiziell anerkannte Völkermorde leugnen. Darunter fallen nach französischer Lesart auch die Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich von 1915 bis 1917.
Eine Reaktion aus Ankara ließ nicht lange auf sich warten. Weniger als eine Stunde nach Bekanntgabe des Beschlusses verkündete das türkische Fernsehen laut der Nachrichtenagentur Reuters, dass der Botschafter aus Frankreich abgezogen wird.
Paris hatte die Taten bereits im Januar 2001 zum Genozid erklärt. Die Regierung sah nun zusätzlichen Handlungsbedarf, weil die Anerkennung als Völkermord an den Armeniern damit zwar symbolisch gewürdigt wurde, nicht aber - wie im Fall des Genozids am jüdischen Volk durch das Nazi-Regime - als Delikt verfolgt wurde.
Die Staatsanwaltschaft muss ab sofort einschreiten, sollte jemand in Frankreich den Genozid leugnen - etwa auf Transparenten oder Plakaten während einer Demonstration. Zusätzliches Gewicht bekommt das Gesetz, weil auch Organisationen, die sich "per Satzung" engagieren für die "moralischen Rechte und Ehre von Opfern eines Genozids, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen", künftig als Nebenkläger gegen Genozid-Leugner auftreten dürfen.
Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches bestreitet einen Genozid. In der Aussprache in der Nationalversammlung rügten die französischen Abgeordneten vor allem die "unerträglichen Versuche" der Türkei, Druck auf das Parlament auszuüben.
Ankara hatte im Vorfeld der Abstimmung vor "dauerhaften und unwiderruflichen Konsequenzen" gewarnt, sollte der Entwurf angenommen werden. "Es steht außer Frage für uns, diesen Gesetzesentwurf hinzunehmen, der das Recht aberkennt, unbegründete und ungerechte Vorwürfe gegen unser Volk und unsere Nation zurückzuweisen", sagte Staatschef Abdullah Gül.
Als mögliche Folgen brachte er den Abzug des Botschafters und den Abbruch der bilateralen Beziehungen ins Gespräch. Frankreichs Europaminister Jean Leonetti hatte im Radio jedoch noch am Donnerstag erklärt, er nehme die Drohungen aus Ankara nicht ernst.
Wahltaktisch motiviertes Manöver von Sarkozy?
Die Türkei sieht in den geplanten Gesetz ein wahltaktisch motiviertes Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy, das auf armenischstämmige Wähler zielt. Ähnlich sieht es die sozialistische Opposition. In Frankreich leben rund 500.000 Menschen armenischer Abstammung. Der Gesetzentwurf stammt von der konservativen UMP-Abgeordneten Valérie Boyer. Sie brachte die Vorlage mit Sarkozys Rückhalt ein. Das Gesetz sieht für die Leugnung von Völkermord künftig eine Geldstrafe von 45.000 Euro sowie eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr vor.
Allerdings muss es nach der Verabschiedung in der Nationalversammlung nun noch die von den oppositionellen Sozialisten dominierte zweite Parlamentskammer, den Senat, passieren. Sie kritisieren es ebenfalls als ein wahltaktisches Manöver des Präsidenten.
Der kontroverse Beschluss betrifft ein besonders dunkles Kapitel der türkischen Geschichte: Zwischen April 1915 und Juli 1916 wurden rund zwei Drittel der Armenier, die auf dem Gebiet der heutigen Türkei leben, deportiert oder umgebracht.
Erster Genozid des 20. Jahrhunderts
Bei den Massakern, organisiert von der laizistischen Regierung der sogenannten Jung-Türken, die während des Ersten Weltkriegs auf Seiten der Mittelmächte stand, kamen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Armenier im Osmanischen Reich ums Leben.
Der geplante Tod der christlichen Minderheit gilt als erster Genozid des 20. Jahrhunderts - mehr als ein Dutzend Volksvertretungen weltweit haben diese Auffassung per Parlamentsbeschluss festgeschrieben. Die Türkei hat eine solche Darstellung allerdings nie akzeptiert und spricht stattdessen von "tragischen Ereignissen".
Wenige Stunden vor der Abstimmung in der Nationalversammlung demonstrierten mehr als tausend türkischstämmige Menschen vor der Pariser Nationalversammlung gegen das geplante Gesetz. Auf Transparenten forderten sie dazu auf, es zu verwerfen.
Mitarbeit: Stefan Simons
heb/jok/dpa/dapd/Reuters
Streit mit Türkei
Frankreich verbietet Leugnung des Völkermords an Armeniern
Türkische Demonstranten in Paris: Protest gegen das neue Gesetz
Der türkische Völkermord an den Armeniern belastet das Verhältnis zwischen Paris und Ankara, jetzt droht eine politische Eiszeit: Die französische Nationalversammlung hat ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung des Genozids unter Strafe stellt. Die Türkei zog prompt ihren Botschafter ab.
Paris - Die Proteste aus der Türkei zeigten keine Wirkung: Die Pariser Nationalversammlung hat am Dienstag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der hohe Strafen für Personen vorschreibt, die offiziell anerkannte Völkermorde leugnen. Darunter fallen nach französischer Lesart auch die Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich von 1915 bis 1917.
Eine Reaktion aus Ankara ließ nicht lange auf sich warten. Weniger als eine Stunde nach Bekanntgabe des Beschlusses verkündete das türkische Fernsehen laut der Nachrichtenagentur Reuters, dass der Botschafter aus Frankreich abgezogen wird.
Paris hatte die Taten bereits im Januar 2001 zum Genozid erklärt. Die Regierung sah nun zusätzlichen Handlungsbedarf, weil die Anerkennung als Völkermord an den Armeniern damit zwar symbolisch gewürdigt wurde, nicht aber - wie im Fall des Genozids am jüdischen Volk durch das Nazi-Regime - als Delikt verfolgt wurde.
Die Staatsanwaltschaft muss ab sofort einschreiten, sollte jemand in Frankreich den Genozid leugnen - etwa auf Transparenten oder Plakaten während einer Demonstration. Zusätzliches Gewicht bekommt das Gesetz, weil auch Organisationen, die sich "per Satzung" engagieren für die "moralischen Rechte und Ehre von Opfern eines Genozids, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen", künftig als Nebenkläger gegen Genozid-Leugner auftreten dürfen.
Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches bestreitet einen Genozid. In der Aussprache in der Nationalversammlung rügten die französischen Abgeordneten vor allem die "unerträglichen Versuche" der Türkei, Druck auf das Parlament auszuüben.
Ankara hatte im Vorfeld der Abstimmung vor "dauerhaften und unwiderruflichen Konsequenzen" gewarnt, sollte der Entwurf angenommen werden. "Es steht außer Frage für uns, diesen Gesetzesentwurf hinzunehmen, der das Recht aberkennt, unbegründete und ungerechte Vorwürfe gegen unser Volk und unsere Nation zurückzuweisen", sagte Staatschef Abdullah Gül.
Als mögliche Folgen brachte er den Abzug des Botschafters und den Abbruch der bilateralen Beziehungen ins Gespräch. Frankreichs Europaminister Jean Leonetti hatte im Radio jedoch noch am Donnerstag erklärt, er nehme die Drohungen aus Ankara nicht ernst.
Wahltaktisch motiviertes Manöver von Sarkozy?
Die Türkei sieht in den geplanten Gesetz ein wahltaktisch motiviertes Manöver von Präsident Nicolas Sarkozy, das auf armenischstämmige Wähler zielt. Ähnlich sieht es die sozialistische Opposition. In Frankreich leben rund 500.000 Menschen armenischer Abstammung. Der Gesetzentwurf stammt von der konservativen UMP-Abgeordneten Valérie Boyer. Sie brachte die Vorlage mit Sarkozys Rückhalt ein. Das Gesetz sieht für die Leugnung von Völkermord künftig eine Geldstrafe von 45.000 Euro sowie eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr vor.
Allerdings muss es nach der Verabschiedung in der Nationalversammlung nun noch die von den oppositionellen Sozialisten dominierte zweite Parlamentskammer, den Senat, passieren. Sie kritisieren es ebenfalls als ein wahltaktisches Manöver des Präsidenten.
Der kontroverse Beschluss betrifft ein besonders dunkles Kapitel der türkischen Geschichte: Zwischen April 1915 und Juli 1916 wurden rund zwei Drittel der Armenier, die auf dem Gebiet der heutigen Türkei leben, deportiert oder umgebracht.
Erster Genozid des 20. Jahrhunderts
Bei den Massakern, organisiert von der laizistischen Regierung der sogenannten Jung-Türken, die während des Ersten Weltkriegs auf Seiten der Mittelmächte stand, kamen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Armenier im Osmanischen Reich ums Leben.
Der geplante Tod der christlichen Minderheit gilt als erster Genozid des 20. Jahrhunderts - mehr als ein Dutzend Volksvertretungen weltweit haben diese Auffassung per Parlamentsbeschluss festgeschrieben. Die Türkei hat eine solche Darstellung allerdings nie akzeptiert und spricht stattdessen von "tragischen Ereignissen".
Wenige Stunden vor der Abstimmung in der Nationalversammlung demonstrierten mehr als tausend türkischstämmige Menschen vor der Pariser Nationalversammlung gegen das geplante Gesetz. Auf Transparenten forderten sie dazu auf, es zu verwerfen.
Mitarbeit: Stefan Simons
heb/jok/dpa/dapd/Reuters