Zurich
Der Lustmolch
"Funktionale Teilung" im Kosovo
Vier Monate nach der unilateralen Unabhängigkeitserklärung bleiben der völkerrechtliche Status und die politische Verwaltungsstruktur im Kosovo konfus
Eigentlich sollte der 15. Juni ein großer Tag werden. Vier Monate nach der unilateralen Unabhängigkeitserklärung Kosovos sollte nach den ursprünglichen Plänen der Regierung unter dem ehemaligen UCK-Kommandanten Hasim Thaci die Präsenz der UN-Mission (UNMIK in Pristina beendet werden. Die Kompetenzen der bisherigen internationalen Protektoratsverwaltung sollten weitgehend in die Hand der Kosovo-Regierung übergehen.
Doch es kam anders: Zwar trat am vergangenen Sonntag eine neue Kosovo-Verfassung in Kraft und die Kosovo-Regierung eröffnete ein Außen- und Verteidigungsministerium. Nach einer Intervention von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vom vergangenen Donnerstag bleibt die UNMIK aber auch weiterhin im Kosovo präsent. Ausdrücklich wird dabei die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates bekräftigt, mit der die Provinz nach dem Kosovo-Krieg im Juni 1999 weiterhin als Bestandteil Serbiens festgeschrieben wurde.
Ban Ki-moon führt damit den Drahtseilakt fort, mit dem die UN seit Monaten versucht, den Statuskonflikt um das Kosovo zu entschärfen. Nach Gesprächen mit dem britischen Ministerpräsident Gordon Brown erklärte der UN-Generalsekretär vergangene Woche zu seinen Absichten:
Es ist mir klar, dass dieses Paket nicht jede Seite vollständig zufrieden stellt. Aber nach langen Gesprächen mit allen Seiten ist meine ehrliche Auffassung, dass mein Vorschlag sich als am wenigsten problematisch für alle Beteiligten herausstellen wird.
Tatsächlich bedeutet das Vorgehen von Ban Ki-moon einen deutlichen Dämpfer für die Kosovo-Regierung und ihre internationalen Unterstützer in Washington und Brüssel. Nachdem bisher nur 43 von 192 UN-Mitgliedsstaaten Kosovo als unabhängig anerkannt haben, stellt sich der UN-Generalsekretär praktisch auf eine "Status neutral" Position, wie seine Sprecherin Brendan Varma sagte.
Diese vor allem dem Druck Russlands, Chinas und Serbiens geschuldete Entscheidung hat einige weit reichende Folgen. Statt zu einer vollständigen Abwicklung der UNMIK, wie ursprünglich geplant, kommt es zu einer "Re-Konfiguration" der UN-Mission. Die Mission der Europäischen Union (EULEX), welche die UNMIK eigentlich ablösen sollte, wird nun unter die Oberaufsicht der UNMIK gestellt. Gleichzeitig sollen serbische Polizisten voraussichtlich nicht dem Innenministerium in Pristina unterstellt werden, sondern direkt der weiter bestehenden UNMIK. In den serbischen Enklaven sollen neue Gerichte gegründet werden. Die Grenze im von Serben bewohnten Norden soll unter der Kontrolle der UNMIK bleiben und nicht von Pristina.
Kosovo soll sowohl unabhängig als auch Teil von Serbien sein
Der mit guten Kontakten in hohe westliche diplomatische Kreise ausgestattete britische Kosovo-Experte Tim Judah bemerkt, dass Ban Ki-moon seinen Vorschlag in zwei unterschiedlich lauteten Briefen nach Belgrad und Pristina gesendet hat. Während Boris Tadic als "Serbischer Präsident" angesprochen wird, lautet die Anrede an den Präsidenten des selbst erklärten Staates Kosovo, Fatmir Sejdiu, nur "Exzellenz". Damit wird dieser nicht gleichrangig mit Tadic angesprochen. Judah stellt fest, dass die neue Position der UN letztlich beiden Konfliktseiten Argumente in die Hand gibt:
Ban scheint eine Situation erreichen zu wollen, in der die serbischen Führer behaupten können, dass Kosovo nicht unabhängig sei und immer noch zu Serbien gehöre, während die albanischen Führer das Gegenteil behaupten können, und so tun können, als ob das ganze Kosovo unter ihrer Kontrolle stehe.
Die Frage ist, ob dieser Balanceakt der UN langfristige Stabilität garantieren kann. Vor allem in der Europäischen Union scheint das Vorgehen des UN-Generalsekretärs auf Widerstände zu stoßen. Nachdem sich viele EU-Staaten lange gesträubt haben, Kosovo überhaupt anzuerkennen, will Brüssel unter dem Namen EULEX nun möglichst bald eine Rechtsstaat- und Polizeimission in die Provinz senden. Die knapp 2.000 Beamten sollen in den sensiblen Bereichen der grassierenden Organisierten Kriminalität, der Migrationskontrolle und dem bisher kaum funktionierenden Justizwesen die direkte Kontrolle der EU herstellen, welche auf dem Balkan vitale Stabilitätsinteressen hat.
Mit dem Vorschlag Ban Ki-moons, EULEX unter das Dach einer verlängerten UNMIK zu stellen, könnte das bisherige Problem einer mangelnden Rechtsgrundlage für die EU-Mission gelöst werden. Aber der Kosovo-Sonderbeauftragte der EU, Peter Feith, befürchtet, dass die neue Konstellation zur Konsolidierung der serbischen Parallelinstitutionen in den mehrheitlich von Serben bewohnten Landkreisen des Kosovo führen könnte. In einem Interview mit der Financial Times warnt Feith sogar vor einer "funktionalen Spaltung" des Kosovo.
Kosovo-Serben wollen eigenes Parlament bilden
Tatsächlich wäre die Anerkennung einer Doppelherrschaft im Kosovo aber nur die Bestätigung der bereits existierenden Realität. Die über hunderttausend Kosovo-Serben erkennen in ihrer übergroßen Mehrheit die unilaterale Unabhängigkeitserklärung nicht an. Am 11. Mai haben sie nicht nur an den serbischen Parlamentswahlen, sondern auch an gleichzeitig stattfindenden Lokalwahlen teilgenommen (Zerrissenes Serbien).
Mittlerweile haben sich in den serbischen Landkreises des Kosovo Kommunalparlamente konstituiert, die voll in das Institutionensystem Serbiens integriert sind und keinerlei Verbindung zu Pristina haben. Unterstützt durch die Regierung in Belgrad erkennen die Kosovo-Serben weder die neue Verfassung noch die geplante EULEX Mission an. Am 28. Juni wollen sie vielmehr ihr eigenes Parlament gründen, kündigte der Serbische Nationalrat (SNV) in Kosovska Mitrovica an. Als Datum wurde dafür der Mythen umwobene Veitstag (Vidovdan) gewählt, an dem in Serbien der Jahrestag der "Schlacht auf dem Amselfeld" von 1389 gefeiert wird.
Eine zentrale Frage für die Zukunft ist, wie die kosovo-albanische Bevölkerung auf die sich abzeichnende De-facto-Teilung reagieren wird. Von Seiten der politischen Eliten, welche zum großen Teil aus der ehemaligen UCK hervorgehen, wird zwar rhetorisch der Anspruch auf den ganzen Kosovo erhoben. Tatsächlich unternimmt die Regierung unter dem ehemaligen UCK-Führer Hasim Thaci aber nichts, um diese Ambitionen auch durchzusetzen. Damit folgt er den Maßgaben der internationalen Machtfaktoren, die einer Konfrontation mit den Kosovo-Serben aus dem Weg gehen wollen.
Ganz anders agiert dagegen die radikale Bewegung "Vetevendosje" (Selbstbestimmung). Ihr Sprecher Albin Kurti fordert einen sofortigen Abzug der UNMIK und die Aufhebung der "Parallelinstitutionen" der Kosovo-Serben. Bisher folgen den Aufrufen zu Demonstrationen aber nur wenige Kosovo-Albaner.
TP: "Funktionale Teilung" im Kosovo
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Vier Monate nach der unilateralen Unabhängigkeitserklärung bleiben der völkerrechtliche Status und die politische Verwaltungsstruktur im Kosovo konfus
Eigentlich sollte der 15. Juni ein großer Tag werden. Vier Monate nach der unilateralen Unabhängigkeitserklärung Kosovos sollte nach den ursprünglichen Plänen der Regierung unter dem ehemaligen UCK-Kommandanten Hasim Thaci die Präsenz der UN-Mission (UNMIK in Pristina beendet werden. Die Kompetenzen der bisherigen internationalen Protektoratsverwaltung sollten weitgehend in die Hand der Kosovo-Regierung übergehen.
Doch es kam anders: Zwar trat am vergangenen Sonntag eine neue Kosovo-Verfassung in Kraft und die Kosovo-Regierung eröffnete ein Außen- und Verteidigungsministerium. Nach einer Intervention von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon vom vergangenen Donnerstag bleibt die UNMIK aber auch weiterhin im Kosovo präsent. Ausdrücklich wird dabei die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates bekräftigt, mit der die Provinz nach dem Kosovo-Krieg im Juni 1999 weiterhin als Bestandteil Serbiens festgeschrieben wurde.
Ban Ki-moon führt damit den Drahtseilakt fort, mit dem die UN seit Monaten versucht, den Statuskonflikt um das Kosovo zu entschärfen. Nach Gesprächen mit dem britischen Ministerpräsident Gordon Brown erklärte der UN-Generalsekretär vergangene Woche zu seinen Absichten:
Tatsächlich bedeutet das Vorgehen von Ban Ki-moon einen deutlichen Dämpfer für die Kosovo-Regierung und ihre internationalen Unterstützer in Washington und Brüssel. Nachdem bisher nur 43 von 192 UN-Mitgliedsstaaten Kosovo als unabhängig anerkannt haben, stellt sich der UN-Generalsekretär praktisch auf eine "Status neutral" Position, wie seine Sprecherin Brendan Varma sagte.
Diese vor allem dem Druck Russlands, Chinas und Serbiens geschuldete Entscheidung hat einige weit reichende Folgen. Statt zu einer vollständigen Abwicklung der UNMIK, wie ursprünglich geplant, kommt es zu einer "Re-Konfiguration" der UN-Mission. Die Mission der Europäischen Union (EULEX), welche die UNMIK eigentlich ablösen sollte, wird nun unter die Oberaufsicht der UNMIK gestellt. Gleichzeitig sollen serbische Polizisten voraussichtlich nicht dem Innenministerium in Pristina unterstellt werden, sondern direkt der weiter bestehenden UNMIK. In den serbischen Enklaven sollen neue Gerichte gegründet werden. Die Grenze im von Serben bewohnten Norden soll unter der Kontrolle der UNMIK bleiben und nicht von Pristina.
Kosovo soll sowohl unabhängig als auch Teil von Serbien sein
Der mit guten Kontakten in hohe westliche diplomatische Kreise ausgestattete britische Kosovo-Experte Tim Judah bemerkt, dass Ban Ki-moon seinen Vorschlag in zwei unterschiedlich lauteten Briefen nach Belgrad und Pristina gesendet hat. Während Boris Tadic als "Serbischer Präsident" angesprochen wird, lautet die Anrede an den Präsidenten des selbst erklärten Staates Kosovo, Fatmir Sejdiu, nur "Exzellenz". Damit wird dieser nicht gleichrangig mit Tadic angesprochen. Judah stellt fest, dass die neue Position der UN letztlich beiden Konfliktseiten Argumente in die Hand gibt:
Die Frage ist, ob dieser Balanceakt der UN langfristige Stabilität garantieren kann. Vor allem in der Europäischen Union scheint das Vorgehen des UN-Generalsekretärs auf Widerstände zu stoßen. Nachdem sich viele EU-Staaten lange gesträubt haben, Kosovo überhaupt anzuerkennen, will Brüssel unter dem Namen EULEX nun möglichst bald eine Rechtsstaat- und Polizeimission in die Provinz senden. Die knapp 2.000 Beamten sollen in den sensiblen Bereichen der grassierenden Organisierten Kriminalität, der Migrationskontrolle und dem bisher kaum funktionierenden Justizwesen die direkte Kontrolle der EU herstellen, welche auf dem Balkan vitale Stabilitätsinteressen hat.
Mit dem Vorschlag Ban Ki-moons, EULEX unter das Dach einer verlängerten UNMIK zu stellen, könnte das bisherige Problem einer mangelnden Rechtsgrundlage für die EU-Mission gelöst werden. Aber der Kosovo-Sonderbeauftragte der EU, Peter Feith, befürchtet, dass die neue Konstellation zur Konsolidierung der serbischen Parallelinstitutionen in den mehrheitlich von Serben bewohnten Landkreisen des Kosovo führen könnte. In einem Interview mit der Financial Times warnt Feith sogar vor einer "funktionalen Spaltung" des Kosovo.
Kosovo-Serben wollen eigenes Parlament bilden
Tatsächlich wäre die Anerkennung einer Doppelherrschaft im Kosovo aber nur die Bestätigung der bereits existierenden Realität. Die über hunderttausend Kosovo-Serben erkennen in ihrer übergroßen Mehrheit die unilaterale Unabhängigkeitserklärung nicht an. Am 11. Mai haben sie nicht nur an den serbischen Parlamentswahlen, sondern auch an gleichzeitig stattfindenden Lokalwahlen teilgenommen (Zerrissenes Serbien).
Mittlerweile haben sich in den serbischen Landkreises des Kosovo Kommunalparlamente konstituiert, die voll in das Institutionensystem Serbiens integriert sind und keinerlei Verbindung zu Pristina haben. Unterstützt durch die Regierung in Belgrad erkennen die Kosovo-Serben weder die neue Verfassung noch die geplante EULEX Mission an. Am 28. Juni wollen sie vielmehr ihr eigenes Parlament gründen, kündigte der Serbische Nationalrat (SNV) in Kosovska Mitrovica an. Als Datum wurde dafür der Mythen umwobene Veitstag (Vidovdan) gewählt, an dem in Serbien der Jahrestag der "Schlacht auf dem Amselfeld" von 1389 gefeiert wird.
Eine zentrale Frage für die Zukunft ist, wie die kosovo-albanische Bevölkerung auf die sich abzeichnende De-facto-Teilung reagieren wird. Von Seiten der politischen Eliten, welche zum großen Teil aus der ehemaligen UCK hervorgehen, wird zwar rhetorisch der Anspruch auf den ganzen Kosovo erhoben. Tatsächlich unternimmt die Regierung unter dem ehemaligen UCK-Führer Hasim Thaci aber nichts, um diese Ambitionen auch durchzusetzen. Damit folgt er den Maßgaben der internationalen Machtfaktoren, die einer Konfrontation mit den Kosovo-Serben aus dem Weg gehen wollen.
Ganz anders agiert dagegen die radikale Bewegung "Vetevendosje" (Selbstbestimmung). Ihr Sprecher Albin Kurti fordert einen sofortigen Abzug der UNMIK und die Aufhebung der "Parallelinstitutionen" der Kosovo-Serben. Bisher folgen den Aufrufen zu Demonstrationen aber nur wenige Kosovo-Albaner.
TP: "Funktionale Teilung" im Kosovo
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