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SPIEGEL ONLINE
22. Juli 2010, 12:46 Uhr
Aufregung im House of Commons
Britischer Vizepremier nennt Irak-Einmarsch illegal
Sein erster Parlamentsauftritt als Vertreter von Regierungschef Cameron ist dem britischen Vizepremier gründlich misslungen. Bei einer Fragestunde nannte der Liberale Nick Clegg die Irak-Invasion 2003 "illegal" - und vergaß dabei ernste rechtliche Folgen. Die Tories sind empört.
London - Es war ein historischer Moment. Seit den zwanziger Jahren ist im britischen Unterhaus kein Liberal-Demokrat mehr als ranghöchster Vertreter der Regierung aufgetreten. Da Premier David Cameron derzeit in den USA unterwegs ist, nahm am Mittwoch Vize Nick Clegg seinen Platz ein. Und dabei scheint er etwas Entscheidendes vergessen zu haben: Aussagen, die der Betreffende an dieser Stelle macht, kommen einer offiziellen Haltung der Regierung gleich.
Clegg nutzte seine Stellvertreter-Position für eine Abrechnung mit dem Labour-Politiker Jack Straw, der unter Premier Tony Blair von 2001 bis 2006 Außenminister war. Straw war Clegg zuvor angegangen, weil der Liberale heutzutage Entscheidungen der Regierung mittragen müsse, die er zu Oppositionszeiten noch abgelehnt habe. Die Stimmung war gereizt. Clegg antwortete darauf, er wolle "sehr gern für alles geradestehen, was wir in dieser Koalition tun". Dann fügte er hinzu: "Vermutlich müssen wir dafür auf seine (Straws) Memoiren warten, aber vielleicht kann auch er eines Tages für seinen Anteil an der größten Fehlentscheidung überhaupt geradestehen: dem illegalen Einmarsch in den Irak."
War die Äußerung nur ein Versehen?
Die Briten beteiligten sich im März 2003 an der US-geführten Invasion in den Irak. Die Von George W. Bush und auch Tony Blair zur Begründung angeführten Massenvernichtungswaffen wurden allerdings nie gefunden. Eine Untersuchungskommission in den Niederlanden, die wenige Monate später Truppen zur Unterstützung an den Golf entsandten, erklärte den Einmarsch im Januar 2010 für illegal.
Großbritannien hat inzwischen seine regulären Truppen aus dem Irak abgezogen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind noch rund 150 Einsatzkräfte vor Ort, die in Trainingsprogrammen für ihre irakischen Kollegen oder für den Schutz der britischen Botschaft tätig sind. In Afghanistan haben die Briten allerdings noch 9500 Soldaten stationiert.
Viele Briten fragen sich nun: War die Formulierung Cleggs nur ein Versehen? Denn sie könnte Folgen haben, sagt Philippe Sands, Professor der Rechtswissenschaften in London. "Eine öffentliche Stellungnahme eines Regierungsmitglieds im Parlament zur rechtlichen Lage wäre eine Äußerung, die einen internationalen Gerichtshof interessieren dürfte bei der Frage, ob der Krieg rechtens war oder nicht", zitiert der "Guardian" den Experten. Somit erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die britische Regierung vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden könnte, prophezeit Sands.
Entgeisterte Gesichter bei den Kabinettskollegen
Der liberale Polit-Aufsteiger will davon nichts wissen. Eiligst ließ Clegg sein Büro eine Klarstellung verbreiten, er habe mitnichten eine offizielle Position der Regierung vertreten, sondern nur seine persönliche Meinung. "Der Vizepremierminister hat seine altbekannte Ansicht zur Rechtmäßigkeit des Irak-Konflikts kundgetan." In Sachen offizieller Beurteilung warte man das Untersuchungsergebnis der Chilcot-Kommission ab.
Die Kommission allerdings ließ daraufhin ebenfalls umgehend etwas klarstellen: Die Gruppe sei lediglich damit befasst, die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Vorbereitung des Irak-Kriegs zu klären. Man werde aber keine Aussage zur Rechtmäßigkeit des Krieges treffen. "Der Untersuchungsausschuss ist kein Gericht, und es steht niemand unter Anklage."
Neben den juristischen Folgen muss sich Clegg nun allerdings mit einem zweiten Problem befassen: der Stimmung seines Koalitionspartners, der Tories. Denn die meisten konservativen Spitzenpolitiker hatten 2003 für den Einmarsch in den Irak gestimmt, darunter auch etliche Kabinettskollegen. Außenminister William Hague etwa, Schatzkanzler George Osborne - und Premier David Cameron selbst. Über Cleggs Patzer sind die Konservativen daher alles andere als erfreut. Auf Fernsehbildern sind die entgeisterten bis säuerlichen Gesichtern seiner Tory-Kabinettskollegen im Parlament zu sehen, während Clegg spricht.
Die Boulevardzeitung "Sun" verpasste dem Vizepremier gleich einen Spitznamen: "Calamity-Clegg". Katastrophen-Clegg, der Trampel.
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22. Juli 2010, 12:46 Uhr
Aufregung im House of Commons
Britischer Vizepremier nennt Irak-Einmarsch illegal
Sein erster Parlamentsauftritt als Vertreter von Regierungschef Cameron ist dem britischen Vizepremier gründlich misslungen. Bei einer Fragestunde nannte der Liberale Nick Clegg die Irak-Invasion 2003 "illegal" - und vergaß dabei ernste rechtliche Folgen. Die Tories sind empört.
London - Es war ein historischer Moment. Seit den zwanziger Jahren ist im britischen Unterhaus kein Liberal-Demokrat mehr als ranghöchster Vertreter der Regierung aufgetreten. Da Premier David Cameron derzeit in den USA unterwegs ist, nahm am Mittwoch Vize Nick Clegg seinen Platz ein. Und dabei scheint er etwas Entscheidendes vergessen zu haben: Aussagen, die der Betreffende an dieser Stelle macht, kommen einer offiziellen Haltung der Regierung gleich.
Clegg nutzte seine Stellvertreter-Position für eine Abrechnung mit dem Labour-Politiker Jack Straw, der unter Premier Tony Blair von 2001 bis 2006 Außenminister war. Straw war Clegg zuvor angegangen, weil der Liberale heutzutage Entscheidungen der Regierung mittragen müsse, die er zu Oppositionszeiten noch abgelehnt habe. Die Stimmung war gereizt. Clegg antwortete darauf, er wolle "sehr gern für alles geradestehen, was wir in dieser Koalition tun". Dann fügte er hinzu: "Vermutlich müssen wir dafür auf seine (Straws) Memoiren warten, aber vielleicht kann auch er eines Tages für seinen Anteil an der größten Fehlentscheidung überhaupt geradestehen: dem illegalen Einmarsch in den Irak."
War die Äußerung nur ein Versehen?
Die Briten beteiligten sich im März 2003 an der US-geführten Invasion in den Irak. Die Von George W. Bush und auch Tony Blair zur Begründung angeführten Massenvernichtungswaffen wurden allerdings nie gefunden. Eine Untersuchungskommission in den Niederlanden, die wenige Monate später Truppen zur Unterstützung an den Golf entsandten, erklärte den Einmarsch im Januar 2010 für illegal.
Großbritannien hat inzwischen seine regulären Truppen aus dem Irak abgezogen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind noch rund 150 Einsatzkräfte vor Ort, die in Trainingsprogrammen für ihre irakischen Kollegen oder für den Schutz der britischen Botschaft tätig sind. In Afghanistan haben die Briten allerdings noch 9500 Soldaten stationiert.
Viele Briten fragen sich nun: War die Formulierung Cleggs nur ein Versehen? Denn sie könnte Folgen haben, sagt Philippe Sands, Professor der Rechtswissenschaften in London. "Eine öffentliche Stellungnahme eines Regierungsmitglieds im Parlament zur rechtlichen Lage wäre eine Äußerung, die einen internationalen Gerichtshof interessieren dürfte bei der Frage, ob der Krieg rechtens war oder nicht", zitiert der "Guardian" den Experten. Somit erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die britische Regierung vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden könnte, prophezeit Sands.
Entgeisterte Gesichter bei den Kabinettskollegen
Der liberale Polit-Aufsteiger will davon nichts wissen. Eiligst ließ Clegg sein Büro eine Klarstellung verbreiten, er habe mitnichten eine offizielle Position der Regierung vertreten, sondern nur seine persönliche Meinung. "Der Vizepremierminister hat seine altbekannte Ansicht zur Rechtmäßigkeit des Irak-Konflikts kundgetan." In Sachen offizieller Beurteilung warte man das Untersuchungsergebnis der Chilcot-Kommission ab.
Die Kommission allerdings ließ daraufhin ebenfalls umgehend etwas klarstellen: Die Gruppe sei lediglich damit befasst, die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Vorbereitung des Irak-Kriegs zu klären. Man werde aber keine Aussage zur Rechtmäßigkeit des Krieges treffen. "Der Untersuchungsausschuss ist kein Gericht, und es steht niemand unter Anklage."
Neben den juristischen Folgen muss sich Clegg nun allerdings mit einem zweiten Problem befassen: der Stimmung seines Koalitionspartners, der Tories. Denn die meisten konservativen Spitzenpolitiker hatten 2003 für den Einmarsch in den Irak gestimmt, darunter auch etliche Kabinettskollegen. Außenminister William Hague etwa, Schatzkanzler George Osborne - und Premier David Cameron selbst. Über Cleggs Patzer sind die Konservativen daher alles andere als erfreut. Auf Fernsehbildern sind die entgeisterten bis säuerlichen Gesichtern seiner Tory-Kabinettskollegen im Parlament zu sehen, während Clegg spricht.
Die Boulevardzeitung "Sun" verpasste dem Vizepremier gleich einen Spitznamen: "Calamity-Clegg". Katastrophen-Clegg, der Trampel.
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