Es geht um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. "Es gibt einen riesigen Berg mit Leichen. Und für Den Haag sitzt Milosevic oben drauf", sagt dessen Belgrader Anwalt Toma Fila, der seinen Klienten jedoch nur in der Heimat vertritt, gegen den Vorwurf des Amtsmissbrauchs, der Korruption und der Veruntreuung von mehreren hundert Millionen Mark. "Aber die müssen ihm in Den Haag die Befehlskette nachweisen. Das ist wie bei den Nürnberger Prozessen."
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So dachten viele Serben. Und so dachte auch Dragan Karleuza, stellvertretender Kripo-Chef in Belgrad, Abteilung "Organisierte Kriminalität". Bis Ende April. Da berichtete die Zeitung "Timo³ka Krimi Revija" ("Timok-Krimirevue") über einen mit Leichen voll gestopften Tiefkühl-Lkw, der während des Krieges in der Donau versenkt, später aber aufgetaucht sei, samt Leichen von Frauen, Alten und Kindern. "Ich dachte an eine erfundene Horrorstory und fuhr in der Annahme da hin, ich würde eine Zeitungsente aufklären", sagt der Kripo-Mann.
Er sprach mit Polizisten vor Ort, mit Anwohnern, mit Landwirten, die Augenzeugen des Geschehens waren. Und später sogar mit jenen, die die Leichen in Massengräbern auf serbischem Boden hatten verschwinden lassen müssen. "Die Geschichte stimmte. Es ist ein unglaubliches Verbrechen", sagt Karleuza, dem immer noch viele der damals eingeweihten Polizeikräfte die Mitarbeit verweigern. Die Vertuschungsaktion war Staatsgeheimnis, Codename "Tiefe 2". "Aber wir kriegen die Informationen. Aus dem einen Vorfall ist ein riesiges Ding geworden."
Mindestens zehn, vielleicht aber auch Dutzende von Lastwagen mit Leichen wurden vom Schlachtfeld nach Serbien gefahren, im Wasser oder in Erdgruben versenkt. Zuletzt konnte Karleuza die Spur von 50 Toten aus einem Massengrab bei Belgrad bis zu einem Stausee bei Peru¦ac verfolgen. Dort waren sie zunächst in einem Kühl-Lkw versenkt und am 8. April 1999 an die Oberfläche getrieben worden. Dann hat man sie verscharrt. Seit Karleuza seine Arbeit aufgenommen hat, wurden in neun verschiedenen Massengräbern knapp 1000 Leichen entdeckt.
"FRAUEN, KINDER, ALLES IST DABEI. Die meisten Kosovo-Albaner. Möglicherweise aber auch serbische Soldaten, die Befehle verweigerten", sagt der Kripo-Chef. Zu Hunderten stapeln sich die Fotos neben seinem Schreibtisch. Die Exhumierung der Leichen ist zu sehen, Skelette, Totenschädel, verfaultes Fleisch, Krankenversicherungsheftchen von Opfern aus dem Ort Suva Reka, wo serbische Polizisten am 26. März 1999 Menschen in eine Gaststätte trieben, eine Handgranate in den Raum warfen und 34 Menschen ermordeten. Frühjahr 1999 ist auch das Datum, das die Gerichtsmediziner als Todeszeitpunkt jener Menschen bestimmen, deren Leichen nun gefunden werden. Der Mitgliedsausweis eines Albaners für die Discothek "Meti" ist fotografisch dokumentiert, daneben liegen Bilder, die Kopftücher von alten Frauen zeigen, die Fetzen eines rosafarbenen Kinder-T-Shirts mit Mickymaus-Aufdruck und die Knochenreste eines Ungeborenen, das zusammen mit der Mutter starb. "Ein Fötus, vielleicht acht Monate alt", sagt Karleuza und nimmt einen Schluck Whisky.
3525 Kosovo-Albaner werden offiziell noch vermisst. Manche ihrer Angehörigen bieten bis zu 50 000 Mark für Hinweise, wo sie die sterblichen Überreste finden können. Es wird Monate dauern, bis alle Leichen exhumiert, obduziert und identifiziert sind. "Eine unangenehme Aufgabe, aber wichtig für unser Land: Ich werde nicht aufgeben, bevor wir nicht wissen, wer den Befehl für die Gemetzel gegeben, wer sie ausgeführt hat."
Dass Slobodan Milosevic persönlich die Vertuschung der Verbrechen angeordnet hat, daran haben Kripo-Chef Karleuza und sein Innenminister Duzan Mihajlovi¦ keinen Zweifel. Nachdem Milosevic einen CNN-Bericht über frische Massengräber im Kosovo gesehen hatte, die mit Wärmebildkameras aufgespürt worden waren, "gab er persönlich die Anweisung, alle Spuren und Beweise zu beseitigen, die Gegenstand einer Anklage werden könnten", sagt der Minister. Das könne er mit Aussagen von Milosevic-Vertrauten belegen, die dabei waren.
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Der Elitesoldat "Milan", heute Polizist in Serbien packt aus!
Ich sage nur abscheulich !
"MAN HAT DIE STÄRKSTEN von uns ausgewählt", sagt einer jener Elite-Polizisten, die dann zu Milosevics staatlich organisierten Killertrupps beordert wurden. Er ist heute noch Polizist in der serbischen Provinz. Seine Augen wirken freundlich. Nur die aschfahlen Haare des inzwischen 38-Jährigen verraten, dass die Kriegsjahre nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sind. Wir sollen ihn "Milan" nennen. Die Preisgabe seiner Identität würde ihn direkt in eine der Haftzellen des Haager Tribunals befördern. Denn er hat mindestens 100 Menschenleben auf dem Gewissen. "Aber gezählt hab ich das nie. Ich habe mich immer so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht", sagt er und erklärt sein verlegenes Lächeln: "Ich habe darüber noch nie in meinem Leben gesprochen."
Der Anfang seiner Killer-Karriere war eher konventionell: Schießübungen, Häuser stürmen, Konditionstraining. "Wir wussten gar nicht, wozu wir das eigentlich alles machen sollten", sagt Milan. 1992 dann der erste Einsatz: "Wir trafen uns mitten in der Nacht und wurden in Busse verfrachtet. Früh um drei Uhr ging es los." Kurz vor der Grenze zu Bosnien mussten sie aussteigen und sämtliche persönlichen Dokumente abgeben. Sie bekamen schwarze Spezialuniformen und gefälschte Ausweise. "Da war zwar mein Foto drauf. Aber Name und Wohnort waren falsch", sagt Milan. "Den Papieren zufolge war ich bosnischer Serbe und Kriegsfreiwilliger. Aber auch das stimmte nicht. Wir waren keine Freiwilligen. Wäre ich dem Ruf zur Spezialeinheit nicht gefolgt, hätte mich die Polizei gefeuert."
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Einmal, bei der "Befreiung" des Dorfes Gazde, kämpfte Milan mit seiner Einheit an der Seite von Arkan.
Das furchtbare Ausmaß ihres Treibens und die damit einhergehende Vertuschungstaktik wurde ihm spätestens bewusst, als er 1994 bei der Umbettung von 5000 Leichen aus einem Massengrab bei Vukovar half. Man befürchtete, es könnte entdeckt werden, weil das Gebiet an Kroatien zurückgegeben werden sollte. Mit Baggern luden sie die Leichen auf sieben Lkws, vergruben sie auf Feldern, die anschließend gewässert wurden, um Spuren zu verwischen. "Ich musste 45-mal fahren", sagt Milan. "Die Stelle finde ich heute noch im Schlaf."
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Wenig später servierte er auch Jovic ab, weil er den serbischen Eroberungskrieg in Bosnien offen kritisiert hatte. Er feuerte Minister, die nicht spurten, hatte seine Frau zur Mehrheitsbeschaffung im Parlament eine Partei gründen lassen, die JUL ("Jugoslawische Linke"). Und er setzte weiter auf Krieg und Vertreibung. Diesmal im Kosovo. "Ich habe ihm gesagt, dass es ein langer Krieg werden wird und dass ich ihn für ihn führe", sagt der ehemalige Generalstabschef der Armee, Mom³ilo Perizic. "Aber als ich verlangte, er solle den Marschbefehl vom Parlament absegnen lassen, hat er mich entlassen."
Slobodan Milosevic fand willfährige Armeechefs und durfte sich weiter auf die Hilfe seiner geübten paramilitärischen Truppe verlassen. Insgesamt acht Einheiten, jeweils 450 Mann, wurden zum "Antiterroristischen Einsatz" beordert. Laut Milan gingen die Säuberungstrupps strategisch gut organisiert vor. Ihr Stab war in Pristina. Für jeden Bezirk waren Listen der zu "säubernden" Dörfer erstellt worden. Eines nach dem anderen wurde abgehakt. Als erstes war das Dorf Donji Prekaz dran. Hier hatte sich UCK-Chef Adem Jashari auf seinem Hof verschanzt.
"Wir hatten das Dorf umzingelt und lieferten uns zwei Tage und zwei Nächte lang ein Feuergefecht. Dann haben wir Hilfe gerufen", berichtet Milan. Zur Unterstützung kamen vier Panzer von der Armee. "Aber sie waren blau gestrichen. Blau wie unsere Polizei. Offiziell war ja kein Kriegszustand." Die Panzer feuerten in die Häuser, aus denen geschossen wurde. Als sich nichts mehr regte, rückten die "Säuberer" vor. Sie durchsuchten jeden Winkel, schossen auf die Schränke. Milan: "Ab und zu lief dann aus den Schränken unten Blut heraus." Als immer noch Schüsse aus vermeintlich "gesäuberten" Häusern kamen, entdeckten sie ein Tunnelsystem unter den Gebäuden. Sie schütteten Benzin hinein und zündeten alles an. Die Überlebenden wurden zusammengetrieben und dann verjagt.
Milan war nach eigener Schätzung bei 150 bis 200 Einsätzen dabei. "Manchmal brauchten wir nur einen Tag für ein Dorf." Skrupel? Im Gegenteil. Der Hass auf die Kosovaren wuchs. "Ich habe drei meiner besten Freunde verloren und ihre Leichen unter Beschuss geborgen." Aber trotz des Hasses habe er auf Zivilisten Rücksicht genommen. "Wir haben nur die erschossen, die die Terroristen als menschliche Schutzschilde benutzten", sagt Milan. Erst als das Nato-Bombardement begonnen hatte, seien alle Dämme gebrochen. Milan: "Da gab es keine Gnade mehr. Wer nicht verschwunden war, wenn wir kamen, hatte keine Chance."
MILAN KANN NICHT BEGREIFEN, dass fast täglich neue Massengräber mit Kosovo-Opfern entdeckt werden. "Die Leichen wurden doch alle zum Heizkraftwerk in Obili¦ geschafft und dort verbrannt", sagt er. "Wir sagten damals immer:
Jetzt gibt's wieder Gratis-Strom in Serbien."