Um 23.20:
Europas letzter Diktator
Sturz und Ende von Slobodan Milošević
Der Tod des früheren Präsidenten Serbiens Slobodan Milošević im Jahr 2006 war für das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag eine Katastrophe. Viele Jahre Arbeit, so die Chefanklägerin Carla del Ponte, seien vergeblich gewesen. Der Nachweis, wie der Völkermord an den bosnischen Muslimen geschehen konnte, wird im Gerichtsfall Milošević nun nicht mehr zu erbringen sein. Der Prozess ist ohne Urteil zu Ende gegangen. Die Dokumentation zeigt, wie Milošević, der sein Land in den 1990er Jahren in vier Kriege geführt und alle verloren hat, nach dem letzten, dem Kosovo-Krieg, politisch gescheitert, verhaftet und angeklagt worden ist. Dem Urteil hat sich Milošević durch seinen Tod entzogen.
Politische, militärische und diplomatische Hauptakteure erzählen exklusiv, wie sie die wichtigsten Schlüsselmomente der Kosovo-Krise und des Sturzes von Milošević erlebt haben, wie sie gehandelt haben und warum. Prominente Interviewpartner sind u. a.: der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton, die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, der französische Präsident Jacques Chirac, der britische Premier Tony Blair, der russische Ministerpräsident Jewgeni Primakow, Mira Markovic, die Ehefrau von Milošević, und der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch.
Dai Richards und sein Team haben nur Augenzeugen und Entscheidungsträger interviewt, die direkt am Untergang Miloševićs beteiligt waren oder die Vorgänge aus nächster Nähe beobachten konnten. Sie sprechen nur über ihre eigenen Handlungen, über das was sie selbst gesagt, gehört oder miterlebt haben. Die Dokumentation gibt einen einzigartigen Einblick in eine entscheidende Phase der europäischen Nachkriegsgeschichte.
Kosovo-Krise und NATO-Krieg gegen Jugoslawien
Demonstrationen gegen Milošević
Der UCK-Führer Hashim Thaci und General "Remi" erzählen, wie sie die Serben zu grausamen Gegenschlägen gegen die UCK und zivile Kosovo-Albaner provozieren, um den Westen zur Intervention zu zwingen.
Oberst Radosajvlevic, einer der Kommandanten der serbischen Streitkräfte, beschreibt eine militärische Schlüsseloperation der Kosovo-Krise - die Aktion seiner Einheit im Jänner 1999 in Racak. Danach fand man hier 45 Leichen von albanischen Männern und Burschen, was dazu führte, dass der Westen Milošević ein letztes Ultimatum stellte.
Bei den Friedensgesprächen von Rambouillet konzentrierte sich Außenministerin Albright ganz darauf, die UCK dazu zu bringen, den Vertrag zu unterzeichnen. UCK-Kommandanten erzählen, wie sie ihre Vertreter bei den Friedensgesprächen unter Druck setzten; das Unterzeichnen eines Vertrags, in dem es keine Garantie für ein unabhängiges Kosovo gibt, war für sie gleichbedeutend mit Verrat. Schließlich unterschrieb die albanische Delegation, weil ihnen Außenministern Albright in einem Brief zugesichert hatte, dass es ein Referendum über die Zukunft des Kosovo geben wird. Damit war der Weg für die NATO frei, um Serbien zu bombardieren.
Richard Holbrooke (US-Sondervermittler) mit einem UCK Kommandanten
Bill Clinton und Jacques Chirac beschreiben ihre heftigen Auseinandersetzungen darüber, welche Ziele Milošević am ehesten in die Knie zwingen würden und politisch im Westen noch akzeptabel sind.
Bali Tahci, ein Lehrer aus der Gegend um Malisehvo, gibt einen anschaulichen Bericht, wie die Serben ihre "ethnischen Säuberungen" vornahmen. Nachdem die serbischen Soldaten aus dem Dorf abgezogen waren, verließ Bali seinen Unterschlupf in den Wäldern, um nach seiner Familie zu suchen. Zuerst holte er seine Videokamera, die er in der Nähe seines Hauses versteckt hatte. Dann filmte er seine Suche. Bali fand die Leichen von 35 ermordeten Zivilisten - darunter auch seinen Onkel, der so verstümmelt war, dass er ihn zuerst überhaupt nicht erkannte. Sein Filmmaterial ist ein einzigartiges persönliches Dokument über ethnische Säuberung.
Präsidentenwahlen und Verhaftung von Milosevic
US-General Wesley Clark, Bill Clinton, Javier Solana (NATO-Generalsekretär)
Der britische Premier Tony Blair, der ehemalige US-Präsident Clinton und Sicherheitsberater Sandy Berger beschreiben, wie die Angriffe gegen Jugoslawien die NATO zu spalten drohten und wie man schließlich zu einer gemeinsamen Strategie fand.
Der russische Ministerpräsident Stepaschin berichtet, wie Boris Jelzin in Moskau eiligst eine gemeinsame russisch-amerikanische Friedensinitiative vorschlug, als er erkannte, dass sich die NATO nicht über die Jugoslawien-Frage zerstreiten wird. Die drei Mitglieder des Verhandlungsteams erläutern, warum Milošević schlussendlich kapitulierte, wie Milosevic die Wahlen verlor und aus dem Amt gejagt wurde.
Madeleine Albright erklärt ihren Kollegen: "Ich möchte, dass Milošević verschwindet, bevor meine Amtszeit endet." Sie unterstützte die serbische Opposition mit rund 30 Millionen Dollar.
Die Führer der serbischen Opposition erzählen, dass sie wussten, dass Milošević eine Niederlage nicht akzeptieren würde und dass sie, schon vor dem Wahltag, einen Plan hatten, ihn zu vertreiben, und sich schworen - falls notwendig -, bis zum Ende zu gehen, um ihn loszuwerden.
Zwei serbische Polizeigeneräle berichten, wie man ihnen befahl, auf Demonstranten zu schießen und zehn Kilogramm schwere Kanister mit Tränengas von einem Hubschrauber aus auf die Menge unter ihnen abzuwerfen.
Die Dokumentation erzählt auch die Geschichte eines Belgrader Rockstars, dessen Schlagzeuger den Rhythmus für die marschierenden Demonstranten vorgaben, und berichtet über einen serbischen Baggerführer, der mit seiner Schubraupe bis zur Treppe des Bundesparlaments fuhr und auf seiner Schaufel die Demonstranten über die Köpfe der Polizei hinweg zu den Fenstern des ersten Stocks hinaufhob.
Nach mehreren gescheiterten Versuchen wurde Milošević Anfang April 2001 verhaftet. Augenzeugen berichten, wie er, mit einer Waffe in der Hand, drohte, sich und seine Familie zu töten, anstatt ins Gefängnis zu gehen.
danach um 0.05 Uhr:
Architektur der Erinnerung
Die Denkmäler des Bogdan Bogdanovic
Der zum Zeitpunkt seines Todes im Juni 2010 in Wien lebende Architekt, Philosoph, Literat, Hochschulprofessor und ehemalige Bürgermeister von Belgrad, Bogdan Bogdanovic, schuf zwischen den 1950er und 1980er Jahren großformatige, surrealistische Monumente gegen Krieg und Vernichtung, verteilt über den gesamten damaligen Vielvölkerstaat. Der Film porträtiert die kunsthistorisch einzigartigen Gedenkstätten des 1993 vor dem Miloševic-Regime nach Österreich geflüchteten Dissidenten.
Die Dokumentation berichtet über Leben und Werk eines der bedeutendsten Künstler und Intellektuellen des ehemaligen Jugoslawien: Bogdan Bogdanovic - geboren am 20. August 1922 in Belgrad, Jugoslawien, heute Serbien - gestorben am 18. Juni 2010 in Wien.
Der zuletzt in Wien lebende Architekt, Philosoph, Literat, Hochschulprofessor und ehemalige Bürgermeister von Belgrad schuf zwischen den 1950er und 1980er Jahren großformatige, surrealistische Monumente gegen Krieg und Vernichtung, verteilt über den gesamten damaligen Vielvölkerstaat.
Denkmalpark Popina, bei Vrnjačka Banja
Jüdischer Friedhof, Belgrad
Partisanen-Nekropole, Mostar
Schon während des kommunistischen Regimes von nationalistischen Eiferern angefeindet, wurde Bogdanovic mit Ausbruch des jugoslawischen Bürgerkriegs 1991 mit dem Tode bedroht und sein versöhnliches Werk zum Ziel mutwilliger Zerstörung.
Bogdan Bogdanovic
Der Film von Reinhard Seiß porträtiert erstmals die kunsthistorisch einzigartigen Gedenkstätten des 1993 vor dem Miloševic-Regime nach Österreich geflüchteten Dissidenten und setzt seine Architektur für den Frieden mit der konfliktreichen Geschichte und Gegenwart Serbiens in Beziehung.