3. Die Familie
Glück und Fleiss allein nützen wenig ohne Unterstützung. Das betonen alle. Die erste, vielleicht die wichtigste Hilfe kommt aus der eigenen Familie, so oder anders oder eben gar nicht. Auf jeden Fall stellen die Eltern zentrale Weichen. Wie sie dies tun, hängt meistens davon ab, ob sie «bildungsnahen» (und oft städtischen) oder «bildungsfernen» (ländlichen) Schichten angehören, wie sich die Bildungsforscher ausdrücken. Drei unserer sieben Gesprächspartner stammen aus bildungsnahen Familien. Deren Eltern sind, wie etwa der Schuldirektor Bajrami, typischerweise als politische Flüchtlinge in die Schweiz gekommen und nicht als Saisonniers, und «sie unternehmen alles, um uns Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen», wie Shqipe Bajrami sagt. «Mein Vater hat für uns Kinder sofort eine kleine Bibliothek mit deutschsprachigen Büchern angelegt, weil er weiss, wie wichtig die Sprache ist»; ein Musterbeispiel für die vielfach belegte Erkenntnis, dass jene Kinder sehr viel häufiger Schulkarriere machen, deren Eltern dies schon taten, egal in welchem Land.
Der Grossteil der hier lebenden Kosovo-Albaner stammt hingegen aus ländlichen (Arbeiter-)Schichten, denen Bildung ziemlich fernliegt. Sie sind einer traditionalistischen Kultur verhaftet, in der Ehre und Stolz und vor allem das Wort des Patriarchen zählen. Das Interesse der Grossfamilie steht meistens über jenem des Individuums. «Erfolg heisst für sie, wenn etwas gut für die Familie und gut für die Nation ist», sagt Oberarzt Abazi. So hoffen noch immer viele Eltern, dass ihre Kinder nicht etwa eine möglichst gute Ausbildung machen, sondern dass sie möglichst bald eine Arbeit finden, damit ein zusätzlicher Lohn in die Familienkasse fliesst, welche auch die mitunter mehr als hundertköpfige Grossfamilie in der Heimat subventioniert. Das hier verdiente Geld wird in erster Linie in Autos, Hochzeiten und Häuser in der Heimat gesteckt, aber kaum je in die Bildung.
Die bildungsfernen Eltern der erfolgreichen Söhne und Töchter haben dieses Muster durchbrochen. Der Gastronom Kastrati erzählt: «Als ich mit 16 nach Basel kam, ging ich zuerst in die Migros-Sprachschule und dann drei Jahre lang an eine Privatschule. Das kostete fast 1000 Franken pro Monat, sehr viel Geld, aber meine Familie hat mich unterstützt, wobei ich selber am Abend noch arbeiten ging.» Warum seine Eltern dies taten, liegt wohl an einer verlorenen Illusion. Die erste Generation, die zwanzig oder dreissig Jahre im Dauerprovisorium Schweiz gelebt hat, beginnt sich von der Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat zu verabschieden. Und erst recht die folgenden Generationen. Ibrahim Kastrati sagt: «Für meine Eltern ist ebenso klar wie für mich, dass wir in der Schweiz bleiben. Sie haben begriffen, dass es nichts bringt, alles Ersparte in ein Haus in Kosovo zu investieren, wenn sie doch nur zweimal pro Jahr darin wohnen können. Für die paar Feriennächte gehen sie gescheiter ins Hotel. Das Geld hier zu investieren bringt mehr.»
Die grössten Hürden des albanischen Traditionalismus haben nicht die Söhne zu überwinden, sondern die Töchter. Sie sollen mit 20 Mütter werden und nicht Studentinnen. Wer mit 25 noch immer ledig und ohne Kinder ist, fällt aus dieser Sicht vollends aus der Rolle. Ylfete Fanaj, die Studentin an der Luzerner Hochschule für Soziale Arbeit: «Als ich 17, 18 Jahre alt war, wurden meine Eltern von Anfragen aus Kosovo überrannt, mich zu verloben und dann zu verheiraten. Hätte mein Vater damals Ja gesagt wie so viele andere Väter, wäre mein Leben sicher ganz anders verlaufen. Doch er hat alle Anfragen abgewimmelt. Für meine Eltern stand fest, dass Heiraten nicht infrage kam, solange ich mit der Lehre nicht fertig war, und da war ich 21. Mit dem KV-Abschluss hatte ich von all meinen Cousins und Cousinen den höchsten Schulabschluss, und darauf waren meine Eltern stolz. Zugleich spürten sie den Druck aus der Verwandtschaft: Was macht deine Tochter? Warum heiratet sie nicht? Alles dreht sich immer um die Familienehre. In Kosovo hat nie jemand nach meinen Leistungen in der Schule gefragt, alle wollten nur wissen, ob ich endlich einen Freund habe. Innerhalb meiner Verwandtschaft sind meine Eltern die Einzigen, die nicht mehr in diesen Mustern denken. Doch dafür habe ich mich auch eingesetzt, das kam nicht von gestern auf heute.»
Auch in Akademikerfamilien drücken diese Vorstellungen gelegentlich noch durch. Die Ökonomin Isufi erzählt: «Ich passe nicht in die Frauenschublade der Kosovaren, weil mir Bildung wichtiger ist als die Gründung einer Familie. Wenn meine Mutter mit diesen Vorstellungen konfrontiert wurde, sagte sie immer: ‹Kümmert euch um eure Kinder und ich mich um meine.› Die meisten meiner Landsleute stecken ihr Geld in ein Haus, in die Hochzeit und ins Auto. Dementsprechend sieht Kosovo im Sommer jeweils aus wie der Genfer Autosalon, aber Investitionen in die Bildung sieht man eben nicht sofort. Dass ich, als 26-jährige Doktorandin, kein eigenes Auto habe und auch keine teuren Kleider trage, das ist für viele unbegreiflich. Ich erhielt auch viel mehr Gratulationen, nachdem ich die Autoprüfung geschafft hatte, als zur bestandenen Matura. Wenn ich mit den Leuten über solche Dinge zu reden versuche, dann sagen die nur: Hör auf, du hast zu viel studiert! Ich habe es aufgegeben, andere Leute ändern zu wollen. Ich mag ja meine Cousins, aber die Diskussionen über ihre Frauenbilder trieben mich nur noch in die Flucht. Ich habe aufgehört damit.»
Wenn ich mir das alles so durchlese merke ich nur eins, sie mögen Albanisches Blut + Genen haben , aber in der Denkweise sind die zu 100 % Schweizer.Ein extrem negativer Punkt der Schweizer ist das Thema " Erfolgreich" , die Schweizer messen sich nur anhand Ihrer Leistungen. Schade eigl.