Da scheint mir ein Gewissens Konflikt für Erdogan zu ergeben
Nachdem der türkische Präsident eine militärische Unterstützung der Anti-IS-Allianz in Betracht gezogen hat, marschierten Anhänger des Islamischen Staats mitten in Istanbul auf.
- 73
[*=right]
Von Cigdem Toprak
Foto: Twitter - Amed News AgencyAuf der Istiklal demonstrierten Mitglieder islamischer Vereine mit schwarzen Tauhid-Flaggen und "Allahu ekber"-Rufen gegen die US-Luftangriffe auf die syrischen IS-Stützpunkte
Istanbuls beliebte Einkaufsstraße Istiklal Caddesi war letztes Jahr internationaler Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Polizei und jungen Aktivisten der Gezi-Park-Protestwelle. Die Proteste richteten sich gegen den autoritären Führungsstil des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner islamisch-konservativen AKP-Regierung. Heute ist Erdogan Staatspräsident und muss sich in diesen Tagen weniger um innenpolitische Konflikte, sondern viel mehr um die auch für ihn immer größer werdende Gefahr des Terrors des Islamischen Staats (IS) in Syrien und dem Irak Sorgen machen.
Am Dienstag äußerte sich Erdogan in New York positiv über die Luftangriffe der US-amerikanischen Streitkräfte gegen den IS. Er sagte der Allianz die Unterstützung der Türkei zu – und schloss militärische Operationen dabei nicht aus. "Welche Aufgaben uns im Kampf gegen den Terrorismus auch bevorstehen: Wir werden unseren Beitrag dazu leisten. Die Unterstützung kann militärisch, logistisch oder politisch sein."
[h=2]Ein Krankenhaus für die IS-Kämpfer[/h]Vor dem renommierten Galatasaray-Gymnasium auf der Istiklal sah man gestern Abend aber ein gänzlich anderes Stimmungsbild. Mit schwarzen Tauhid-Flaggen und "Allahu ekber"-Rufen demonstrierten dort rund 40 Mitglieder islamischer Vereine gegen die US-Luftangriffe auf die syrischen IS-Stützpunkte. Der Vorsitzende der islamischen Hilfsorganisation Imkan-Der, Murat Sözer, sprach im Namen der Protestgruppe von einer "Satanisierung des IS".
"Erst haben die westlichen Imperialisten eine Organisation mit dem Namen IS satanisiert und über die Medien Propaganda betrieben, danach haben sie unter diesem Vorwand Gebiete in Syrien und im Irak bombardiert", sagte Sözer. "In diesen Regionen leben vor allem Zivilisten, und es existieren dort Quartiere von Gegnern des Assad-Regimes, das bisher 300.000 Zivilisten ermordet hat."
Auf der Internetseite der Organisation heißt es, Imkan-Der leiste humanitäre Hilfe für Kriegsopfer aus muslimischen Ländern. Erst vor einigen Tagen veröffentlichte der türkische Journalist Dogu Eroglu in der regierungskritischen Zeitung "Birgün" einen Bericht über ein 75-Betten-Krankenhaus in der türkischen Stadt Antep, in dem Kämpfer der Islamischen Front behandelt werden.
Das Krankenhaus wird von Imkan-Der geleitet und erhält nach Angaben des Leiters auch von der AKP-Gemeinde in Antep Unterstützung. "Die Regierung, die das Krankenhaus in Taksim geschlossen hatte, damit die von der Polizei geschlagenen Aktivisten nicht behandelt werden, hat in Antep ein Dschihad-Krankenhaus für die IS-Militanten eröffnet", twittert der türkische User Sizofriend.
[h=2]Polizei gehe nicht hart genug gegen Protestierende vor[/h]Oppositionelle Bürger sind der Meinung, dass die AKP sich nicht klar genug gegen die Terroreinheit IS positioniert. Auch, dass die türkische Polizei nicht wie sonst üblich mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die protestierende Gruppe vorgegangen ist, macht einige Twitter-User wütend. Regierungskritiker halten auch den Anhängern der Regierungspartei vor, sich mit ihrer Kritik in den sozialen Medien gegen den IS zurückzuhalten. "Die AKP-Trolle sagen, es sei nicht der IS, es sei die al-Nusra" und "Ahh, das sind die Guten natürlich, sie reißen nur Herzen raus und essen sie", twitterte der türkische Journalist Can Atakli.
Der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu geht von einer veränderten Bedrohung und Gefahr aus dem Irak und Syrien aus. Er will darum die bereits existierenden Beschlussvorlagen zum Einsatz der Streitkräfte des Landes überarbeiten und Anfang Oktober erneut im Parlament diskutieren.
Momentan gibt es zwei vom Parlament gebilligte Beschlüsse für den Einsatz des türkischen Militärs: einen über den Einsatz gegen die PKK im Nordirak und einen für den Fall eines syrischen Angriffs gegen die Türkei. "Ich hoffe, dass es nicht notwendig sein wird für die Türkei, diese Beschlüsse auszuführen. Aber wenn es notwendig sein wird, wird die Türkei nicht zögern", so Davutoglu.
[h=2]Keine Angriffe von türkischem Boden oder Luftraum aus[/h]Militärische Unterstützung hat die Türkei bisher nicht geleistet. Die Regierung des Landes hat sich bisher gesträubt, der Anti-IS-Koalition beizutreten. Ein Grund dafür war die Geiselnahme 46 türkischer Staatsbürger durch den IS, die am vergangenen Wochenende vom türkischen Geheimdienst mit einem "diplomatischen Handel" befreit worden waren.
Am Mittwoch hatte die oppositionelle Syrische Beobachtergruppe für Menschenrechte behauptet, dass die US-geführten Luftangriffe der Anti-IS-Koalition auf die syrischen Stützpunkte der IS in Kobane von militärischen Stützpunkten in der Türkei aus geflogen worden wären. Die türkische Regierung dementierte das. Weder von militärischen Stützpunkten in der Türkei noch vom türkischen Luftraum aus hätte es Angriffe gegeben. Das vermeldete dieenglischsprachige Ausgabe der türkischen "Hürriyet" , die sich auf Äußerungen aus dem Büro des türkischen Ministerpräsidenten bezieht.
[h=2]Opposition sagte AKP-Regierung Unterstützung zu[/h]Die erste Reaktion aus Regierungskreisen nach den US-Luftangriffen kam von Vizepremierminister Yalcin Akdogan, der gegenüber der "Hürriyet Daily News"sagte: "Die von den USA geführte Koalition soll offen ihr Szenario über die Zukunft von Syrien und das Assad-Regime aufzeigen. Wir werden unsere Position erst dann festlegen, wenn wir diese Szenarien von ihnen hören."
Auch die CHP, die größte Oppositionspartei der Türkei, hat der AKP-Regierung ihre "volle politische Unterstützung" im Kampf gegen den IS zugesagt. Der Vizevorsitzende und Sprecher der CHP, Haluk Koc, forderte in diesem Zuge aber auch eine klare Positionierung der AKP gegenüber dem IS. "Solange die AKP darauf verzichtet, den IS als Terrororganisation zu bezeichnen, wird die Türkei als ein Land, das selbst unter Terrorangriffen leidet, mit Argwohn betrachtet."
Es bleibt die Frage, ob die AKP mit ihrer Anti-IS-Position auf eine breite Zustimmung ihrer Wählerschaft hoffen darf. Vor allem aber wird sich zeigen, ob die Unterstützer der Gezi-Park-Proteste und Regierungskritiker beim Kampf gegen die Terrormiliz IS hinter der AKP-Regierung stehen werden.
"IS-Terroristen empfindlich getroffen"
Offenbar haben die Luftangriffe der USA und die ihrer Verbündeten den Vormarsch der Terrormiliz IS fürs Erste gestoppt. N24-Reporter Carsten Hädler berichtet von der türkisch-syrischen Grenze.
Quelle: N24