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Das brutale Regime der Islamisten in Somalia
(4) Von Jens Wiegmann 14. Januar 2009, 15:20 Uhr
Steinigungen, Kinoschließungen, schon die falsche Frisur kann für Probleme sorgen: Die Islamisten der Organisation al-Schabab haben weite Teile Somalias unter Kontrolle. Die schwache Übergangsregierung verliert jetzt ihre militärische Schutzmacht. Das allerdings könnte für das Land auch eine Chance auf Besserung sein.
Die Steinigung von Asha Ibrahim Dhuhulow wurde als öffentliches Spektakel inszeniert. Mit Autos fuhren die Islamisten durch die Hafenstadt Kismayo im südlichen Somalia und kündigten die Tötung der 13-Jährigen für den nächsten Tag an. Ein Scharia-Gericht hatte das Mädchen des Ehebruchs für schuldig befunden. Ashas 62-jährige Tante erzählte dem britischen Rundfunksender BBC, sie sei mit Asha ein paar Tage zuvor zur Polizei gegangen: Asha war von drei bewaffneten Männern vergewaltigt worden.
Die radikalen Islamisten von al-Schabab („die Jugend“) kontrollieren schätzungsweise 80 Prozent des südlichen Somalias; das faktisch unabhängige und vergleichsweise stabile Somaliland und die autonome Region Puntland im Norden liegen bislang jenseits ihrer Reichweite. Die somalische Übergangsregierung (TFG) kontrolliert nur noch die Stadt Baidoa und Teile der Hauptstadt Mogadischu – den Flughafen, den Hafen, den Präsidentenpalast, einige Militärcamps. Neben somalischen Soldaten und einer Truppe der Afrikanischen Union sind es bislang die gut ausgebildeten und modern ausgerüsteten Soldaten aus Äthiopien, die die Regierung schützen. Aber die ziehen nun ab, genau zwei Jahre nach ihrem Einmarsch.
Nach großen militärischen Erfolgen in den ersten Monaten verzeichnete die Armee aus dem christlichen Nachbarland immer mehr Verluste, die Islamisten wurden mit ihrer Guerilla-Taktik immer erfolgreicher. Die Äthiopier, ohnehin Erzfeinde der Somalier, zogen zunehmend den Zorn der Bevölkerung auf sich, indem sie auf Angriffe von al-Schabab mit heftigen Bombardements von Märkten und Wohnvierteln und sogar Moscheen reagierten.
Zu den militärischen Misserfolgen kommen die politischen. Die Übergangsregierung hat keinerlei Fortschritte vorzuweisen. Zwar wurde im November 2008 im nördlichen Nachbarland Dschibuti ein Friedensabkommen unterzeichnet, aber nur zwischen der TFG und einer einzigen, moderaten Splittergruppe. Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed, ein ehemaliger Warlord, verlor wegen seiner unversöhnlichen Politik schließlich jede nationale und internationale Unterstützung, so dass er Ende Dezember zurücktreten musste. Was bleibt, ist eine kopflose Übergangsregierung ohne militärische Schutzmacht. Droht nun der Absturz des ohnehin gescheiterten Staates in noch größeres Chaos?
„Die Gefahr besteht, aber Somalia bieten sich jetzt auch neue Möglichkeiten“, sagt Thomas Cargill, stellvertretender Direktor der Afrikaabteilung am Londoner Forschungsinstitut Chatham House, im Gespräch mit WELT ONLINE. „Die Menschen haben genug von Konflikten. Wenn die Übergangsregierung es schafft, die Autorität mehrerer politischer Gruppen zu gewinnen und für eine gewisse Stabilität zu sorgen, kann sie etwas bewirken.“ Rabdi Ashid, der Somalia für die International Crisis Group von Nairobi aus beobachtet, sieht gar eine historische Chance für das geschundene Land. „Die Übergangsgerierung muss sich jetzt neu erfinden, das Parlament muss einen Präsidenten wählen, der gleichermaßen anerkannt und offen für alle Gruppen ist.“ Andernfalls, da sind sich die Experten einig, werden Regierung und Parlament auseinanderfallen und verschwinden.
Junge Männer werden mit Geld angeworben
Helfen könnte den somalischen Politikern ausgerechnet der Abzug der Äthiopier: Der Hass auf die Besatzer und ihre Unterstützer in Europa und den USA war es bislang, der die Extremisten von al-Schabab geeint und ihnen die Unterstützung anderer Gruppen gesichert hat. „Ich rechne mit einer Neuaufstellung der verschiedenen Kräfte. Man wird sehen, ob al-Schabab die gemeinsame Front aufrechterhalten kann“, sagt Cargill. Die radikalen Islamisten, die von den USA als Terrororganisation mit Kontakten zu al-Qaida eingestuft werden, sollten aber nicht unterschätzt werden. Sie sind gut organisiert und strukturiert.
Brigaden teilen sich die Kontrolle des Landes auf – jeweils entsprechend der Clan-Dominanz in den Regionen, um die größtmögliche Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen. Al-Schabab lockt junge Männer, indem sie ihnen umgerechnet 200 Dollar im Monat, medizinische Versorgung und im Todesfall eine Bestattung versprechen. Das Geld stammt häufig aus dem Ausland, angeblich auch aus Sammlungen in Europa. Diese Angebote zählen sehr viel in einem der ärmsten Länder der Welt, in dem mehr als 40 Prozent der knapp neun Millionen Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind.
Vor allem vermittelt al-Schabab den Menschen ein Gefühl der Sicherheit. Die Islamisten gehen gegen Kleinkriminelle ebenso vor wie gegen die vielen Banden, die auf den Straßen Kontrollpunkte einrichten und den Menschen das letzte Geld aus der Tasche ziehen. „Das Bedürfnis nach Sicherheit ist groß, der Wunsch, einfach nur wieder auf die Straße gehen zu können“, sagt der Experte der International Crisis Group, Abdi. „Vielen geht Sicherheit vor Freiheit.“ Allein seit Anfang 2007 starben etwa 16.000 Zivilisten durch Kämpfe, etwa 30.000 wurden verletzt. Mehr als eine Million Somalis sind auf der Flucht. Mogadischu ist eine Geisterstadt. Etwa 400.000 Einwohner haben sich im Süden der Stadt in Sicherheit gebracht. Die improvisierten Lager erstrecken sich 15 Kilometer entlang der Afgooye-Straße. Zurück bleibt, wer zu krank oder zu arm ist, um zu fliehen.
Die Scharia wird sofort umgesetzt
Der Preis, den die als gemäßigte Muslime geltenden Somalis für mehr Sicherheit zahlen, ist hoch. Wo die Extremisten auftauchen, schließen sie Kinos, in denen indische Filme mit leicht bekleideten Frauen laufen, scheren jungen Männern mit „unanständigen“ Frisuren die Köpfe, verbieten das Anschauen von Fußballspielen. Kommt al-Schabab in ein Dorf oder eine Stadt, verteilt sie Propagandamaterial, lässt radikale Kleriker Reden halten und richtet Studiengruppen (Halqahs) ein. Immer dabei ist ein „mobiler Gerichtshof“, um die Scharia sofort umzusetzen. Wer gegen das strenge islamische Recht verstößt, wird öffentlich ausgepeitscht oder hingerichtet.
Dieser Steinzeit-Islam geht einigen Somalis zu weit. Für Empörung sorgten die Radikalen, als sie in Kismayo das Grab eines moderaten Klerikers zerstörten. „Einige Gruppen mobilisieren ihre Leute und bekämpfen al-Schabab“, sagt Abdi. Es wird von ersten militärischen Erfolgen berichtet: Eine Organisation hat den „Häretikern“ von al-Schabab den Heiligen Krieg erklärt und die Städte Guriel und Dusa Marreb zurückerobert, wie die „New York Times“ berichtet.
Die Politiker in Washington und den europäischen Hauptstädten sollten sich aber nach Ansicht Cargills zurückhalten und auf humanitäre Hilfe konzentrieren. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass es praktisch unmöglich sei, mit Eingriffen von außen die Lage zu verbessern: „Somalis sind sehr stolz – sie mögen es grundsätzlich nicht wenn ihnen Ausländer erzählen, was sie tun sollen.“ Ausländer würden immer wieder tief in die Probleme hineingezogen.
So mussten sich die Amerikaner zurückziehen, nachdem 18 Soldaten von Spezialeinheiten im Oktober 1993 getötet und ihre Leichen durch Mogadischu geschleift wurden. Hinzu käme ein kompliziertes System von Clans, zwischen denen oft tiefes Misstrauen herrsche. Alle Versuche, eine politische Lösung von oben nach unten durchzusetzen, seien bisher gescheitert. Aber Somalis seien sehr kommunikativ und gut organisiert, sagt Cargill. „Es gibt viele Individuen mit guten Absichten, sogar innerhalb der Milizen – man muss ihnen nur eine Rolle in dem politischen Prozess geben.“
Afrika: Das brutale Regime der Islamisten in Somalia - Nachrichten Politik - WELT ONLINE
(4) Von Jens Wiegmann 14. Januar 2009, 15:20 Uhr
Steinigungen, Kinoschließungen, schon die falsche Frisur kann für Probleme sorgen: Die Islamisten der Organisation al-Schabab haben weite Teile Somalias unter Kontrolle. Die schwache Übergangsregierung verliert jetzt ihre militärische Schutzmacht. Das allerdings könnte für das Land auch eine Chance auf Besserung sein.
Die Steinigung von Asha Ibrahim Dhuhulow wurde als öffentliches Spektakel inszeniert. Mit Autos fuhren die Islamisten durch die Hafenstadt Kismayo im südlichen Somalia und kündigten die Tötung der 13-Jährigen für den nächsten Tag an. Ein Scharia-Gericht hatte das Mädchen des Ehebruchs für schuldig befunden. Ashas 62-jährige Tante erzählte dem britischen Rundfunksender BBC, sie sei mit Asha ein paar Tage zuvor zur Polizei gegangen: Asha war von drei bewaffneten Männern vergewaltigt worden.
Die radikalen Islamisten von al-Schabab („die Jugend“) kontrollieren schätzungsweise 80 Prozent des südlichen Somalias; das faktisch unabhängige und vergleichsweise stabile Somaliland und die autonome Region Puntland im Norden liegen bislang jenseits ihrer Reichweite. Die somalische Übergangsregierung (TFG) kontrolliert nur noch die Stadt Baidoa und Teile der Hauptstadt Mogadischu – den Flughafen, den Hafen, den Präsidentenpalast, einige Militärcamps. Neben somalischen Soldaten und einer Truppe der Afrikanischen Union sind es bislang die gut ausgebildeten und modern ausgerüsteten Soldaten aus Äthiopien, die die Regierung schützen. Aber die ziehen nun ab, genau zwei Jahre nach ihrem Einmarsch.
Nach großen militärischen Erfolgen in den ersten Monaten verzeichnete die Armee aus dem christlichen Nachbarland immer mehr Verluste, die Islamisten wurden mit ihrer Guerilla-Taktik immer erfolgreicher. Die Äthiopier, ohnehin Erzfeinde der Somalier, zogen zunehmend den Zorn der Bevölkerung auf sich, indem sie auf Angriffe von al-Schabab mit heftigen Bombardements von Märkten und Wohnvierteln und sogar Moscheen reagierten.
Zu den militärischen Misserfolgen kommen die politischen. Die Übergangsregierung hat keinerlei Fortschritte vorzuweisen. Zwar wurde im November 2008 im nördlichen Nachbarland Dschibuti ein Friedensabkommen unterzeichnet, aber nur zwischen der TFG und einer einzigen, moderaten Splittergruppe. Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed, ein ehemaliger Warlord, verlor wegen seiner unversöhnlichen Politik schließlich jede nationale und internationale Unterstützung, so dass er Ende Dezember zurücktreten musste. Was bleibt, ist eine kopflose Übergangsregierung ohne militärische Schutzmacht. Droht nun der Absturz des ohnehin gescheiterten Staates in noch größeres Chaos?
„Die Gefahr besteht, aber Somalia bieten sich jetzt auch neue Möglichkeiten“, sagt Thomas Cargill, stellvertretender Direktor der Afrikaabteilung am Londoner Forschungsinstitut Chatham House, im Gespräch mit WELT ONLINE. „Die Menschen haben genug von Konflikten. Wenn die Übergangsregierung es schafft, die Autorität mehrerer politischer Gruppen zu gewinnen und für eine gewisse Stabilität zu sorgen, kann sie etwas bewirken.“ Rabdi Ashid, der Somalia für die International Crisis Group von Nairobi aus beobachtet, sieht gar eine historische Chance für das geschundene Land. „Die Übergangsgerierung muss sich jetzt neu erfinden, das Parlament muss einen Präsidenten wählen, der gleichermaßen anerkannt und offen für alle Gruppen ist.“ Andernfalls, da sind sich die Experten einig, werden Regierung und Parlament auseinanderfallen und verschwinden.
Junge Männer werden mit Geld angeworben
Helfen könnte den somalischen Politikern ausgerechnet der Abzug der Äthiopier: Der Hass auf die Besatzer und ihre Unterstützer in Europa und den USA war es bislang, der die Extremisten von al-Schabab geeint und ihnen die Unterstützung anderer Gruppen gesichert hat. „Ich rechne mit einer Neuaufstellung der verschiedenen Kräfte. Man wird sehen, ob al-Schabab die gemeinsame Front aufrechterhalten kann“, sagt Cargill. Die radikalen Islamisten, die von den USA als Terrororganisation mit Kontakten zu al-Qaida eingestuft werden, sollten aber nicht unterschätzt werden. Sie sind gut organisiert und strukturiert.
Brigaden teilen sich die Kontrolle des Landes auf – jeweils entsprechend der Clan-Dominanz in den Regionen, um die größtmögliche Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen. Al-Schabab lockt junge Männer, indem sie ihnen umgerechnet 200 Dollar im Monat, medizinische Versorgung und im Todesfall eine Bestattung versprechen. Das Geld stammt häufig aus dem Ausland, angeblich auch aus Sammlungen in Europa. Diese Angebote zählen sehr viel in einem der ärmsten Länder der Welt, in dem mehr als 40 Prozent der knapp neun Millionen Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind.
Vor allem vermittelt al-Schabab den Menschen ein Gefühl der Sicherheit. Die Islamisten gehen gegen Kleinkriminelle ebenso vor wie gegen die vielen Banden, die auf den Straßen Kontrollpunkte einrichten und den Menschen das letzte Geld aus der Tasche ziehen. „Das Bedürfnis nach Sicherheit ist groß, der Wunsch, einfach nur wieder auf die Straße gehen zu können“, sagt der Experte der International Crisis Group, Abdi. „Vielen geht Sicherheit vor Freiheit.“ Allein seit Anfang 2007 starben etwa 16.000 Zivilisten durch Kämpfe, etwa 30.000 wurden verletzt. Mehr als eine Million Somalis sind auf der Flucht. Mogadischu ist eine Geisterstadt. Etwa 400.000 Einwohner haben sich im Süden der Stadt in Sicherheit gebracht. Die improvisierten Lager erstrecken sich 15 Kilometer entlang der Afgooye-Straße. Zurück bleibt, wer zu krank oder zu arm ist, um zu fliehen.
Die Scharia wird sofort umgesetzt
Der Preis, den die als gemäßigte Muslime geltenden Somalis für mehr Sicherheit zahlen, ist hoch. Wo die Extremisten auftauchen, schließen sie Kinos, in denen indische Filme mit leicht bekleideten Frauen laufen, scheren jungen Männern mit „unanständigen“ Frisuren die Köpfe, verbieten das Anschauen von Fußballspielen. Kommt al-Schabab in ein Dorf oder eine Stadt, verteilt sie Propagandamaterial, lässt radikale Kleriker Reden halten und richtet Studiengruppen (Halqahs) ein. Immer dabei ist ein „mobiler Gerichtshof“, um die Scharia sofort umzusetzen. Wer gegen das strenge islamische Recht verstößt, wird öffentlich ausgepeitscht oder hingerichtet.
Dieser Steinzeit-Islam geht einigen Somalis zu weit. Für Empörung sorgten die Radikalen, als sie in Kismayo das Grab eines moderaten Klerikers zerstörten. „Einige Gruppen mobilisieren ihre Leute und bekämpfen al-Schabab“, sagt Abdi. Es wird von ersten militärischen Erfolgen berichtet: Eine Organisation hat den „Häretikern“ von al-Schabab den Heiligen Krieg erklärt und die Städte Guriel und Dusa Marreb zurückerobert, wie die „New York Times“ berichtet.
Die Politiker in Washington und den europäischen Hauptstädten sollten sich aber nach Ansicht Cargills zurückhalten und auf humanitäre Hilfe konzentrieren. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass es praktisch unmöglich sei, mit Eingriffen von außen die Lage zu verbessern: „Somalis sind sehr stolz – sie mögen es grundsätzlich nicht wenn ihnen Ausländer erzählen, was sie tun sollen.“ Ausländer würden immer wieder tief in die Probleme hineingezogen.
So mussten sich die Amerikaner zurückziehen, nachdem 18 Soldaten von Spezialeinheiten im Oktober 1993 getötet und ihre Leichen durch Mogadischu geschleift wurden. Hinzu käme ein kompliziertes System von Clans, zwischen denen oft tiefes Misstrauen herrsche. Alle Versuche, eine politische Lösung von oben nach unten durchzusetzen, seien bisher gescheitert. Aber Somalis seien sehr kommunikativ und gut organisiert, sagt Cargill. „Es gibt viele Individuen mit guten Absichten, sogar innerhalb der Milizen – man muss ihnen nur eine Rolle in dem politischen Prozess geben.“
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