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Jugoslavija revisited - Der Erinnerungsbürgerkrieg

ooops

Land Of Eagles
Interessanter Artikel, erklärt gut womit die "Post-Jugoslawen" zu kämpfen haben.


Die Literatur des ehemaligen Jugoslawien trägt schwer am Erbe der Zerfallsprozesse. Eine Vor-Ort-Recherche. Von Ronald Pohl

Die Nostalgiker der "Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien" gehören gewiss nicht zu denjenigen Eliten, die in den Nachfolgeländern des zerborstenen Vielvölkerstaates den Ton angeben. Man findet die Zeugnisse des Tito-Kults heute eher verschämt als Andenkenartikel wieder: Es sind ausgerechnet die muslimischen Bosniaken, die am treuherzigsten ihres 1980 verstorbenen Staatenlenkers gedenken.
Wer dieser Tage die wiedererrichtete Alte Brücke in Mostar quert, um den bosniakisch geprägten Ostteil der Stadt zu betreten, findet Tito als T-Shirt-Motiv auf Baumwollleibchen gebügelt: Das kantige Gesicht des Partisanenführers dekoriert die Auslagen der Souvenirstände. Besucher mit Faible für die jüngste Zeitgeschichte können aber auch ihr Schreibset treffsicher aufmotzen: Aus leeren Patronenhülsen haben lokale Anbieter goldpolierte Kugelschreiber angefertigt.
Das Bedauern der Bosniaken ist tiefempfunden: Sie fühlen sich als die wahren Verlierer jenes Dayton-Abkommens, aus dem ihr Staat Bosnien-Herzegowina 1995 als fragiles, von den Kriegswirren übel in Mitleidenschaft gezogenes Gemeinwesen hervorging. Die Dichter, die heute in Sarajevo eine standesbewusste Szene bilden, haben für die Auswirkungen von Krieg und Belagerung eine knappe Formel gefunden: "Wir leben in einem schönen Land, aber in einem schlechten Staat!"
Wer in einem der exjugoslawischen Nachfolgestaaten literarisch arbeitet, sieht sich unweigerlich mit einer Reihe von Widersinnigkeiten konfrontiert. Bosnische, kroatische oder serbische Autoren schreiben in einem zersplitterten Sprachraum, der 20 bis 30 Millionen potenzielle Leser umfasst. Sie müssen sich mit den partikularen Interessen junger, ehrgeiziger Nationalstaaten herumschlagen.
Länder, die unter dem einigenden Dach des Tito-Regimes zu "Einheit und Brüderlichkeit" verpflichtet waren, rivalisieren heute um die schartig gewordene Krone der ältesten, kultiviertesten, "tapfersten" oder am strengsten "gläubigen" Ethnie im konfliktgeladenen Balkan-Raum.
Die niederschmetternden Auseinandersetzungen von 1991 bis 2000, in deren Gefolge Volksgruppen abgesiedelt und/oder vertrieben, Siedlungsräume "ethnisch gesäubert" und tausende Menschen massakriert wurden, sind unausweichlich der Stoff für Literatur. Nur in der Literatur gibt es das rechte Maß: eine Form der Distanzierung, die zugleich äußerste Nähe schafft - eine transformatorische Kraft, die Leid und Unrecht aufzubewahren vermag, ohne sich um die Vorgaben der jeweils verordneten Ideologie scheren zu müssen oder zu wollen.
Verlängerung eines Übels
Es ist auch wirklich der Popanz der Rechthaberei, vor dem den heutigen Autoren aus Exjugoslawien am meisten graut. Literaten wie Asmir Kujović oder Frauk Sehić haben in der bosnischen Armee gedient; sie sprechen von ihrer Heimat wie von einem bedauernswerten Homunculus. Der Übersetzer Naser Sečerović sieht in der völkerrechtlichen Aussetzung des Konflikts die Verlängerung eines überkommenen Übels: "Das nationalistische Konzept wurde Bosnien aufgezwungen: Wer hierzulande ein Amt bekleiden will, muss sich einer der drei Ethnien zugehörig fühlen, ob als Bosniake, als Kroate oder Serbe! Bist du ein Roma, darfst du nicht bosnischer Präsident werden!"
Der Dichter und Essayist Mile Stojić, der einige Jahre in Wien Slawistik lehrte, sagt: "Was soll an Bosnien-Herzegowina multikulturell sein? Bosnien ist monokulturell! Alle Menschen essen das Gleiche! Ich würde sogar sagen: Nicht nur die muslimischen Frauen tragen Kopftücher, sondern auch kroatische Katholikinnen."
Das Dilemma eines Landstriches, den man ob seiner religiösen Vielfalt einst das "europäische Jerusalem" nannte, wird in solchen Wortmeldungen offenbar: Niemand vermag die Augen vor dem allseits gesäten Hass zu verschließen. Wer im Balkankonflikt nicht Farbe bekennt, läuft seinerseits Gefahr, für einen Eskapisten oder Kitschkünstler gehalten zu werden.
In den fruchtbarsten Tälern der exjugoslawischen Literatur, in Kroatien mit seinen EU-Beitritt-Ambitionen, gibt es hingegen valide kleine Buchmärkte, auf denen Leser mit wirklichkeitsgesättigter Prosa regelrecht verwöhnt werden.
In Metropolen wie Zagreb oder Split leben Autoren von Prosabänden, die mit Auflagen von 1500 Exemplaren ein gutes Auskommen finden. In den Nullerjahren griffen verstärkt Journalisten zur Literatenfeder: Namen wie Renato Baretić oder Ante Tomić stehen für solide Erzählliteratur, die den Leser mit keinen allzu künstlichen Verbrämungen verschreckt. Auf eine Welle verschlüsselter, mitunter verschwommenen postmoderner Prosa reagierte man mit Welthaltigkeit - und neuerdings auch mit "neuer Innerlichkeit".
Rund sieben, teilweise über die unabhängige bosnische Teilrepublik Srpska führende, Autobusstunden von Sarajevo entfernt liegt Belgrad, die serbische Hauptstadt: Auf ihrer Buchmesse, die ob ihrer stolzen Größe mindestens derjenigen in Leipzig Konkurrenz machen dürfte, drängeln sich die Kojen offizieller Staatsverlage neben solchen von Oppositionellen und serbisch-orthodoxen Erbauungsliteraturständen.
Orientierung nach innen
Erfreulicherweise ist die Republik Kroatien erstmals mit einigen Vertretern herzlich eingeladen: Die Barrieren zwischen den einstmals verfeindeten Staaten schmelzen langsam. Die Konfliktzonen des serbischen öffentlichen Lebens tragen denn auch vornehmlich solche Markierungen, die der Orientierung "nach innen" dienen. Nach dem Verlust des Kosovo ist man vielfach mit intellektuellen Aufräumarbeiten beschäftigt: Jüngere Autoren wie Sasa Ilić, der in dem Kleinverlag "Buchfabrik" publiziert, beschäftigen sich in ihren Fiktionen mit den (auch mutwillig) verwischten Spuren der Realpolitik.
Sein Roman Der Fall von Kolumbien (noch nicht ins Deutsche übersetzt) widmet sich der bis heute im Wesentlichen ungeklärten Ermordung des "westlich" orientierten Premierministers Zoran Djindjić 2003. Die Rekonstruktion der jüngsten Vergangenheit ist aus den Archiven in die Schreibstuben der Dichter übergewechselt: "Es war Slobodan Milosevićs 'Radiergummi', der über Serbien hinwegging und die Vernichtung von Menschen und Schriften vorantrieb", beschreibt Ilić sein Sujet: "In einem Land, in dem die Geheimdienste den Ton angaben" soll Djindjić einem Komplott zum Opfer gefallen sein: "Mit seinem Tod war der Prozess, die Gesellschaft des Landes demokratisch zu transformieren, gestoppt."
Subversive Off-Autoren wie Ilić leben wie das Gros der exjugoslawischen Schriftsteller von den Segnungen der Netzkultur: Es sind bis heute die großen Internetportale, die den kritischen innerstaatlichen Kulturaustausch befördern helfen. Kroatische Buchtitel wurden bis vor kurzem als unerschwingliches Exportgut in Belgrad angeboten. Kroatische Gehälter sind bei einem Durchschnittseinkommen von 1000 Euro rund dreimal so hoch bemessen wie serbische. In Kroatien muss der Buchkäufer den Gegenwert von elf bis 15 Euro berappen; der katholische Jugo-Nachfolgestaat hat ein dichtes Stipendiennetz geknüpft. Davon können bosnische oder serbische Literaten nur träumen.
Zum Träumen ist den kritischen serbischen Intellektuellen - die nicht in die Litanei der nationalen Auserwähltheit einstimmen - am allerwenigsten zumute. Der Belgrader Sozialwissenschafter Todor Kuljić (61) sieht die Transformation der Erinnerungskultur illusionslos: "Die Föderation Jugoslawien bildete eine starke Wirklichkeit, indem sie Frieden und einen bescheidenen Wohlstand sicherte. Niemand glaubte an eine Zerstörung des Landes. Von hundert Soziologen hätte 1988 nur einer das Ende Jugoslawiens vorauszusagen gewagt!"
Wem gebührt aber nun tatsächlich der zweifelhafte Vorzug, Jugoslawien am wirksamsten "vernichtet" zu haben? "Jede Ethnie glaubte, die Geschichte auf ihrer Seite gehabt zu haben. Es gab bei keiner Volksgruppe Empathie oder Selbstkritik - es waren immer nur die anderen die Täter!"
Heute verliefen durch die einzelnen Länder die Frontlinien derjenigen, die um die Deutungshoheit in der jeweiligen Nationalgeschichte ringen: "Der Erinnerungsbürgerkrieg dauert noch an. Das Monument Tito wurde mit vereinten Kräften gestürzt. Plötzlich wurde der 'Anti-Antifaschismus' zum ideologischen Schlüsselbegriff: Die Tradition des Befreiungskampfes wurde umgedeutet, indem man die kommunistischen Partisanen zu Verrätern erklärte, Tschetniks, Ustascha oder ,Quislinge', also die Nazi-Kollaborateure, nachträglich zu Nationalhelden stempelte. In Zagreb gibt es heute vielleicht noch zwölf 'Jugoslawen'!"
Der Universitätslehrer Kuljić gilt mit seinen Ansichten heute in den Augen vieler Serben als unpatriotisch. Taugt das Projekt "Jugoslavija revisited" tatsächlich zur Erzeugung von Nostalgie? Kuljićs Lächeln ist schmal: "Für mich war Jugoslawien ein natürliches Gebilde. Verwandte Völker, durch eine gemeinsame Sprache verbunden, besaßen unter der Maxime von Einheit und Brüderlichkeit einen gemeinsamen Führer: Tito, den letzten 'Habsburger' auf dem Balkan." Kurze Pause. "Zwischen Salazar, Franco, Schivkov und Ceauescu war Tito doch eine ganz respektable Figur, oder?" (DER STANDARD, Album, 6./7.11.2010)


Der Erinnerungsbürgerkrieg - Europa - derStandard.at
 
wieder langer text is ja elend man

Dann verschwinde aus dem thread ;)

ist sowieso nichts für dich.

images

:biggrin:
 
Ein weiterer Aspekt eines alten Problems: Man will nicht miteinander, kann aber auch nicht ohneeinander. Auf kultureller Ebene (Musik, Literatur) bleibt es eben ein Raum durch die sprachlichen Gemeinsamkeiten. Politisch hat man sich getrennt, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Zusammengehörigkeit ist ja weder zu übersehen, noch zu leugnen, aber eine mehr oder minder gemeinsame Sprache eröffnet eben auch ungeahnte Möglichkeiten, sich gegenseitig zu verletzen.

Wie auch immer die politische Zukunft aussehen mag, ich hoffe, daß die Menschen endlich wieder sehen, daß sie mehr verbindet, als trennt.
 
Ein weiterer Aspekt eines alten Problems: Man will nicht miteinander, kann aber auch nicht ohneeinander. Auf kultureller Ebene (Musik, Literatur) bleibt es eben ein Raum durch die sprachlichen Gemeinsamkeiten. Politisch hat man sich getrennt, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Zusammengehörigkeit ist ja weder zu übersehen, noch zu leugnen, aber eine mehr oder minder gemeinsame Sprache eröffnet eben auch ungeahnte Möglichkeiten, sich gegenseitig zu verletzen.

Wie auch immer die politische Zukunft aussehen mag, ich hoffe, daß die Menschen endlich wieder sehen, daß sie mehr verbindet, als trennt.

Die ganzen "Jugos" da unten haben sich schon immer gegenseitig abgeschlachtet. Von 600 nach Christus bis heute. Die Ähnlichkeiten interessieren da die wenigsten.
 
mir an diesem Artikel gefiel:
Das Bedauern der Bosniaken ist tiefempfunden: Sie fühlen sich als die wahren Verlierer jenes Dayton-Abkommens, aus dem ihr Staat Bosnien-Herzegowina 1995 als fragiles, von den Kriegswirren übel in Mitleidenschaft gezogenes Gemeinwesen hervorging. Die Dichter, die heute in Sarajevo eine standesbewusste Szene bilden, haben für die Auswirkungen von Krieg und Belagerung eine knappe Formel gefunden: "Wir leben in einem schönen Land, aber in einem schlechten Staat!"

Heute verliefen durch die einzelnen Länder die Frontlinien derjenigen, die um die Deutungshoheit in der jeweiligen Nationalgeschichte ringen: "Der Erinnerungsbürgerkrieg dauert noch an. Das Monument Tito wurde mit vereinten Kräften gestürzt. Plötzlich wurde der 'Anti-Antifaschismus' zum ideologischen Schlüsselbegriff: Die Tradition des Befreiungskampfes wurde umgedeutet, indem man die kommunistischen Partisanen zu Verrätern erklärte, Tschetniks, Ustascha oder ,Quislinge', also die Nazi-Kollaborateure, nachträglich zu Nationalhelden stempelte"
 
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