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Jugoslavija revisited - Der Erinnerungsbürgerkrieg

Viele Leute mögen zwar Jugoslawien nicht aber Tito schon, ich am meisten wegen seinem Kampf gegen die Nazis damals.

Ließ den Artikel, gerade das passierte nicht, das ganze wurde in eine Anti-Antifaschistische Bewegung umgewandelt, die Kommunisten seien die verräter und die tschetniks, Ustascha und andere Quislinge wurden zu Helden geehrt...
 
eine nette Diskussion ohne "immer mitm Finger auf die anderen zu zeigen"

Lesenswert

"Wo alle Opfer sind, gibt es keine Täter“

von Meri Disoski und Olivera Stajić | 08. November 2010, 15:43


  • vergrößern 600x450Slavenka Drakulić, Alida Bremer, Dragan Velikić, Beqë Cufaj, Wolfgang Petritsch, Mile Stojić, Todot Kuljić und Walter Famler (von l. nach r.)

Zwanzig Jahre nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien wurde über Erinnerung, Schuld, Tito(ismus) und Jugo-Nostalgie diskutiert

Bis die Frage „Wer hat den jugoslawischen Staat zerstört?" ehrlich beantworten werden könne, müssten noch Jahrzehnte vergehen, ist der im Kosovo geborene Schriftsteller Beqë Cufaj überzeugt. Nach dem blutigen Zerfall Jugoslawiens hätten sich in den neu hervorgegangenen Staaten „eigene Versionen der Geschichte, die die jeweilige Nation als Opfer darstellen", entwickelt. Auf den Waffenkrieg folgte ein nach wie vor andauernder Erinnerungskrieg. Dieser "Kampf der Erinnerungen" sei auf unterschiedlichen Gebieten nachvollziehbar: Von den Schulbüchern über Literatur und Medien bis hin zur Geschichtsschreibung. Den aus Ex-Jugoslawien hervorgegangenen Staaten gehe es dabei darum zu zeigen, dass sie "die größten Opfer" seien, so der Belgrader Soziologe Todor Kuljić. Denn "Wo alle Opfer sind, gibt es keine Täter."
Kollektive Verantwortung
Konkrete TäterInnen weiß hingegen die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulić zu benennen: "Wir alle haben Jugoslawien zerstört, da wir als Bürger kollaboriert haben". Der Krieg sei zwar „von oben, von der Politik und den Intellektuellen" vorbereitet worden, doch hätten die BürgerInnen, wie die Wahlergebnisse der ersten freien Wahlen dokumentieren würden, die Politik des Nationalismus unterstützt. Folglich resümiert Drakulić: "Wir wählten die 'Führer' von denen wir wussten, dass sie für den Krieg sind", also müsse von "kollektiver Verantwortung" gesprochen werden. Einen weiteren Grund für den Zusammenbruch Jugoslawiens führt Dragan Velikić, Autor und ehemaliger serbischer Botschafter in Wien, an. Die von einigen westlichen Unternehmen gelegte - und noch immer nachvollziehbare - „Spur des Geldes" hat seiner Meinung nach eine bestimmende Rolle im Zerfallsprozess Jugoslawiens gespielt.
Ethno-Falle
Fehler in der österreichischen Jugoslawien-Politik am Anfang der 1990er-Jahre, "insbesondere was die umstandslose Akzeptierung der jeweiligen Republiken betrifft", räumt der Diplomat und ehemalige hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina Wolfgang Petritsch ein. Bei der Anerkennung dieser Staaten sei die internationale Gemeinschaft "in die Ethno-Falle" getappt. Die in Jugoslawien vorhandenen Probleme seien damals auf ihre nationale und ethnische Dimension reduziert worden. Darauf basierend habe die internationale Staatengemeinschaft 1995 den Vertrag von Dayton für Bosnien und Herzegowina konzipiert. Dieser habe „letzten Endes ins Desaster führen müssen", weil Gesellschaften nicht nach „ethno-zentrierten Prinzipien" organisiert werden können.
Jugo-Nostalgie von Mazedonien bis Slowenien?
Während für Beqë Cufaj "Jugoslawien und Tito längst passé" sind, ortet Todor Kuljić auf dem gesamten ex-jugoslawischem Staatsgebiet auch heute noch Nostalgie nach dem zerfallenen Vielvölkerstaat. Nach dem Motto „Als wir jung waren, war alles besser" würde von Mazedonien bis Slowenien vor allem die ältere Generation in melancholischen Erinnerungen schwelgen. Diese Nostalgie erklärt Slavenka Drakulić mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, hätten sich doch nach dem Zerfall Jugoslawiens viele Menschen in Existenzbedrohenden Situationen wiedergefunden. Der Abbau von Arbeitsplätzen, gestrichene Pensionen, der Mangel an sozialer Absicherung und die im Krieg gemachten Gewalterfahrungen hätten eine auf "Sicherheit, nicht aber auf das politische System bezogene Nostalgie" mit sich gebracht. Interessant sei dabei vor allem der Umstand, dass auch viele junge Menschen nostalgisch sind und Sehnsucht nach einem Land verspüren, das sie gar nicht kennengelernt haben, so Drakulić. Und Mile Stojić ergänzt: "Jugoslawien war für uns ein El Dorado, aber heute ist es nicht mehr so schön, wie in unseren Träumen."
"Letzter Habsburger am Balkan"
Für Todor Kuljić steht die Person Josip Broz Tito im Zentrum der Jugo-Nostalgie. In dem kontroversen Herrscher sieht er eine „vielschichtige Person", die aus drei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden könne. Aus der „Froschperspektive" erscheine Tito als der große, unantastbare totalitäre Herrscher. Die „Vogelperspektive" zeige, dass es im jugoslawischen Sozialismus unter dem autoritären Tito einen Modernisations- und Mobilitätsschub gegeben habe. Die "Flugzeugperspektive" (oder auch die Wiener perspektive, so der Soziologe schmunzelnd) offenbare hingegen, dass „Tito der letzte Habsburger am Balkan" war. Wobei Habsburg hier als "Metapher für die Führung eines multinationalen Staates" gesehen werden müsse. (Meri Disoski und Olivera Stajić, daStandard.at, 10. November 2010)
Die Podiumsdiskussion "Jugoslavija Revisited" fand im Rahmen der gleichnamigen diesjährigen Ausgabe von "Literatur im Herbst" vom 5. bis 7. November statt. 23 AutorInnen aus Serbien, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo haben in Form von Lesungen, Werkstattgesprächen und einer Podiumsdiskussion daran teilgenommen

"Wo alle Opfer sind, gibt es keine Täter
 
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