Die Menschen erkennen die Zeichen der Zeit
[h=1]Kirchenaustritte nehmen um mehr als 50 Prozent zu[/h]Die Beliebtheit des neuen Papstes gleicht die Enttäuschung über Ex-Bischof Tebartz-van Elst nicht aus. Die Zahl der Austritte erreicht das Niveau von 2010, als die Missbrauchsfälle bekannt wurden.
Von Lucas Wiegelmann Feuilletonredakteur
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Noch bevor die entscheidenden Zahlen an diesem Freitag öffentlich werden, bittet das Bistum Limburg noch schnell zu einer Pressekonferenz. Pfarrer Wolfgang Rösch, stellvertretender Interimsleiter des Bistums, hat gute Nachrichten. Er verkündet, dass Limburgs Kirche erstmals ihr Vermögen offenlegen will – eine Lehre aus dem undurchsichtigen Finanzgebaren des emeritierten BischofsTebartz-van Elst. "Für uns ist Transparenz eine wesentliche Grundlage für Vertrauen", sagt Rösch bei seinem Auftritt, gefilmt von einer Handvoll Kameras.
Die Kirche hat gelernt, die Kirche liefert, es geht wieder bergauf – diese Botschaft will Rösch noch in letzter Minute an den Mann bringen. Um den bevorstehenden nächsten Tiefschlag, von dem er ja schon weiß, wenigstens ein bisschen abzufedern. Die Kirche hat zumindest in Sachen PR-Strategie dazugelernt. Diese Erkenntnis ist für Katholiken einer der wenigen Lichtblicke an diesem schwarzen Freitag.
Denn keine zwei Stunden später gab die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) ihre jährliche Kirchenstatistik heraus. Daraus geht hervor, wie viele Menschen in Deutschland noch katholisch sind, wie viele Taufen es gab, wie viele Eheschließungen. Und wie viele Austritte. Die Zahlen sind meistens nicht besonders gut. Aber so schlecht wie diesmal waren sie lange nicht. Das Beschwören von Transparenz, Vertrauen, Neubeginn hat nicht gereicht. Wieder einmal.
[h=2]Seit 1990 mehr als 14 Prozent verloren[/h]2013 waren den Angaben zufolge 24,17 Millionen Menschen in Deutschland katholisch. Das entspricht 29,9 Prozent der Bevölkerung. Im Jahr davor waren es noch 24,3 Millionen Katholiken gewesen (30,3 Prozent), 1990 waren es 28,2 Millionen. Damit hat die Kirche seit der Wiedervereinigung mehr als 14 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Die Katholikenzahlen in Deutschland und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sinken seit Jahren.
Limburger Ex-Bischof
Tebartz-van Elst und sein Regensburger Zirkel
Limburg
Im privatem Garten des Bischofs
Besonders alarmierend: Nachdem die Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen Jahren leicht rückläufig war, kehrten im vergangenen Jahr insgesamt 178.805 Menschen der Kirche den Rücken. Das ist ein Plus von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr (118.335). Und es ist der drittschlechteste Wert überhaupt in Deutschland: Mehr Menschen traten nur 1990 aus (192.000), als viele ehemalige DDR-Bürger wegen der Kirchensteuerpflicht in der Bundesrepublik austraten. Und im Jahr 2010 (181.193 Austritte) – im Jahr des katholischen Missbrauchsskandals. Die neuen Zahlen übertreffen die schlimmsten Befürchtungen der Kirchenoberen. Erklärungen dringend gesucht.
Der erst vor wenigen Monaten gewählte neue DBK-Vorsitzende, Münchens KardinalReinhard Marx, sprach von "schmerzlichen" Zahlen. Er verwies auf "einen kontinuierlichen gesellschaftlichen Umbruch". Die Menschen seien "frei, sich für oder gegen die Zugehörigkeit zur Kirche zu entscheiden und sie tun das auch." Vor allem aber gab er einen Hinweis, wer aus Sicht der DBK die Jahresbilanz verdorben habe. "Das zweite Halbjahr 2013 hat offensichtlich zu einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust geführt." Zweites Halbjahr 2013 – damals eskalierte der Streit um Limburgs Bischof Tebartz-van Elst und seinen üppigen Bischofshausbau.
[h=2]Image der Kirche schwer beschädigt[/h]Damit ist wenigstes schon einmal ein Sündenbock gefunden. Tatsächlich hat Tebartz-van Elst mit seiner monatelangen Uneinsichtigkeit das Image der Kirche schwer beschädigt. Und im Bistum Limburg gab es 2013 auch ungewöhnlich viele Austritte: 7980 (2012: 4.453). Das ist ein Plus von 79 Prozent.
Doch das Ausmaß des Vertrauensverlustes lässt sich nicht ausreichend mit kurzfristigen Effekten erklären. Schließlich war das Jahr 2013 eigentlich auch von vielen positiven Schlagzeilen für die Kirche geprägt – insbesondere von der Wahl des Medienstars Papst Franziskus im März 2013. Dessen Auftritte inspirierten Millionen, auch und gerade in Deutschland erzielt er in Umfragen höchste Beliebtheitswerte. Aber einen Franziskus-Effekt kann man der Kirchenstatistik nicht entnehmen: Die Kircheneintrittszahlen stagnieren. Dass es demgegenüber einen durchschlagenden Tebartz-Effekt gegeben habe, ist allenfalls die halbe Wahrheit.
Eher senden die Zahlen die ernüchternde Botschaft, dass die Kirche machtlos ist gegen den anhaltenden gesellschaftlichen Trend zu Vereinzelung und Unverbindlichkeit. Die Bereitschaft der Deutschen, sich fest an eine Institution zu binden, nimmt weiter ab. Vereine und politische Parteien kämpfen mit ähnlichen Problemen. Der Trend wird von der demografischen Entwicklung noch verschärft.
[h=2]Nur noch jeder Zehnte geht regelmäßig zur Messe[/h]Dazu kommt die große Kluft, die sich zwischen offizieller Lehre und den Überzeugungen der Gläubigen aufgetan hat und die in der jüngst veröffentlichten weltweiten Vatikan-Umfrage zur Sexualmoral nachzulesen war. Dass die verbleibenden Katholiken immer lascher mit den Kirchenregeln umgehen, zeigt auch die sinkende Bereitschaft, zur Messe zu gehen. 2013 wurden nur noch 10,8 Prozent der Kirchenmitglieder als regelmäßige Gottesdienstbesucher eingestuft.
In seinem jüngsten englischen Twitter-Post sagte Papst Franziskus: "Die Kirche ist von ihrer Natur her eine missionarische Kirche." Aber um wieder neue Gläubige zu gewinnen, müsste die Kirche in der Breite präsent bleiben. Und das wird durch den Mitgliederschwund und die damit verbundenen rückläufigen Einnahmen immer schwieriger. Immer mehr Gemeinden werden bereits zusammengelegt. Die Kirche im Teufelskreis.
Aber es bleibt den Bistümern nichts anderes übrig, als sich gegen den Trend zu stemmen. Erste Bistümer experimentieren schon mit Modellen, die den Laien mehr Einfluss in Verwaltung und Seelsorge garantieren. Damit könnte man die katholische Infrastruktur auch bei weniger Gemeinden und Priestern aufrechterhalten. Und in Limburg sprechen sie plötzlich von finanzieller Transparenz. Hoffnung ist eine der höchsten christlichen Tugenden. Oder wie es der DBK-Vorsitzende Marx ausdrückt: "Ich bin nicht entmutigt, sondern sehe die Statistik auch als hilfreichen Weckruf."