Größte Industrienation vor der Pleite
Investoren verlieren Vertrauen in USA
VON BIRGIT MARSCHALL - zuletzt aktualisiert: 30.07.2011 - 12:07
Nur 1,3 Prozent Wachstum im zweiten Quartal, das Gezerre zwischen Republikanern und Demokraten um eine Lösung der Schuldenfrage – an den Börsen verstärkt sich die Unsicherheit. Würde die USA tatsächlich zahlungsunfähig, müssten die Rating-Agenturen sofort die Bonität senken. Unterdessen hat US-Präsident Barack Obama in einer Radiorede noch einmal dringend zu einem Kompromiss aufgerufen.
Das Schulden-Hickhack in den USA macht immer mehr Anleger an der Wall Street nervös. Schwache Konjunkturdaten aus der größten Volkswirtschaft taten am Freitag ein Übriges: Das Bruttoinlandsprodukt der USA wuchs im zweiten Quartal nur um magere 1,3 Prozent – deutlich weniger als am Finanzmarkt erwartet. Händler sprachen von einem nervösen Handel, der zunehmend von jeder noch so kleinen Wendung in den Schuldengesprächen bestimmt werde. Am Donnerstag hatte zeitweise noch die Hoffnung überwogen, dass sich Demokraten und Republikaner doch noch einigen können.
In den erbitterten Streit ist zwar kurz vor Ablauf der Frist Bewegung gekommen. Die Republikaner brachten nach einer hitzigen parteiinternen Debatte am Freitag einen überarbeiteten Vorschlag im Kongress zur Abstimmung, der eine kurzfristige Heraufsetzung des gesetzlich verankerten Limits von derzeit 14,3 Billionen Dollar um etwa 900 Milliarden Dollar vorsieht. Das von ihnen dominierte Repräsentantenhaus stimmte mehrheitlich zu, doch wie erwartet lehnte der Senat, in dem die Demokraten von Präsident Barack Obama das Sagen haben, ab. Damit ist der Vorschlag, der den USA lediglich ein paar Monate Luft zur Begleichung ihrer Rechnungen verschafft hätte, bevor sie die Grenze erneut hätten erhöhen müssen, vom Tisch. Die Demokraten dringen jetzt mit Nachdruck auf einen Kompromiss. Eine Einigung in letzter Minute ist bislang jedoch nicht in Sicht.
US-Präsident Barack Obama hat kurz vor der drohenden Staatspleite Demokraten und Republikaner noch einmal eindringlich zu einem Kompromiss aufgefordert. "Es gibt viele Auswege aus diesem Chaos. Aber wir haben nur noch sehr wenig Zeit", sagte Obama am Samstag in seiner wöchentlichen Radio- und Internetbotschaft. Beide Seiten seien im Streit um eine Anhebung der Schuldengrenze "gar nicht so weit voneinander entfernt". So herrsche grob Einigkeit darüber, in welcher Höhe Ausgaben gekürzt werden müssten, um das US-Staatsdefizit zu reduzieren. Klar seien sich beide Parteien auch über die Notwendigkeit einer Reform von Steuern und Zuwendungen.
"Die Angst am Markt wird immer größer je näher wir dem Stichtag kommen", sagte ein Händler an der Wall Street. Am Dienstag endet die Frist, in der die US-Politik noch über eine Anhebung der Schuldenobergrenze entscheiden kann. Derzeit darf der US-Staat laut Gesetz nur Schulden von maximal 14,3 Billionen Dollar machen. Diese Grenze wird nach der Rechnung von US-Finanzminister Timothy Geithner am Dienstag erreicht.
Welche Auswirkungen hätte die Zahlungsunfähigkeit der USA auf die Weltwirtschaft?
Würden die Amerikaner tatsächlich zahlungsunfähig, müssten die großen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit der USA sofort herabstufen. US-Bonds würden die Bestnote AAA verlieren. Alle Unternehmen und Banken weltweit, die die US-Bonds in ihren Büchern haben, müssten den Wert dieser Anleihen nach unten korrigieren – mit weitreichenden Folgen für das Kreditgeschäft und Unternehmensbilanzen. Es käme zu starken Kursverlusten an den internationalen Börsen, einem Absturz des US-Dollars und zu einem weiteren Höhenflug des Goldpreises. Je länger die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten andauern würde, desto mehr wächst die Gefahr des Zusammenbruchs großer Kreditinstitute – und damit einer neuen weltweiten Finanzkrise.
Welche Auswirkungen hätte die Zahlungsunfähigkeit der USA unmittelbar für Deutschland?
Das hängt davon ab, wie die USA reagieren, wenn sich Demokraten und Republikaner tatsächlich nicht bis zum kommenden Dienstag auf die Anhebung der Schuldengrenze einigen. Die USA könnten den Schuldendienst auch dann weiter aus den laufenden Steuereinnahmen bedienen, dann würden die Ratingagenturen den Zahlungsausfall voraussichtlich nicht feststellen. In diesem Fall würden aber staatliche Zahlungen an Rentner, Beamte und Arbeitslose vorübergehend ausfallen. Der US-Konsum würde leiden – das würde auch der deutsche Exportsektor zu spüren bekommen. Bleibt die Zahlungsunfähigkeit ein zeitlich begrenztes Problem, bleiben die Folgen für die deutsche Wirtschaft begrenzt.
Warum kommt auch Europa nach dem Euro-Gipfel nicht zur Ruhe?
Die Ergebnisse des Gipfels von vergangener Woche haben die Kapitalanleger nur vorübergehend zufriedengestellt. Offen bleibt weiterhin die genau Ausgestaltung der Beschlüsse, nichts ist bisher definitiv vertraglich festgezurrt. Viele Anleger sind verunsichert, weil die Koalitionsparteien in Deutschland nicht zulassen wollen, dass der Euro-Rettungsschirm EFSF Anleihen bedrohter Euro-Länder wie Griechenland oder Portugal am so genannten Sekundärmarkt, also von Banken oder anderen privaten Investoren, kauft. Damit sei die Gefahr einer Staatenpleite nach wie vor nicht gebannt, da weiter gegen diese Länder spekuliert werde.
China ist verärgert
Die USA ziehen mit ihrem andauernden Schuldenstreit zunehmend Zorn in China auf sich. Im Zentralorgan der Kommunistischen Partei wurden am Samstag schwere Vorwürfe gegen die amerikanische Politik laut. Der Umgang mit der Schuldenkrise sei "unverantwortlich" und "unmoralisch", kritisierte die Zeitung "Renmin Ribao" in ihrem Leitartikel. Die US-Abgeordneten seien bereit, "für ein paar Wählerstimmen" die Interessen Dritter zu opfern. Angesichts der Wahlen im kommenden Jahr seien die Folgen des Streits für die ganze Welt und sogar die für die USA selbst völlig aus dem Blick geraten.
Der Kommentator sieht die Ursache des Übels im politischen System der USA. "Das Wahlsystem hat die Handlungsfreiheit des Präsidialamts eingeschränkt", konstatierte er. "Die Farce, die sich in den USA auf der politischen Bühne abspielt, zeigt der ganzen Welt, wo die politischen Probleme der Vereinigten Staaten liegen." Das Blatt repräsentiert nicht die offizielle Position der Kommunistischen Partei Chinas, spiegelt aber häufig Debatten in hochrangigen Regierungskreisen wider. China ist der größte Gläubiger der USA.
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