Grönland bewegt sich auf dünnem Eis
http://www.rp-online.de/public/article/nachrichten/wissenschaft/special/klimawandel/105692
Ilulissat/Grönland (rpo). Wenn ein Gletscher kalbt, ist das ein phänomenales Schauspiel. Gigantische Eisblöcke brechen ab und stürzen mit voller Wucht ins Wasser. Das passiert auch in Grönland am Sermeq-Kujalleq-Gletscher. Was für Touristen ein tolles Schauspiel ist, bereitet den Bewohnern Grönlands große Sorgen. Das Klima wird wärmer, die Eisschicht der größten Insel der Welt dünner - und das kann dramatische Folgen haben.
"In der Vergangenheit konnten wir sechs Monate lang im Winter auf dem Eis am Fjord zwischen den Eisbergen laufen, Löcher bohren und fischen", sagte Jörn Kristensen, ein Fischer. "Wir können es jetzt nur noch ein bis zwei Monate. Es wird immer schwieriger mit den Hundeschlitten zu fahren, weil das Eis zwischen den Eisbergen nicht mehr stabil genug ist."
In den Jahren 2002 bis 2003 löste sich am Sermeq-Kujalleq-Gletscher eine Eismasse von zehn Kilometern und trieb lautlos aus dem Fjord in der Nähe von Ilulissat, Grönlands drittgrößter Stadt, 250 Kilometer nördlich des Polarkreises.
Fläche von Frankreich und Spanien
Die Inuit, die Bewohner Grönlands, mussten sich auch in der Vergangenheit an Änderungen des Klimas anpassen. Der große Unterschied zu früher ist nun, dass die Veränderungen so schnell vonstatten gehen, dass sich die Bevölkerung kaum anpassen kann.
Dafür sind sie Zeuge, wie die Gletscher immer schneller abschmelzen, was ihre Existenz bedroht. Der 68-jährige Jäger Anthon Utuaq befürchtet, dass sein Sohn das Familienunternehmen wegen der globalen Erwärmung nicht fortführen kann. "Für ihn wird es vermutlich schwierig werden, Robben zu finden", erzählt Utuaq. "Sie werden sich kühlere Plätze im Norden suchen, wenn es wärmer wird."
Das Eis im arktischen Ozean habe in den vergangenen 30 Jahren um rund ein Million Quadratkilometer abgenommen, heißt es in dem Bericht zu den Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis, an dem 300 Wissenschaftler aus acht Arktis-Anrainerstaaten arbeiteten. Dies ist etwa die Fläche von Frankreich und Spanien zusammen. In Sisimiut, Grönlands zweitgrößter Stadt, hat sich die Größe der Seen in den letzten Jahren verdoppelt.
Bedrohlichstes Umweltproblem
"Grönland galt früher als der einzige Ort auf der Welt, der niemals schmelzen kann", sagt der Ozeanograph und Physiker Robert Corell. "Die Untersuchungen haben eindeutig ergeben, dass die globale Erwärmung der Grund dafür ist," dass dies heute geschieht.
Der Klimawandel ist vermutlich das bedrohlichste Umweltproblem unserer Zeit. Kritisiert wird dabei die Haltung der Regierung von US-Präsident George W. Bush, die sich mit Verweis auf die Auswirkungen auf die Wirtschaft weigert, das Kyoto-Protokoll zur Reduzierung des Ausstoßes an Treibhausgasen zu ratifizieren. "In den USA ist die globale Erwärmung eine Sache von morgen. Für uns, die wir hier arbeiten, ist es wie eine Schlag ins Gesicht", sagt Corell.
Nordmeer im Sommer bald eisfrei
Fest stehe, dass die durchschnittliche Meerestemperatur an der Westküste Grönlands in den vergangenen Jahren von 3,5 Grad Celsius auf 4,8 Grad gestiegen sei und dass das Abschmelzen der Gletscher begonnen habe, erklärt der Glaziologe Carl Egede Boeggild. Der Sermilik-Gletscher im Süden Grönlands ist um eine Eismasse von elf Kilometern geschrumpft, der Sermeq-Kujalleq-Gletscher schmilzt noch schneller.
1967 haben Satellitenaufnahmen eine Eisbewegung von sieben Kilometern pro Jahr gemessen, die sich 2003 auf 13 Kilometer fast verdoppelt hat. "Was genau passiert, wissen wir nicht. Aber es sieht so aus, als sei die globale Erwärmung der Auslöser", erklärte Hoejmark Thomsen.
Laut einem Bericht von US-Wissenschaftlern, könnte das Abschmelzen der Gletscher dazu führen, dass der Arktische Ozean im Sommer tatsächlich bald eisfrei wird. Dadurch werden einzigartige arktische Arten wie die Polarbären und die vom Eis abhängigen Seerobben in ihrem Bestand bedroht. Viele Grönländer hängen in ihrer traditionellen Lebensweise von der Jagd auf Polarbären, Walrösser oder Seerobben ab. Während das Eis sich vom Ufer zurückzieht, werden die Jäger auf längere Reise auf dem Eis gezwungen, das mittlerweile dünn und instabil geworden ist.
"Als ich noch ein Kind war, war das Wetter viel stabiler. Ich bin besorgt, dies alles zu sehen und zu hören", sagt der grönländische Ministerpräsident Hans Enoksen.