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Langsame Auferstehung der steinernen Stadt

snarf

Gonzo
[h=1]Ein interessanter Artikel aus der heutigen NZZ...
​Viel Spass...


Langsame Auferstehung der steinernen Stadt[/h][h=2]Gjirokaster in Südalbanien setzt nach den Wirren der neunziger Jahren auf den Tourismus[/h]Geschäftsleute in Gjirokaster hoffen, dass Touristen dazu beitragen werden, das historische Bazaar-Viertel wiederzubeleben. (Bild: Imago)

[h=3]Im historischen Zentrum Gjirokasters, das lange Zeit wie ausgestorben war, werden die traditionellen Häuser nun restauriert. Jetzt gilt es, mehr Besucher anzuziehen und die jungen Leute an die Stadt zu binden.[/h]Elena Panagiotidis, Gjirokaster
An diesem sonnigen Frühlingsmorgen vermittelt der Bazaar – das historische Zentrum von Gjirokaster – den Eindruck hektischer Betriebsamkeit. In kurzen Abständen brausen Autos über das Kopfsteinpflaster der steilen Strassen. «C'kemi?» – «Wie geht's, was gibt's Neues?», rufen die Fahrer durch die heruntergekurbelten Fenster den Besitzern der kleinen Cafés und Läden zu, die vor ihren Geschäften stehen. Eine wirkliche Antwort erwartet keiner. Schliesslich sieht man sich jeden Tag mehrmals, und allzu viel passiert in Gjirokaster nicht, besonders jetzt nicht, da die Touristensaison noch nicht begonnen hat.
Der Armut entkommen
Die aus dem 17. bis 19. Jahrhundert stammenden Häuser der Altstadt mit ihren charakteristischen steinernen Giebeldächern sind wahre Trutzburgen. Albaniens wohl bekanntester zeitgenössischer Schriftsteller, Ismail Kadare, hat seinem Geburtsort Gjirokaster mit der «Chronik in Stein» ein literarisches Denkmal gesetzt.
[h=2]Bilderstrecke: Gjirokaster öffnet sich dem Tourismus[/h]
Vom früheren albanischen Diktator Hoxha wurde das historische Gjirokaster 1961 zur «Museumsstadt» erklärt. Mittlerweile wird das touristische Potential des Ortes im südlichen Albanien langsam wieder entdeckt.

Die von der Unesco 2005 zum Weltkulturerbe erklärte Stadt liegt am Hang des Mali-i-Gjere-Gebirges, dessen Gipfel im Frühjahr noch schneebedeckt sind und der Gegend einen besonderen Zauber verleihen.
Der kommunistische Diktator Enver Hoxha, der ebenfalls aus Gjirokaster stammte, erklärte den im osmanischen Stil erbauten Ort 1961 zur «Museumsstadt». An ihrer Erhaltung wurde kontinuierlich gearbeitet. Nach dem Fall des kommunistischen Regimes fiel die Stadt in eine Art Dornröschenschlaf, aus der sie bis heute nicht ganz erwacht zu sein scheint. Besass Gjirokaster während des Kommunismus noch nennenswerte Industrie – unter anderem eine Schuhfabrik und Metallproduktion –, gingen nach 1990/1991 Tausende von Jobs verloren, weil die Produktionsstätten veraltet waren und das Regime im Versuch, Vollbeschäftigung vorzugaukeln, viel zu viele Arbeitskräfte beschäftigt hatte.

«In den neunziger Jahren wollten die meisten einfach nur weg, um der Armut zu entkommen», sagt Telnis Skuqi, der für die staatliche albanische Nachrichtenagentur ATA aus dem Süden des Landes berichtet und die Stadt «mit ihren guten und schlechten Seiten liebt». Viele Einwohner wanderten in den neunziger Jahren nach Italien und Griechenland aus. Die laut den vorläufigen Ergebnissen des Zensus von 2011 rund 19 500 Einwohner zählende Stadt erlebte eine drastische Veränderung ihres sozialen Gefüges und Charakters. Behörden und Geschäfte siedelten nach dem Ende des Kommunismus in die in den siebziger Jahren angelegte Unterstadt um. Viele der alteingesessenen Familien verliessen die prächtigen alten Häuser in der Altstadt. In die Neustadt zogen wegen der zunehmenden Landflucht Menschen aus den umliegenden Dörfern. Das Leben im Bazaar erlosch fast gänzlich.Die «imaginäre Grenze» – wie es eine Bewohnerin Gjirokasters ausdrückt – zwischen der Alt- und der Neustadt vertiefte sich. 1997 herrschten im ganzen Land bürgerkriegsähnliche Zustände, nachdem Tausende von Albanern nach dem Zusammenbruch der sogenannten Pyramidensysteme ihre gesamten Ersparnisse verloren hatten. In Südalbanien brach die öffentliche Ordnung komplett zusammen. In Gjirokaster brannte zudem ein grosser Teil des Bazaars aus. Die prekäre Sicherheitslage verstärkte die Abwanderung noch.
Nach der Jahrtausendwende stabilisierte sich die Situation, die Abwanderung liess nach, und es entwickelte sich ein Bewusstsein, dass die Zukunft der Stadt im Tourismus liegen könnte. Die Aufnahme in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes hat Gjirokaster einen Zulauf von Touristen beschert. Während 2004 nicht einmal 1000 Besucher auf der mittelalterlichen Burg gezählt worden seien, hätten im Jahr 2011 rund 25 000 Personen die Burg besucht, sagt Denisa Basho, die in Gjirokaster für das Koordinationsbüro des Ministeriums für Tourismus arbeitet.
Maksim Hoxha, ein örtlicher Hotelmanager, ist zudem überzeugt, dass die Aufhebung der Visumspflicht für Albaner im Schengenraum zu mehr Besuchern geführt habe. «Touristen fühlen sich sicherer. Sie wissen, wenn Albaner jetzt ohne Visum reisen dürfen, muss die Situation im Land stabil sein.»
Illegal errichtete Häuser
Bei der Restaurierung der alten Häuser gibt es indes noch einiges zu tun. Von den über 600 alten Häusern sind 55 als «erste Kategorie» eingestuft, ihre Renovierung hat Vorrang, und hierfür werden Gelder bereitgestellt. Ein grosses Problem ist, dass die Häuser meist im Besitz mehrerer Personen sind, die alle ausfindig gemacht werden müssen und sich oft nicht einigen können, was mit dem Haus geschehen soll. Zudem investierten viele der im Ausland lebenden Migranten aus Gjirokaster lieber in Wohnungen am Meer oder in der Hauptstadt Tirana als in die alten Häuser ihrer Kindheit, sagt Basho.
Seit 2001 ist die Nichtregierungsorganisation Gjirokastra Conservation and Development Organization (GCDO) aktiv. Enkeleda Roze, die für die GCDO arbeitet, sitzt in dem Gebäude, in dem 1908 die erste albanischsprachige Schule eröffnet wurde und das heute als Büro der GCDO fungiert. Der Blick hinunter auf das Drinos-Tal und die hohen Berge ist spektakulär. Die GCDO begann mit der Restaurierung der steinernen Dächer, später eröffnete sie die erste Touristeninformation, die mittlerweile von der Gemeinde betrieben wird. Seit 2007 fördert die GCDO ein Zentrum für Kunsthandwerk, die Produkte werden in einem eigenen Laden verkauft.
Stolz auf das Erbe
In einem speziellen Projekt, das auch vom Schweizer Kooperationsbüro finanziert wurde, wurden junge Leute in der Kunst des Holzschnitzens und der Steinbearbeitung ausgebildet, weil es an Spezialisten mangelt, die das historische Erbe erhalten können. Ein Ärgernis in den Augen vieler sind die in den letzten Jahren illegal errichteten, modernen Gebäude zwischen den alten Häusern. Sie könnten dazu führen, dass die Unesco die Stadt aus der Weltkulturerbe-Liste streicht.
Die Restaurierung der Häuser ist das eine, das andere ist, sie zu beleben. Eine Voraussetzung dafür ist, das Bewusstsein der Menschen für die Schönheit ihrer Stadt zu wecken. «Die Leute müssen stolz auf ihr kulturelles Erbe sein», sagt Brandie Lockett, eine junge Architektin aus Kalifornien, die als Freiwillige seit einem Jahr an der in der Nähe von Gjirokaster gelegenen antiken Ausgrabungsstätte Antigonea arbeitet. Dass sie als Freiwillige des amerikanischen Peace Corps ausgerechnet in diese kleine albanische Stadt entsandt wurde, empfindet die quirlige junge Frau mit den schwarzen Locken, die schon gut Albanisch spricht, als «absoluten Glücksfall». Die Menschen seien sehr herzlich und gastfreundlich. Jetzt müssten die Leute sich noch stärker engagieren und sich mehr mit dem Erbe ihrer Stadt identifizieren.
Touristisches Potenzial
Kreshnik Liti und Aurel Jaupi sind schon mit gutem Beispiel vorangegangen. Die beiden jungen Männer haben ihre Geschäfte am Qafe, am Nacken des Bazaars, wie die Kreuzung genannt wird, an der die fünf Hauptstrassen des alten Zentrums zusammentreffen. Der 35-jährige Liti hat nach neun Jahren in Irland und mehreren Jahren in anderen Ländern Westeuropas vor kurzem eines der alten Häuser liebevoll in eine kleine Pizzeria umgewandelt. Der 27-jährige Jaupi verkauft in seinem Souvenirladen nicht nur die üblichen Mitbringsel wie Bunker-Aschenbecher und albanische Flaggen, sondern auch Mousepads, die der gelernte Grafiker selbst gestaltet.
Die Männer sind sich einig, dass Gjirokaster viel Potenzial hat, das noch freigelegt werden muss. «Wir brauchen eine Fussgängerzone oder zumindest eine verkehrsberuhigte Zone», sagen sie und verweisen auf die lärmenden Autos, die am Geschäft vorbeifahren. «Dieser ganze Wirrwarr gehört weg», sagt Liti und zeigt auf die kreuz und quer zwischen den Häusern verlaufenden Stromkabel. «Auch eine Bepflanzung wäre schön.» Zudem wünschen sich die beiden Steuererleichterungen für die Ladenbesitzer, die im Bazaar investieren und versuchen, die Altstadt wiederzubeleben. Die Region müsse noch besser vermarktet werden, denn sie biete beste Voraussetzungen für den Tourismus, nicht nur im Sommer.
«Die Touristen können sich hier tagsüber die Häuser anschauen und die Natur geniessen», sagt Denisa Basho vom Koordinationsbüro, «aber ein Nachtleben gibt es hier nicht.» Daher empfinden gerade jüngere Menschen das Leben in Gjirokaster als lethargisch. Highlights sind das landesweit populäre Folklorefestival, das aber nur alle fünf Jahre stattfindet, sowie der seit fünf Jahren jährlich im September abgehaltene Kunsthandwerksmarkt, der auch viele Menschen aus der Umgebung anlockt, wie Enkeleda Roze von der GCDO bestätigt.
In den Ausgang nach Janina
Doch im Alltag passiert nicht viel, nicht einmal ein Kino gibt es. Das sieht auch Klotilda Liti so. Die 30-Jährige hilft ihrem Bruder Kreshnik in der Pizzeria. Klotilda hat einen dreijährigen Sohn und sagt: «Man kann hier nichts unternehmen. Es gibt keine Parks und Spielplätze. Wir haben so etwas wie einen kleinen Freizeitpark. Aber wie kann ich sechs Euro Eintritt bezahlen, wenn ich nicht einmal zehn Euro am Tag verdiene?»
Wer es sich leisten kann, fährt in die nahe gelegene nordgriechische Stadt Janina, um einzukaufen, in den Ausgang zu gehen und Arztbesuche zu erledigen. Janina ist auf einer gut ausgebauten Strasse in einer Stunde zu erreichen, bis zur griechischen Grenze sind es nur 30 Kilometer. Die Fahrt in die zwar nur 200 Kilometer entfernt gelegene Hauptstadt Tirana dauert dagegen mindestens vier Stunden, denn die bisher einzige Strasse ist streckenweise in einem erbarmungswürdigen Zustand.
Viele Einwohner Gjirokasters sprechen Griechisch. Es gibt eine griechische Minderheit in der Stadt und in den umliegenden Dörfern, und viele Albaner lernen Griechisch als Fremdsprache in der Schule. Es gibt kaum jemanden, der nicht Verwandte im Nachbarland hat. Griechische Firmen sind wegen der niedrigeren Lohnkosten in der Region aktiv. «Eine gute Gelegenheit für die Einheimischen, einen Job zu bekommen», sagt der Journalist Skuqi. Auch der Tourismus werde in Zukunft sicher noch mehr Möglichkeiten der Beschäftigung bieten. Aber er weiss auch, dass gerade Studenten, die an der örtlichen Universität oder in anderen Städten studiert haben, ihre Zukunft nicht in Gjirokaster sehen. Je besser ausgebildet man sei, desto schwieriger sei es, hier einen Job zu finden. Denisa Basho zitiert eine kürzlich durchgeführte Umfrage, laut der 60 Prozent der Jungen direkt nach der Ausbildung Gjirokaster verlassen wollen.
Allerdings entwickelt sich eine positive Einstellung zum Herkunftsort oft nach Jahren des räumlichen Abstands. Kreshnik Liti steht vor seiner Pizzeria und schaut zufrieden die Strasse des Bazaars hinauf: «Man lernt erst zu schätzen, was man hat, wenn man lange weg war. Nach über zehn Jahren im Ausland sehe ich Gjirokaster mit ganz anderen Augen. Ich möchte auf keinen Fall mehr weg.»
 
"erklärte den im osmanischen Stil erbauten"

wie nennt man diesen baustil? sind das alles kajtaz-häuser?
 
"erklärte den im osmanischen Stil erbauten"

wie nennt man diesen baustil? sind das alles kajtaz-häuser?
Keine Ahnung. Kenne mich damit nicht aus. Gefällt mir jedoch sehr. Hab den Artikel heute in der Zeitung entdeckt und dachte ich teil ihn mal hier. Ich habe vor, mir bald mal Albanien anzusehen und hatte mir nach dem Lesen gedacht dass dies sicher auch eine sehenswerte Station wäre.
 
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