Ausgezeichneter Kommentar meiner Meinung nach
Trautl Brandstaller, Politologin und langjährige ORF-Journalistin
Die Wähler haben die große Koalition abgestraft und die ehemaligen Großparteien auf Mittelgröße (unter 30 %) geschrumpft. FPÖ und BZÖ gemeinsam, das Dritte Lager, haben die "Großparteien" überholt.. Trotz Koalition mit der Kronenzeitung hat die SPÖ fast 7 Prozent verloren, "Onkel Hans" verschaffte seinem Wunschsohn Faymann geschätzte 3-5 Prozent der Stimmen, und damit Platz 1. Die ÖVP scheiterte mit Willy Molterer, einem anständigen Oberbuchhalter der Nation, - zu wenig in Zeiten einer Weltwirtschaftskrise, die an die "Große Depression" der 30er- Jahre heranreicht.
Die Wähler haben in der Wahlzelle nicht nur ihren tiefen Frust über die "Leistungen" der großen Koalition ausgelassen; das Unbehagen sitzt tiefer, in Schichten, die der Wahlkampf nicht einmal ansatzweise angesprochen hat. Seit rund zehn Jahren stagnieren in Österreich die Löhne, seit mehr als zehn Jahren wachsen die Ängste um die Sicherheit der Arbeitsplätze, insbesondere bei den Jungen (bei den Erst- und Jungwählern liegt die FPÖ unangefochten auf Platz 1). Seit zehn Jahren entsteht im unteren Drittel der Gesellschaft neue Armut, seit 10 Jahren beginnt der vielzitierte Mittelstand seine alten Sicherheiten zu verlieren, seit zehn Jahren wird die Schere zwischen den höchsten und den kleinen Einkommen immer größer.
Auf diese neuen sozialen Fragen haben die ehemals großen Parteien keine Antwort. Von Unsicherheit und Ängsten profitieren Haider und Strache. Sie offerieren neo-nationalistische und rassistische Scheinantworten: gegen die Globalisierung propagieren sie nationale Abschottung, gegen die Migration Zuwanderungsstopp. gegen die europäische Integration den Austritt aus der EU. Wenn fast ein Drittel der Wähler auf diese falschen Antworten hereinfällt, dann nicht, weil die Österreicher wieder einmal von ihrer Nazi-Vergangenheit eingeholt werden, sondern weil die anderen Parteien diese Fragen ignorieren oder ähnliche Scheinantworten bieten wie die Rechtspopulisten. Die Grünen, einst Hoffnung auf die Erneuerung der Demokratie, treten seit Jahren auf der Stelle: Statt der rot-schwarzen Koalition Paroli zu bieten, kokettierten sie allzu offenkundig mit Beteiligung an - egal welcher -Regierungsmacht.
Das erwartete Erdbeben wird zu ein paar politischen Leichen führen (Molterer, van der Bellen), zur Wiedervereinigung des Dritten Lagers (Strache und Haider nach CDU/CSU-Modell) und - mit großer Wahrscheinlichkeit - zur Wiederbelebung jener Regierungsform, die die Wähler gestern eindeutig abgewählt haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2008)