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Machtkampf in der Ukraine!!!!

  • Ersteller Ersteller cro_Kralj_Zvonimir
  • Erstellt am Erstellt am
Premier wehrt sich gegen Neuwahlen
Die Lage ist ebenso absurd wie gefährlich: Staatschef Juschtschenko und Premier Janukowitsch versuchen ihre Truppen zu sammeln - EU ruft zu Mäßigung auf
Nicht jedes Land würde es aushalten, nicht zu wissen, ob es nun eigentlich ein Parlament hat oder nicht. Die Ukrainer aber haben in den letzten zweieinhalb Jahren so viele Wendungen miterlebt, dass sie auch mit der jetzigen Unklarheit fürs Erste umgehen können.

Am Dienstag jedenfalls wusste in der Ukraine niemand so richtig, ob es die "Verchovnaja Rada", wie das Parlament genannt wird, noch gibt. Präsident Viktor Juschtschenko sagte nein. Am Vorabend war ihm der Kragen geplatzt, weil die Koalition Abgeordnete von der Opposition abwirbt und an einer Verfassungsmehrheit bastelt. Mit einem Ukas hatte er die Auflösung des Parlamentes verfügt und das Volk darüber via Fernsehen informiert.

Premier schlägt zurück

Das bedeute alles noch gar nichts, meinte die Regierungskoalition unter Juschtschenkos Erzrivalen und Premier Viktor Janukowitsch und beschloss, sich dem Erlass nicht zu fügen. Der Ministerrat hat die Verordnung denn auch für verfassungswidrig erklärt. Diesen Beschluss wiederum hat Juschtschenko am Dienstag ausgesetzt und den Staatsanwalt mit Ermittlungen beauftragt. Janukowitsch übertrug die endgültige Entscheidung dem Verfassungsgericht.

Und weil der Erlass anstatt Klarheit nur noch mehr Unsicherheit gebracht hat, waren beide Konfliktparteien gestern mit der Suche nach Verbündeten beschäftigt. Der oft so entscheidungsschwache Juschtschenko war plötzlich entschlossen wie lange nicht mehr. Am Dienstagmorgen traf er bereits mit dem Chef der Wahlbehörde, Jaroslaw Dawydowitsch, zusammen und holte sich die Zusicherung, dass die vorgezogenen Neuwahlen, wie im Erlass angegeben, am 27. Mai durchgeführt werden. Aber auch diese Sache hat einen Haken: In der nächtlichen Dringlichkeitssitzung haben die Abgeordneten Dawydowitschs Position infrage gestellt, indem sie ihren Beschluss vom Dezember 2004 zur Neubesetzung der Wahlbehörde rückgängig machten.

Danach eilte Juschtschenko zu den staatlichen Sicherheitsinstitutionen. Das Verteidigungsministerium hatte ihm schon zuvor Unterstützung zugesagt. Der Geheimdienst immerhin, dass das Funktionieren der Wahlinstitutionen gesichert werde und die Verfassungsrichter vor Erpressungen geschützt würden. Auf den Richtern nämlich liegt die vorerst letzte Hoffnung der Regierungskoalition. Für ein Impeachment gegen den Präsidenten fehlen ihr nämlich die nötigen Stimmen im Parlament.

Am Nachmittag schließlich traf Juschtschenko mit Janukowitsch zusammen. Offenbar ergebnislos, denn im Anschluss an das Treffen rief er die Koalition lediglich nochmals auf, sich seinem Erlass zu fügen.

Die Situation ist so absurd, wie sie klingt. Und sie ist auch durchaus gefährlich. Noch am Dienstag wurde die Bewachung des Präsidenten verschärft. Juschtschenko nahm noch schnell Personalrochaden im Nationalen Sicherheitsrat vor. Kleinere Zusammenstöße zwischen Demonstranten wurden vermeldet. Parlamentspräsident Alexandr Moros rief Janukowitsch und Juschtschenko auf, den Machtkampf nicht auf die Straße zu verlagern. Auch Julia Timoschenko riet ihren Anhängern, zu Hause zu bleiben. Und Juschtschenko versprach, als Oberkommandierender der Streitkräfte "kein Gewaltszenario zuzulassen". Es waren die russischen Fernsehkanäle, die solche Szenarien gestern ausführlich an die Wand malten. (Eduard Steiner/DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2007)


http://derstandard.at/?url=/?id=2830586
 
Eine neue Revolution ist unwahrscheinlich



Interview mit ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik
"Eine neue Revolution ist unwahrscheinlich"

Zwei Jahre mach der orangenen Revolution werden die Straßen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew von einer neuen Farbe dominiert: Das Orange ist dem Blau der politischen Gegner von Präsidenten Juschtschenko gewichen. ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik erklärt im Gespräch mit tagesschau.de die aktuelle Situation.

tagesschau.de: Der Machtkampf in der Ukraine zwischen dem westlich orientieren Präsidenten Juschtschenko und der pro-russischen Regierung von Ministerpräsident Janukowitsch wird von Tag zu Tag verfahrener. Wie konnte es dazu kommen?

Demonstration in Kiew (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Die Straßen in Kiew werden von den Anhängern Janokowitschs dominiert.]
Stephan Stuchlik: Die drei wichtigsten Politiker der Ukraine sind untereinander so zerstritten, dass das ganze Land handlungsunfähig ist. Das ist zum einen Ministerpräsident Viktor Janukowitsch vom "blauen Lager", zum anderen Präsident Viktor Juschtschenko und die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko vom "orangenen Lager". Die Blauen können nicht mit den Orangenen, die Orangenen nicht untereinander. So lange sich diese Situation nicht ändert und die Politiker innere Reife annehmen, wird es weder vor- noch zurückgehen.

Gäbe es Neuwahlen, wie Juschtschenko es anstrebt, würde die ganze Situation zwar auf Null gestellt. Die Machtverteilung würde danach jedoch genau so aussehen wie bei der Wahl vor einem Jahr: Die beiden Blöcke sind genau gleich stark, das Patt würde fortbestehen. Es liegt daher weiter an den Politikern - und die sind unfähig, sich in wechselnden Koalitionen oder Kompromissen zu einigen.

tagesschau.de: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Stuchlik: Der erste Schritt wäre ein Sinneswandel der Regierenden, nach dem Motto: Wir müssen zusammenstehen, egal auf welchen Seiten wir stehen oder wie wir uns - wie Juschtschenko und Timoschenko - in der Revolution zerstritten haben. Demokratie lernen heißt Kompromisse schließen lernen. Sonst käme nur ein Personalwechsel in Frage. Der ist jedoch bei keiner der Seiten absehbar, weil von unten nichts nachkommt. Beide Lager sind zudem im Prinzip mit ihrem Politikern ziemlich zufrieden. Insgesamt ist das Land innen- wie außenpolitisch dadurch komplett gelähmt. Eine neue Revolution ist allein deshalb schon unwahrscheinlich, weil der Druck von der Straße nicht ausreicht. Die Blauen versuchen, ihn zu erhöhen, aber das gelingt nur zum Teil.

tagesschau.de: Ist das ganze tatsächlich in erster Linie ein politischer Streit oder sitzen die Strippenzieher womöglich ganz woanders?

Stuchlik: Das ist in der Ukraine, wie wohl auch in jedem anderen Land, kaum zu trennen. Es gibt eine klare geographische Trennung: Die Industriegebiete im Osten waren immer schon pro-russisch, die Menschen sprechen dort Russisch. Die westlich orientierte Seite sucht dagegen den Anschluss an Europa. Beiden Seiten liegen natürlich wirtschaftliche Interessen zugrunde. Der Industrie im Osten liegt Russland näher, weil es nicht nur Hauptexportland, sondern sie von dort auch ihre Maschinen bezieht. Dem Westen liegt die EU näher - das war auch ein wichtiger Grund, warum die orangene Revolution von vielen Wirtschaftstreibenden unterstützt wurde. Sie hofften auf eine Öffnung, Liberalisierung des Landes, damit sie die Chance bekommen, ihre Güter in den Westen zu exportieren.

tagesschau.de: Wenn man die Bilder aus Kiew betrachtet, hat sich offenbar auch die Stimmung im Volk gedreht. Heute dominieren dort nicht mehr wie 2004 die orangenen Flaggen der Jutschschenko-Angänger, sondern die blauen der anderen Seite. Wie kommt das?

Viktor Janukowitsch (Foto: dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Viktor Janukowitsch kann zurzeit viele Anhänger mobilisieren.]
Stuchlik: Die orangene Seite wird von Idealismus und dem Willen, das Land zu verändern, getragen. Dieser Geist ist völlig verschwunden. Die Orangenen bekommt man nur mobilisiert, wenn es um Themen wie Presse- und Meinungsfreiheit geht. Darum geht es im Moment nicht - die Anhänger sind enttäuscht, einige ihrer Abgeordneten habe ja bereits die Seite gewechselt.

Die Blauen haben dagegen einen großen Vorteil. Sie haben ein klar definiertes politischen Programm, wissen genau, wo sie hin wollen. Sie haben jetzt Geld und organisatorisch seit 2004 aus ihren Fehlern gelernt. Janukowitsch ist mit Sicherheit durch eine Rhetorikschule gegangen. Was sie früher taktisch falsch gemacht haben, läuft jetzt richtig: Sie haben den zentralen Platz besetzt, eine Bühne gebaut, Anhänger aus dem ganzen Land herangefahren. Die Orangenen sind so zerstritten, dass sie nicht in der Lage sind, eine Gegenbewegung auf die Straße zu bringen.

tagesschau.de: Ist die Stimmung in Kiew repräsentativ für das ganze Land?

Demonstration in Kiew (Foto: AFP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Auch Kommunisten sind wieder vermehrt unter den Demonstranten zu finden.]
Stuchlik: Der Machtkampf ist im ganzen Land das Thema Nummer Eins. Sämtliche Nachrichtensendungen berichten ständig - es gibt im Fernsehen Sondersendungen im Halbstundentakt. Die Stimmung in den Provinzen wird gerade von der politischen Führung abgefragt. Bürgermeister und Provinzgouverneure melden sich aus dem ganzen Land zu Wort - entweder für die eine oder die andere Seite. Die Aufteilung ist keine Überraschung: Die westlichen für Juschtschenko, die im Osten für Janukowitsch.

Die Stimmung in der Ostukraine ist mit der in Kiew deckungsgleich. Dort sind, abgesehen von ein paar Kommunisten, überall nur Blaue zu sehen, auch in der östlichen Industriemetropole Donets'k. Die Orangenen sind komplett verschwunden - das war 2004 anders. Sie müssen sich erst einmal reorganisieren. Bis dahin haben die Blauen das Heft in der Hand, sowohl in Kiew wie auch im Osten.

Die Fragen stellte Wulf Rohwedder, tagesschau.de
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