Türkei sucht neue Lösungen für Kurdenkonflikt
Istanbul - Nach der jüngsten, einwöchigen Militäroffensive gegen kurdische PKK-Rebellen im Nordirak startet die türkische Regierung eine ganz andere Offensive, um das größte Problem des Landes zu lösen. Ein Investitionsprogramm, die Enttabuisierung des Kurdenproblems in der Politik und eine größere Anerkennung der kurdischen Identität als eigene Kultur mit eigener Sprache sollen helfen, den Konflikt zu lösen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gab das Startsignal mit einem Interview in der "New York Times". Die Zustimmung der USA hatte die Bodenoffensive ermöglicht, die USA hatten aber auch deren schnelles Ende gefordert - worauf die Militärs die Operation auch sofort beendeten.
Fast acht Milliarden Euro für die Kurdengebiete und ein neues Fernsehprogramm in kurdischer Sprache (sowie Programme für andere Minderheiten) kündigte Erdogan an. Bei näherem Hinsehen besteht das Investitionsprogramm vor allem aus alten Plänen, im Südosten der Türkei Staudämme und Infrastruktur zu errichten, das sogenannte GAP-Projekt. Es soll nun beschleunigt werden, Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Kritiker sehen darin seit jeher auch andere Ziele: Die Staudämme geben der Türkei die Kontrolle über das Wasser, das der Irak und Syrien braucht, und sind somit ein potenzielles politisches Druckmittel. Und die Dämme schneiden traditionelle Nachschubwege der PKK ab.
Gleichwohl scheint der wirtschaftliche Nutzen real, die Initiative wurde sogar von der Kurdenpartei DTP begrüßt. Was das TV-Programm betrifft: Auch so etwas hatte die jetzige Regierung bereits vor einigen Jahren eingeführt, kurze Sendungen zu früher Stunde, harmlos-häuslich, aber immerhin ein Tabubruch. Genau wie die vor Jahren erteilte Erlaubnis, unter bestimmten Auflagen private kurdische Sprachschulen zu betreiben. Andererseits bemüht sich die Regierung, das von Dänemark aus gesendete Roj-TV schließen zu lassen, dessen Nähe zur PKK kaum abzustreiten ist.
Entscheidend sind aber die politischen Signale, die Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül derzeit geben. Erdogan kündigte an, er werde bald in den Südosten reisen, und brachte das in Verbindung mit seiner berühmt gewordenen Reise und Rede 2005. Da hatte er erstmals von einem "kurdischen Problem" gesprochen, eine Formulierung, die für türkische Politiker bis dahin ein absolutes Tabu darstellte. Gül ging noch weiter, indem er sich mit der Führung einer Partei traf, die die Staatsanwaltschaft als politischen Arm der PKK verbieten lassen will - die seit den letzten Wahlen auch im Parlament vertretene DTP. Auch Gül sprach gegenüber der DTP von einem "Kurdenproblem", die DTPler ihrerseits zeigten Flexibilität, indem sie sagten, die Partei betrachte sich "nicht mehr als alleinige Vertreterin der Kurden" - eine Anerkennung der Erfolge der AKP bei kurdischen Wählern.
All dies weist auf eine neue Gesprächsbereitschaft hin, die mittelfristig zu Fortschritt führen kann - auch mit der autonomen Region "Kurdistan" im Nordirak. Der Besuch des (kurdischen) irakischen Staatspräsidenten Talabani in Ankara vor einigen Tagen war ein weiteres Zeichen für die einsetzende Charme-Offensive der Türken.