Antideutsche Pogrome in Moskau vom 27-29 Mai 1915
Wie in Europa wurde auch in Rußland der Beginn des Ersten Weltkrieges mit Enthusiasmus und Hurra!-Rufen begrüßt, "endlich werden wir es den Deutschen zeigen!" Die Ereignisse an der Front entwickelten sich jedoch nicht so wie es sich viele vorgestellt hatten: die russischen Truppen mussten sich zurückziehen und erlitten schwere Niederlagen gegen die deutsche Armee. Aufgrund der hohen Verluste und der Last des Krieges wuchs die Unzufriedenheit unter den Menschen. All dies schuf die Bedingungen, dass jeder noch so kleine Funke ausreichte um eine Explosion der Unzufriedenheit auszulösen. Die Regierung verstand das alles perfekt und entschied sich die in Russland lebenden 1.8 Millionen Deutsche zum Ventil durch den diese Unzufriedenheit abgelassen werden konnte zu machen.
Die Deutschen in Russland wurden mit dem Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zu Staatsfeinden erklärt. Der russische Ministerpräsident Ivan Goremykin führte aus: "Wir führen Krieg nicht nur gegen das Deutsche Reich, sondern gegen das Deutschtum überhaupt." Er traf damit vielerorts den antideutschen Ton der russischen Bevölkerung. Die Maßnahmen gegen die Russlanddeutschen waren dementsprechend drastisch. Die deutsche Sprache wurde in Schulen, Behörden und öffentlichen Vorgängen verboten und es galt als verpönt, öffentlich deutsch zu sprechen. Darüber hinaus verordnete die Krone die Zwangsversteigerung des Grundbesitzes fremdstämmiger Kolonisten und drückte als häufig einziger Aufkäufer die Preise nach Belieben herunter.
Zu dieser Zeit bildete Moskau nach St. Petersburg das zweitgrößte städtische Zentrum der Deutschen im Russischen Reich. 1912 hatten hier 28.500 Einwohner Deutsch als ihre Muttersprache angegeben. Damit waren die Deutschen nach den Großrussen die zweitgrößte ethnische Gruppe.
Im Mai 1915 wurde in Moskau eine breit angelegte Kampagne des "Kampfes gegen die deutsche Übermacht" gestartet, in deren Verlauf die Moskauer Deutschen aus den Vertretungsorganen der Geschäftswelt entfernt wurden. Wenig später wurden die meisten deutschen Firmen unter Regierungskontrolle gestellt. Es sind zahlreiche Fälle überliefert, in denen Moskauer Deutsche, auch solche mit russischer Staatsbürgerschaft, allein aufgrund eines bloßen Verdachtes auf Spionagetätigkeit verhaftet oder ausgesiedelt wurden.
Moskauer Kommandant war zu dieser Zeit Fürst Felix Jussupow - das Oberhaupt einer der reichsten Adelsfamilien Russlands, der Vater des Mörders von Rasputin und einer der aktivsten Befürworter radikaler Maßnahmen gegen "feindliche Untertanen".
Inspiriert durch Entscheidungen der Behörden, angeheizt durch regelmäßige antideutsche Ausfälle in der Presse und ermuntert durch Repräsentanten der lokalen Verwaltung rotteten sich etwa 100.000 Einwohner Moskaus vom 27. bis 29. Mai 1915 zusammen und verwüsteten die deutschen Geschäfte und Fabriken der Stadt - nach unterschiedlichen Quellen 732 Räumlichkeiten: Geschäfte, Lagerräume, Kontore und sogar Privatwohnungen.
Gewalttätige Menschenmengen zerstörten Geschäfte, zerstörten "deutsches Eigentum" und tranken "Trophäen" -Alkohol, der in Apotheken beschlagnahmt wurde. Die Duldung der Pogrome durch die Moskauer Behörden führte dazu, dass das Volk laut dem Abgeordneten der Moskauer Duma N.Astrow sich sagte, dass "der Mob vier Tage lang rauben darf".
Der Mob tötete ungefähr 8 und verletzte zum Teil schwer 40 "feindliche Elemente". Obwohl die Zahl der Opfer einiger jüdischer Pogrome aus der Vorkriegszeit höher war, war der durch die Unruhen verursachte materielle Schaden höher als bei jedem anderen Pogrom in der russischen Geschichte, vor allem weil in diesem Pogrom viele Fabriken, Geschäfte und Privatwohnungen geplündert wurden. Die Polizei sah untätig zu und der Mob hinderte die Feuerwehr die Brände zu löschen.
Moskaus Brandmajor berichtete, dass in der Nacht zum 28. Mai mehr als 300 Unternehmen und Geschäfte in Moskau niedergebrannt wurden, dazu noch Wohnungen und Privathäuser. Der Sachschaden belief sich auf über 50 Millionen Rubel. Die Pogrome, Plünderungen und Brandstiftungen in der Stadt wurden erst mit Hilfe regulärer Truppen gestoppt, die am Morgen des 29. Mai in Moskau eintrafen.
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Verteidiger des Zaren und des Vaterlandes vor dem Hintergrund des Herrenhauses des Industriellen Hugo von Vogau"
In seinem Bericht über die Unruhen in Moskau an den Zaren und den Ministerrat beschrieb Fürst Jussupow ausführlich die Argumente für eine maximale Verstärkung der Maßnahmen gegen "feindliche Elemente". Jussupow argumentierte, dass die Zögerung des Innenministeriums die patriotischen Gefühle der Bevölkerung beleidigte und schlug vor, "alle Deutschen in spezielle Konzentrationslager zu schicken".
In etwas mehr als zwei Jahren wird Russland den Krieg verlieren, der Zar wird abdanken und derselbe Mob wird auf den Straßen diejenigen töten und ihre Wohnungen plündern die keine Schwielen auf ihren Händen haben.
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Landesbeirat für Vertriebenen-, Flüchtlings- und SpätaussiedlerfragenDeutsche in Russland
Moskau/Moskva