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Neoliberalismus: Pakt für Wettbewerbsfähigkeit

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Yunan

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[h=3]Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – Merkels Agenda des Schreckens[/h]Verantwortlich: Jens BergerAuf dem Weltwirtschaftsforum in Davos redete die Kanzlerin endlich einmal Klartext und stellte die Grundzüge ihrer Agenda für Europa vor. Die Kanzlerin hat nichts, aber auch gar nichts, verstanden und will nun die Gunst der Stunde nutzen, um Europa bereits in diesem Jahr von Grund auf umzukrempeln. Durch die Blume gab sie dabei auch zu, dass ihr die Eurokrise keineswegs ungelegen kommt, um ganz Europa einer neoliberalen Agenda zu unterwerfen. Wer sich die Mühe macht, Merkels Rede durchzulesen, kommt selbst als abgeklärter Kritiker neoliberaler Politik aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Versuch einer Analyse. Von Jens Berger

Wenn Angela Merkel „große“ Reden hält, bedient sie sich meist immer der gleichen Textbausteine. Viele der Bausteine, die in Merkels Rede auf dem Weltwirtschaftsforum auftauchen, haben die NachDenkSeiten bereits in der Vergangenheit kritisch gewürdigt.

Siehe dazu:

In Davos ist Merkel jedoch ein Stück weiter gegangen. Auch wenn ihre Rede – wie stets – sprachlich höchst manipulativ und durch Euphemismus undNeusprech gekennzeichnet ist, wurde sie gestern ausnahmsweise einmal etwas konkreter bei der Skizzierung ihrer europäischen Agenda. Ihre Kernforderung fasst Merkel wie folgt zusammen:
“Wir wollen in Europa – und darüber sind wir uns in der Europäischen Union auch einig – die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Stabilitätsunion fortentwickeln. Das ist das Gegenteil von einer kurzfristigen Notoperation. Es ist vielmehr ein dauerhaft angelegter Weg – ein Weg, dessen Leitplanken Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit auf der einen Seite und Konsolidierung der Staatsfinanzen auf der anderen Seite sind. Ich will hier noch einmal betonen, dass für mich beides sehr eng zusammenhängt. Konsolidierung und Wachstum sind im Grunde zwei Seiten ein- und derselben Medaille, wenn es darum geht, Vertrauen zurückzugewinnen.”
Da stellt sich freilich die Frage, um wessen Vertrauen es Merkel geht. Geht es ihr um das Vertrauen der Menschen? Oder geht es ihr um das Vertrauen der Märkte? Natürlich geht es ihr um letzteres, ist sie doch auch die Kanzlerin, die die „marktkonforme Demokratie“ zum Leitbild politischen Handelns ausgerufen hat. Aus ökonomischer Perspektive ist Merkels Formel, Wachstum und Konsolidierung der Staatsfinanzen gingen Hand in Hand, eine glatte und zudem vorsätzliche Lüge. Dies hat erst zuletzt der IWF bei der Diskussion um denFiskalmultiplikator klipp und klar festgestellt – und der IWF ist jeglicher Form der Sozialromantik nun wahrlich nicht verdächtig. Frau Merkel weiß das. Ihr geht es jedoch auch gar nicht primär um die Konsolidierung der Staatsfinanzen, diese stellt für sie vielmehr den Hebel dar, um anderen souveränen Staaten überhaupt ihre Agenda aufzuzwingen:
“Es kommt aber auch auf die Frage an, wie stark der politische Wille ist, den Euroraum zusammenzuhalten, wie groß die Reformbereitschaft ist, wie groß die Solidarität im Euroraum ist. Ich glaube, in den letzten zwölf Monaten sind wir an dieser Stelle doch deutlich vorangekommen. [...]
Die Situation, in der wir uns im Augenblick befinden, ist eigentlich dadurch gekennzeichnet, dass der Faktor Zeit eine bestimmte Rolle spielt. Wir haben Konsolidierungsmaßnahmen [...] und eine Vielzahl von Strukturreformen auf den Weg gebracht. [...]
Jetzt gilt es sozusagen, diesen Faktor Zeit zu nutzen, damit die politische Situation nicht so eskaliert, dass daraus wieder Instabilitäten entstehen.”

Die Eurokrise ist für die Kanzlerin demnach eine zeitlich begrenzte Gelegenheit (window of opportunity), in der die „Reformbereitschaft“ unserer europäischen Nachbarn aufrechterhalten werden kann. Wen wundert es da, dass Merkel sich vehement dagegen zu Wehr setzt, den Teil der Eurokrise, der etwas mit Staatsanleihen und Staatsverschuldung zu tun hat, durch eine aktivere Politik der EZB zu entschärfen? Nein, Angela Merkels Strategie ist das, was Naomi Klein in ihrem gleichnamigen Buch als „Schock-Strategie“ bezeichnet hat – das Ausnutzen einer Katastrophe, um Reformen durchzudrücken, die weder vom Volk noch von den Volksvertretern so gewollt sind. In Davos spricht sie diesbezüglich ausnahmsweise sogar einmal Klartext:
“Auf der anderen Seite ist die politische Erfahrung, dass für politische Strukturreformen oft Druck gebraucht wird. Zum Beispiel war auch in Deutschland die Arbeitslosigkeit auf eine Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen angestiegen, bevor die Bereitschaft vorhanden war, Strukturreformen durchzusetzen. Meine Schlussfolgerung ist also: Wenn Europa heute in einer schwierigen Situation ist, müssen wir heute Strukturreformen durchführen, damit wir morgen besser leben können.”
Ob Angela Merkel und ihre Zuhörer in Davos durch die „Strukturreformen“ besser leben können, ist offen. Millionen Deutsche, die von Hartz IV leben und/oder im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, sehen dies sicherlich fundamental anders. Wenn man die negative Sogwirkung des Niedriglohnsektors auf das gesamte Lohngefüge hinzuzählt, kann man vielmehr sagen, dass diese Reformen dazu geführt haben, dass es heute sehr wenigen sehr viel besser und sehr vielen sehr viel schlechter geht. Vertreter dieser Mehrheit waren in Davos jedoch nicht vor Ort. Welch´ Ironie der Geschichte, dass Merkel-Vorgänger Schröder die Motive für seine „Strukturreformen“ am selben Ort acht Jahre zuvor ebenfalls freimütig vorgetragen hat:
„Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
Gerhard Schröder in seiner Rede [PDF - 23 KB] vom 28.01.2005 vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos
Schröder kann wirklich stolz auf seine Nachfolgerin und Schwester im Geiste sein. Was Schröder in Deutschland umgesetzt hat, setzt Merkel nun in ganz Europa um:
“Wie können wir sicherstellen, dass wir in den nächsten Jahren auch eine Kohärenz in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der gemeinsamen Währungsunion erreichen? Und damit meine ich nicht eine Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit irgendwo im Mittelmaß der europäischen Länder, sondern eine Wettbewerbsfähigkeit, die sich daran bemisst, ob sie uns Zugang zu globalen Märkten ermöglicht. [...]
Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäischen Union –, dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. Dabei wird es oft um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen.”

Europa soll also dem deutschen Modell folgen, die Axt an den Sozialstaat legen und dabei die Lohnkosten drücken. Dass sich Europa damit als Markt desavouiert und stattdessen darauf schielt, den offenen Standortwettbewerb mit Schwellen- und Entwicklungsländern auch über die Löhne zu eröffnen, ist eine Sache. Nebenbei erklärt die Kanzlerin aber auch frank und frei, was sie von einer europäischen Harmonisierung der Lohnstückkosten hält – nämlich nichts. Deutschland, so Merkels Botschaft, habe alles richtig gemacht. Daher wurde Merkels Rede vom Kanzleramt auch unter der provokanten Überschrift„Die Besten als Vorbild“ ins Netz gestellt. Wir sind also die Besten, nun ja.
Es ist erstaunlich, wie lernresistent die Kanzlerin doch ist. Eigentlich ist es selbst unter merkelfreundlichen Ökonomen unstrittig, dass die Eurozone nur dann eine Zukunft hat, wenn sich die Lohnstückkosten und somit die Produktivität innerhalb der Eurozone angleichen. Zum Angleichen gehören jedoch zwingend zwei Seiten. Deutschland müsste sich ebenfalls auf seine Nachbarn zubewegen und beispielsweise durch höhere Löhne für einen ökonomischen Ausgleich sorgen. Doch davon will die Kanzlerin nichts wissen. Ginge es nach ihr, gibt es für die Eurozone nur einen Weg – den Weg nach unten, den Weg der Lohnzurückhaltung, des Abbaus der Arbeitnehmerrechte und des Sozialstaats. Von Deutschland lernen, heißt siegen lernen, die Besten als Vorbild.
Wie diese Botschaft bei unseren Nachbarn ankommt, dürfte klar sein. Einen zentralen Blick sollte man zudem auf die Frage werfen, welches Recht Angela Merkel überhaupt beansprucht. Schon Brecht wusste, dass nur die dümmsten Kälber ihre Metzger selber wählen. Die deutschen Kälber mögen ziemlich dumm sein, anders lässt sich der fortwährende Erfolg Merkels nicht erklären. Aber dafür können unsere Nachbarn ja nichts. Europa ist kein deutsches Protektorat, sondern ein Zusammenschluss souveräner Staaten und die deutsche Kanzlerin hat kein Mandat, anderen souveränen Staaten ihre Politik zu diktieren – Eurokrise hin, Eurokrise her. Wenn sie jedoch den Anspruch erhebt, in Europa eine „sehr proaktive Rolle zu spielen“, wie es als Zeichen der Kapitulation des Verstandes vor der sprachlichen Verwirrung auf den Internetseiten der Kanzlerin geschrieben steht, hat die deutsche Kanzlerin nicht einmal im Ansatz verstanden, was Demokratie eigentlich heißt.
Um ihre Ziele umzusetzen, spielt sie Hand in Hand mit der Europäischen Kommission. Wer soll sich da denn noch wundern, wenn die Europäer europamüde werden? Ein Europa, dass nur dazu dient, die Demokratie, Souveränität und Mitbestimmung der Europäer auszuhebeln, hat keine Zukunft und auch keine Daseinsberechtigung. Wollen die Europäer Europa und den europäischen Gedanken retten, müssen sie sich von diesem Missbrauch befreien. Sie müssen Merkel die Stirn bieten. Es ist an der Zeit, trotz alledem!
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Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – Merkels Agenda des Schreckens | NachDenkSeiten – Die kritische Website
 
Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – Merkels Agenda des Schreckens

Verantwortlich: Jens BergerAuf dem Weltwirtschaftsforum in Davos redete die Kanzlerin endlich einmal Klartext und stellte die Grundzüge ihrer Agenda für Europa vor. Die Kanzlerin hat nichts, aber auch gar nichts, verstanden und will nun die Gunst der Stunde nutzen, um Europa bereits in diesem Jahr von Grund auf umzukrempeln. Durch die Blume gab sie dabei auch zu, dass ihr die Eurokrise keineswegs ungelegen kommt, um ganz Europa einer neoliberalen Agenda zu unterwerfen. Wer sich die Mühe macht, Merkels Rede durchzulesen, kommt selbst als abgeklärter Kritiker neoliberaler Politik aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Versuch einer Analyse. Von Jens Berger

Wenn Angela Merkel „große“ Reden hält, bedient sie sich meist immer der gleichen Textbausteine. Viele der Bausteine, die in Merkels Rede auf dem Weltwirtschaftsforum auftauchen, haben die NachDenkSeiten bereits in der Vergangenheit kritisch gewürdigt.

Siehe dazu:

In Davos ist Merkel jedoch ein Stück weiter gegangen. Auch wenn ihre Rede – wie stets – sprachlich höchst manipulativ und durch Euphemismus undNeusprech gekennzeichnet ist, wurde sie gestern ausnahmsweise einmal etwas konkreter bei der Skizzierung ihrer europäischen Agenda. Ihre Kernforderung fasst Merkel wie folgt zusammen:
“Wir wollen in Europa – und darüber sind wir uns in der Europäischen Union auch einig – die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Stabilitätsunion fortentwickeln. Das ist das Gegenteil von einer kurzfristigen Notoperation. Es ist vielmehr ein dauerhaft angelegter Weg – ein Weg, dessen Leitplanken Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit auf der einen Seite und Konsolidierung der Staatsfinanzen auf der anderen Seite sind. Ich will hier noch einmal betonen, dass für mich beides sehr eng zusammenhängt. Konsolidierung und Wachstum sind im Grunde zwei Seiten ein- und derselben Medaille, wenn es darum geht, Vertrauen zurückzugewinnen.”
Da stellt sich freilich die Frage, um wessen Vertrauen es Merkel geht. Geht es ihr um das Vertrauen der Menschen? Oder geht es ihr um das Vertrauen der Märkte? Natürlich geht es ihr um letzteres, ist sie doch auch die Kanzlerin, die die „marktkonforme Demokratie“ zum Leitbild politischen Handelns ausgerufen hat. Aus ökonomischer Perspektive ist Merkels Formel, Wachstum und Konsolidierung der Staatsfinanzen gingen Hand in Hand, eine glatte und zudem vorsätzliche Lüge. Dies hat erst zuletzt der IWF bei der Diskussion um denFiskalmultiplikator klipp und klar festgestellt – und der IWF ist jeglicher Form der Sozialromantik nun wahrlich nicht verdächtig. Frau Merkel weiß das. Ihr geht es jedoch auch gar nicht primär um die Konsolidierung der Staatsfinanzen, diese stellt für sie vielmehr den Hebel dar, um anderen souveränen Staaten überhaupt ihre Agenda aufzuzwingen:
“Es kommt aber auch auf die Frage an, wie stark der politische Wille ist, den Euroraum zusammenzuhalten, wie groß die Reformbereitschaft ist, wie groß die Solidarität im Euroraum ist. Ich glaube, in den letzten zwölf Monaten sind wir an dieser Stelle doch deutlich vorangekommen. [...]
Die Situation, in der wir uns im Augenblick befinden, ist eigentlich dadurch gekennzeichnet, dass der Faktor Zeit eine bestimmte Rolle spielt. Wir haben Konsolidierungsmaßnahmen [...] und eine Vielzahl von Strukturreformen auf den Weg gebracht. [...]
Jetzt gilt es sozusagen, diesen Faktor Zeit zu nutzen, damit die politische Situation nicht so eskaliert, dass daraus wieder Instabilitäten entstehen.”

Die Eurokrise ist für die Kanzlerin demnach eine zeitlich begrenzte Gelegenheit (window of opportunity), in der die „Reformbereitschaft“ unserer europäischen Nachbarn aufrechterhalten werden kann. Wen wundert es da, dass Merkel sich vehement dagegen zu Wehr setzt, den Teil der Eurokrise, der etwas mit Staatsanleihen und Staatsverschuldung zu tun hat, durch eine aktivere Politik der EZB zu entschärfen? Nein, Angela Merkels Strategie ist das, was Naomi Klein in ihrem gleichnamigen Buch als „Schock-Strategie“ bezeichnet hat – das Ausnutzen einer Katastrophe, um Reformen durchzudrücken, die weder vom Volk noch von den Volksvertretern so gewollt sind. In Davos spricht sie diesbezüglich ausnahmsweise sogar einmal Klartext:
“Auf der anderen Seite ist die politische Erfahrung, dass für politische Strukturreformen oft Druck gebraucht wird. Zum Beispiel war auch in Deutschland die Arbeitslosigkeit auf eine Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen angestiegen, bevor die Bereitschaft vorhanden war, Strukturreformen durchzusetzen. Meine Schlussfolgerung ist also: Wenn Europa heute in einer schwierigen Situation ist, müssen wir heute Strukturreformen durchführen, damit wir morgen besser leben können.”
Ob Angela Merkel und ihre Zuhörer in Davos durch die „Strukturreformen“ besser leben können, ist offen. Millionen Deutsche, die von Hartz IV leben und/oder im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, sehen dies sicherlich fundamental anders. Wenn man die negative Sogwirkung des Niedriglohnsektors auf das gesamte Lohngefüge hinzuzählt, kann man vielmehr sagen, dass diese Reformen dazu geführt haben, dass es heute sehr wenigen sehr viel besser und sehr vielen sehr viel schlechter geht. Vertreter dieser Mehrheit waren in Davos jedoch nicht vor Ort. Welch´ Ironie der Geschichte, dass Merkel-Vorgänger Schröder die Motive für seine „Strukturreformen“ am selben Ort acht Jahre zuvor ebenfalls freimütig vorgetragen hat:
„Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
Gerhard Schröder in seiner Rede [PDF - 23 KB] vom 28.01.2005 vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos
Schröder kann wirklich stolz auf seine Nachfolgerin und Schwester im Geiste sein. Was Schröder in Deutschland umgesetzt hat, setzt Merkel nun in ganz Europa um:
“Wie können wir sicherstellen, dass wir in den nächsten Jahren auch eine Kohärenz in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der gemeinsamen Währungsunion erreichen? Und damit meine ich nicht eine Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit irgendwo im Mittelmaß der europäischen Länder, sondern eine Wettbewerbsfähigkeit, die sich daran bemisst, ob sie uns Zugang zu globalen Märkten ermöglicht. [...]
Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäischen Union –, dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. Dabei wird es oft um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen.”

Europa soll also dem deutschen Modell folgen, die Axt an den Sozialstaat legen und dabei die Lohnkosten drücken. Dass sich Europa damit als Markt desavouiert und stattdessen darauf schielt, den offenen Standortwettbewerb mit Schwellen- und Entwicklungsländern auch über die Löhne zu eröffnen, ist eine Sache. Nebenbei erklärt die Kanzlerin aber auch frank und frei, was sie von einer europäischen Harmonisierung der Lohnstückkosten hält – nämlich nichts. Deutschland, so Merkels Botschaft, habe alles richtig gemacht. Daher wurde Merkels Rede vom Kanzleramt auch unter der provokanten Überschrift„Die Besten als Vorbild“ ins Netz gestellt. Wir sind also die Besten, nun ja.
Es ist erstaunlich, wie lernresistent die Kanzlerin doch ist. Eigentlich ist es selbst unter merkelfreundlichen Ökonomen unstrittig, dass die Eurozone nur dann eine Zukunft hat, wenn sich die Lohnstückkosten und somit die Produktivität innerhalb der Eurozone angleichen. Zum Angleichen gehören jedoch zwingend zwei Seiten. Deutschland müsste sich ebenfalls auf seine Nachbarn zubewegen und beispielsweise durch höhere Löhne für einen ökonomischen Ausgleich sorgen. Doch davon will die Kanzlerin nichts wissen. Ginge es nach ihr, gibt es für die Eurozone nur einen Weg – den Weg nach unten, den Weg der Lohnzurückhaltung, des Abbaus der Arbeitnehmerrechte und des Sozialstaats. Von Deutschland lernen, heißt siegen lernen, die Besten als Vorbild.
Wie diese Botschaft bei unseren Nachbarn ankommt, dürfte klar sein. Einen zentralen Blick sollte man zudem auf die Frage werfen, welches Recht Angela Merkel überhaupt beansprucht. Schon Brecht wusste, dass nur die dümmsten Kälber ihre Metzger selber wählen. Die deutschen Kälber mögen ziemlich dumm sein, anders lässt sich der fortwährende Erfolg Merkels nicht erklären. Aber dafür können unsere Nachbarn ja nichts. Europa ist kein deutsches Protektorat, sondern ein Zusammenschluss souveräner Staaten und die deutsche Kanzlerin hat kein Mandat, anderen souveränen Staaten ihre Politik zu diktieren – Eurokrise hin, Eurokrise her. Wenn sie jedoch den Anspruch erhebt, in Europa eine „sehr proaktive Rolle zu spielen“, wie es als Zeichen der Kapitulation des Verstandes vor der sprachlichen Verwirrung auf den Internetseiten der Kanzlerin geschrieben steht, hat die deutsche Kanzlerin nicht einmal im Ansatz verstanden, was Demokratie eigentlich heißt.
Um ihre Ziele umzusetzen, spielt sie Hand in Hand mit der Europäischen Kommission. Wer soll sich da denn noch wundern, wenn die Europäer europamüde werden? Ein Europa, dass nur dazu dient, die Demokratie, Souveränität und Mitbestimmung der Europäer auszuhebeln, hat keine Zukunft und auch keine Daseinsberechtigung. Wollen die Europäer Europa und den europäischen Gedanken retten, müssen sie sich von diesem Missbrauch befreien. Sie müssen Merkel die Stirn bieten. Es ist an der Zeit, trotz alledem!
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Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – Merkels Agenda des Schreckens | NachDenkSeiten – Die kritische Website

Ich wette nur 1 von 20 Personen lesen sich diesen Test durch...
 
Jens Berger ist ein freier Journalist und politischer Blogger. Als solchem stehen ihm natürlich alle Freiheiten der Meinungsäußerung in einer funktionierenden Demokratie zu.
Nach Einschätzung von „Spiegel Online“ aus dem Jahr 2008 gehören die „NachDenkSeiten“, in die J. Berger seinen Blog eingebunden hat, zu den wenigen deutschen politischen Websites, die überhaupt wahrgenommen werden. Die behandelten Themen begrenzen sich allerdings auf eine Kritik am Neoliberalismus, so dass die Seite nicht mehr „als eine Internet-Gemeinde für enttäuschte Sozialdemokraten ist. Noch weiter links ist eigentlich kein Platz mehr.

Umfassende Kritik, oft genug wichtig und elementarer Teil einer Demokratie, ist solange in Ordnung, solange im Anschluss daran Lösungen angeboten werden.

Diese Lösungen sollten neutral und gleichwertig mit dem kritisierten Punkt zur Diskussion gestellt werden.

Yunan, ich hab Dich auch schon im anderen Thread gefragt: Was schlägst DU vor? Was ist Deine Meinung in eigene Worte gefasst? Ellenlange Texte hier unkommentiert hinein zu stellen kann jeder Depp. (Entschuldige den Ausdruck, aber ich finde ihn gerade passend.)

Lösungen hat auch dieser Herr Berger nicht zur Hand, außer so nichtssagende Parolen, wie: "Wir müssen Merkel die Stirn bieten!" Bla, bla, bla… Ja wie denn?

Ich warte!

PS: Elma, möglicherweise bin ich schon der zweite, der diesen Text gelesen hat. :)
 
Sieh' her: In dem Text geht es um die Kritik einer Rede Angela Merkels, welche auf der Webseite des Kanzleramtes abrufbar ist. Darüber soll hier diskutiert werden und über nichts anderes. Wenn du dich für ein anderes Thema interessierst, dann öffne doch einen neuen Thread.
 
Ich sehe in der Tat gerade die südlichen Länder als Art grausames Experimentierfeld für eben jene Strukturreformen, wie sie sogar ziemlich sicher durchgedrückt werden sollen und die allem voran auch den Abbau des Sozialstaates vorsehen. Gerade heute ein Artikel aus der SPON über die sozialen Folgen am Beispiel Portugal. Man kann nur hoffen, dass die Menschen wieder für mehr soziale Gerechtigkeit eintreten können und werden.

Portugals soziale Krise: Millionenfaches Elend

Aus Lissabon berichtet Stefan Schultz

Projecto Troika /Bruno Simo¿es Castanheira

Portugal verlässt den Euro-Rettungsschirm, doch die Bürger zahlen dafür einen hohen Preis. Harte Sparprogramme haben die Mittelschicht zerstört, soziale Netze zerfetzt. 2,5 Millionen Menschen leben am Rande der Armut. Ein Rundgang durch Lissabon.

Es ist der größte Erfolg, den Portugal seit drei Jahren verzeichnen kann, doch Premierminister Pedro Passos Coelho will ihn nicht selbst verkünden. Stattdessen leitet sein Staatssekretär die Pressekonferenz zum Ausstieg aus dem Euro-Rettungsschirm. Man wolle sich nicht vorwerfen lassen, das Thema für den Europawahlkampf zu missbrauchen, lautet die offizielle Begründung. Diese Vorsichtsmaßnahme wäre nicht nötig gewesen. Denn nach Feiern ist ohnehin niemandem zumute.

Coelhos eiserne Reformpolitik hat Portugal zwar die Rückkehr an die Finanzmärkte ermöglicht, aber gleichzeitig das Land in eine historische soziale Krise gestürzt. 2,5 Millionen Portugiesen leben in Armut oder an der Armutsgrenze, das entspricht rund einem Viertel der Bevölkerung. Und so kann Staatssekretär Carlos Moedas zwar erläutern, dass die Wirtschaft wieder wächst und wie die Regierung die Gesundung des Landes weiter vorantreiben will. Auf die zahlreichen Fragen nach den sozialen Folgen aber hat auch er keine gute Antwort. Er hoffe, dass die Reformen rasch greifen und sich das Wachstum stabilisiert, sagt er. Dann würden auch die sozialen Verwerfungen zurückgehen.Draußen, vor den Toren des Ministerrats, können die Leute das kaum glauben. Menschen wie Bruno Castanheira, 36, lange schwarze Locken, akribisch geschnittener Bart, ein Fotograf, der die Krise seit vielen Monaten dokumentiert. Unter dem Namen Projecto Troika zeigen er und sieben weitere Künstler in grobkörnigen, oft schwarz-weißen Fotos und Filmen die Gesichter der Krise.
"Millionen Menschen haben ihre Würde verloren", sagte Castanheira vergangene Woche am Telefon und lud zu einer Führung durch ein Portugal, das sich durch jahrelange Sparprogramme bedenklich verändert hat.

Jung, entmutigt, frustriert

Der Rundgang beginnt am Nachmittag, am Abend wird das Rettungsprogramm enden. Wir treffen uns im Zentrum von Lissabon, unweit der Straße Alameda Dom Afonso Henriques, an der jedes Jahr am 1. Mai die Protestzüge der Gewerkschaften entlangziehen. Zuletzt kamen immer mehr Menschen zu den Demos, Zehntausende allein in diesem Jahr. Einer, der keine Demo mehr auslässt, ist Miguel Pires.
Pires ist 36, Diplom-Ingenieur und einer von Castanheiras Freunden, denen es noch ganz gut geht. 2013, auf dem Höhepunkt der Sparmaßnahmen, schloss die Firma, bei der er als Bauleiter arbeitete. Seitdem hat Pires Hunderte Bewerbungen geschrieben. Meist bekam er, wenn überhaupt, eine Absage. Dazu einige Jobangebote in der Provinz, 485 Euro Monatslohn, exklusive Fahrtkosten. Pires lehnte ab.
Weitere Jobangebote kamen aus Angola, einer früheren portugiesischen Kolonie, die derzeit einen Wirtschaftsboom erlebt. Pires rief einen ehemaligen Arbeitskollegen an, der schon übergesiedelt war, der sprach von Gelbfieber, bewaffneten Überfällen und wie schwer es für ihn sei, dass Freunde und Familie 6000 Kilometer entfernt leben.
Rund 300.000 Portugiesen haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen und im Ausland ihr Glück versucht. Pires will keiner von ihnen sein. Doch auch in Portugal sieht er keine Perspektive. Er fühlt sich müde, entmutigt, frustriert.
Pires lernt jetzt Computersprachen, will versuchen, Apps zu programmieren. Er hat ein bisschen was gespart, und seine Frau hat ihren Job noch. Sie leben bescheiden, kommen gerade so über die Runden. Das Leben, das sie sich erträumt hatten, sah anders aus. Er sagt, sie hätten gern Kinder.

Verdammt zu ewiger Arbeit

Eine Siedlung im Stadtteil Benfica. Eine Weile irrt Bruno Castanheiro zwischen den verfallenen Wohnblöcken umher, dann findet er die kleine Straße, die hinauf zum Friedhof führt. Oben haben José Couchinho Tavares, 74, und Maria Adeleia de Cruz Glaziou, 71, ihre Schneiderei. Es ist früher Abend, die Singer-Nähmaschine rattert, Senhor Tavares werkelt am letzten Sakko des Tages. Seine Augen sind trüb, die Stirn ist voller Flecken. Seine Frau näht am Tisch gegenüber. Gleich neben ihr, in einem Laufgitter, macht die einjährige Enkelin ihre ersten Gehversuche.
Seit 45 Jahren arbeiten die beiden hier, fünf bis sechs Tage die Woche, acht bis neun Stunden am Tag. Auch heute noch, denn für den Ruhestand reicht ihre Rente nicht, jetzt schon gar nicht mehr, denn die Regierung hat ihre ohnehin bescheidenen Bezüge noch einmal um zehn Prozent gekürzt. 1200 Euro Rente bekommt das Paar insgesamt - und kann sich damit noch glücklich schätzen. Denn die durchschnittliche Rente in Portugal liegt nur bei 350 Euro, 80 Prozent der Pensionäre bekommen weniger als den Mindestlohn.
Das Ehepaar Tavares hat fünf Kinder großgezogen, den Laden, die Maschinen selbst finanziert, die Steuern stets pünktlich bezahlt. Der Lohn ist eine Rente, die zum Leben nicht reicht. Und steigende Abgaben. Rund 40 Prozent seiner Einnahmen musste das Schneiderpaar aus Benfica vergangenes Jahr dem Fiskus geben. José Tavares nennt das "erzwungene Solidarität".
Die Regierung hat kürzlich das Rentenalter angehoben, auf 66, unter heftigem Protest der Gewerkschaften. José Tavares und Maria Glaziou wären gern in diesem Alter in Rente gegangen. Sie würden gern ihre letzten guten Jahre im Garten verbringen, mit Freunden, den Kindern, den acht Enkeln. Stattdessen werden sie weiter arbeiten, morgen, nächsten Monat und auch nächstes Jahr, am Tag ihrer goldenen Hochzeit.

Das unsichtbare Elend

Eine Autostunde südlich von Lissabon liegt das Dorf Aldeia de Irmãos. Es ist 23 Uhr, Portugals Rettungspaket schlägt die letzte Stunde. Bruno Castanheira parkt seinen klapprigen Peugeot vor einer Garage. Drinnen steht Nuno Duque und verteilt Essen an Bedürftige. Auf der Auslage liegen Kartoffeln, Früchte und Kuchen, etwas Hähnchen und Reis, etwas Salat und viel Brot, alles Überreste aus Supermärkten und Restaurants, die Duque und seine Mitstreiter in den umliegenden Dörfern eingesammelt haben.

Nacheinander ruft Duque die Leute auf, hakt ihre Namen auf einer Liste ab. Rund hundert Menschen versorgt das Team täglich mit Essen, gut die Hälfte kennt Duque persönlich. Er wohnt seit 18 Jahren in der Gegend. Als er 2008 anfing, Essen auszuteilen, kamen vor allem Obdachlose; vor drei Jahren kam die Frau eines befreundeten Bauarbeiters, vor zwei Jahren kam ein befreundeter Diplom-Ingenieur, vor einem Jahr die Nachbarin von gegenüber, aus dem Haus mit dem Swimmingpool.Inzwischen kommen viele, denen man nicht ansieht, dass sie es nötig haben, Nacht für Nacht teils mehrere Kilometer weit zur Garage zu laufen, sich hinzusetzen und zu warten, dass Duque ihre Tupperdosen mit abgelaufenem Essen füllt. Auch in dieser Nacht sind viele, die gekommen sind, gut gekleidet. Manche tippen, während sie warten, auf ihrem Smartphone herum.
Duque nennt sie die Mittelklasse, die keine mehr ist. Es sind Menschen, die ihre Häuser nicht verkaufen, weil niemand ihnen einen vernünftigen Preis zahlt und die sich wegen der hohen Hypothek den Gang in den Supermarkt nicht mehr leisten können. Menschen, die sich schwertun einzusehen, dass sie sich ihren gewohnten Lebensstandard nicht länger leisten können und jetzt Leute wie Nuno Duque brauchen. Der hilft ihnen längst nicht nur aus Mitleid. "Es könnte morgen auch mich treffen", sagt er. "Dann würde ich hoffen, dass auch für mich jemand da ist."

Portugal: Soziale Krise nach Ausstieg aus Rettungsschirm - SPIEGEL ONLINE

 
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