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Rehana
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Albanien - "sicherer Hafen" für Muslim-Extremisten
Im April 1994 besuchte bin Laden auf Einladung des albanischen Geheimdienstes die Hauptstadt Tirana. Er kam als Mitglied einer saudischen Delegation. Albaniens Staatspräsident Sali Berisha ließ es sich nicht nehmen, den Besucher persönlich zu empfangen, hatte bin Laden seiner Regierung doch großzügige finanzielle Hilfe zugesagt. Berisha hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit 1992 den Beitritt seines Landes in die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) durchgesetzt. Seit jener Zeit soll bin Laden westlichen Nachrichtendiensten zufolge verschiedene Einrichtungen in Albanien gegründet oder zumindest mitbegründet haben: zum Beispiel die Arabisch-Islamische Bank in Tirana, in der Terroristen Konten gehabt haben sollen, und die Hilfsorganisation Al-Haramen. Al-Haramen soll nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste auf dem Balkan Hunderte von albanischen Muslimen militärisch ausgebildet und als Dachorganisation für bin Ladens terroristische Expansion in Südosteuropa fungiert haben. Albanien wurde so ab Mitte der neunziger Jahre zu einem "sicheren Hafen" für islamische Extremisten.
Die bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Albanien, die 1997 nach dem Zusammenbruch der albanischen Schattenwirtschaft ausgebrochen waren, beschleunigten diese Entwicklung. In jenen anarchischen Zeiten wurden schätzungsweise knapp eine Million Waffen aus Heeres- und Polizeidienststellen gestohlen. Außerdem verschwanden aus den Dienststellen des Innenministeriums Tausende von Reisepässen. Der damalige Leiter des albanischen Geheimdienstes, Fatos Klosi, ging nach einem Bericht der albanischen Zeitung Gazeta Sqiptare davon aus, "dass zahlreiche solcher Reisedokumente, mit fiktiven Namen ausgefüllt und mit den nötigen Stempeln versehen, an Anhänger bin Ladens auf dem Balkan, aber auch in Westeuropa ausgehändigt wurden".
Die staatliche Nachrichtenagentur Serbia Info News meldete im April 1998, dass sich in Albanien rund 500 Mudschahidin, allesamt Anhänger von bin Laden, in der Umgebung der Städte Korça und Pograde aufhielten. Albanien werde von den islamischen Fundamentalisten als Sprungbrett benutzt, um Terroristen zur Unterstützung der Befreiungsarmee UÇK in den Kosovo zu bringen. Der russische Außenminister Igor Iwanow sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass am 20. April 2001, dass "ungehinderter Terrorismus und Separatismus der Albaner den Kosovo zum wichtigsten Terror- und Verbrechenszentrum Europas haben werden lassen". Noch deutlicher wurde Leonid Wladimirowitsch Schebarschin, vormals Chef des KGB, während einer Sicherheitsfachtagung im vergangenen Mai in Berlin: "Europa könnte in einen Konflikt geführt werden, in dem Osama bin Laden und die Taliban Albanien und die ethnischen Albaner in den Bemühungen unterstützen, ein großalbanisches Reich islamischer Prägung aufzubauen."
Bereits im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 kämpften nach einem Bericht des Belgrader Wochenmagazins NIN zwischen 600 und 4000 Freiwillige aus islamischen Ländern aufseiten bosnischer Muslime. Unter diesen "Balkan-Arabern" seien auch zahlreiche Veteranen des Afghanistankrieges gewesen. Bulgarische Medien berichten, das europäische Netzwerk der Al-Qaida werde von Bosnien aus koordiniert. Gestärkt wird diese Vermutung durch Quellen israelischer Geheimdienste. Auf die jedenfalls beruft sich die amerikanische Militärzeitschrift Stars and Stripes in ihrer Septemberausgabe. Dort heißt es: "Etwa 6000 Kämpfer stehen in Bosnien und Herzegowina bereit, bin Laden zu folgen, falls Amerika irgendwo dessen Lager angreifen sollte." Ende Oktober nahm die bosnische Polizei fünf Muslim-Extremisten algerischer Herkunft fest. Sie sollen, so berichtet das Nachrichtenmagazin Time, von der Al-Qaida-Führung Anweisungen für Anschläge erhalten haben, unter anderem auf den SFor-Militärstützpunkt Eagle Base. Die Festnahmen hätten nach Angaben eines Nato-Sprechers das Netzwerk zwar erschüttert, "aber nicht zerstört". Die Sicherheitsvorkehrungen in allen SFor-Anlagen wurden deshalb erheblich verschärft.
Aber nicht nur Südosteuropa ist über Jahre zum Standort von Al-Qaida geworden. Europäische und insbesondere amerikanische Fahnder haben mehrere Zentren ausgemacht. Als eine Art Ausgangsbasis der Al-Qaida gilt nach Recherchen der amerikanischen und italienischen Polizei die Lombardei im Norden Italiens. In der Metropole Mailand soll sich, getarnt im Islamischen Studienzentrum in der Viale Jenner, eine logistische Operationsbasis befinden. Das FBI geht davon aus, dass in diesem Zentrum schon seit sechs Jahren Attentate vorbereitet werden. Wie die Washington Post Ende Oktober berichtete, forderte das amerikanische Finanzministerium die italienische Regierung auf, das Islamische Studienzentrum zu schließen, in dessen Räumen "nicht nur Terroristen ausgebildet, sondern auch für den terroristischen Kampf angeheuert" würden.
70 000 Islamisten durchliefen terroristische Ausbildungslager
Zu einer Drehscheibe von bin Ladens Terrororganisation, warnen westliche Nachrichtendienste, könnte sich auch die Iberische Halbinsel entwickeln. Im Juni nahm die spanische Polizei in Alicante den Algerier Mohammed Bensakhria fest. Er steht nach Angaben spanischer und deutscher Staatsschützer im Verdacht, der Al-Qaida-Chef für Europa zu sein. Als weiteres Zentrum der Al-Qaida gilt London, das sich über die Jahre zu einem Hort für Widerstandsgruppen und Oppositionelle aus aller Welt entwickelt hat. Arabische Exilantenkreise aus London nahmen nach Erkenntnissen nahöstlicher Geheimdienste an "Elementarversammlungen des Islamischen Weltbundes" teil, zu denen Osama bin Laden nach Afghanistan geladen hatte.
Wie viele Terroristen sich in Europa aufhalten, weiß niemand. Die Schätzungen reichen von mehreren hundert bis zu einigen tausend. Das Potenzial der Al-Qaida dürfte wesentlich größer sein. Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA) zum Thema Islamistischer Terrorismus Mitte November in Wiesbaden berichtete BKA-Präsident Ulrich Kersten, dass in Al-Qaida-Lagern mindestens 70 000 Kämpfer aus mehr als 50 Staaten ausgebildet worden seien. Deren Gefährlichkeit, mahnte der britische Militärhistoriker Sir Michael Howard Anfang November in einem stern-Interview, müsse mittlerweile unabhängig von Afghanistan und Osama bin Laden gesehen werden: "Bin Laden kann gar nicht verlieren. Und selbst wenn er eliminiert ist: Es ist schwer vorstellbar, dass dieses globale Netzwerk aus offenkundig intelligenten, gut ausgebildeten und entschlossenen Terroristen nicht weiterbestehen wird."
Berndt Georg Thamm (55) beschäftigt sich als Fachpublizist seit über dreißig Jahren mit den Themen Organisiertes Verbrechen und Terrorismus
Osama bin Laden - Wanted dead or alive. George W. Bush scheint seinem erklärten Kriegsziel in Afghanistan immer näher zu kommen. Aber selbst wenn es den amerikanischen Truppen jetzt gelänge, den Anführer des Terrornetzwerks Al-Qaida aufzuspüren, zu verhaften oder zu töten - wäre dies auch das Ende der Organisation? Die Antwort heißt: Nein.
"Al-Qaida ist für den Terror, was die Mafia für das Verbrechen ist", sagte George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September. Doch der Vergleich stimmt nicht ganz. Denn im Gegensatz zur festgefügten, hierarchischen Struktur der Mafia ist Al-Qaida ein Netzwerk von ungebundenen Mudschahidin. Also eine lose Vereinigung von Gotteskämpfern, die zwar dieselbe Ideologie haben, aber recht unterschiedliche Ziele verfolgen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Terrorzellen nicht notwendig grünes Licht von Osama bin Laden brauchen. "Völlig autonom und ohne eine Rücksprache an entscheidender Stelle zu führen, können sie über ihre eigenen Anschlagsziele entscheiden", zitiert der Spiegel Mitte Oktober ein Verfassungsschutzpapier.
Der renommierte Islamwissenschaftler Peter Heine von der Berliner Humboldt-Universität, der seit Jahren über Al-Qaida forscht, beschreibt die besondere Schlagkraft der Terrororganisation so: "Man kann gegenwärtig von einer beweglichen, hochmotivierten Söldnertruppe sprechen, die sich überall da anwerben lässt, wo die Sache des Islam auf dem Spiel steht. Diese Personengruppe stellt auch ein Reservoir, aus dem die neuen Terroristen rekrutiert werden. Ihr gemeinsamer Lebensinhalt ist der Dschihad in seiner militantesten Art." Diese Art des Heiligen Krieges wird auch mit dem Ende bin Ladens nicht aufhören, denn Al-Qaida ist kein alleiniges Produkt des millionenschweren Exsaudis. Sie hat viele Väter.
Um Al-Qaida zu verstehen, muss man auf ihre Ursprünge zurückblicken: Muslime teilen die Welt in die dâr al-Islam, das Gebiet des Islam, und die dâr al-harb, das Gebiet des Krieges, ein. Nach Überzeugung afghanischer Muslime fielen 1979 "ungläubige" Invasoren aus der Sowjetunion in das "Gebiet des Islam Afghanistan" ein. - Und zwar mit der Absicht, in ihrem Land "gottlose Kommunisten" zu unterstützen. In vielen arabischen Ländern, aber auch in den Vereinigten Staaten, entstanden daraufhin Rekrutierungsstellen für muslimische Kriegsfreiwillige aus aller Welt - unter ihnen auch arabischstämmige Amerikaner. 1982 gründete der damalige saudische Staatsbürger Osama bin Laden in der pakistanischen Grenzstadt Peschawar eine Anlaufstelle für Gotteskrieger. Sein Büro für "Mudschahidin-Dienste" (Mkatab al-Khidmat) warb vornehmlich arabische Muslime für den Kampf in Afghanistan an.
Aus bin Ladens Verzeichnis der "arabischen Afghanen" wurde gegen Ende des Krieges die "Basis" (auf Arabisch Al-Qaida) seines Privatterrorismus. Zur damaligen Größe der Terrorarmee notiert der pakistanische Journalist Ahmed Rashid in seinem kürzlich erschienenen Buch über die Taliban: "Zwischen 1982 und 1992 erhielten ungefähr 35 000 radikale Muslime aus 43 islamischen Ländern des Mittleren Ostens, aus Nord- und Ostafrika, Zentralasien und dem Fernen Osten ihre Feuertaufe bei den afghanischen Mudschahidin. Am Ende hatten über 100 000 radikale Muslime direkten Kontakt mit Pakistan und Afghanistan und unterstanden dem Einfluss des Dschihad." Nach dem Afghanistankrieg kehrten diese "Arabi"-Veteranen größtenteils in ihre Heimatländer zurück. Nicht wenige von ihnen gingen in den Untergrund und bekämpften in Pakistan, Algerien, Ägypten, im Jemen und insbesondere in Saudi-Arabien die prowestlichen Regierungen ihrer Länder mit terroristischer Gewalt. Damit wuchsen auch Macht und Einfluss von Al-Qaida.
Im April 1994 besuchte bin Laden auf Einladung des albanischen Geheimdienstes die Hauptstadt Tirana. Er kam als Mitglied einer saudischen Delegation. Albaniens Staatspräsident Sali Berisha ließ es sich nicht nehmen, den Besucher persönlich zu empfangen, hatte bin Laden seiner Regierung doch großzügige finanzielle Hilfe zugesagt. Berisha hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit 1992 den Beitritt seines Landes in die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) durchgesetzt. Seit jener Zeit soll bin Laden westlichen Nachrichtendiensten zufolge verschiedene Einrichtungen in Albanien gegründet oder zumindest mitbegründet haben: zum Beispiel die Arabisch-Islamische Bank in Tirana, in der Terroristen Konten gehabt haben sollen, und die Hilfsorganisation Al-Haramen. Al-Haramen soll nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste auf dem Balkan Hunderte von albanischen Muslimen militärisch ausgebildet und als Dachorganisation für bin Ladens terroristische Expansion in Südosteuropa fungiert haben. Albanien wurde so ab Mitte der neunziger Jahre zu einem "sicheren Hafen" für islamische Extremisten.
Die bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Albanien, die 1997 nach dem Zusammenbruch der albanischen Schattenwirtschaft ausgebrochen waren, beschleunigten diese Entwicklung. In jenen anarchischen Zeiten wurden schätzungsweise knapp eine Million Waffen aus Heeres- und Polizeidienststellen gestohlen. Außerdem verschwanden aus den Dienststellen des Innenministeriums Tausende von Reisepässen. Der damalige Leiter des albanischen Geheimdienstes, Fatos Klosi, ging nach einem Bericht der albanischen Zeitung Gazeta Sqiptare davon aus, "dass zahlreiche solcher Reisedokumente, mit fiktiven Namen ausgefüllt und mit den nötigen Stempeln versehen, an Anhänger bin Ladens auf dem Balkan, aber auch in Westeuropa ausgehändigt wurden".
Die staatliche Nachrichtenagentur Serbia Info News meldete im April 1998, dass sich in Albanien rund 500 Mudschahidin, allesamt Anhänger von bin Laden, in der Umgebung der Städte Korça und Pograde aufhielten. Albanien werde von den islamischen Fundamentalisten als Sprungbrett benutzt, um Terroristen zur Unterstützung der Befreiungsarmee UÇK in den Kosovo zu bringen. Der russische Außenminister Igor Iwanow sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass am 20. April 2001, dass "ungehinderter Terrorismus und Separatismus der Albaner den Kosovo zum wichtigsten Terror- und Verbrechenszentrum Europas haben werden lassen". Noch deutlicher wurde Leonid Wladimirowitsch Schebarschin, vormals Chef des KGB, während einer Sicherheitsfachtagung im vergangenen Mai in Berlin: "Europa könnte in einen Konflikt geführt werden, in dem Osama bin Laden und die Taliban Albanien und die ethnischen Albaner in den Bemühungen unterstützen, ein großalbanisches Reich islamischer Prägung aufzubauen."
Bereits im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 kämpften nach einem Bericht des Belgrader Wochenmagazins NIN zwischen 600 und 4000 Freiwillige aus islamischen Ländern aufseiten bosnischer Muslime. Unter diesen "Balkan-Arabern" seien auch zahlreiche Veteranen des Afghanistankrieges gewesen. Bulgarische Medien berichten, das europäische Netzwerk der Al-Qaida werde von Bosnien aus koordiniert. Gestärkt wird diese Vermutung durch Quellen israelischer Geheimdienste. Auf die jedenfalls beruft sich die amerikanische Militärzeitschrift Stars and Stripes in ihrer Septemberausgabe. Dort heißt es: "Etwa 6000 Kämpfer stehen in Bosnien und Herzegowina bereit, bin Laden zu folgen, falls Amerika irgendwo dessen Lager angreifen sollte." Ende Oktober nahm die bosnische Polizei fünf Muslim-Extremisten algerischer Herkunft fest. Sie sollen, so berichtet das Nachrichtenmagazin Time, von der Al-Qaida-Führung Anweisungen für Anschläge erhalten haben, unter anderem auf den SFor-Militärstützpunkt Eagle Base. Die Festnahmen hätten nach Angaben eines Nato-Sprechers das Netzwerk zwar erschüttert, "aber nicht zerstört". Die Sicherheitsvorkehrungen in allen SFor-Anlagen wurden deshalb erheblich verschärft.
Aber nicht nur Südosteuropa ist über Jahre zum Standort von Al-Qaida geworden. Europäische und insbesondere amerikanische Fahnder haben mehrere Zentren ausgemacht. Als eine Art Ausgangsbasis der Al-Qaida gilt nach Recherchen der amerikanischen und italienischen Polizei die Lombardei im Norden Italiens. In der Metropole Mailand soll sich, getarnt im Islamischen Studienzentrum in der Viale Jenner, eine logistische Operationsbasis befinden. Das FBI geht davon aus, dass in diesem Zentrum schon seit sechs Jahren Attentate vorbereitet werden. Wie die Washington Post Ende Oktober berichtete, forderte das amerikanische Finanzministerium die italienische Regierung auf, das Islamische Studienzentrum zu schließen, in dessen Räumen "nicht nur Terroristen ausgebildet, sondern auch für den terroristischen Kampf angeheuert" würden.
70 000 Islamisten durchliefen terroristische Ausbildungslager
Zu einer Drehscheibe von bin Ladens Terrororganisation, warnen westliche Nachrichtendienste, könnte sich auch die Iberische Halbinsel entwickeln. Im Juni nahm die spanische Polizei in Alicante den Algerier Mohammed Bensakhria fest. Er steht nach Angaben spanischer und deutscher Staatsschützer im Verdacht, der Al-Qaida-Chef für Europa zu sein. Als weiteres Zentrum der Al-Qaida gilt London, das sich über die Jahre zu einem Hort für Widerstandsgruppen und Oppositionelle aus aller Welt entwickelt hat. Arabische Exilantenkreise aus London nahmen nach Erkenntnissen nahöstlicher Geheimdienste an "Elementarversammlungen des Islamischen Weltbundes" teil, zu denen Osama bin Laden nach Afghanistan geladen hatte.
Wie viele Terroristen sich in Europa aufhalten, weiß niemand. Die Schätzungen reichen von mehreren hundert bis zu einigen tausend. Das Potenzial der Al-Qaida dürfte wesentlich größer sein. Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA) zum Thema Islamistischer Terrorismus Mitte November in Wiesbaden berichtete BKA-Präsident Ulrich Kersten, dass in Al-Qaida-Lagern mindestens 70 000 Kämpfer aus mehr als 50 Staaten ausgebildet worden seien. Deren Gefährlichkeit, mahnte der britische Militärhistoriker Sir Michael Howard Anfang November in einem stern-Interview, müsse mittlerweile unabhängig von Afghanistan und Osama bin Laden gesehen werden: "Bin Laden kann gar nicht verlieren. Und selbst wenn er eliminiert ist: Es ist schwer vorstellbar, dass dieses globale Netzwerk aus offenkundig intelligenten, gut ausgebildeten und entschlossenen Terroristen nicht weiterbestehen wird."
Berndt Georg Thamm (55) beschäftigt sich als Fachpublizist seit über dreißig Jahren mit den Themen Organisiertes Verbrechen und Terrorismus
Osama bin Laden - Wanted dead or alive. George W. Bush scheint seinem erklärten Kriegsziel in Afghanistan immer näher zu kommen. Aber selbst wenn es den amerikanischen Truppen jetzt gelänge, den Anführer des Terrornetzwerks Al-Qaida aufzuspüren, zu verhaften oder zu töten - wäre dies auch das Ende der Organisation? Die Antwort heißt: Nein.
"Al-Qaida ist für den Terror, was die Mafia für das Verbrechen ist", sagte George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September. Doch der Vergleich stimmt nicht ganz. Denn im Gegensatz zur festgefügten, hierarchischen Struktur der Mafia ist Al-Qaida ein Netzwerk von ungebundenen Mudschahidin. Also eine lose Vereinigung von Gotteskämpfern, die zwar dieselbe Ideologie haben, aber recht unterschiedliche Ziele verfolgen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Terrorzellen nicht notwendig grünes Licht von Osama bin Laden brauchen. "Völlig autonom und ohne eine Rücksprache an entscheidender Stelle zu führen, können sie über ihre eigenen Anschlagsziele entscheiden", zitiert der Spiegel Mitte Oktober ein Verfassungsschutzpapier.
Der renommierte Islamwissenschaftler Peter Heine von der Berliner Humboldt-Universität, der seit Jahren über Al-Qaida forscht, beschreibt die besondere Schlagkraft der Terrororganisation so: "Man kann gegenwärtig von einer beweglichen, hochmotivierten Söldnertruppe sprechen, die sich überall da anwerben lässt, wo die Sache des Islam auf dem Spiel steht. Diese Personengruppe stellt auch ein Reservoir, aus dem die neuen Terroristen rekrutiert werden. Ihr gemeinsamer Lebensinhalt ist der Dschihad in seiner militantesten Art." Diese Art des Heiligen Krieges wird auch mit dem Ende bin Ladens nicht aufhören, denn Al-Qaida ist kein alleiniges Produkt des millionenschweren Exsaudis. Sie hat viele Väter.
Um Al-Qaida zu verstehen, muss man auf ihre Ursprünge zurückblicken: Muslime teilen die Welt in die dâr al-Islam, das Gebiet des Islam, und die dâr al-harb, das Gebiet des Krieges, ein. Nach Überzeugung afghanischer Muslime fielen 1979 "ungläubige" Invasoren aus der Sowjetunion in das "Gebiet des Islam Afghanistan" ein. - Und zwar mit der Absicht, in ihrem Land "gottlose Kommunisten" zu unterstützen. In vielen arabischen Ländern, aber auch in den Vereinigten Staaten, entstanden daraufhin Rekrutierungsstellen für muslimische Kriegsfreiwillige aus aller Welt - unter ihnen auch arabischstämmige Amerikaner. 1982 gründete der damalige saudische Staatsbürger Osama bin Laden in der pakistanischen Grenzstadt Peschawar eine Anlaufstelle für Gotteskrieger. Sein Büro für "Mudschahidin-Dienste" (Mkatab al-Khidmat) warb vornehmlich arabische Muslime für den Kampf in Afghanistan an.
Aus bin Ladens Verzeichnis der "arabischen Afghanen" wurde gegen Ende des Krieges die "Basis" (auf Arabisch Al-Qaida) seines Privatterrorismus. Zur damaligen Größe der Terrorarmee notiert der pakistanische Journalist Ahmed Rashid in seinem kürzlich erschienenen Buch über die Taliban: "Zwischen 1982 und 1992 erhielten ungefähr 35 000 radikale Muslime aus 43 islamischen Ländern des Mittleren Ostens, aus Nord- und Ostafrika, Zentralasien und dem Fernen Osten ihre Feuertaufe bei den afghanischen Mudschahidin. Am Ende hatten über 100 000 radikale Muslime direkten Kontakt mit Pakistan und Afghanistan und unterstanden dem Einfluss des Dschihad." Nach dem Afghanistankrieg kehrten diese "Arabi"-Veteranen größtenteils in ihre Heimatländer zurück. Nicht wenige von ihnen gingen in den Untergrund und bekämpften in Pakistan, Algerien, Ägypten, im Jemen und insbesondere in Saudi-Arabien die prowestlichen Regierungen ihrer Länder mit terroristischer Gewalt. Damit wuchsen auch Macht und Einfluss von Al-Qaida.