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Papst Benedikt XVI zu Besuch in der Türkei (4 Tage)

Strategiewechsel in Rom
Papst stimmt die katholische Kirche auf protürkischen Kurs ein
Nach Konstantinopel wollte der Papst ursprünglich reisen. Aber seine Regensburger Rede, die aufgrund eines Zitates die islamische Welt gegen ihn aufgebracht hatte, zwang Benedikt XVI. auch nach Istanbul. In die heutige Türkei.


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Die Medien hatten in ihrer boulevardesken Ausprägung diese Reise zur Fahrt durch ein Minenfeld erklärt. Als es zu ersten Demonstrationen kam, gebrauchte eine „österreichi-sche“ Zeitung gar das Wort „Aufstand“. Nichts von dem war geplant, nichts von dem geschah. Der Besuch des katholischen Oberhirten wandelte sich letztendlich zu einer vorsichtigen Unterstützung für die europäischen Ambitionen der türkischen Regierung.

Bereits am ersten Tag, bei der Ankunft in Ankara, soll der Papst nach Aussage des türkischen Premiers Erdogan für den Beitritt der Türkei zur EU eingetreten sein. Deutsche Zeitungen zweifelten verhalten, Schweizer Blätter, ihrer Rom-kritischen Tradition gemäß, doch sehr. Hat er das wirklich getan? Weil es bis heute kein Dementi des Vatikans gibt, dürfte Erdogans Version in etwa stimmen. Wurde sie doch durch eine Aussage des neuen Kardinal-Staatssekretärs Tarcisio Bertone einige Tage davor vorbereitet, der Vatikan würde die Aufnahme der Türkei in die EU begrüßen.

Faktum ist, dass sich der Papst von der „persönlich“ ablehnenden Haltung des Glaubenshüters Ratzinger in eine vorsichtig positive Position gedreht hat.

An der aggressiven Rhetorik der Islamisten wird das nichts ändern. Einiges aber am Verhältnis zwischen dem aufgeklärteren Islam und den christlichen Kirchen in Europa. Gleichzeitig bedeutet dieser Schwenk eine Rückenstärkung für Erdogan. Ob Benedikts Besuch nun vorwiegend ökumenisch gedacht war oder nicht. Ankaras selbst gewählte Isolation in der Zypern-Frage wird dadurch nicht verschwinden.

Größere Auswirkungen hat die Haltungsänderung des Vatikans wohl in der europäischen Politik selbst. Der Papst hat eine zum bayerischen Landsmann Edmund Stoiber konträre Position bezogen. _Der gaullistische Präsidentschaftskandidat Sarkozy wird von seiner harten Rhetorik nicht abweichen. Aber seine potenziellen Wähler könnten an der differenzierteren Sprache von Ségolène Royal mehr Gefallen finden. Das katholische Italien möchte im mediterranen Raum ohnehin mehr mit den Türken dealen.

In fünfzehn Jahren, wenn der Beitritt wirklich spruchreif wird, haben wir hoffentlich keinen dritten Weltkrieg durchgemacht. Sicher aber einige Energiekrisen und regionale (Terror-)Kriege erlebt, die jede Prognose zum Spiel mit dem Zufall machen. Dann gibt es diesen Papst wahrscheinlich nicht mehr, und der türkische Premier ist irgendwo in Anatolien in Pension. Den Islam aber, als Ersatzmacht und Ersatzfeind für den Kommunismus, gibt es sicher. Dafür wird allein der Iran schon sorgen.

Deshalb ist zu vermuten, dass in Rom ein Strategiewechsel beschlossen wurde. Der neue Merksatz lautet: Es ist besser, die türkische Gesellschaft einzubinden, als sie auszuschließen.

Dazu passt das Zusammenrücken des Papstes und des orthodoxen Patriarchen. Alle drei Gruppierungen, Katholiken, Orthodoxe und Agnostiker, stehen in der hellenistischen Tradition, die bis Ephesos, heute auf türkischem Boden, reichte. Benedikts ebenfalls in seiner Regensburger Rede reklamierte Berufung auf die Vernunft als Teil des christlichen Handelns ist nach dem Philosophen Plato geformt. Diesen Klassiker zitieren Politiker ebenso oft wie Popper, den Verfechter der „offenen Gesellschaft“. Selbst dann, wenn sie die Türen längst zugeschlagen haben.

Seit Freitag ist der Besuch Vergangenheit. Er wird nichts an der Zahl der Ehrenmorde geändert haben, er wird keine Folterungen verhindert haben. Aber dieser fehlbare Papst hat immerhin versucht, eine friedlichere Atmosphäre herzustellen.

Seine Lernfähigkeit werden die einen als Nachgiebigkeit gegenüber dem Islam interpretieren, die anderen als weisen Pragmatismus. Who knows.
 
"Es war eine großartige Geste"
Die mit dem Türkei-Besuch von Benedikt XVI. verknüpften Befürchtungen über eine christlich-muslimische Konfrontation haben sich nicht bewahrheitet

Die mit dem Besuch von Benedikt XVI. in der Türkei verknüpften Befürchtungen über eine christlich-muslimische Konfrontation haben sich nicht bewahrheitet, im Gegenteil: Vor allem der Besuch des Papstes in der Blauen Moschee stieß bei den Gastgebern auf enormen Anklang.


* * * * *

Geradezu überschwänglich wurde in der türkischen Öffentlichkeit gestern, Freitag, auf den Besuch des Papstes in der Blauen Moschee und sein gemeinsames Gebet mit dem Großmufti von Istanbul, reagiert. „Der Moment, in dem Geschichte geschrieben wurde“ titelte das wichtigste islamische Blatt der Türkei, Yeni Safak,groß über dem Bild des betenden Papstes in der Moschee. „Eine großartige Geste, die die Welt überrascht hat“, befand die größte Zeitung Hürriyet, und die liberale Milliyet feierte den „Frieden von Istanbul“.

Tatsächlich war die Geste, die ein Vatikansprecher gegenüber westlichen Journalisten gleich zu einer „Meditation, jedenfalls keinem öffentlichen Gebet“ herunterstufte, keine spontane Eingebung des Papstes, sondern vorab zwischen dem Großmufti Mustafa Cagrici und dem Vatikan abgesprochen worden. Cagrici, der übrigens zu den Verfassern der theologischen Antwort auf die umstrittene Regensburger Rede von Benedikt gehört, sagte anschließend, er habe sich mit dem Vatikan vor dem Moscheebesuch auf den Platz und die Dauer für das Gebet geeinigt. „Es war eine großartige Geste, dass der Papst mit mir gemeinsam gen Mekka gebetet hat“, sagte Cagricic, „ich möchte ihm dafür danken.“

Ähnliches Zeichen

Kardinal Roger Etchegaray, der den Papst auf seiner Reise durch die Türkei begleitet, machte anschließend klar, welche Bedeutung der Vatikan dem Auftritt Benedikt XVI. in der Blauen Moschee beimisst. So wie Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 in Jerusalem an der Klagemauer gebetet hatte und damit ein deutliches Zeichen zur Aussöhnung mit den Juden setzte, habe Benedikt nun in der Blauen Moschee ein ähnliches Zeichen gegenüber dem Islam gemacht.

Dass dieses Zeichen auch angekommen ist, bestätigte der oberste islamische Repräsentant Ali Bardakoglu, mit dem der Papst bereits am Dienstag zusammengekommen war, noch einmal ausdrücklich. „Das war ein sehr positiver Schritt für eine Aussöhnung und Frieden zwischen den Religionen“.

So unerwartet und deshalb umso positiver die Zeichen Benedikts in der Türkei gegenüber dem Islam waren, so sehr kam in Istanbul auch die vorab erwartete und geplante Annäherung mit der orthodoxen Kirche voran.

Nach der höchst emotionalen Zusammenkunft des Papstes mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Istanbul, Bartholomaios I. am Donnerstag in dessen Residenz und Patriarchatskirche, kam Bartholomaios am Freitag als Gast von Benedikt XVI. zu dessen Abschlussmesse in der Türkei, in die Heilig-Geist-Kathedrale im Zentrum von Istanbul.

Orthodoxe Brüder

Gemeinsam mit weiteren 1200 Gläubigen, unter ihnen auch der Patriarch der armenischen Kirche Mesrop Mutafyan, feierten sie eine katholische Messe, in deren Verlauf Benedikt die Katholiken der Türkei noch einmal dazu aufrief, auf die orthodoxen Brüder zuzugehen und den „Skandal“ der Kirchenteilung ein für alle Mal zu beenden. Benedikt forderte in seiner Predigt Religionsfreiheit für alle, betonte jedoch, die Kirche wolle „niemandem etwas aufzwingen. Sie wünscht sich nur, frei leben zu können“.

Um die Botschaft seiner gesamten Türkeireise noch einmal zu unterstreichen, ließ Papst Benedikt zum Abschluss des Gottesdienstes im Hof der Kirche dann noch einige weiße Tauben in den Himmel steigen, bevor er wieder Richtung Flughafen entschwand. Der Papst hat jedenfalls gezeigt, dass er auch im Umgang mit schwierigen Partnern den Vergleich mit seinem Vorgänger nicht zu scheuen braucht.
 
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