C
cro_Kralj_Zvonimir
Guest
Spannung vor Präsidentschaftswahl in Frankreich Neuwähler, Unentschlossene, Verweigerer
Fast jeder zweite Franzose weiß noch nicht, wem er bei der morgigen Präsidentschaftswahl seine Stimme geben soll. Für Überraschungen könnten auch die 3,5 Millionen Neuwähler sorgen - vor allem junge Einwanderer haben sich erst in letzter Zeit in die Wahllisten eingetragen.
Von Johannes Duchrow, WDR, ARD-Hörfunkstudio Paris
[Bildunterschrift: Wahlplakate in Paris: Viele Franzosen sind noch unentschlossen]
Die prominenteste Wahlverweigerin dürfte wohl die Schauspielerin und umstrittene militante Tierschützerin Brigitte Bardot sein. Da sich keiner der aussichtsreichen Kandidaten mit ihr habe treffen wollen, werde sie diesmal nicht wählen gehen, verkündete sie. Und sie ist nicht die einzige, die sich aus sachlichen Gründen gegen die Wahl entschieden hat.
"Nein, ich wähle nicht", sagt eine Rollstuhlfahrerin vor dem Montparnasse-Bahnhof in Paris. "Weil ich das Vertrauen in die Politiker verloren habe. Sie versprechen viel - für Behinderte muss ja auch viel gemacht werden - und am Ende passiert dann doch nichts."
Wählen gilt als erste Pflicht der Staatsbürger
Nicht alle reden so offen darüber, dass sie die Wahl boykottieren. Jean-Daniel Lévi, stellvertretender Leiter von CSA, einem der großen Meinungsforschungsinstitute, gibt offen zu, dass er die genaue Zahl der Nichtwähler bei den zehntausenden Befragungen am Telefon nicht genau herausbekommt. "Wir Franzosen geben das nicht so gerne zu, wenn wir nicht wählen gehen. Wenn es um die Pflichten als Staatsbürger geht, dann kommt hier Wählen an erster Stelle."
CSA geht von 19 Prozent Nichtwählern aus. Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland haben fast 22 Prozent ihren Stimmzettel nicht abgegeben.
Quiz: Quiz Zehn Fragen zur Wahl in Frankreich [Quiz]
Dreieinhalb Millionen mehr Wähler als vor fünf Jahren
In Frankreich ging es in den letzten Monaten aber noch um eine weitere Gruppe von Nichtwählern: Diejenigen nämlich, die sich nie in die Wählerlisten haben eintragen lassen. Wer heute 18 wird, wird automatisch eingetragen - früher dagegen musste man das im Rathaus selbst erledigen oder eben jetzt nachholen. Viele Einwanderer, die in den letzten Jahren einen französischen Pass bekommen haben, fehlten noch in den Listen.
Nach den Jugendunruhen im Herbst 2005 hatte es deshalb eine beispiellose Bewegung gegeben - Musiker hatten in ihre CDs Antragsformulare als Beipackzettel gesteckt. Die jungen Einwanderer wurden medienwirksam auf der Straße angesprochen und in die Rathäuser begleitet. Jetzt gibt es dreieinhalb Millionen mehr Wähler als vor fünf Jahren.
Und damit die jungen Franzosen den Wahltermin auch wirklich nicht vergessen, hat der Musiksender MTV in Frankreich das Logo "Geht wählen" links im Bildschirm eingeblendet.
Schülerverbände wollen "Wahlmuffel" mobilisieren
Der Dachverband der Schülervertretungen hat in einer Presseerklärung noch mal daran erinnert, dass vor fünf Jahren 30 Prozent Nichtwähler dazu beigetragen haben, den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen mit der zweiten Runde zu adeln. "Diesmal werden wir nicht bis zur Stichwahl warten mit dem Aufruf, weil die Jüngeren die größten Wahlmuffel sind", sagt die Schülervertretungs-Präsidentin Floréale Mangin.
Wie wird der französische Präsident gewählt?: Der französische Staatspräsident wird in direkter und allgemeiner Wahl mit absoluter Mehrheit für fünf Jahre gewählt.
Für einen Sieg sind 50 Prozent plus eine Stimme notwendig. In den sieben bisherigen Präsidentschaftswahlen der V. Republik seit 1958 ist die Entscheidung immer erst in einer Stichwahl gefallen, die jeweils zwei Wochen nach der ersten Runde stattfinden muss.
Wahlberechtigt sind 44,5 Millionen Franzosen ab dem Alter von 18 Jahren, die sich bis zum 30. Dezember auf die Wahlliste haben eintragen lassen. Anders als bei Kommunal- und Europawahlen können EU-Ausländer ihre Stimme nicht abgeben.
Größtes Problem für Parteien: Die Unentschiedenen
Alle Kandidaten haben überdeutlich dazu aufgerufen, zu wählen. Es lässt sich deshalb nicht absehen, ob die vorhergesagten 20 Prozent Nichtwähler einem bestimmten Bewerber schaden oder nutzen werden. Viel schlimmer sind da die Unentschiedenen. Wenige Tage vor der letzten Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren waren das ungefähr 15 Prozent. Doch diesmal soll es jeder Dritte sein. Eine Wahlforschungsgruppe meint gar, die Hälfte der Wähler wisse noch nicht, wer ihre Stimme bekommen wird.
[Bildunterschrift: Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen ]
Diesmal ist die Entscheidung besonders knifflig: es gibt vier Kandidaten, die eine Chance haben, in die Stichwahl zu kommen. Zwei davon - der konservative Sarkozy und der rechtsextreme Le Pen - streiten sich um die Wähler am rechten Rand, während Sarkozy gleichzeitig versucht, genug Stimmen von seiner linksliberalen Gegnerin Ségolène Royal abzuwerben. Und zwischen beiden letztgenannten ist der Ex-Konservative François Bayrou sehr erfolgreich darin gewesen, allen Wählern von links bis rechts ein Bündnis jenseits der verkrusteten Parteistrukturen anzubieten.
Strategische Wahl oder Bauchentscheidung?
[Bildunterschrift: Beim Bad in der Menge: der konservative Kandidat Sarkozy]
In den Wahlkampfreden hat sich in den letzten Tagen das Wort "vote utile" zu Deutsch "nützliche, oder strategische Stimme" durchgesetzt. Also keine Wahl aus Überzeugung. Vielmehr sollen die Wähler die möglichen Paarungen in der Stichwahl schon jetzt berücksichtigen. Weil viele Wähler das nicht wollen, werden sie erst in der Wahlkabine auf ihren Bauch hören, und dieses Verhalten könnte am Sonntagabend für Überraschungen sorgen.
Fast jeder zweite Franzose weiß noch nicht, wem er bei der morgigen Präsidentschaftswahl seine Stimme geben soll. Für Überraschungen könnten auch die 3,5 Millionen Neuwähler sorgen - vor allem junge Einwanderer haben sich erst in letzter Zeit in die Wahllisten eingetragen.
Von Johannes Duchrow, WDR, ARD-Hörfunkstudio Paris
[Bildunterschrift: Wahlplakate in Paris: Viele Franzosen sind noch unentschlossen]
Die prominenteste Wahlverweigerin dürfte wohl die Schauspielerin und umstrittene militante Tierschützerin Brigitte Bardot sein. Da sich keiner der aussichtsreichen Kandidaten mit ihr habe treffen wollen, werde sie diesmal nicht wählen gehen, verkündete sie. Und sie ist nicht die einzige, die sich aus sachlichen Gründen gegen die Wahl entschieden hat.
"Nein, ich wähle nicht", sagt eine Rollstuhlfahrerin vor dem Montparnasse-Bahnhof in Paris. "Weil ich das Vertrauen in die Politiker verloren habe. Sie versprechen viel - für Behinderte muss ja auch viel gemacht werden - und am Ende passiert dann doch nichts."
Wählen gilt als erste Pflicht der Staatsbürger
Nicht alle reden so offen darüber, dass sie die Wahl boykottieren. Jean-Daniel Lévi, stellvertretender Leiter von CSA, einem der großen Meinungsforschungsinstitute, gibt offen zu, dass er die genaue Zahl der Nichtwähler bei den zehntausenden Befragungen am Telefon nicht genau herausbekommt. "Wir Franzosen geben das nicht so gerne zu, wenn wir nicht wählen gehen. Wenn es um die Pflichten als Staatsbürger geht, dann kommt hier Wählen an erster Stelle."
CSA geht von 19 Prozent Nichtwählern aus. Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland haben fast 22 Prozent ihren Stimmzettel nicht abgegeben.
Quiz: Quiz Zehn Fragen zur Wahl in Frankreich [Quiz]
Dreieinhalb Millionen mehr Wähler als vor fünf Jahren
In Frankreich ging es in den letzten Monaten aber noch um eine weitere Gruppe von Nichtwählern: Diejenigen nämlich, die sich nie in die Wählerlisten haben eintragen lassen. Wer heute 18 wird, wird automatisch eingetragen - früher dagegen musste man das im Rathaus selbst erledigen oder eben jetzt nachholen. Viele Einwanderer, die in den letzten Jahren einen französischen Pass bekommen haben, fehlten noch in den Listen.
Nach den Jugendunruhen im Herbst 2005 hatte es deshalb eine beispiellose Bewegung gegeben - Musiker hatten in ihre CDs Antragsformulare als Beipackzettel gesteckt. Die jungen Einwanderer wurden medienwirksam auf der Straße angesprochen und in die Rathäuser begleitet. Jetzt gibt es dreieinhalb Millionen mehr Wähler als vor fünf Jahren.
Und damit die jungen Franzosen den Wahltermin auch wirklich nicht vergessen, hat der Musiksender MTV in Frankreich das Logo "Geht wählen" links im Bildschirm eingeblendet.
Schülerverbände wollen "Wahlmuffel" mobilisieren
Der Dachverband der Schülervertretungen hat in einer Presseerklärung noch mal daran erinnert, dass vor fünf Jahren 30 Prozent Nichtwähler dazu beigetragen haben, den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen mit der zweiten Runde zu adeln. "Diesmal werden wir nicht bis zur Stichwahl warten mit dem Aufruf, weil die Jüngeren die größten Wahlmuffel sind", sagt die Schülervertretungs-Präsidentin Floréale Mangin.
Wie wird der französische Präsident gewählt?: Der französische Staatspräsident wird in direkter und allgemeiner Wahl mit absoluter Mehrheit für fünf Jahre gewählt.
Für einen Sieg sind 50 Prozent plus eine Stimme notwendig. In den sieben bisherigen Präsidentschaftswahlen der V. Republik seit 1958 ist die Entscheidung immer erst in einer Stichwahl gefallen, die jeweils zwei Wochen nach der ersten Runde stattfinden muss.
Wahlberechtigt sind 44,5 Millionen Franzosen ab dem Alter von 18 Jahren, die sich bis zum 30. Dezember auf die Wahlliste haben eintragen lassen. Anders als bei Kommunal- und Europawahlen können EU-Ausländer ihre Stimme nicht abgeben.
Größtes Problem für Parteien: Die Unentschiedenen
Alle Kandidaten haben überdeutlich dazu aufgerufen, zu wählen. Es lässt sich deshalb nicht absehen, ob die vorhergesagten 20 Prozent Nichtwähler einem bestimmten Bewerber schaden oder nutzen werden. Viel schlimmer sind da die Unentschiedenen. Wenige Tage vor der letzten Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren waren das ungefähr 15 Prozent. Doch diesmal soll es jeder Dritte sein. Eine Wahlforschungsgruppe meint gar, die Hälfte der Wähler wisse noch nicht, wer ihre Stimme bekommen wird.
[Bildunterschrift: Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen ]
Diesmal ist die Entscheidung besonders knifflig: es gibt vier Kandidaten, die eine Chance haben, in die Stichwahl zu kommen. Zwei davon - der konservative Sarkozy und der rechtsextreme Le Pen - streiten sich um die Wähler am rechten Rand, während Sarkozy gleichzeitig versucht, genug Stimmen von seiner linksliberalen Gegnerin Ségolène Royal abzuwerben. Und zwischen beiden letztgenannten ist der Ex-Konservative François Bayrou sehr erfolgreich darin gewesen, allen Wählern von links bis rechts ein Bündnis jenseits der verkrusteten Parteistrukturen anzubieten.
Strategische Wahl oder Bauchentscheidung?
[Bildunterschrift: Beim Bad in der Menge: der konservative Kandidat Sarkozy]
In den Wahlkampfreden hat sich in den letzten Tagen das Wort "vote utile" zu Deutsch "nützliche, oder strategische Stimme" durchgesetzt. Also keine Wahl aus Überzeugung. Vielmehr sollen die Wähler die möglichen Paarungen in der Stichwahl schon jetzt berücksichtigen. Weil viele Wähler das nicht wollen, werden sie erst in der Wahlkabine auf ihren Bauch hören, und dieses Verhalten könnte am Sonntagabend für Überraschungen sorgen.