Poliorketes
Kellerkind
Rassismus in Europa: Gnadenlose Jagd auf Minderheiten im KosovoVon Dominik Baur
Als die Kfor in den Kosovo einmarschierte, sollten vor allem die ethnischen Vertreibungen beendet werden. Doch die mörderische Hatz auf Minderheiten geht weiter - unter umgekehrten Vorzeichen: Nun jagen albanische Extremisten Roma, Aschkali und Serben. Die Uno befürchtet einen Massenexodus.
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Nicolaus von Holtey
Im Lager der französischen Kfor haben die Aschkali eine vorläufige Zuflucht gefunden
Hamburg - "Magjupet jasht" - "Sinti und Roma raus" hallt es am späten Nachmittag durch die Straßen der kleinen Stadt Vucitrn im Norden des Kosovo. Der albanische Mob hat gerade die serbisch-orthodoxe Kirche niedergebrannt, jetzt macht er sich auf zu den Wohnvierteln der Aschkali. Die "Sinti und Roma" sind unerwünscht in Vucitrn. Innerhalb weniger Stunden werden rund 250 Menschen aus der Stadt vertrieben.
Diese Jagdszenen trugen sich vor zwei Monaten am 18. März zu - doch der Kosovo kommt nicht zur Ruhe. Die Vertreibung in Vucitrn war nur einer von vielen pogromartigen Krawallen, die in diesen Tagen das von der Uno mehr schlecht als recht verwaltete Staatsgebilde überzogen. Dutzende von Kirchen und Klöstern brannten, rund 4500 Nichtalbaner - Serben, Roma und Aschkali - befanden sich auf der Flucht.
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Nicolaus von Holtey
Das ehemalige Viertel der Aschkali in Vucitrn liegt in Schutt und Asche
Für die EU-Beobachter steht fest: Die Ausschreitungen waren eine geplante Provokation. EU-Außenkommissar Chris Patten etwa ist überzeugt, dass prominente albanische Politiker hinter den Angriffen stehen. Seit fünf Jahren schon organisieren vor allem die Funktionäre der rechtsradikalen "Befreiungsorganisation" UCK Pogrome gegen Minderheiten - selbst kritische Albaner, die sich dieser rassistischen Politik in den Weg stellen, werden von ihnen bedroht. Die jüngsten Opfer dieser Angriffe sind die Aschkali - eine wenig bekannte ethnische Minderheit im Kosovo. Sie werden häufig als Albanisch sprechende Roma klassifiziert, eine Einordnung mit der sie selbst allerdings nicht einverstanden sind. Ihre Ursprünge führen sie bis in die Türkei, manchen Quellen zufolge gar bis nach Indien zurück. Knapp 90.000 Aschkali haben nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker zu Beginn des Krieges im Kosovo gelebt. Gemeinsam mit den Roma und den so genannten Kosovo-Ägyptern machten sie etwa acht Prozent der Bevölkerung aus.
Fürchterliches Déjà-vu
Bereits im Sommer 1999, kurz nach dem Abzug der serbischen Armee und dem Einmarsch der westlichen Kfor-Truppen, waren 1500 bis 2000 Aschkali in Vucitrn gemeinsam mit den ansässigen Roma Opfer von Angriffen radikaler Albaner geworden. Fast alle von ihnen verließen die Stadt.
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AP
Roma-Flüchtlinge im serbischen Novi Sad (im Februar 2000)
Während das Roma-Viertel allerdings komplett zerstört wurde, harrten neun Aschkali-Familien unter dem Schutz von nun eingerückten Kfor-Soldaten in ihrem verwüsteten Viertel aus. Im Jahr 2002 stießen noch etwa 200 Aschkali, die in der Zwischenzeit im serbischen Novi Sad Zuflucht gefunden hatten, zu ihnen. Sie hatten auf Versprechungen des Uno-Flüchtlingswerkes UNHCR, der Uno-Verwaltung Unmik und den Nato-geführten Kfor-Truppen vertraut, in ihrer Heimat sei für ihre Sicherheit gesorgt. Jetzt das fürchterliche Déjà-vu: In einer offenbar zentral gesteuerten Aktion sollten die Aschkali wieder vertrieben und eingeschüchtert werden. Die albanischen Angreifer prügelten auf ihre Opfer ein, eine Frau entkam nur knapp einer Vergewaltigung. Albanische Polizisten kamen, um die Aschkali aus ihren Häusern zu holen. "Die Leute werden euch töten", sagten sie den überraschten Bewohnern. Während die Polizei die Brandstifter gewähren ließ, wurden die Aschkali mit vorgehaltener Waffe aus ihren Häusern geholt.
In aller Eile wurden sie zu einer nahe gelegenen Polizeischule gebracht. Die meisten Aschkali hatten nicht einmal Zeit, ihre Papiere oder Wertsachen mitzunehmen. Von der auf einem Hügel gelegenen Notunterkunft konnten die Vertriebenen mit ansehen, wie ihre Häuser abbrannten.
Noch in der Nacht holten französische Kfor-Soldaten die Flüchtlinge ab und brachten sie einige Kilometer weiter in einem Militärlager im Dorf Novo Selo unter. Seit zwei Monaten hausen sie nun in Mannschaftszelten in dem Lager. Die Franzosen kümmerten sich immerhin vorbildlich um ihre "Gäste", berichtet Nicolaus von Holtey von der katholischen Friedensorganisation Pax Christi. Der Menschenrechtsaktivist will sich vor Ort ein Bild von der Lage der vertriebenen Aschkali machen.
Die Menschen, berichtet er, seien verzweifelt. Ihr gesamtes Hab und Gut ist in Schutt und Asche aufgegangen, die Kinder tragen noch nicht einmal Schuhe. Niemand weiß, wie es weitergehen soll.
"Das Vertrauen ist dahin"
Auf dem Gelände der französischen Soldaten ist derzeit für die Sicherheit der Menschen gesorgt. Doch die Zeit läuft ab. Die Franzosen wollen das Gelände militärisch nutzen und haben klar gemacht, dass sie die Aschkali nicht mehr lange beherbergen wollen. Ein leer stehendes Hotel am Rande von Vucitrn soll nun nach einem Plan der Unmik als neue Unterkunft für die Menschen dienen. Doch da wollen sie um keinen Preis hin. "Das Vertrauen ist total dahin", sagt von Holtey. Nach den Angriffen vom März fürchteten die Menschen um ihr Leben. Mit Vucitrn haben sie abgeschlossen. Den Versprechungen der Uno und der Kfor schenken sie längst keinen Glauben mehr.
Auch im übrigen Kosovo fühlen sie sich vor den Übergriffen albanischer Extremisten nicht sicher. Und das restliche Serbien oder Montenegro kommt wegen ihrer albanischen Muttersprache für die Aschkali nicht als Zufluchtsort in Frage. In einer Petition an den EU-Chefdiplomaten Javier Solana haben die 258 Aschkali jetzt um Aufnahme in einem EU-Land gebeten.
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AP
Tausende von Roma und Aschkali sind seit dem Krieg 1999 auf der Flucht
Die Not der Aschkali im Kosovo ist kein Einzelfall. Auch Serben und Roma fühlen sich spätestens seit den März-Unruhen von den Albanern drangsaliert. Trotz der ständigen Übergriffe hält die internationale Gemeinschaft an ihrer Fiktion vom multi-ethnischen Kosovo fest. Egal ob Serben, Roma oder Aschkali - stets drängen sie auf eine Rückkehr der Vertriebenen, obwohl die Chancen für ein Gelingen dieses Unterfangens sehr gering scheinen.
Doch diese realitätsfremde Vision von Unmik und Kfor hat die internationalen Organisationen nach Ansicht von Holteys blind für viele Probleme gemacht. "Von Beginn an hat die Internationale Gemeinschaft die Nöte von Roma und Aschkali nicht wahrgenommen", klagt der Pax-Christi-Beauftragte. Gestern trat Harri Holkeri, der Unmik-Chef im Kosovo zurück. Holkeri war zuletzt wegen der Unfähigkeit der Unmik, die März-Ausschreitungen zu verhindern, heftig kritisiert worden. Er freilich gab ausschließlich gesundheitliche Gründe für seinen Rücktritt an.
Jetzt malten die internationalen Verwalter des Kosovo den Aschkali die Zukunft in ihrer früheren Heimat in den schönsten Farben aus, um nicht das Scheitern der eigenen Politik eingestehen zu müssen, kritisiert von Holtey: "Wenn die Aschkali zurückkehren, kann man das nach außen hin als Signal verkaufen: Selbst die Vertriebenen, die das Schlimmste durchmachen mussten, kommen zurück." Das Signal im anderen Fall wäre fatal, fürchtet die Uno. Dann könnte es zum endgültigen Massenexodus der ethnischen Minderheiten im Kosovo kommen.
Als die Kfor in den Kosovo einmarschierte, sollten vor allem die ethnischen Vertreibungen beendet werden. Doch die mörderische Hatz auf Minderheiten geht weiter - unter umgekehrten Vorzeichen: Nun jagen albanische Extremisten Roma, Aschkali und Serben. Die Uno befürchtet einen Massenexodus.
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Im Lager der französischen Kfor haben die Aschkali eine vorläufige Zuflucht gefunden
Hamburg - "Magjupet jasht" - "Sinti und Roma raus" hallt es am späten Nachmittag durch die Straßen der kleinen Stadt Vucitrn im Norden des Kosovo. Der albanische Mob hat gerade die serbisch-orthodoxe Kirche niedergebrannt, jetzt macht er sich auf zu den Wohnvierteln der Aschkali. Die "Sinti und Roma" sind unerwünscht in Vucitrn. Innerhalb weniger Stunden werden rund 250 Menschen aus der Stadt vertrieben.
Diese Jagdszenen trugen sich vor zwei Monaten am 18. März zu - doch der Kosovo kommt nicht zur Ruhe. Die Vertreibung in Vucitrn war nur einer von vielen pogromartigen Krawallen, die in diesen Tagen das von der Uno mehr schlecht als recht verwaltete Staatsgebilde überzogen. Dutzende von Kirchen und Klöstern brannten, rund 4500 Nichtalbaner - Serben, Roma und Aschkali - befanden sich auf der Flucht.
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Nicolaus von Holtey
Das ehemalige Viertel der Aschkali in Vucitrn liegt in Schutt und Asche
Für die EU-Beobachter steht fest: Die Ausschreitungen waren eine geplante Provokation. EU-Außenkommissar Chris Patten etwa ist überzeugt, dass prominente albanische Politiker hinter den Angriffen stehen. Seit fünf Jahren schon organisieren vor allem die Funktionäre der rechtsradikalen "Befreiungsorganisation" UCK Pogrome gegen Minderheiten - selbst kritische Albaner, die sich dieser rassistischen Politik in den Weg stellen, werden von ihnen bedroht. Die jüngsten Opfer dieser Angriffe sind die Aschkali - eine wenig bekannte ethnische Minderheit im Kosovo. Sie werden häufig als Albanisch sprechende Roma klassifiziert, eine Einordnung mit der sie selbst allerdings nicht einverstanden sind. Ihre Ursprünge führen sie bis in die Türkei, manchen Quellen zufolge gar bis nach Indien zurück. Knapp 90.000 Aschkali haben nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker zu Beginn des Krieges im Kosovo gelebt. Gemeinsam mit den Roma und den so genannten Kosovo-Ägyptern machten sie etwa acht Prozent der Bevölkerung aus.
Fürchterliches Déjà-vu
Bereits im Sommer 1999, kurz nach dem Abzug der serbischen Armee und dem Einmarsch der westlichen Kfor-Truppen, waren 1500 bis 2000 Aschkali in Vucitrn gemeinsam mit den ansässigen Roma Opfer von Angriffen radikaler Albaner geworden. Fast alle von ihnen verließen die Stadt.
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AP
Roma-Flüchtlinge im serbischen Novi Sad (im Februar 2000)
Während das Roma-Viertel allerdings komplett zerstört wurde, harrten neun Aschkali-Familien unter dem Schutz von nun eingerückten Kfor-Soldaten in ihrem verwüsteten Viertel aus. Im Jahr 2002 stießen noch etwa 200 Aschkali, die in der Zwischenzeit im serbischen Novi Sad Zuflucht gefunden hatten, zu ihnen. Sie hatten auf Versprechungen des Uno-Flüchtlingswerkes UNHCR, der Uno-Verwaltung Unmik und den Nato-geführten Kfor-Truppen vertraut, in ihrer Heimat sei für ihre Sicherheit gesorgt. Jetzt das fürchterliche Déjà-vu: In einer offenbar zentral gesteuerten Aktion sollten die Aschkali wieder vertrieben und eingeschüchtert werden. Die albanischen Angreifer prügelten auf ihre Opfer ein, eine Frau entkam nur knapp einer Vergewaltigung. Albanische Polizisten kamen, um die Aschkali aus ihren Häusern zu holen. "Die Leute werden euch töten", sagten sie den überraschten Bewohnern. Während die Polizei die Brandstifter gewähren ließ, wurden die Aschkali mit vorgehaltener Waffe aus ihren Häusern geholt.
In aller Eile wurden sie zu einer nahe gelegenen Polizeischule gebracht. Die meisten Aschkali hatten nicht einmal Zeit, ihre Papiere oder Wertsachen mitzunehmen. Von der auf einem Hügel gelegenen Notunterkunft konnten die Vertriebenen mit ansehen, wie ihre Häuser abbrannten.
Noch in der Nacht holten französische Kfor-Soldaten die Flüchtlinge ab und brachten sie einige Kilometer weiter in einem Militärlager im Dorf Novo Selo unter. Seit zwei Monaten hausen sie nun in Mannschaftszelten in dem Lager. Die Franzosen kümmerten sich immerhin vorbildlich um ihre "Gäste", berichtet Nicolaus von Holtey von der katholischen Friedensorganisation Pax Christi. Der Menschenrechtsaktivist will sich vor Ort ein Bild von der Lage der vertriebenen Aschkali machen.
Die Menschen, berichtet er, seien verzweifelt. Ihr gesamtes Hab und Gut ist in Schutt und Asche aufgegangen, die Kinder tragen noch nicht einmal Schuhe. Niemand weiß, wie es weitergehen soll.
"Das Vertrauen ist dahin"
Auf dem Gelände der französischen Soldaten ist derzeit für die Sicherheit der Menschen gesorgt. Doch die Zeit läuft ab. Die Franzosen wollen das Gelände militärisch nutzen und haben klar gemacht, dass sie die Aschkali nicht mehr lange beherbergen wollen. Ein leer stehendes Hotel am Rande von Vucitrn soll nun nach einem Plan der Unmik als neue Unterkunft für die Menschen dienen. Doch da wollen sie um keinen Preis hin. "Das Vertrauen ist total dahin", sagt von Holtey. Nach den Angriffen vom März fürchteten die Menschen um ihr Leben. Mit Vucitrn haben sie abgeschlossen. Den Versprechungen der Uno und der Kfor schenken sie längst keinen Glauben mehr.
Auch im übrigen Kosovo fühlen sie sich vor den Übergriffen albanischer Extremisten nicht sicher. Und das restliche Serbien oder Montenegro kommt wegen ihrer albanischen Muttersprache für die Aschkali nicht als Zufluchtsort in Frage. In einer Petition an den EU-Chefdiplomaten Javier Solana haben die 258 Aschkali jetzt um Aufnahme in einem EU-Land gebeten.
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Tausende von Roma und Aschkali sind seit dem Krieg 1999 auf der Flucht
Die Not der Aschkali im Kosovo ist kein Einzelfall. Auch Serben und Roma fühlen sich spätestens seit den März-Unruhen von den Albanern drangsaliert. Trotz der ständigen Übergriffe hält die internationale Gemeinschaft an ihrer Fiktion vom multi-ethnischen Kosovo fest. Egal ob Serben, Roma oder Aschkali - stets drängen sie auf eine Rückkehr der Vertriebenen, obwohl die Chancen für ein Gelingen dieses Unterfangens sehr gering scheinen.
Doch diese realitätsfremde Vision von Unmik und Kfor hat die internationalen Organisationen nach Ansicht von Holteys blind für viele Probleme gemacht. "Von Beginn an hat die Internationale Gemeinschaft die Nöte von Roma und Aschkali nicht wahrgenommen", klagt der Pax-Christi-Beauftragte. Gestern trat Harri Holkeri, der Unmik-Chef im Kosovo zurück. Holkeri war zuletzt wegen der Unfähigkeit der Unmik, die März-Ausschreitungen zu verhindern, heftig kritisiert worden. Er freilich gab ausschließlich gesundheitliche Gründe für seinen Rücktritt an.
Jetzt malten die internationalen Verwalter des Kosovo den Aschkali die Zukunft in ihrer früheren Heimat in den schönsten Farben aus, um nicht das Scheitern der eigenen Politik eingestehen zu müssen, kritisiert von Holtey: "Wenn die Aschkali zurückkehren, kann man das nach außen hin als Signal verkaufen: Selbst die Vertriebenen, die das Schlimmste durchmachen mussten, kommen zurück." Das Signal im anderen Fall wäre fatal, fürchtet die Uno. Dann könnte es zum endgültigen Massenexodus der ethnischen Minderheiten im Kosovo kommen.