http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Serbien-Montenegro/hartmann.html
Wem gehört Kosovo?
Von Ralph Hartmann *
Der Artikel, den wir im Folgenden dokumentieren, wurde verfasst, bevor die Wiener Verhandlungen über den Status des Kosovo begannen. Auch wenn die Verhandlungen noch nicht beendet sind und der serbische Präsident (der mittlerweile auch Montenegro aus dem serbisch-montenegrinischen Staatsverband hat gehen lassen müssen) Ende Juni bei einem Besuch im Kosovo noch trotzig den Rechtsstandpunkt Serbiens betont hat, braucht man keine große Prophetengabe für die Vorhersage, dass die albanisch dominierte Provinz Kosovo demnächst faktisch die staatliche Unabhängigkeit erhalten wird - auch wenn diese Faktizität durch einen Formelkompromiss verschleiert werden könnte, wie im folgenden Artikel vermutet wird. Dessen Autor, Ralph Hartmann, war früher langjähriger Botschafter der DDR in Belgrad und verfügt über ein umfassendes Wissen in Sachen Völkerrecht und Geschichte Jugoslawiens.
Nach in Belgrad kursierenden Gerüchten soll sich auch Papst Benedikt XVI. für eine baldige Klärung des zukünftigen Status des von der NATO okkupierten südserbischen Gebietes Kosovo und für dessen Abtrennung von Serbien ausgesprochen haben. Eine offizielle Verlautbarung des Vatikans, der bei der Zerschlagung des föderativen Jugoslawiens keine unbeträchtliche Rolle gespielt hat, gibt es bisher nicht. Allerdings hatte sich der kürzlich verstorbene Apostolische Administrator der Diözese von Prizren, Marko Sopi, gewiß nicht ohne Rücksprache mit seiner Obrigkeit, schon im März des vergangenen Jahres ziemlich präzise festgelegt, indem er laut Radio Vatikan erklärte: „Wenn es nicht gelingt, den Status Kosovos genau festzulegen, wird es keinen wahren Frieden geben... Ich selbst denke, daß die Unabhängigkeit die einzig wirkliche Lösung ist."
Aus dieser Sicht ist es ein gottgefälliges Werk, an das sich der von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte Sondergesandte Martti Ahtisaari, vormals finnischer Präsident, gemacht hat, um in den Verhandlungen über den künftigen Status Kosovos zu vermitteln und den Wünschen der Unabhängigkeitsbefürworter entgegenzukommen. Während seiner Pendeldiplomatie wird er dornenreiche Wege zurücklegen müssen, damit sein Stern als „Vermittlungswunderwaffe der UNO" weiterhin leuchtet. Die Positionen der streitenden Parteien sind meilenweit von einander entfernt. Belgrad, partiell unterstützt von Moskau und Peking, zeigt sich kompromißbereit, beharrt jedoch auf der Zugehörigkeit des Gebietes zur Republik Serbien und kann sich dabei auf die nach der NATO-Aggression gegen Jugoslawien verabschiedete UN-Resolution 1244 stützen, in der die „Anerkennung der Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien" festgeschrieben ist. Pristina dagegen verlangt kategorisch die sofortige Unabhängigkeit des Gebietes, aus dem dank des NATO-Krieges gegen die angebliche ethnische Vertreibung der Albaner mehr als zwei Drittel der noch 1999 dort lebenden Serben vertrieben wurden.
Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um vorauszusagen, daß die Vermittlungsmission Ahtisaaris mit einem Kompromiß enden wird, allerdings wahrscheinlich mit einem ziemlich faulen. Die Linie dazu haben NATO und EU vorgegeben: Kosovo soll nicht unabhängig, sondern in eine „bedingte Unabhängigkeit" entlassen werden, bei der eine „starke internationale zivile und militärische Präsenz", wahrgenommen durch die EU, erhalten bleibt. Aus dem UN-Protektorat unter NATO-Führung würde so ein EU-Protektorat, oder wie die Kosovo-Albaner sagen: Aus „UNMIkistan" wird „EUMIKistan". Das nahe dem Kosovo-Städtchen Urosevac liegende „Camp Bondsteel", die größte Militärbasis der USA seit dem Vietnamkrieg (benannt nach einem damals gefallenen US-Soldaten, einem sogenannten Kriegshelden), dürfte wohl seinen Namen und Standort behalten, dient es doch dem Schutz der „Freien Welt" und der strategischen Interessen Washingtons auf dem Balkan.
An der Wiege dieses "bedingt unabhängigen! EUMIKistans" würden die deutschen Geburtshelfer in vorderster Reihe stehen, denn vor allem sie präferieren diese Lösung. Manche kosovo-albanischen Politiker in Pristina nennen diese sogar eine „Kreation aus dem Auswärtigen Amt", die zu tragen man nicht bereit sei. Undank ist der Welten Lohn, während doch gerade deutsche Politiker einander in puncto Selbstlosigkeit und Edelmut überbieten, namentlich der Politische Direktor im Auswärtigem Amt, Michael Schäfer, der Mitte Oktober 2005 gegenüber der Belgrader Politika versicherte: „Eines ist klar: Es geht darum, einen demokratischen und rechtsstaatlichen Kosovo zu schaffen,... in dem jeder für sich und seine Familie eine Zukunft in Sicherheit und Prosperität aufbauen kann."
Doch ganz so uneigennützig sind die NATO- und EU-Menschenfreunde nicht. Kosovo ist ein armes, aber an Ressourcen reiches Gebiet. Es verfügt über beträchtliche Vorkommen an Blei, Zink, Chrom, Nickel, Silber, Gold und mit 17 Milliarden Tonnen über die zweitgrößten Braunkohlelagerstätten Europas. Begierig greift das deutsche und internationale Kapital nach diesen Reichtümern. Es begann mit dem Bergbaukombinat Trepca im Norden des Amselfeldes, das einst, in den Zeiten der sozialistischen Selbstverwaltung, 29.000 Beschäftigte zählte und in der Blei- und Zinkproduktion an zweiter Stelle in Europa lag. Im August 2000, ein Jahr nach der Eroberung Kosovos durch die NATO, wurde es von schwerbewaffneten KFOR-Truppen gestürmt und gegen den erbitterten Widerstand der Arbeiter der UN-Verwaltung unterstellt. Der serbische Direktor wurde davongejagt und durch einen Vertreter der „internationalen Gemeinschaft" ersetzt. Die Übernahme war laut Kofi Annan ein erster Schritt in Richtung Privatisierung. Diese ist in Trepca aufgrund der Zerstörungen durch NATO-Raketen und ungeklärter Eigentumsverhältnisse noch nicht abgeschlossen, aber in anderen Teilen Kosovos kommt sie, wenn auch schwerfällig,