Novartis Indien
Richter schützen Apotheke der Armen
Demonstrant in Indien: Das aktuelle Urteil hat eine Signalwirkung.
Foto: AFP
Von Willi Germund
Ein Präzedenzfall im Patentrecht in Indien: Novartis erhält keinen Schutz für sein Krebsmittel Glivec. Andere Pharmakonzerne müssen in Zukunft wohl ähnliche Entscheidungen fürchten. Bei diesem Urteil ging es ums Prinzip.
Im jahrelangen Streit zwischen internationalen Pharmakonzernen, indischen Generika-Herstellern und Hilfsorganisationen aus aller Welt hat Indiens Oberster Gerichtshof in einem am Montag veröffentlichten Urteil erneut die Position des Landes als „Apotheke der Armen“ gestärkt. Nach einem siebenjährigen Verfahren entschieden die Richter in Delhi, dass der Basler Novartis-Konzern am Ganges kein Patent auf das Krebsmittel Glivec anmelden kann.
„In der ganzen Welt sind Patienten auf bezahlbare Versionen teurer, patentierter Arzneien angewiesen", sagte die Rechtsanwältin Leena Menghaney, die die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ auf dem Subkontinent vertritt. „Das Urteil wird fundamentale Folgen haben. Es geht nicht nur um Indien.“
Novartis hatte argumentiert, bei der aktuellen Version der bereits im Jahr 1993 erstmals patentierten Arznei handele es sich um ein neues Medikament und wollte es im Jahr 2006 erneut in Indien schützen lassen. Indiens Richter stellten sich auf den Standpunkt, dass die Neuerungen ungenügend innovativ seien und keinen Schutz vor Nachahmern rechtfertigen würden.
90 Prozent Generika
Rund 90 Prozent aller in Indien produzierten Medikamente sind Generika, für die ein Bruchteil der von ausländischen Pharmakonzernen erhobenen Preise verlangt wird.
Patentierte Medizin kommt gerade mal auf einen Marktanteil von knapp zehn Prozent. Zwei Zahlen machen deutlich, wie wichtig Indiens Rolle als „Apotheke der Armen“ weltweit ist: Nur rund 13 Milliarden US-Dollar des jährlichen Gesamtumsatzes von etwa 25 Milliarden US-Dollar werden in Indien erzielt.
Hilfsorganisationen aus aller Welt decken sich bereits seit Jahren am Ganges mit billigen Malaria- oder Aidsmitteln für ihre Arbeit in Afrika, Lateinamerika und Asien ein. Selbst kleine Heime in Thailand, die sich um HIV-kranke Kinder kümmern, schicken Einkäufer auf den Subkontinent.
Westliche Konzerne, deren Gewinnmargen unter Druck geraten sind, wollen vom schnell wachsenden indischen Arzneimittelmarkt profitieren. Zudem unterhalten nahezu alle Konzerne Forschungsabteilungen auf dem Subkontinent und haben dabei die zahlreichen Pflanzen und Wirkstoffe im Auge, die in Indiens Wäldern zu finden sind. Mangelnder Patentschutz für teure Neuentwicklungen gefährden laut den Pharmaunternehmen deshalb auch die Forschung.
„Wenn die Lage bleibt wie sie ist, können wir Verbesserungen nicht schützen und solche Mittel würden wahrscheinlich nicht in Indien eingeführt“, warnte Novartis-Vertreter Paul Herrling in der „Financial Times“. Der Basler Pharmakonzern erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 4,9 Milliarden US-Dollar mit dem Krebsmittel Glivec. In den USA summieren sich die jährlichen Behandlungskosten auf etwa 70.000 US-Dollar pro Patient. In Indien kostet die Glivec-Behandlung monatlich 2500 US-Dollar. Das entsprechende Generikum ist für 175 US-Dollar zu haben.
Einbußen erleidet Novartis dennoch kaum. Denn der Konzern verteilt im Rahmen eines freiwilligen Hilfsprogramms in Indien rund 90 Prozent von Glivec zum Nulltarif.
Alle Beobachter sind sich denn auch einig, dass es bei dem jetzigen Urteil ums Prinzip ging. Denn Indiens Gerichte haben bereits in einer Reihe von Entscheidungen deutlich gemacht, dass sie nationale Interessen über die Ansprüche von internationalen Pharmakonzernen stellen.
Artikel URL: Novartis Indien: Richter schützen Apotheke der Armen | Wirtschaft - Berliner Zeitung
Richter schützen Apotheke der Armen
Foto: AFP
Von Willi Germund
Ein Präzedenzfall im Patentrecht in Indien: Novartis erhält keinen Schutz für sein Krebsmittel Glivec. Andere Pharmakonzerne müssen in Zukunft wohl ähnliche Entscheidungen fürchten. Bei diesem Urteil ging es ums Prinzip.
Im jahrelangen Streit zwischen internationalen Pharmakonzernen, indischen Generika-Herstellern und Hilfsorganisationen aus aller Welt hat Indiens Oberster Gerichtshof in einem am Montag veröffentlichten Urteil erneut die Position des Landes als „Apotheke der Armen“ gestärkt. Nach einem siebenjährigen Verfahren entschieden die Richter in Delhi, dass der Basler Novartis-Konzern am Ganges kein Patent auf das Krebsmittel Glivec anmelden kann.
„In der ganzen Welt sind Patienten auf bezahlbare Versionen teurer, patentierter Arzneien angewiesen", sagte die Rechtsanwältin Leena Menghaney, die die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ auf dem Subkontinent vertritt. „Das Urteil wird fundamentale Folgen haben. Es geht nicht nur um Indien.“
Novartis hatte argumentiert, bei der aktuellen Version der bereits im Jahr 1993 erstmals patentierten Arznei handele es sich um ein neues Medikament und wollte es im Jahr 2006 erneut in Indien schützen lassen. Indiens Richter stellten sich auf den Standpunkt, dass die Neuerungen ungenügend innovativ seien und keinen Schutz vor Nachahmern rechtfertigen würden.
90 Prozent Generika
Rund 90 Prozent aller in Indien produzierten Medikamente sind Generika, für die ein Bruchteil der von ausländischen Pharmakonzernen erhobenen Preise verlangt wird.
Patentierte Medizin kommt gerade mal auf einen Marktanteil von knapp zehn Prozent. Zwei Zahlen machen deutlich, wie wichtig Indiens Rolle als „Apotheke der Armen“ weltweit ist: Nur rund 13 Milliarden US-Dollar des jährlichen Gesamtumsatzes von etwa 25 Milliarden US-Dollar werden in Indien erzielt.
Hilfsorganisationen aus aller Welt decken sich bereits seit Jahren am Ganges mit billigen Malaria- oder Aidsmitteln für ihre Arbeit in Afrika, Lateinamerika und Asien ein. Selbst kleine Heime in Thailand, die sich um HIV-kranke Kinder kümmern, schicken Einkäufer auf den Subkontinent.
Westliche Konzerne, deren Gewinnmargen unter Druck geraten sind, wollen vom schnell wachsenden indischen Arzneimittelmarkt profitieren. Zudem unterhalten nahezu alle Konzerne Forschungsabteilungen auf dem Subkontinent und haben dabei die zahlreichen Pflanzen und Wirkstoffe im Auge, die in Indiens Wäldern zu finden sind. Mangelnder Patentschutz für teure Neuentwicklungen gefährden laut den Pharmaunternehmen deshalb auch die Forschung.
„Wenn die Lage bleibt wie sie ist, können wir Verbesserungen nicht schützen und solche Mittel würden wahrscheinlich nicht in Indien eingeführt“, warnte Novartis-Vertreter Paul Herrling in der „Financial Times“. Der Basler Pharmakonzern erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 4,9 Milliarden US-Dollar mit dem Krebsmittel Glivec. In den USA summieren sich die jährlichen Behandlungskosten auf etwa 70.000 US-Dollar pro Patient. In Indien kostet die Glivec-Behandlung monatlich 2500 US-Dollar. Das entsprechende Generikum ist für 175 US-Dollar zu haben.
Einbußen erleidet Novartis dennoch kaum. Denn der Konzern verteilt im Rahmen eines freiwilligen Hilfsprogramms in Indien rund 90 Prozent von Glivec zum Nulltarif.
Alle Beobachter sind sich denn auch einig, dass es bei dem jetzigen Urteil ums Prinzip ging. Denn Indiens Gerichte haben bereits in einer Reihe von Entscheidungen deutlich gemacht, dass sie nationale Interessen über die Ansprüche von internationalen Pharmakonzernen stellen.
Artikel URL: Novartis Indien: Richter schützen Apotheke der Armen | Wirtschaft - Berliner Zeitung