[h1]Der Anstifter gibt sich als Märtyrer[/h1]
Der serbische Nationalist Seselj bevorzugt die offene Konfrontation. Auch deshalb hat er sich dem Kiegsverbrechertribunal in Den Haag gestellt. Dort hat heute der Prozess gegen ihn begonnen. Die Anklage ist umfangreich. Ihm und seinen Milizen werden Mord und andere Gräueltaten vorgeworfen.
Von Jörg Paas, ARD-Hörfunkstudio Südosteuropa
[Bildunterschrift: Verfolgte Unschuld? Nationalist Vojislav Seselj bei einer Wahlkampfveranstaltung (Archiv) ]
Die Serbische Radikale Partei versucht, die Massen zu mobilisieren, doch so richtig ist das bisher noch nicht gelungen. Zur Unterstützungskundgebung für Parteichef Vojislav Seselj am vergangenen Donnerstag vor dem Parlament in Belgrad kamen nicht einmal 2000 Anhänger. "Lasst Seselj frei, lasst Seselj frei", riefen sie. Dabei sitzt der Ultra-Nationalist nicht in Belgrad im Gefängnis, sondern im holländischen Scheveningen, und das schon seit mehr als dreieinhalb Jahren.
Zwei Wochen vor dem geplanten Prozessbeginn beim UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist er in Hungerstreik getreten. Sein Statthalter in Belgrad, Tomislav Nikolic, versucht schon jetzt, einen Märtyrer aus ihm zu machen. "Vojislav Seselj stirbt in Den Haag", sagt Nikolic, "um seine und die Würde Serbiens zu verteidigen."
[h2]Anstiftung zu Hass und Mord[/h2]
Die Anklage gegen Seselj vor dem Haager Tribunal lautet auf Mord, unmenschliche Behandlung, Vertreibung und andere Verbrechen an Muslimen und Kroaten - begangen Anfang der neunziger Jahre. Außerdem soll Seselj mit seinen Hassreden gegen die nichtserbische Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien andere zu Verbrechen angetrieben haben ? mal im Einklang mit dem damaligen Präsidenten Milosevic, mal in erklärter Gegnerschaft.
Seseljs Anhänger vor dem Belgrader Parlament sehen das freilich ganz anders. Er habe sie damals in Kroatien geschützt, "damit die Faschisten dort uns nicht umbringen", sagt einer von ihnen. Und behauptet weiter: "Er hat niemanden aus irgendwelchen Dörfern vertrieben ? die Leute sind doch damals nur von sich aus in bessere Unterkünfte umgezogen."
[h2]"Kooperation" mit Hintergedanken[/h2]
Im Februar 2003 hat Seselj sich selbst dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gestellt, mit dem Ziel, vor Gericht ? wie er sagt ? die
internationale Verschwörung gegen das serbische Volk aufzudecken. Seine Anhänger denken wie er: Völlig zu Unrecht sei er angeklagt worden, sagt einer. Seselj sei nur ins Gefängnis gekommen, "damit die serbische Regierung und die ausländischen Mächte, die sie finanzieren, mit unserem Staat machen können, was sie wollen. Aber sie werden ihn freilassen müssen, weil sie keine richtige Anklage gegen ihn haben."
Wäre die Serbische Radikale Partei nur eine Splittergruppe am rechten Rand, dann müsste man Seselj und seine Getreuen nicht weiter ernst nehmen. Aber dem ist nicht so, im Gegenteil: Die Radikalen sind zwar in der Opposition, aber schon jetzt mit 80 von 250 Sitzen die stärkste Kraft im Belgrader Parlament ? und sie könnten bald noch weiter zulegen: Am 21. Januar sind die serbischen Wähler das nächste Mal aufgerufen, ihre Volksvertretung neu zu bestimmen.
Die Radikalen haben Vojislav Seselj, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher, zu ihrem Spitzenkandidaten erkoren. Die Wahlkommission hat diese Entscheidung abgesegnet. In Meinungsumfragen kommt die Partei momentan auf bis zu 40 Prozent der Stimmen.
Kriegsverbrecherprozess gegen Serben Seselj eröffnet | tagesschau.de