Rrushja
♥♥♥
«Wir sind Wislig»
Anfangs haben sie bloss gekifft, gesprayt, gesoffen – die Halbstarken, die immer vor dem Volg hocken. Doch seit Januar gebärden sich einige als Nazis.
Von Sacha Batthyany
So ist das hier jeden Tag. Sie sitzen auf ihrer Bank und rauchen. Die Mofas stehen gleich daneben, aufwendig besprayt, finster beklebt und auf böse gemacht. Manchmal steht einer der Jungs wortlos auf, geht um die Ecke und kommt mit einer Büchse Red Bull zurück, mit einer Capri-Sonne oder sonst einem Getränk, das im Sonderangebot ist. Manchmal passiert auch minutenlang nichts. So ist das hier jeden Tag auf der Bank neben dem Volg. Es ist ihre Bank. Es ist ihr Reich. Nur hier liegen Zigarettenstummel herum, nur hier sind Kritzeleien an der Wand, nur auf diesen sechs Quadratmetern ist der graue Betonboden vom vielen Spucken fleckig.
«Wieso spuckt ihr so oft?»
Dominik: «Wieso? Keine Ahnung. Weil wir halt viel Spucke im Mund haben vom Trinken. Und weil uns langweilig ist.»
«Ist Weisslingen langweilig?»
Dominik: «Weisslingen ist super.»
Sie lachen, klopfen sich auf die Schultern und holen den Rotz von ganz tief unten, den sie dann durch die gerollte Zunge floppen, so weit wie möglich. Sie sind zu dritt, manchmal zu zehnt, eine lose Gruppe von bis zu zwanzig Jungs. Sie haben die Bank beim Volg zu ihrem Bahnhof gemacht, hier trifft man sich, hängt herum, oft ganze Nachmittage lang, hier sieht das enge Dorf am weitesten aus.
Vorm Volg ist Bewegung. «Schaut mal, das ist die Mutter von der Kathi», sagt Dominik, der Autospengler werden will und der sich bei der Kleiderwahl nicht viel überlegt. «Das soll Kathis Mutter sein? Du spinnst ja!» antwortet ein schlaksiger Junge mit Baseballmütze, den sie Fettauge nennen, weil seine Augenlider immer so geschwollen sind. «Die ist ja alt», sagt dann Patrick, siebzehn, ein Jahr älter als die beiden. Patrick weiss genau, was er morgens anzieht, wenn er mit dem Mofa zur Schule fährt. Seit zwei Monaten verlässt er die Wohnung nie ohne Bomberjacke.
«Warum ist Weisslingen super?»
Patrick: «Keine Jugos und keine Albaner, nicht wie sonst überall, und das soll so bleiben. Wislig is hundred percent Swiss», sagt er und hebt beide Daumen hoch.
«Bist du ein Skinhead?»
Patrick: «Nein. Ein paar meiner Freunde sind Skins, aber ich bin ein rechter Patriot.»
«Was ist der Unterschied?»
Patrick: «Skins und Nazis hassen alle Ausländer und finden gut, was Hitler mit den Juden getan hat und so. Ich finde Hitler zu krass.»
Dominik: «Wir sind nicht gegen alle Ausländer. Wir haben nichts gegen die, die hier arbeiten und sich integrieren. Die anderen, die sich dafür zu schade sind oder zu schön, die sollen zurück.»
Patrick: «So ist es.»
Patrick, Dominik und Fettauge gehen noch zur Schule, Oberstufe. Patrick musste letztes Jahr die Klasse wechseln, er hatte den Unterricht gestört, die Lehrerin zur Weissglut getrieben. Fettauge, der Metallbauer werden will, mag Turnen und hasst Englisch, und Dominik ist ganz gut in Physik, Schwerkraft und Strom, das lernen sie gerade.
Es ist Mittwoch, drei Uhr nachmittags, schulfrei. Die Sonne scheint, blauer Himmel, Kinder fahren auf Fahrrädern vorbei, Frauen führen ihre schlanken Hunde spazieren, die drei besprechen, was zu tun ist: Abhängen am Brauiweiher? Oder doch an der Halfpipe neben der Schule? Nach Hause, Playstation 2 spielen? Sie sind unschlüssig. In der Nähe übt jemand Flöte bei offenem Fenster, doch der Klang wird vom Dröhnen eines Flugzeuges überdeckt, Ostanflug, die Jungs gucken in den Himmel, «Lufthansa», sagt einer, «diese Deutschen», ein anderer. Nach einer Weile ist das Flugzeug weg und die Flöte wieder zu hören. So ist das hier jeden Tag auf der Bank neben dem Volg. Auf ihrer Bank.
«Denken in Weisslingen alle so wie ihr?»
Fettauge: «Es gibt die Hänger, und es gibt die Streber. Die Streber sind gut in der Schule, sportlich und Mitglied in einem Verein.»
Dominik: «Wir sind die Hänger. Wir sind Wislig. Da muss man nur mal in die Nachbarsdörfer gehen und fragen. Wir sind bekannt als Hängerdorf. Als Dorf der Rechten.»
Patrick: «Wenn jemand Wislig beleidigt, dann gibt’s Ärger.»
Fettauge: «Aber meist machen wir nichts, wir gamen, wir saufen, solche Sachen halt.»
Patrick: «Du verträgst ja nicht mal zwei Bier.»
Fettauge: «Halt die Fresse.»
Ein paar Orte haben sie dem Dorf abgetrotzt: den schmalen Holzbalkon bei der alten Sennerei, die Halfpipe, die Rückseite des Industriegebäudes bei der Post. Viel ist das nicht. «SVP forever» steht an den Wänden, «Scheiss Albaner» oder «Böhse Onkelz», der Name einer deutschen Band, deren Lieder wegen nazifreundlicher Texte verboten worden sind, doch das kümmert sie wenig; sie laden die Musik aus dem Netz auf ihre Computer und kopieren sie auf ihre Mobiltelefone, wo die «Böhsen Onkelz» zwischen Bildern von getunten Autos und nackten Frauen den Speicherplatz besetzen.
Mit ihren schmächtigen Mofas fahren sie heulend durch die Quartierstrassen, an spielenden Kindern und rasenmähenden Vätern vorbei. Sie grüssen freundlich, die Väter grüssen freundlich zurück, und dann reissen die Jungs die Lenker hoch, fahren zwei Meter auf dem Hinterrad, und beim Vorbeirasen schlagen sie mit der Hand gegen die Verkehrsschilder. Es sind Momente, in denen sie ausbrechen, in denen sie merken, dass die Idylle Weisslingens einschnürt. Schliesslich sind sie die Hänger. Die, die sich verweigern, die, die gegen das Geordnete anspucken und ihr Terrain mit markigen Kritzeleien abstecken. Sie wollen hier raus. Aber Weisslingen verlassen, das würden sie nie.
Patrick: «Mein Traum wäre eine WG in Wislig, mit allen Freunden, das wäre cool.»
«Wollt ihr später Familie?»
Fettauge: «Zuerst mal die richtige Frau finden.»
«Muss sie Schweizerin sein?»
Fettauge: «Klar. Am besten aus der Umgebung. Vielleicht ginge eine Italienerin auch, aber sie muss Deutsch können. So eine Balkan-Tussi, niemals.»
«Hattest du schon eine Freundin?»
Fettauge: «Ja.»
«Und?»
Fettauge: «Und was? Sie war nicht die richtige.»
Er kenne sie alle, sagt Diego Petraccini, der Leiter des Jugendtreffs, ein Raum, nicht mehr, 180 Quadratmeter gross, mit alten Sofas, Tischfussball, einem Video-Beamer drin. Bis Ende März war «das Jugi» jeden Freitag geöffnet, Mädchen wie Jungs hörten Musik, fingen vielleicht eine Kissenschlacht an, holten irgendwann Pizza und gingen dann nach Hause. Doch seit Ende März ein paar Jungs «Heil Hitler» skandierten, ist das Zentrum geschlossen. Als Petraccini sie vor die Türe setzen wollte, spuckte ihm einer ins Gesicht. «Die Wisliger sind mir immer etwas wohlstandsverwahrlost vorgekommen. Als ob sie nicht wüssten, was sie mit all ihren Freiheiten anstellen sollen.» Anfangs hätten sie nur ein wenig provoziert, ein wenig gekifft, Bier getrunken, das Übliche halt. «Doch seit Januar machen im Dorf einige auf Nazi, laufen mit Glatzen und Springerstiefeln herum.» Auch Mädchen seien dabei. Petraccini sagt: «Ich kann’s mir nicht erklären.»
Diana bestellt Wasser und kichert, so wie nur 17-jährige Mädchen kichern. Ihr Vater hat in Weisslingen einen Hof mit 15 Kühen, die Mutter ist Philippinin, Dianas bester Freund, Stefan, ist Skinhead. Manchmal gehen sie was trinken, in die «Jägi», die «Jägersburg», wo auch Patrick, Dominik, Fettauge und die anderen verkehren. Sie trinke Tee, die anderen Bier. Mit 13 hat es Diana bis ins Viertelfinale der Miss-Teenie-Wahl geschafft, in diesem Jahr, mit 17, hat sie am Casting für «Music Star» teilgenommen, aber am Abend vorher so viel gefeiert, dass sie am nächsten Morgen die hohen Töne nicht mehr traf. Kurz war die grosse Welt bis nach Weisslingen vorgerückt, Glamour, grosse Bühne, alles ganz nah, und dann hat Diana die Sache vermasselt.
«Findest du gut, was deine Freunde so reden?»
Diana: «Mir würde es auch nicht gefallen, wenn viele Türken oder Jugos in Weisslingen wohnen würden.»
«Wieso?»
Diana: «Wenn ich ein Kind bekäme und das müsste dann mit denen spielen. Ich weiss nicht.»
«Was wäre das Problem?»
«Ich finde es gut, dass es so ist, wie es ist. Ausserdem, die Sprüche, die Glatzen, die Stiefel, das ist bei den meisten nur Provokation. Sie wollen auffallen. Es ist eine Mode.»
In Patricks Zimmer stehen ein Bett, ein Fernseher, zwei Computer, zwei Verstärker und sieben Boxen. Würde man voll aufdrehen, sagt er, würden die Fensterscheiben zerbersten. An den Wänden hängen Poster von Autos und Frauen und ein Tuch mit Hanfpflanzen darauf. Früher einmal stand Patrick politisch ganz links, war Punk, hatte eine Irokesenfrisur. Dann, sagt er, seien Freunde von ihm von Ausländern, «von Schippis» (Shqiptar = Albaner), verprügelt worden: «Da schnitt ich mir den Iro ab und war rechts.»
«Was sagen die Eltern zu deinen Ansichten? Zur Kleidung?»
Patrick: «Mein Vater ist weg, er hatte einen Unfall, war depressiv und so. Egal. Ist eine lange Geschichte. Meine Mutter findet, ich soll nicht so provokativ rumlaufen.»
«Hat sie Angst um dich?»
Patrick: «Wenn ich nach Zürich gehe, will sie per SMS wissen, ob alles okay ist. Dann antworte ich ihr: Okay.»
«Hast du eine Freundin?»
Patrick: «Nein.»
«Willst du nicht?»
Patrick: «Ich saufe viel, und dann bin ich nicht treu.»
«Treue ist wichtig?»
Patrick: «Ich will einfach niemanden verletzen und von niemandem verletzt werden.»
Es ist spät geworden. Auf dem Weg zurück zum Volg fährt Patrick an Petraccinis Jugendzentrum vorbei, auf der Rückseite des Gebäudes hat jemand «We Hasch!» auf die weisse Wand gesprüht. Wir haschen. Wir tun auch Verbotenes, «We Hasch!», wir leben, Weisslingen lebt, Wislig lives. Die grossen schwarzen Lettern sind schon etwas abgeblättert, vom Regen verwaschen, ein wenig Rebellion muss es im engen Dorf schon immer gegeben haben. Früher war es das Haschen, heute sind es Springerstiefel, Bomberjacken und dumpfe rassistische Sprüche. Das scheint hier niemanden zu beunruhigen. Als Patrick beim Volg ankommt, ist keiner mehr da. Die Hänger sind zu Hause. Ihre Bank ist leer. «Dann geh ich auch», sagt er und setzt den Helm auf.
Sacha Batthyany ist Redaktor der NZZ am Sonntag.
«Wir sind Wislig» - NZZ Folio 05/07 - Thema: Das Dorf
Anfangs haben sie bloss gekifft, gesprayt, gesoffen – die Halbstarken, die immer vor dem Volg hocken. Doch seit Januar gebärden sich einige als Nazis.
Von Sacha Batthyany
So ist das hier jeden Tag. Sie sitzen auf ihrer Bank und rauchen. Die Mofas stehen gleich daneben, aufwendig besprayt, finster beklebt und auf böse gemacht. Manchmal steht einer der Jungs wortlos auf, geht um die Ecke und kommt mit einer Büchse Red Bull zurück, mit einer Capri-Sonne oder sonst einem Getränk, das im Sonderangebot ist. Manchmal passiert auch minutenlang nichts. So ist das hier jeden Tag auf der Bank neben dem Volg. Es ist ihre Bank. Es ist ihr Reich. Nur hier liegen Zigarettenstummel herum, nur hier sind Kritzeleien an der Wand, nur auf diesen sechs Quadratmetern ist der graue Betonboden vom vielen Spucken fleckig.
«Wieso spuckt ihr so oft?»
Dominik: «Wieso? Keine Ahnung. Weil wir halt viel Spucke im Mund haben vom Trinken. Und weil uns langweilig ist.»
«Ist Weisslingen langweilig?»
Dominik: «Weisslingen ist super.»
Sie lachen, klopfen sich auf die Schultern und holen den Rotz von ganz tief unten, den sie dann durch die gerollte Zunge floppen, so weit wie möglich. Sie sind zu dritt, manchmal zu zehnt, eine lose Gruppe von bis zu zwanzig Jungs. Sie haben die Bank beim Volg zu ihrem Bahnhof gemacht, hier trifft man sich, hängt herum, oft ganze Nachmittage lang, hier sieht das enge Dorf am weitesten aus.
Vorm Volg ist Bewegung. «Schaut mal, das ist die Mutter von der Kathi», sagt Dominik, der Autospengler werden will und der sich bei der Kleiderwahl nicht viel überlegt. «Das soll Kathis Mutter sein? Du spinnst ja!» antwortet ein schlaksiger Junge mit Baseballmütze, den sie Fettauge nennen, weil seine Augenlider immer so geschwollen sind. «Die ist ja alt», sagt dann Patrick, siebzehn, ein Jahr älter als die beiden. Patrick weiss genau, was er morgens anzieht, wenn er mit dem Mofa zur Schule fährt. Seit zwei Monaten verlässt er die Wohnung nie ohne Bomberjacke.
«Warum ist Weisslingen super?»
Patrick: «Keine Jugos und keine Albaner, nicht wie sonst überall, und das soll so bleiben. Wislig is hundred percent Swiss», sagt er und hebt beide Daumen hoch.
«Bist du ein Skinhead?»
Patrick: «Nein. Ein paar meiner Freunde sind Skins, aber ich bin ein rechter Patriot.»
«Was ist der Unterschied?»
Patrick: «Skins und Nazis hassen alle Ausländer und finden gut, was Hitler mit den Juden getan hat und so. Ich finde Hitler zu krass.»
Dominik: «Wir sind nicht gegen alle Ausländer. Wir haben nichts gegen die, die hier arbeiten und sich integrieren. Die anderen, die sich dafür zu schade sind oder zu schön, die sollen zurück.»
Patrick: «So ist es.»
Patrick, Dominik und Fettauge gehen noch zur Schule, Oberstufe. Patrick musste letztes Jahr die Klasse wechseln, er hatte den Unterricht gestört, die Lehrerin zur Weissglut getrieben. Fettauge, der Metallbauer werden will, mag Turnen und hasst Englisch, und Dominik ist ganz gut in Physik, Schwerkraft und Strom, das lernen sie gerade.
Es ist Mittwoch, drei Uhr nachmittags, schulfrei. Die Sonne scheint, blauer Himmel, Kinder fahren auf Fahrrädern vorbei, Frauen führen ihre schlanken Hunde spazieren, die drei besprechen, was zu tun ist: Abhängen am Brauiweiher? Oder doch an der Halfpipe neben der Schule? Nach Hause, Playstation 2 spielen? Sie sind unschlüssig. In der Nähe übt jemand Flöte bei offenem Fenster, doch der Klang wird vom Dröhnen eines Flugzeuges überdeckt, Ostanflug, die Jungs gucken in den Himmel, «Lufthansa», sagt einer, «diese Deutschen», ein anderer. Nach einer Weile ist das Flugzeug weg und die Flöte wieder zu hören. So ist das hier jeden Tag auf der Bank neben dem Volg. Auf ihrer Bank.
«Denken in Weisslingen alle so wie ihr?»
Fettauge: «Es gibt die Hänger, und es gibt die Streber. Die Streber sind gut in der Schule, sportlich und Mitglied in einem Verein.»
Dominik: «Wir sind die Hänger. Wir sind Wislig. Da muss man nur mal in die Nachbarsdörfer gehen und fragen. Wir sind bekannt als Hängerdorf. Als Dorf der Rechten.»
Patrick: «Wenn jemand Wislig beleidigt, dann gibt’s Ärger.»
Fettauge: «Aber meist machen wir nichts, wir gamen, wir saufen, solche Sachen halt.»
Patrick: «Du verträgst ja nicht mal zwei Bier.»
Fettauge: «Halt die Fresse.»
Ein paar Orte haben sie dem Dorf abgetrotzt: den schmalen Holzbalkon bei der alten Sennerei, die Halfpipe, die Rückseite des Industriegebäudes bei der Post. Viel ist das nicht. «SVP forever» steht an den Wänden, «Scheiss Albaner» oder «Böhse Onkelz», der Name einer deutschen Band, deren Lieder wegen nazifreundlicher Texte verboten worden sind, doch das kümmert sie wenig; sie laden die Musik aus dem Netz auf ihre Computer und kopieren sie auf ihre Mobiltelefone, wo die «Böhsen Onkelz» zwischen Bildern von getunten Autos und nackten Frauen den Speicherplatz besetzen.
Mit ihren schmächtigen Mofas fahren sie heulend durch die Quartierstrassen, an spielenden Kindern und rasenmähenden Vätern vorbei. Sie grüssen freundlich, die Väter grüssen freundlich zurück, und dann reissen die Jungs die Lenker hoch, fahren zwei Meter auf dem Hinterrad, und beim Vorbeirasen schlagen sie mit der Hand gegen die Verkehrsschilder. Es sind Momente, in denen sie ausbrechen, in denen sie merken, dass die Idylle Weisslingens einschnürt. Schliesslich sind sie die Hänger. Die, die sich verweigern, die, die gegen das Geordnete anspucken und ihr Terrain mit markigen Kritzeleien abstecken. Sie wollen hier raus. Aber Weisslingen verlassen, das würden sie nie.
Patrick: «Mein Traum wäre eine WG in Wislig, mit allen Freunden, das wäre cool.»
«Wollt ihr später Familie?»
Fettauge: «Zuerst mal die richtige Frau finden.»
«Muss sie Schweizerin sein?»
Fettauge: «Klar. Am besten aus der Umgebung. Vielleicht ginge eine Italienerin auch, aber sie muss Deutsch können. So eine Balkan-Tussi, niemals.»
«Hattest du schon eine Freundin?»
Fettauge: «Ja.»
«Und?»
Fettauge: «Und was? Sie war nicht die richtige.»
Er kenne sie alle, sagt Diego Petraccini, der Leiter des Jugendtreffs, ein Raum, nicht mehr, 180 Quadratmeter gross, mit alten Sofas, Tischfussball, einem Video-Beamer drin. Bis Ende März war «das Jugi» jeden Freitag geöffnet, Mädchen wie Jungs hörten Musik, fingen vielleicht eine Kissenschlacht an, holten irgendwann Pizza und gingen dann nach Hause. Doch seit Ende März ein paar Jungs «Heil Hitler» skandierten, ist das Zentrum geschlossen. Als Petraccini sie vor die Türe setzen wollte, spuckte ihm einer ins Gesicht. «Die Wisliger sind mir immer etwas wohlstandsverwahrlost vorgekommen. Als ob sie nicht wüssten, was sie mit all ihren Freiheiten anstellen sollen.» Anfangs hätten sie nur ein wenig provoziert, ein wenig gekifft, Bier getrunken, das Übliche halt. «Doch seit Januar machen im Dorf einige auf Nazi, laufen mit Glatzen und Springerstiefeln herum.» Auch Mädchen seien dabei. Petraccini sagt: «Ich kann’s mir nicht erklären.»
Diana bestellt Wasser und kichert, so wie nur 17-jährige Mädchen kichern. Ihr Vater hat in Weisslingen einen Hof mit 15 Kühen, die Mutter ist Philippinin, Dianas bester Freund, Stefan, ist Skinhead. Manchmal gehen sie was trinken, in die «Jägi», die «Jägersburg», wo auch Patrick, Dominik, Fettauge und die anderen verkehren. Sie trinke Tee, die anderen Bier. Mit 13 hat es Diana bis ins Viertelfinale der Miss-Teenie-Wahl geschafft, in diesem Jahr, mit 17, hat sie am Casting für «Music Star» teilgenommen, aber am Abend vorher so viel gefeiert, dass sie am nächsten Morgen die hohen Töne nicht mehr traf. Kurz war die grosse Welt bis nach Weisslingen vorgerückt, Glamour, grosse Bühne, alles ganz nah, und dann hat Diana die Sache vermasselt.
«Findest du gut, was deine Freunde so reden?»
Diana: «Mir würde es auch nicht gefallen, wenn viele Türken oder Jugos in Weisslingen wohnen würden.»
«Wieso?»
Diana: «Wenn ich ein Kind bekäme und das müsste dann mit denen spielen. Ich weiss nicht.»
«Was wäre das Problem?»
«Ich finde es gut, dass es so ist, wie es ist. Ausserdem, die Sprüche, die Glatzen, die Stiefel, das ist bei den meisten nur Provokation. Sie wollen auffallen. Es ist eine Mode.»
In Patricks Zimmer stehen ein Bett, ein Fernseher, zwei Computer, zwei Verstärker und sieben Boxen. Würde man voll aufdrehen, sagt er, würden die Fensterscheiben zerbersten. An den Wänden hängen Poster von Autos und Frauen und ein Tuch mit Hanfpflanzen darauf. Früher einmal stand Patrick politisch ganz links, war Punk, hatte eine Irokesenfrisur. Dann, sagt er, seien Freunde von ihm von Ausländern, «von Schippis» (Shqiptar = Albaner), verprügelt worden: «Da schnitt ich mir den Iro ab und war rechts.»
«Was sagen die Eltern zu deinen Ansichten? Zur Kleidung?»
Patrick: «Mein Vater ist weg, er hatte einen Unfall, war depressiv und so. Egal. Ist eine lange Geschichte. Meine Mutter findet, ich soll nicht so provokativ rumlaufen.»
«Hat sie Angst um dich?»
Patrick: «Wenn ich nach Zürich gehe, will sie per SMS wissen, ob alles okay ist. Dann antworte ich ihr: Okay.»
«Hast du eine Freundin?»
Patrick: «Nein.»
«Willst du nicht?»
Patrick: «Ich saufe viel, und dann bin ich nicht treu.»
«Treue ist wichtig?»
Patrick: «Ich will einfach niemanden verletzen und von niemandem verletzt werden.»
Es ist spät geworden. Auf dem Weg zurück zum Volg fährt Patrick an Petraccinis Jugendzentrum vorbei, auf der Rückseite des Gebäudes hat jemand «We Hasch!» auf die weisse Wand gesprüht. Wir haschen. Wir tun auch Verbotenes, «We Hasch!», wir leben, Weisslingen lebt, Wislig lives. Die grossen schwarzen Lettern sind schon etwas abgeblättert, vom Regen verwaschen, ein wenig Rebellion muss es im engen Dorf schon immer gegeben haben. Früher war es das Haschen, heute sind es Springerstiefel, Bomberjacken und dumpfe rassistische Sprüche. Das scheint hier niemanden zu beunruhigen. Als Patrick beim Volg ankommt, ist keiner mehr da. Die Hänger sind zu Hause. Ihre Bank ist leer. «Dann geh ich auch», sagt er und setzt den Helm auf.
Sacha Batthyany ist Redaktor der NZZ am Sonntag.
«Wir sind Wislig» - NZZ Folio 05/07 - Thema: Das Dorf