servus,
schöner artikel aus der zeit:
Vorab: wer darauf kindisch oder trotzig reagiert und faschististisch bilder, marko perkovic-video, grüsse oder sonstwas posten möchte, bitte spielt woanders.
Kroatien gibt sich modern, der Tourismus boomt. Doch jedes Jahr im August wird in den pittoresken Küstenstädtchen an der Adria ein Kriegsverbrechen gefeiert.
Von Ana Marija Pasic
Die Präsidentschaftswahlen in Amerika sind vorbei und die Welt ist flächendeckend bestürzt. Der von Trump in seinem Wahlkampf offen propagierte und zelebrierte Chauvinismus, Rassismus und die Bigotterie sind in Kroatien jedoch seit langem Alltäglichkeit und gehören zum nationalistischen Selbstverständnis.
Die von der Bura verwehten Fahnen mit dem bekannten rot-weißen Schachbrettmuster zäumen den Straßenrand auf dem Weg nach Čiovo, wo der Bekannte wohnt, den mein Mann und ich besuchen. Um auf die Halbinsel in der Šibenik-Knin Region zu gelangen fahren wir im Schritttempo über die Brücke bei Trogir. Kolonnen an Autos schachteln sich an der Küstenstraße entlang, die Stadt platzt aus allen Nähten, es ist Touristen-Hochsaison im dalmatinischen Teil Kroatiens.
Unser Bekannter ist Journalist. Und wo ein Journalist ist, besser gesagt Kriegsreporter, sind schnell auch mehr. Bei dem für uns aufgedeckten Frühstück wird gleich Wodka gereicht, der Genozid, Srebrenica und der Jugoslawienkrieg stehen auf dem Menü.
Der Bürgerkrieg, der zur Zerstörung Jugoslawiens führte, endete offiziell vor 21 Jahren. Und während die ethnisch motivierten Massenmorde auf dem Balkan der Vergangenheit angehören, bleiben der Hass und die Fremdenfeindlichkeit, die sie angeheizt haben. Aber nicht nur das. Sie wurden als Nationalstolz umbenannt – der von Tito verkündigte Begriff der "Brüderlichkeit und Einheit" wurde durch eine billige Form des Faschismus ersetzt, der sich als einfacher Nationalismus maskiert.
Ana Marija Pasic, geboren 1984 in Calw, studierte Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften an der Universität Siegen und Angewandte Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie lebt als freie Autorin in Brooklyn, New York. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".© privat
Kroatien ist sicherlich nicht allein mit diesem Schicksal – sein Nachbar Serbien erlebt eine Wieder-Normalisierung der Milošević-Schergen, darunter denderzeitigen Premierminister Aleksandar Vučić und die gefeierte Rückkehr des offiziell in Den Haag freigesprochenen, aber eindeutig schuldigen Kriegsverbrecher Vojislav Šešelj. Šešelj hat in letzter Zeit Rallyes von Serben für Donald Trump organisiert, was passend erscheint. All das schwirrte mir durch den Kopf, als wir uns an der dalmatinischen Küste versammelten. Vielleicht kann die kroatische Erfahrung lehren, was aus der Asche brutaler sektiererischer Kriege hervorgeht und wie der Wiederaufbau einer Gesellschaft ihre eigene verkrüppelte Mythologie rechtfertigt, dachte ich.
Es ist still im Dorf, brütende Hitze, ein paar zahnlose Gestalten haben sich vor dem einzigen Supermarkt versammelt, man hört die Bierdosen in ihren Händen knattern, das Wehen der kroatischen Fahne am Eingang, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Ein ruinenartiges Gebäude erinnert an ein Restaurant, dessen beste Zeiten eindeutig vorbei sind; ein paar leerstehende Rohbauhäuser, die nie fertig gebaut wurden, stehen zum Verkauf; Feigenbäume haben sich derweil angesiedelt und wachsen aus den Fenstern heraus. Nur fünf Autominuten entfernt ist jeder Küstenstein befleckt mit Touristen. An den Klippen reihen sich neugebaute Villen mit privaten Stränden, protzigen Sportwägen und Motorbooten. Eine Mittelschicht gibt es in Kroatien nicht mehr.
Infobox 10 nach 8
ÜBER "10 NACH 8"
ÜBER DIE AUTORINNEN
Abends um 10 nach 8 wird Abseitiges relevant, Etabliertes hinterfragt und Unsichtbares offenbart.
Wir sind ein vielseitiges Autorinnen-Kollektiv. Wir schreiben selbst und suchen nach Texten, die neue Welten erschließen oder altbekannte in neuem Licht erscheinen lassen. Wir laden Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen, aber auch Expertinnen spezieller Fachgebiete ein, mit und für uns zu schreiben; bei uns kommen Gastautorinnen zu Wort, die in ihren Ländern nicht mehr publizieren dürfen oder aus deren Ländern gerade kaum berichtet wird. Wir sind neugierig auf neue Sichtweisen, neue Erzählungen, Text für Text, bei uns, zweimal pro Woche, immer um 10 nach 8.
Hier finden Sie alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.
Zum Abendessen gibt es Fleisch, eine Menge Fleisch, so wie es sich auf dem Balkan gehört. Die Frau eines der anwesenden Journalisten ist Bosnierin und sorgt für die authentischen Darreichungen: Pljeskavice eine Art Hackfleischburger, gefüllte Pita, und Orahovac, selbstgebrauter Walnussschnaps. Der Likör fließt, zwischendurch ist man in Zigarettennot, das Problem wird aber schnell gelöst, dann geht die Sonne unter und die Diskussionen werden hitziger. Es ist ein Tag vor dem 21. Jubiläum der Operation Sturm, Oluja genannt, die an den glorreichen Sieg der Kroaten über die Serben 1995 erinnern soll und in Kroatien als großer Feiertag begangen wird. Dass bei der Operation ungefähr 250.000 der in der Krajna-Region lebenden Serben gewaltsam vertrieben wurden, dass es sich also um eine verheerende ethnische Säuberung handelte, wird hierzulande nicht gerne gehört. Befreit habe man sich am 4. August vom serbischen Aggressor, eine andere Meinung wird gleich als proserbisch und antikroatisch abgetan. Und so sind sich auch die hier am Tisch versammelten Journalisten, die in den 90ern alle als Kriegsreporter aus dem zerfallenden Jugoslawien berichteten, uneinig. Mit zunehmender Stunde wird gestritten.
Irgendwann ruft die Nachbarin rüber und fragt mit glucksender Stimme, ob man das zu Ehren der Oluja stattfindende Lichtspektakel gesehen habe. Thompson spiele am Feiertag in Knin, fügt sie bewundernd und gleichzeitig betrübt hinzu, da sie nicht dort sein kann. Dass der ultranationalistische Popstar Thompson in seinen Liedern und bei seinen Auftritten faschistische Ustascha-Parolen und Symbole verwendet und zum Serbenhass aufruft, erwähnt sie nicht.
Am nächsten Morgen reisen wir ab. Wir fahren durch Dörfer, in denen sich an den Straßenrändern die Lämmer und Spanferkel am Spieß drehen. Davor stehen Männer, deren schwarze Kleidung an Ustascha-Uniformen erinnert. Wir kommen spät am Abend an und als ich mein altes Zuhause betrete, erinnere ich mich an den Sommer vor 21 Jahren. Damals spielte ich im Garten, Hunderte Truppen in Panzern fuhren durch das Dorf an unserem Haus vorbei, ich war elf Jahre alt und wunderte mich, warum alle Fensterläden verschlossen, warum die Straßen, sonst mit spielenden Kindern voll, plötzlich verlassen waren und warum der Staub auf den Straßen grau wirkte. Es war ein anderer Sommer.
Ein paar Tage später ist das Eselrennen in unserem Dorf, ich schleppe meinen Mann widerwillig mit. Das jährliche für die Touristen vorgenommene Spektakel ist ein Relikt aus Titos Zeiten. Der kleine Dorfkern ist verstopft mit Einwohnern, aufgeregten Kindern und Touristen, an deren verkrampften Gesichtern man erkennen kann, dass sie nicht wissen, was sie von dem Ereignis halten sollen. Es riecht wie in meiner Kindheit, nach Zuckerwatte und Softeis, nach dem Meer, frittiertem Fisch und den heimischen Backspezialitäten Fritule und Kroštule. Eine dauergewellte Sängerin spielt alte Popschinken, begleitet von Keybords. Alles scheint so wie früher.
Während ganz wie in alten jugoslawischen Zeiten kitschiges unbrauchbares Plastikspielzeug an den Ständen verkauft wird und Esel die Straße rauf und runter stolzieren, bleibt mein Blick an einem kleinen Mädchen in einem schwarzen T-Shirt hängen. Sie sitzt mit ihren geflochtenen Zöpfen und vielleicht gerade mal vier Jahren auf den Schultern ihres Vaters, der ebenfalls ein schwarzes Shirt trägt mit der Aufschrift "Oluja 95". Und plötzlich erblicke ich die ganze Familie, alle in schwarzen Oberteilen mit der gleichen Aufschrift. Als würden sie eine Musikband oder ihren liebsten Fußballclub feiern. Dabei zelebrieren sie ein Kriegsverbrechen. Ich ärgere mich über die Familie, über das Dorf, das wegschaut, die dummen Touristen, die nichts verstehen wollen, ich ärgere mich über jeden kahl geschorenen Kopf, den ich an diesem Abend sehe, und ich ärgere mich darüber, meinen Mann hierhergebracht zu haben, dessen Tochter halbe Serbin ist. Nach ein paar Bieren zu lauter Turbofolk-Musik in der Dorfkneipe wandern wir enttäuscht nach Hause, uns darauf einigend, dass es besser ist, weniger zu sehen, weniger zu wissen.
Einige Wochen später reisen wir ab, kurz vor den Wahlen, die Regierung war schon vor Monaten zerfallen. Im Flugzeug, gebräunt und trotz allem zufrieden, sehe ich wieder eine junge Familie, diesmal ohne schwarze T-Shirts, aber auf dem Arm des Mannes steht in schwarzen Lettern: "Hrvat since 1995", "Kroate seit 1995".
schöner artikel aus der zeit:
Vorab: wer darauf kindisch oder trotzig reagiert und faschististisch bilder, marko perkovic-video, grüsse oder sonstwas posten möchte, bitte spielt woanders.
Kroatien gibt sich modern, der Tourismus boomt. Doch jedes Jahr im August wird in den pittoresken Küstenstädtchen an der Adria ein Kriegsverbrechen gefeiert.
Von Ana Marija Pasic
Die Präsidentschaftswahlen in Amerika sind vorbei und die Welt ist flächendeckend bestürzt. Der von Trump in seinem Wahlkampf offen propagierte und zelebrierte Chauvinismus, Rassismus und die Bigotterie sind in Kroatien jedoch seit langem Alltäglichkeit und gehören zum nationalistischen Selbstverständnis.
Die von der Bura verwehten Fahnen mit dem bekannten rot-weißen Schachbrettmuster zäumen den Straßenrand auf dem Weg nach Čiovo, wo der Bekannte wohnt, den mein Mann und ich besuchen. Um auf die Halbinsel in der Šibenik-Knin Region zu gelangen fahren wir im Schritttempo über die Brücke bei Trogir. Kolonnen an Autos schachteln sich an der Küstenstraße entlang, die Stadt platzt aus allen Nähten, es ist Touristen-Hochsaison im dalmatinischen Teil Kroatiens.
Unser Bekannter ist Journalist. Und wo ein Journalist ist, besser gesagt Kriegsreporter, sind schnell auch mehr. Bei dem für uns aufgedeckten Frühstück wird gleich Wodka gereicht, der Genozid, Srebrenica und der Jugoslawienkrieg stehen auf dem Menü.
Der Bürgerkrieg, der zur Zerstörung Jugoslawiens führte, endete offiziell vor 21 Jahren. Und während die ethnisch motivierten Massenmorde auf dem Balkan der Vergangenheit angehören, bleiben der Hass und die Fremdenfeindlichkeit, die sie angeheizt haben. Aber nicht nur das. Sie wurden als Nationalstolz umbenannt – der von Tito verkündigte Begriff der "Brüderlichkeit und Einheit" wurde durch eine billige Form des Faschismus ersetzt, der sich als einfacher Nationalismus maskiert.
Ana Marija Pasic, geboren 1984 in Calw, studierte Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften an der Universität Siegen und Angewandte Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie lebt als freie Autorin in Brooklyn, New York. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".© privat
Kroatien ist sicherlich nicht allein mit diesem Schicksal – sein Nachbar Serbien erlebt eine Wieder-Normalisierung der Milošević-Schergen, darunter denderzeitigen Premierminister Aleksandar Vučić und die gefeierte Rückkehr des offiziell in Den Haag freigesprochenen, aber eindeutig schuldigen Kriegsverbrecher Vojislav Šešelj. Šešelj hat in letzter Zeit Rallyes von Serben für Donald Trump organisiert, was passend erscheint. All das schwirrte mir durch den Kopf, als wir uns an der dalmatinischen Küste versammelten. Vielleicht kann die kroatische Erfahrung lehren, was aus der Asche brutaler sektiererischer Kriege hervorgeht und wie der Wiederaufbau einer Gesellschaft ihre eigene verkrüppelte Mythologie rechtfertigt, dachte ich.
Es ist still im Dorf, brütende Hitze, ein paar zahnlose Gestalten haben sich vor dem einzigen Supermarkt versammelt, man hört die Bierdosen in ihren Händen knattern, das Wehen der kroatischen Fahne am Eingang, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Ein ruinenartiges Gebäude erinnert an ein Restaurant, dessen beste Zeiten eindeutig vorbei sind; ein paar leerstehende Rohbauhäuser, die nie fertig gebaut wurden, stehen zum Verkauf; Feigenbäume haben sich derweil angesiedelt und wachsen aus den Fenstern heraus. Nur fünf Autominuten entfernt ist jeder Küstenstein befleckt mit Touristen. An den Klippen reihen sich neugebaute Villen mit privaten Stränden, protzigen Sportwägen und Motorbooten. Eine Mittelschicht gibt es in Kroatien nicht mehr.
Infobox 10 nach 8
ÜBER "10 NACH 8"
ÜBER DIE AUTORINNEN
Abends um 10 nach 8 wird Abseitiges relevant, Etabliertes hinterfragt und Unsichtbares offenbart.
Wir sind ein vielseitiges Autorinnen-Kollektiv. Wir schreiben selbst und suchen nach Texten, die neue Welten erschließen oder altbekannte in neuem Licht erscheinen lassen. Wir laden Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen, aber auch Expertinnen spezieller Fachgebiete ein, mit und für uns zu schreiben; bei uns kommen Gastautorinnen zu Wort, die in ihren Ländern nicht mehr publizieren dürfen oder aus deren Ländern gerade kaum berichtet wird. Wir sind neugierig auf neue Sichtweisen, neue Erzählungen, Text für Text, bei uns, zweimal pro Woche, immer um 10 nach 8.
Hier finden Sie alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.
Zum Abendessen gibt es Fleisch, eine Menge Fleisch, so wie es sich auf dem Balkan gehört. Die Frau eines der anwesenden Journalisten ist Bosnierin und sorgt für die authentischen Darreichungen: Pljeskavice eine Art Hackfleischburger, gefüllte Pita, und Orahovac, selbstgebrauter Walnussschnaps. Der Likör fließt, zwischendurch ist man in Zigarettennot, das Problem wird aber schnell gelöst, dann geht die Sonne unter und die Diskussionen werden hitziger. Es ist ein Tag vor dem 21. Jubiläum der Operation Sturm, Oluja genannt, die an den glorreichen Sieg der Kroaten über die Serben 1995 erinnern soll und in Kroatien als großer Feiertag begangen wird. Dass bei der Operation ungefähr 250.000 der in der Krajna-Region lebenden Serben gewaltsam vertrieben wurden, dass es sich also um eine verheerende ethnische Säuberung handelte, wird hierzulande nicht gerne gehört. Befreit habe man sich am 4. August vom serbischen Aggressor, eine andere Meinung wird gleich als proserbisch und antikroatisch abgetan. Und so sind sich auch die hier am Tisch versammelten Journalisten, die in den 90ern alle als Kriegsreporter aus dem zerfallenden Jugoslawien berichteten, uneinig. Mit zunehmender Stunde wird gestritten.
Irgendwann ruft die Nachbarin rüber und fragt mit glucksender Stimme, ob man das zu Ehren der Oluja stattfindende Lichtspektakel gesehen habe. Thompson spiele am Feiertag in Knin, fügt sie bewundernd und gleichzeitig betrübt hinzu, da sie nicht dort sein kann. Dass der ultranationalistische Popstar Thompson in seinen Liedern und bei seinen Auftritten faschistische Ustascha-Parolen und Symbole verwendet und zum Serbenhass aufruft, erwähnt sie nicht.
Am nächsten Morgen reisen wir ab. Wir fahren durch Dörfer, in denen sich an den Straßenrändern die Lämmer und Spanferkel am Spieß drehen. Davor stehen Männer, deren schwarze Kleidung an Ustascha-Uniformen erinnert. Wir kommen spät am Abend an und als ich mein altes Zuhause betrete, erinnere ich mich an den Sommer vor 21 Jahren. Damals spielte ich im Garten, Hunderte Truppen in Panzern fuhren durch das Dorf an unserem Haus vorbei, ich war elf Jahre alt und wunderte mich, warum alle Fensterläden verschlossen, warum die Straßen, sonst mit spielenden Kindern voll, plötzlich verlassen waren und warum der Staub auf den Straßen grau wirkte. Es war ein anderer Sommer.
Ein paar Tage später ist das Eselrennen in unserem Dorf, ich schleppe meinen Mann widerwillig mit. Das jährliche für die Touristen vorgenommene Spektakel ist ein Relikt aus Titos Zeiten. Der kleine Dorfkern ist verstopft mit Einwohnern, aufgeregten Kindern und Touristen, an deren verkrampften Gesichtern man erkennen kann, dass sie nicht wissen, was sie von dem Ereignis halten sollen. Es riecht wie in meiner Kindheit, nach Zuckerwatte und Softeis, nach dem Meer, frittiertem Fisch und den heimischen Backspezialitäten Fritule und Kroštule. Eine dauergewellte Sängerin spielt alte Popschinken, begleitet von Keybords. Alles scheint so wie früher.
Während ganz wie in alten jugoslawischen Zeiten kitschiges unbrauchbares Plastikspielzeug an den Ständen verkauft wird und Esel die Straße rauf und runter stolzieren, bleibt mein Blick an einem kleinen Mädchen in einem schwarzen T-Shirt hängen. Sie sitzt mit ihren geflochtenen Zöpfen und vielleicht gerade mal vier Jahren auf den Schultern ihres Vaters, der ebenfalls ein schwarzes Shirt trägt mit der Aufschrift "Oluja 95". Und plötzlich erblicke ich die ganze Familie, alle in schwarzen Oberteilen mit der gleichen Aufschrift. Als würden sie eine Musikband oder ihren liebsten Fußballclub feiern. Dabei zelebrieren sie ein Kriegsverbrechen. Ich ärgere mich über die Familie, über das Dorf, das wegschaut, die dummen Touristen, die nichts verstehen wollen, ich ärgere mich über jeden kahl geschorenen Kopf, den ich an diesem Abend sehe, und ich ärgere mich darüber, meinen Mann hierhergebracht zu haben, dessen Tochter halbe Serbin ist. Nach ein paar Bieren zu lauter Turbofolk-Musik in der Dorfkneipe wandern wir enttäuscht nach Hause, uns darauf einigend, dass es besser ist, weniger zu sehen, weniger zu wissen.
Einige Wochen später reisen wir ab, kurz vor den Wahlen, die Regierung war schon vor Monaten zerfallen. Im Flugzeug, gebräunt und trotz allem zufrieden, sehe ich wieder eine junge Familie, diesmal ohne schwarze T-Shirts, aber auf dem Arm des Mannes steht in schwarzen Lettern: "Hrvat since 1995", "Kroate seit 1995".