Es ticken viele Zeitbomben auf dem Balkan von Kosovo und Südserbien bis Mazedonien und Bosnien
Die Freisprüche durch das Haager Kriegsverbrechertribunal für die beiden ehemaligen kroatischen Generäle und die fast gleichzeitig erfolgte Freilassung des für nicht schuldig erklärten ehemaligen Ministerpräsidenten von Kosovo, Ramush Haradinaj, haben in der serbischen Öffentlichkeit Empörung ausgelöst. Die überraschenden Freisprüche wurden freilich in Kroatien und auch in Kosovo mit allgemeiner Begeisterung begrüßt.
Selbst bekannte Menschenrechtler wie Natasa Kandic in Belgrad und Zarko Puhovski kritisierten allerdings die Begründung für die Urteile und auch die Umstände, zumal zwei Richter der Berufungsinstanz von den anderen drei überstimmt worden waren. Besondere Beachtung fand eine kürzlich veröffentlichte, äußerst kritische Stellungnahme des Direktors des UN-Zentrums für Humanitären Dialog, David Harland.
Der aus Neuseeland stammende langjährige UN-Experte war zwischen den Jahren 1993 und 1998 in Bosnien und im Jahr 2008 in Pristina als Vertreter der Vereinten Nationen tätig. In einem Artikel in der New York Times griff Harland "die selektive Gerechtigkeit " an. Mit Hinweisen auf seine eigenen Erlebnisse in Bosnien, Kroatien und Kosovo stellt er fest: "Die Serben haben viele der abscheulichsten Verbrechen des Krieges begangen, aber sie waren nicht allein und es ist nicht richtig oder nützlich, dass sie allein die Verantwortung tragen sollten."
Dass in den letzten Tagen Fortschritte im schwierigen Dialog zwischen Serbien und Kosovo erzielt wurden, darf nicht über die langfristigen politischen Folgen der ramponierten Glaubwürdigkeit des Haager Tribunals hinwegtäuschen. Auch für die Geschichte der Jugoslawienkriege gilt die Warnung des Historikers Holm Sundhausen (nachzulesen in "Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011", Böhlau), dass die Zeit der "Eindeutigkeiten" vorbei sei.
Er weist auch darauf hin, dass alte Tabus durch neue ergänzt werden und dass es mittlerweile nicht mehr viele Dinge gibt , die sicher seien. Mit den heute verfügbaren Quellen und Informationen - in Kombination mit der internationalen Täterforschung - entsteht ein sehr differenziertes Bild. Man muss Sundhauses Meinung akzeptieren, dass die Erschließung des außerordentlich umfangreichen Quellenmaterials über die Geschichte Jugoslawiens und der postjugoslawischen Kriege eine "Jahrhundertaufgabe" bleiben werde.
Diese Feststellung gilt natürlich für die Forscher und nicht für die Politiker, die heute handeln müssen. Gerade deshalb darf man nicht Pauschalurteile über die Verantwortung für die Gewaltexzesse ausschließlich nur einer nationalen Führungsgruppe, geschweige denn einer Nation zuschreiben. Es ticken viele Zeitbomben auf dem Balkan von Kosovo und Südserbien bis Mazedonien und Bosnien. Deshalb sollten sich nicht nur die Juristen, sondern auch die EU-Politiker und erst recht die Vertreter der politischen Klassen in diesem umkämpften Raum die Mahnung des eingangs zitierten Uno-Experten vor Augen halten. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 11.12.2012)
Serbiens Einsamkeit - Paul Lendvai - derStandard.at
Die Freisprüche durch das Haager Kriegsverbrechertribunal für die beiden ehemaligen kroatischen Generäle und die fast gleichzeitig erfolgte Freilassung des für nicht schuldig erklärten ehemaligen Ministerpräsidenten von Kosovo, Ramush Haradinaj, haben in der serbischen Öffentlichkeit Empörung ausgelöst. Die überraschenden Freisprüche wurden freilich in Kroatien und auch in Kosovo mit allgemeiner Begeisterung begrüßt.
Selbst bekannte Menschenrechtler wie Natasa Kandic in Belgrad und Zarko Puhovski kritisierten allerdings die Begründung für die Urteile und auch die Umstände, zumal zwei Richter der Berufungsinstanz von den anderen drei überstimmt worden waren. Besondere Beachtung fand eine kürzlich veröffentlichte, äußerst kritische Stellungnahme des Direktors des UN-Zentrums für Humanitären Dialog, David Harland.
Der aus Neuseeland stammende langjährige UN-Experte war zwischen den Jahren 1993 und 1998 in Bosnien und im Jahr 2008 in Pristina als Vertreter der Vereinten Nationen tätig. In einem Artikel in der New York Times griff Harland "die selektive Gerechtigkeit " an. Mit Hinweisen auf seine eigenen Erlebnisse in Bosnien, Kroatien und Kosovo stellt er fest: "Die Serben haben viele der abscheulichsten Verbrechen des Krieges begangen, aber sie waren nicht allein und es ist nicht richtig oder nützlich, dass sie allein die Verantwortung tragen sollten."
Dass in den letzten Tagen Fortschritte im schwierigen Dialog zwischen Serbien und Kosovo erzielt wurden, darf nicht über die langfristigen politischen Folgen der ramponierten Glaubwürdigkeit des Haager Tribunals hinwegtäuschen. Auch für die Geschichte der Jugoslawienkriege gilt die Warnung des Historikers Holm Sundhausen (nachzulesen in "Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011", Böhlau), dass die Zeit der "Eindeutigkeiten" vorbei sei.
Er weist auch darauf hin, dass alte Tabus durch neue ergänzt werden und dass es mittlerweile nicht mehr viele Dinge gibt , die sicher seien. Mit den heute verfügbaren Quellen und Informationen - in Kombination mit der internationalen Täterforschung - entsteht ein sehr differenziertes Bild. Man muss Sundhauses Meinung akzeptieren, dass die Erschließung des außerordentlich umfangreichen Quellenmaterials über die Geschichte Jugoslawiens und der postjugoslawischen Kriege eine "Jahrhundertaufgabe" bleiben werde.
Diese Feststellung gilt natürlich für die Forscher und nicht für die Politiker, die heute handeln müssen. Gerade deshalb darf man nicht Pauschalurteile über die Verantwortung für die Gewaltexzesse ausschließlich nur einer nationalen Führungsgruppe, geschweige denn einer Nation zuschreiben. Es ticken viele Zeitbomben auf dem Balkan von Kosovo und Südserbien bis Mazedonien und Bosnien. Deshalb sollten sich nicht nur die Juristen, sondern auch die EU-Politiker und erst recht die Vertreter der politischen Klassen in diesem umkämpften Raum die Mahnung des eingangs zitierten Uno-Experten vor Augen halten. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 11.12.2012)
Serbiens Einsamkeit - Paul Lendvai - derStandard.at