Pressestimmen:"Medwedew ist nicht zu beneiden"
[h2]"Medwedews Russland wird nicht Kopie von Russland unter Putin sein" - "Neuer Blick auf den Kreml" [/h2]
München/Berlin/Den Haag - Internationale Tageszeitungen beschäftigen sich in ihren Dienstag-Ausgaben mit den russischen Präsidentenwahlen vom Sonntag.
"Süddeutsche Zeitung" (München)
"Wladimir Putin hat den Westen oft gereizt, am Ende aber tut er ihm einen großen Gefallen. Dmitri Medwedew ist nicht nur Putins Wunschpräsident, auch viele Politiker in den Hauptstädten Europas können ihre Erleichterung über den sanfter wirkenden Nachfolger kaum verbergen. Mit dem neuen Präsidenten wird nicht gleich eine andere Politik, zumindest aber ein anderer Stil in den Kreml einziehen... Dass das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen derart schlecht geworden ist, hat eben auch etwas mit der persönlichen Reizschwelle des scheidenden Putin zu tun, der dünnhäutig und trotzig wie kaum ein anderer Staatsmann auf Kritik reagiert. Für die Länder der Europäischen Union liegt in dem Wechsel an der Moskwa also auch die Chance, das Verhältnis wieder deutlich zu verbessern - falls sie denn auch selber aus den Kalamitäten der vergangenen Jahre etwas lernen.
"Frankfurter Rundschau"
"Doch die Konstruktion der russischen Macht lässt wenig Hoffnung auf eine abermalige Revolution von oben. Putin hat einen oligarchischen Kapitalismus geschaffen, in dem ein enger Kreis von Vertrauten, mehrheitlich Geheimdienstler, den Großteil der Finanzströme kontrolliert. Der Staat ist zur Beute partikularer Interessen geworden. Immer öfter haben die Geschäfte einzelner oligarchischer Gruppen Vorrang vor den Beziehungen zu strategisch bedeutsamen Partnern. Die Gasblockade, der Lieferstopp für Öl nach Deutschland, die Erpressung der LufthansaCargo sind frische Beispiele für die längst erfolgte Privatisierung des Staates. Sie erschüttern das Vertrauen der westlichen Partner in Russlands Vertragstreue.
Fest steht, dass der Nachfolger die Geister, die Putin rief, nicht so leicht loswerden wird: Er kommt nicht umhin, die Interessen der Clans zu wahren, die die Kontrolle der enormen Mittel an sich rissen. Im Drehbuch des byzantinischen Machtwechsels hat Medwedew zugleich die Rolle des Liberalen, der die unzufriedenen Mittelständler in Russland und die Kritiker im Westen beschwichtigen soll. Ob dem künftigen Präsidenten Spielraum für eine eigene Politik bleiben wird, weiß nicht einmal er selbst."
"taz" (Berlin)
"Das Wirtschaftswachstum als weiterer Pfeiler stützt sich auf den hohen Ölpreis. Sollte der nachgeben, dürfte auch die Selbstsicherheit des Kreml wanken. Auch Medwedew wird nichts daran ändern können, dass Russlands Industrie nur auf Rohstoffreichtum aufgebaut ist. Rechtsunsicherheit in (halb)autoritären Staaten steht langfristigem Engagement entgegen. Das System müsste verändert werden. Doch Medwedew wurde auserkoren, um dies zu verhindern. Zu beneiden ist der Nachrücker daher nicht, denn auch die Inflation nagt schon am bislang stabilen Glauben. Noch drehen sich die Maschinen der Scheindemokratie wie geschmiert. Aber Getriebeschäden treten meist unerwartet auf - alle sollten sich darauf gut vorbereiten."
"Financial Times Deutschland" (Berlin)
"Mit Blick auf die vergangenen acht Jahre unter Putin stellt sich allerdings die Frage, ob tatsächlich ernsthaft mit einem Wandel in Russland zu rechnen ist - und ob ein russischer Staatschef schon deshalb Vertrauen verdient, weil er von Freiheit spricht und nett lächelt. Der abtretende Präsident begann nach einer kurzen Reformphase in seiner ersten Amtszeit, das Rad zurückzudrehen. Der Anteil des Staats am Bruttoinlandsprodukt ist wieder gestiegen, die Korruption unter den immer zahlreicheren Staatsdienern hat deutlich zugenommen, und von einem "demokratischen Russland" würden vermutlich nur noch deutsche Ex-Kanzler sprechen. ... Es spricht wenig dafür, dass Medwedew wirkliche Veränderungen will. Er müsste dazu das System Putin beenden, das er von Anfang an mit aufgebaut hat und das ihn an die Spitze trug. Das wäre ein schmerzlicher und für ihn auch sehr gefährlicher Prozess. Und es gibt für den künftigen Präsidenten bisher keinen Grund, ihn einzuleiten."
"de Volkskrant" (Den Haag)
"Der künftige Präsident, der keinen KGB-Hintergrund hat und im Kreml vermutlich nicht auf eine eigene Hausmacht setzen kann, hat nach seinem Wahlsieg noch einmal bekräftigt, dass er Putin gerne als Ministerpräsidenten - mit besonderen Vollmachten - an seiner Seite behält. Obwohl Medwedew als relativ liberal gilt und über ein besseres Verhältnis mit den USA und Europa nachgedacht hat, ist Kontinuität seine Devise. Aber kann solch eine Doppelspitze auch in der Praxis bestehen? Man beachte: Das ist das Land der Zaren und der Generalsekretäre der Kommunistischen Partei. Versuche mit einer mehrköpfigen Führungsspitze waren immer von kurzer Dauer. Als Putin vor acht Jahren die Zügel in die Hand nahm, räumte er in kürzester Zeit mit dem Jelzin-Clan auf. So betrachtet, ist die Wahl nur die erste Phase in einer ordentlichen (und begrenzten) Übergabe der Macht, die Putin anstrebt. Die eigentliche Probe darauf folgt in den ersten Monaten von Medwedews Amtszeit."
"Nepszava" (Budapest)
"Eine große Frage bleibt, und von ihrer Beantwortung hängt die gesamte Entwicklung der politischen Lage in Russland ab: Wie kann Putin als Ministerpräsident in einer Präsidialrepublik die von ihm ausgeübte alleinige Macht bewahren, wenn sich dereinst Medwedew als formeller Inhaber der höchsten politischen Machtfülle ausreichend stark fühlt? Die russische Innenpolitik wird jedenfalls auch in den kommenden Jahren keinen Anlass zur Langeweile geben."
"Sega" (Sofia)"
(Wladimir) Putin hat das Land aus der Intensivstation herausgeholt, (sein Nachfolger Dmitri) Medwedew wird es modernisieren müssen. (...) Bei Putin gab es eine Phase der Wiederherstellung des Landes. Die Regierung Medwedew-Putin (...) kündigt nun für Russland nicht nur eine neue Etappe, sondern einen Sprung an. Und dieser Sprung kann geschafft werden, vorausgesetzt dass keine großen Fehler gemacht werden und es keine Gefahr von Außen oder eine globale Krise gibt. In diesem Sinne wird Medwedews Russland nicht eine Kopie von Russland unter Putin sein."(APA)