Walter Homolka: So wurde sein System ermöglicht - WELT
Die brisanten Hintergründe des Systems Homolka
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“.. ein entzückendes potemkinsches Dorf..” - alle, die dieses System Gestützt haben sollten zurücktreten.
Vielen Dank, lieber Alan Posener
“…Einladungen ins Hotel, Sauna-Abende: Nach WELT-Recherchen über sexuelle Belästigung an der Potsdamer Rabbinerschule melden sich immer mehr Betroffene. Doch warum wurde Direktor Walter Homolka so lange von der Politik hofiert? Die Antwort liegt im Verhältnis der deutschen Politik zu den Juden.
Das Abraham-Geiger-Kolleg erwartete hohen Besuch: Udo Michalik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, die zu den wichtigsten Finanzierern des Ausbildungsseminars für liberale Rabbiner gehört. Einige Tage vorher bekamen alle Studierenden eine Mail von „Anne“, also Anne-Margarete Brenker, der Kanzlerin des Kollegs. „Für diesen Tag benötige ich hier (…) ein entzückendes potemkinsches Dorf“, schrieb Brenker. Die Leitung wolle Michalik zeigen, „dass wir an der Schmerzgrenze der Auslastung sind – und dringend mehr Gelder benötigen...“ Es sollten also alle anwesend sein, „gerne auch mit Kindern“. Das Kolleg sei bereit, „jedem Anwesenden pro Stunde 10 Euro zu zahlen.“
Das war vor acht Jahren. Und bis vor wenigen Wochen funktionierte das von Walter Homolka als gemeinnützige GmbH in seinem Besitz gegründete und von ihm geleitete Abraham-Geiger-Kolleg (AGK) auch als „entzückendes potemkinsches Dorf“. Politiker zitierten es gern als Beispiel für die Wiederbelebung des jüdischen Lebens im Land der Täter, buhlten um Fototermine mit Homolka – und ließen Gelder springen. Viele Studierende und Lehrkräfte jedoch erlebten eine andere Wirklichkeit. Homolka habe „seine Position missbraucht (und missbraucht sie weiterhin), indem er andere schikaniert, einschüchtert und misshandelt“, schrieb Professor Jonathan Schorsch in einem Bericht, der am 11. Januar dieses Jahres den Gleichstellungsbeauftragten der Universität Potsdam zugestellt wurde und WELT vorliegt. Der Bericht zitiert eine Mail der Theologin Sophia Kähler, die ein „Klima der Angst“ am Kolleg beschrieb und darum 2019 ihre Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am AGK aufgab.
MISSBRAUCHSVORWÜRFE
Die fragwürdige Verteidigungslinie des Walter Homolka
Als WELT am 6. Mai von Fällen sexualisierter Belästigung am AGK durch Homolkas Partner berichtete, war darum die Überraschung unter Außenstehenden zwar groß, unter Studierenden, Absolventen und Dozenten des Kollegs aber nicht. Und auch der Präsident der Universität Potsdam, Oliver Günther, der als Freund und Förderer Homolkas gilt, dürfte kaum überrascht gewesen sein, hatte er doch im Schorsch-Bericht lesen können, dass Homolkas Partner, der bis dahin Lehrbeauftragter am Kolleg und überdies für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war, sich „seit Jahren vielen Rabbiner- und anderen Studenten sowie Fakultätsmitgliedern ungebührlich genähert“ habe.
Gemeinsame Sauna-Abende
Seit Erscheinen des WELT-Artikels haben sich viele Betroffene gemeldet und ihre Erfahrungen geteilt. Der Fall eines jungen Mannes, der vor Jahren bei einem Seminar in Krakau von Homolkas Mann angebaggert wurde, erscheint typisch: „Ich habe ein Doppelzimmer außerhalb des Seminarhotels gebucht“, heißt es im Chat, der WELT vorliegt. Ein gemeinsamer Bekannter könne „bestätigen, dass ich umgänglich bin, wenn es darum geht, Zimmer und Betten und Zeit zu teilen.“ Es sei, so ein weiterer Student, am AKG „allgemein bekannt“ gewesen, dass Homolkas Mann auch zu gemeinsamen Sauna-Abenden mit Homolka und anderen in ein Berliner Hotel einlade.
WELT hat sowohl Homolka als auch seinen Lebenspartner mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Über ihren Rechtsanwalt David Geßner ließen beide kategorisch bestreiten, dass es solche Fälle gegeben habe. Eine Klärung erhoffen die Betroffenen von der Kommission, die Unipräsident Günther einberufen hat, um die Vorwürfe zu prüfen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat überdies die Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger beauftragt, sexueller Belästigung und Machtmissbrauch im „Potsdamer Imperium“, wie man in der jüdischen Community Homolkas Geflecht von Institutionen nennt, nachzugehen. Die Kanzlei hat bereits die Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln untersucht. Unter die Lupe genommen werden neben dem AGK und der ebenfalls von Homolka als gemeinnützige GmbH gegründeten Zacharias-Frankel-College die Leo Baeck-Stiftung, das Ernst Ludwig Ehrlich-Studienwerk, die Union Progressiver Juden sowie die Allgemeine Rabbiner Konferenz (ARK). Aus Kreisen des Zentralrats hört man, dass bereits viele Opfer Homolkas und seines Partners von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, in der Kanzlei anonyme Aussagen zu machen.
RABBINER-KOLLEG
Die Methode Homolka
Während Homolka laut Schorsch-Bericht besonders Frauen gegenüber oft einschüchternd auftrat und etwa einer Rabbinerin, die es gewagt hatte, ihn in den 1990er-Jahren öffentlich zu kritisieren, mit „Vernichtung“ gedroht habe, zeigte er sich einem Bericht der „Jewish Telegraphic Agency“ (JTA) zufolge sehr großzügig gegenüber einem verheirateten Rabbiner, der vom Leiter einer anderen von Homolka kontrollierten Organisation wegen sexueller Beziehungen zu Studentinnen gefeuert worden war. (Intern soll von „zwei Handvoll“ die Rede gewesen sein.) Der kaum zur Ausbildung junger Rabbiner moralisch qualifizierte Mann durfte nicht nur seine Lehrstunden am AKG aufstocken, um den Verdienstausfall auszugleichen, sondern wurde mit der Leitung der internen Kommission betraut, die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Homolkas Partner untersuchen sollte. Das Wort vom Bock, der zum Gärtner gemacht wird, lässt sich hier kaum vermeiden, und man müsste mehr als naiv sein, um anzunehmen, dass dies aus Versehen passierte.
Ämter ruhen
Homolka selbst lässt seine vielen Ämter zunächst ruhen. Spätestens mit Erscheinen des Berichts der Kanzlei Ende dieses Jahres dürfte die Karriere des „Wunderrabbiners“ beendet sein. Freilich ist das System Homolka damit nicht erledigt. Homolkas rechte Hand Anne-Margarete Brenker, die am AKG alle Maßnahmen Homolkas abgezeichnet hat, ist immer noch Kanzlerin des Kollegs – und außerdem Vorsitzende der Leo-Baeck-Stiftung, der Homolka seine Anteile am AKG und am Zacharias Frankel-Kolleg für die Ausbildung konservativer Rabbiner übertragen hat.
Andreas Nachama, der eng mit Homolka und seinem Partner zusammengearbeitet hat, führt den Vorsitz der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, in der nicht wenige sitzen, die ihre Jobs Homolka verdanken. Bei einer Sitzung vor einigen Tagen zeigten sich diese Rabbiner empörter über die Aufdeckung der Missstände durch WELT als durch die Missstände selbst. Auch der Geschäftsführende Direktor der School of Jewish Theology an der Uni Potsdam, Daniel Krochmalnik, hatte Professor Schorsch zunächst vorgeworfen, er füge der School und anderen von Homolka gegründeten Institutionen enormen Schaden zu.
Ausgerechnet nach Deutschland. Das Land, aus dem die Mörder kamen
Freilich traf dieser Versuch, den Whistleblower zu diskreditieren, bei den anderen Lehrkräften auf Unverständnis. Krochmalnik musste zurücktreten. Und auch am AKG regt sich Widerstand. Wie WELT erfuhr, arbeiten die 20 verbliebenen Studenten des Kollegs an einer Erklärung, in der sie ein Auswechseln der gesamten Leitung und eine Veränderung der Trägerschaft fordern. Einigen Gemeinden soll Homolka die Übernahme der Kosten versprochen haben, wenn sie einen „seiner“ Leute anstellen. Diese Rabbiner sehen sich nun kritischen Fragen ausgesetzt, zumal „HaMoloch“, wie ihn seine Gegner nennen, kaum in der Lage sein dürfte, weiterhin von deutschen Politikern Finanzierung gegen Fototermine einzutreiben.
„Wiederaufforstung“
Hier schließlich gilt es, einige selbstkritische Fragen zu stellen. Warum hat die Politik Homolka hofiert und ihm dadurch erst seine Macht verschafft? Die Antwort liegt in dem instrumentellen Verhältnis der deutschen Politik zu den Juden: Die Wiederentstehung „blühender“ jüdischer Gemeinden sollte neben Sühnegesten wie dem Bau des Holocaustmahnmals demonstrieren, dass ein neues Deutschland entstanden sei. Das Jüdische Museum mit seinem verlogenen-beschönigenden – und von der neuen Direktorin zu Recht geänderten – Motto „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdischer Geschichte“ war Teil dieses Selbsterlösungsprojekts. Die Neueinwanderung von „Kontingentjuden“ aus der ehemaligen Sowjetunion sollte das Humankapital für die deutsch-jüdische Wiedergeburt liefern.
Jedoch zeigten sich die Neueinwanderer größtenteils uninteressiert daran, so zu tun, als seien sie die Fortsetzung einer 1933 unterbrochenen deutsch-jüdischen Romanze. Auch als Vorbild eifriger Integration gegenüber islamischen Zuwanderern taugten sie nicht. Um es brutal zu sagen: Die „russischen“ Juden waren für deutsche Politiker eine Enttäuschung.
Wie die Deutschen ihr historisches Stigma benutzen
Da kam der Konvertit Walter Homolka mit dem Projekt einer Wiederbelebung des liberalen Judentums daher, nicht zuletzt durch deutsche Konvertiten. Die israelische Zeitung Haaretz zitierte Homolka 2006 mit der Prognose, die bis dahin randständigen liberalen Juden würden in naher Zukunft 40 Prozent aller Juden in Deutschland und damit die größte Gruppe ausmachen. Zwar warnte der jüdische Publizist Micha Brumlik schon 2000, Homolkas Ordination sei „nicht ordentlich“, seine Predigten hätten etwas von „christlichem Dogmatismus“, er sei für weite Teile der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland inakzeptabel.
Doch waren die meisten Politiker vom Projekt, das die Judaistin Hannah Tzuberi mokant als „Wiederaufforstung“ des deutschen Judentums bezeichnet, das man aber auch als „Arisierung“ charakterisieren könnte, begeistert. Endlich hatte man es bei Homolka mit einem Juden zu tun, der keine Verwandten im Holocaust verloren, keine übertriebene Loyalität zu Israel hatte – der, kurz und gut, einer von ihnen war und versprach, mit den von ihm ausgebildeten Rabbinern ein deutsches Judentum nach seinem Bilde zu schaffen.
Nun ist Homolkas Projekt als Potemkin’sches Dorf enttarnt worden. Keinen Augenblick zu früh.
Quelle: https://www.facebook.com/alan.posener